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Eine Japanerin in Florenz - Guarnaccias dreizehnter Fall

Magdalen Nabb

 

Verlag Diogenes, 2014

ISBN 9783257605938 , 352 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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8,99 EUR


 

[5]1


Es war einer jener vollkommenen Morgen, wie es sie nur im Mai geben kann, warm und doch frisch, mit einem Himmel, dessen Blau sonst nur im Malkasten zu finden ist. Selbst wenn der Maresciallo gewußt hätte, was der Tag noch bringt, an diesem Morgen hätte er es nicht für möglich gehalten. Lorenzini hatte versucht, ihn auf dem Weg nach draußen aufzuhalten.

»Wollen Sie sich nicht lieber fahren lassen?«

»Nein, danke. Zu Fuß bin ich genauso schnell …«

Beinahe fluchtartig verließ er die Wache, denn er hatte es eilig, nach draußen zu kommen. Unmöglich, Lorenzini das zu erklären, der sein stellvertretender Dienststellenleiter und ein waschechter Toskaner mit deren typisch nüchterner Lebenseinstellung war. Gleich bei seiner Ankunft hatte der Maresciallo das Fenster seines kleinen Büros geöffnet, den Sonnenschein geschnuppert und sofort gewußt, daß ein wunderbarer Morgen auf ihn wartete. Mit viel Lärm und Gewusel würden [6]sich die Florentiner auf den Tag einstimmen. Der Maresciallo trat aus dem kühlen Schatten des mächtigen Steinbogens in das blendende Sonnenlicht der Pitti Piazza und tastete nach seiner Sonnenbrille. Schlag acht hob der Dirigent seinen Stab. Von dem Gerüst an der Fassade des Palazzo Pitti dröhnten kräftige Hammerschläge, im Takt mit dem Dutzend unmelodiöser Kirchenglocken. Lautes Hupen kündigte den ersten Verkehrsstau des Tages an, der sich vor dem Vorplatz wegen der Straßenarbeiten aufbaute. Ein Bohrhammer lärmte.

»Guten Morgen, Maresciallo Guarnaccia!«

»Oh, hallo! Guten Morgen, Signora. Wie geht es Ihrer Frau Mutter?«

»Sie soll morgen aus dem Krankenhaus entlassen werden. Aber natürlich dürfen wir nicht erwarten, daß …«

Das, was wir nicht erwarten durften, ging im dröhnenden Lärm des Bohrhammers unter. Der Maresciallo eilte mit einer gemurmelten Antwort weiter und bahnte sich einen Weg durch die Autoschlange zu der Café-Bar auf der anderen Seite der Piazza.

Die Café-Bar war voll mit Gästen, die frühstückten. Die zischende Espressomaschine verströmte köstlichen Kaffeeduft. Drei sommerlich [7]gekleidete Frauen blockierten, ins Gespräch vertieft, den Zugang zur Theke.

»Versteht mich nicht falsch. Eigentlich habe ich nichts gegen sie. Sie ist eine nette Frau, richtig entzückend, fast schon eine Heilige. Aber sie ist größenwahnsinnig.«

Der Maresciallo nahm die Sonnenbrille ab und starrte die Frau an, die gerade gesprochen hatte. Sie trug reichlich Schmuck und sah aus, als käme sie gerade vom Friseur, was um diese Uhrzeit ja wohl kaum möglich war, oder etwa doch …? Über ihren Kopf hinweg bedeutete ihm der Mann hinter der Theke, daß sein Kaffee bereits in Arbeit war.

Der Maresciallo wandte sich von der Parfümwolke der Frau ab und sog den Duft von Konfitüre und Vanille ein. Er beschloß, sich an diesem Morgen ausnahmsweise eine warme Brioche zu gönnen, vielleicht, weil es so ein wunderschöner Morgen war, oder vielleicht auch nur, weil er wie gewöhnlich nur zwei Scheiben trockenen Toast gefrühstückt hatte.

»Natürlich meint sie es nur gut.«

»Natürlich!«

Was für ein Gesprächsthema! Der Maresciallo trank den Kaffee aus und bezahlte.

Allerdings kam er kaum zur Tür hinaus, weil eine lange Schlange schubsender und schreiender [8]Schulkinder den schmalen Gehsteig blockierte. Einer Frau, die sich in die Schlange einzureihen versuchte, riß der Geduldsfaden. »Heutzutage dürfen sie Randale machen, wie es ihnen gerade einfällt! Es ist eine Schande!«

Der Maresciallo verschanzte sich hinter seiner Sonnenbrille und schwieg. Wann sollten Kinder denn sonst herumtoben, wenn nicht in diesem Alter? Beim Anblick seiner Uniform neigten die Leute dazu, ihm für alles die Schuld zu geben, von tobenden Schulkindern über den Krieg im Irak bis hin zu nicht funktionierenden Laternen. Letztere würden aber zweifellos die Straße bald wieder in helles Licht tauchen, da Wahlen vor der Tür standen. Der Maresciallo schloß sich dem Ende der Schülergruppe an, die die Via Guicciardini hinunter in Richtung Ponte Vecchio marschierte. Der Akzent der Kinder ließ darauf schließen, daß sie irgendwo aus dem Norden Italiens kamen, wahrscheinlich ein Schulausflug … Die Leute erwarteten einfach von ihm, daß er sich um alle Probleme kümmern und ›es‹ schon richten würde.

Ein großer, rotgesichtiger Mann kam auf ihn zu, bahnte sich mal auf dem Randstein, mal auf der Straße zwischen den drängelnden Kindern und hupenden Autos einen Weg und versuchte gleichzeitig, eine bettelnde Zigeunerin abzuschütteln, die [9]ihn an seiner Kleidung festzuhalten versuchte. Der Maresciallo blieb stehen und blickte sie durch die Sonnenbrille hindurch ostentativ an. Die Zigeunerin reagierte sofort und verschwand, um sich woanders ein neues Opfer zu suchen. Gegen so aggressive Bettelei mußte etwas unternommen werden, aber was? Vor ihm ging ein dicker Junge, der von seinen Mitschülern herumgeschubst und gehänselt wurde. Er erinnerte ihn ein wenig an Giovanni, seinen ältesten Sohn. Totò, der jüngere, gewitztere und lebhaftere, war ihm deutlich überlegen. Giovanni, der seinem Vater in so vielen Dingen ähnelte, besaß daher sein Mitgefühl und Verständnis, Totò hingegen seine Bewunderung.

Der Maresciallo blieb erneut stehen. Eine hübsche Verkäuferin leerte einen Eimer Putzwasser über die holprigen Pflastersteine vor einem Lederwarengeschäft und schrubbte die Reste auf die Straße.

»Entschuldigung.«

»Schon gut, schon gut. Lassen Sie sich ruhig Zeit.« Er genoß den feinen Lederduft in der Luft. Das Mädchen lächelte ihn freundlich an und kehrte mit dem Eimer in den Laden zurück.

Die Kinder waren weitergezogen, pflügten eine Schneise in die Touristenmenge auf der Brücke. Der Maresciallo wandte dem Lärm und dem Sonnenschein[10] den Rücken zu und tauchte in den Schatten einer schmalen Gasse zu seiner Linken ein.

In letzter Zeit wählte er immer diese Abkürzung zur Via Maggio mit den berühmten Antiquitätengeschäften. Die Gasse war für Autos gesperrt, und so lief er einfach in der Mitte. Trotz des Hämmerns und Hobelns, der Radiomusik und munterer Gesprächsfetzen konnte er seine Schritte auf dem holprigen Pflaster hören. Vertraute Gerüche von Firnis und Leim, frischen Sägespänen und Senkgruben verdrängten die Abgaswolken der Hauptstraße. Ziemlich genau im gleichen Abstand zu den beiden Hauptstraßen mündeten vier dieser kleinen Gassen in eine winzige Piazza. Sie wirkte ein wenig ungeordnet und hatte lange Zeit nicht mal einen Namen gehabt. Erst vor kurzem hatten sich die Anwohner auf einen geeinigt und ein selbstgebasteltes Schild aufgehängt. Diese Piazza war nicht das Werk eines florentinischen Architekten, sondern das von Bomben und Landminen aus der Zeit, als die Deutschen sich aus Italien zurückzogen. Piloten der Luftwaffe, die den Auftrag hatten, den Ponte Vecchio zu bombardieren, zielten sehr genau, um diesen zu verfehlen. Das Ergebnis ihrer ›Verfehlungen‹ war die Zerstörung der Gebäude zu beiden Seiten der Brücke und diese [11]Piazza. Damals wurde ein Haus an der Kreuzung vermint, um den Zugang zu den Straßen zu versperren, die zur einzigen ›überlebenden‹ Brücke über den Arno führten. Doch sehr bald schon wirkte diese Piazza mit den Straßencafés und Blumentopfhecken wie ›gewollt‹. An Fenstern und braunen Blendläden hingen Flaggen in Regenbogenfarben für den Frieden, violette Flaggen für den heimischen Fußballklub ACF Florenz und strahlend weiße Flaggen für das mittelalterliche Fußballturnier, das schon bald ausgerichtet werden würde.

»Guten Morgen, Maresciallo. Wie geht es Ihnen?«

Wie immer stand Lapo auf der Schwelle seiner kleinen Trattoria. Hinter einer riesigen Brille schickte er ein herausforderndes Grinsen quer über die vier im Quadrat angeordneten Tische hinüber zu den zwölf Tischen auf der anderen Seite, die nur wenige Meter entfernt einen viel größeren Raum einnahmen. Die Hände hielt er unter dem Latz seiner Schürze verborgen, die bis zu seinen Knöcheln hinabreichte, so wie die Schürze seines Vaters und auch schon die seines Großvaters. Die hübschen jungen Dinger auf der gegenüberliegenden Seite trugen modische Nachahmungen seines Originals.

[12]»Kein Grund zur Klage, Lapo. Und wie geht es Ihnen?«

»Sehr gut, ausgezeichnet. Trinken Sie eine Tasse Kaffee mit mir!«

»Nein, nein danke. Ich habe gerade erst einen getrunken und muß weiter.«

»Wann werden Sie denn mal zum Essen kommen? Sie haben es schon lange versprochen. Meine Sandra ist wirklich eine ganz ausgezeichnete Köchin.«

»Zweifellos ist sie das.« Ein köstlicher Duft von Kräutern und Knoblauch in heißem Olivenöl drang durch die offene Tür. Offenbar war sie gerade dabei, die Sauce für das heutige Pastagericht vorzubereiten.

»Sie sind eingeladen, aber das wissen Sie ja.«

»Ich komme gerne, aber nur auf eigene Rechnung.«

»Wenn Sie meinen. Zumindest werden Sie meine Preise nicht in den Ruin treiben. Wenn Sie allerdings dort drüben einkehren wollen, müssen Sie zuerst eine Hypothek aufnehmen.«

»Das würde ich niemals wagen.« Da der Maresciallo viele Jahre lang das Leben eines Strohwitwers geführt hatte, bis seine Frau schließlich aus Sizilien zu ihm nach Florenz ziehen konnte, stand ihm einfach nicht mehr der Sinn danach, auswärts zu essen.[13] Zu Hause, im Schoß der Familie die Mahlzeiten einzunehmen, das war sein Traum...