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Meister Eckhart

Dietmar Mieth

 

Verlag Verlag C.H.Beck, 2014

ISBN 9783406659874 , 303 Seiten

Format PDF, ePUB, OL

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I. Gott und Mensch


1. «Mit den natürlichen Gründen erkennen»: Philosophie und Theologie


Eckhart bezeichnet sich als Theologen und führt den Titel «magister sacrae scripturae». Der Unterschied zwischen Philosophie und Theologie war in der Hochscholastik herausgearbeitet worden. Dies führt zu der Vorstellung von zweierlei Wahrheit. Gab es in der Philosophie eine von der Offenbarung «unabhängige Wahrheit eigenen Rechtes» (Manstetten 2007, 102)? Die Verurteilung einer riskanten Aristoteles-Rezeption im Gefolge des arabischen Philosophen Averroes (Ibn Ruschd, 1126–1198) durch den Bischof von Paris bezieht sich unter anderem auf «zwei entgegengesetzte Wahrheiten» («duo contrarie veritates», vgl. Flasch 1989, 89f.; Manstetten 2007, 103). Freilich konnte ein Theologe wie Thomas von Aquin zugleich auch philosophische Traktate und sogar eine philosophische Summe in Auseinandersetzung mit der arabischen Philosophie und ihrer Aristoteles-Rezeption schreiben. In der Auseinandersetzung mit dieser Rezeption und mit der Frage nach ihrer Glaubensrichtigkeit in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts zog man sich u.U. in die Philosophie zurück (vgl. die Beiträge in: Nach der Verurteilung von 1277, 2001). Es war möglich, sich vorrangig als Philosophen zu sehen, wie dies Eckharts älterer Ordensbruder und Freund, Dietrich von Freiberg, getan hat. An Dietrich von Freiberg zeigt Kurt Flasch in einer beeindruckenden Interpretation (2007), wie Glaubenselemente mit philosophischen Methoden erörtert werden konnten (vgl. Nach der Verurteilung von 1277, 2001).

Der Unterschied von Philosophie und Theologie ergab sich nicht von vorneherein aus der Unterscheidung ihrer Gegenstände, sondern aus der Unterscheidung ihrer Methoden. Die Philosophie beschränkte sich dann auf die von der «übernatürlichen» unterschiedene, aber ihr zugordnete «natürliche» Vernunft. Die Theologie ließ sich von der vorgegebenen Herkünftigkeit des Glaubens, von der Offenbarung, anleiten, sah sich aber in der Pflicht, dieses Woher intellektuell aufzuklären. Diese Vorgabe nenne ich bei Eckhart «Offenbarkeit». Gemeint ist damit die allgemeine Zugänglichkeit und stets nicht veraltete Gegenwärtigkeit der Schrift-Offenbarung, die nur über eine Methode der Bildrede erschlossen werden konnte. Im Prolog zu seinem «Liber Parabolarum Genesis» legt Eckhart sein Verständnis dieser Wortoffenbarung als Bildrede dar:

«Verborgen ist unter den Bildreden, von denen wir handeln, auch sehr vieles, was Gott, dem ersten Ursprung, eigentümlich ist, was ihm allein zukommt und was auf sein Wesen hinweist. Ferner wird man darin auch eingeschlossen finden die Tugenden und die Prinzipien der Wissenschaften, die Schlüssel zu Metaphysik, Naturwissenschaft und Ethik und ihre allgemeinen Regeln; dazu aber auch den allerheiligsten Hervorgang der göttlichen Personen mit ihrer Eigentümlichkeit, (ihrer) Unterschiedenheit unter und in einem Wesen, einem Sein, Leben und Denken; und davon als ihrem Urbild abgeleitet die Hervorbringung der Geschöpfe, und zwar dies so, dass in jedem naturhaften, sittlichen und künstlerischen Werk (die Trinität) aufleuchtet, der ungezeugte Vater, der vom Vater allein gezeugte Sohn, die wesentliche (die Zeugung) begleitende und personbildende Liebe, der Heilige Geist ….» (Lib. Par. Gen., n. 3, LW I, 453, 7–454, 5)

Ebenso geht Eckhart von der im ersten Buch der Schrift verborgenen Christologie aus (vgl. a.a.O., 453).

Bild ist nicht Beweis, sondern Mittel der Explikation. Was expliziert werden soll, von beiden Seiten, den zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen und philosophischen Mitteln und zugleich von der damit in Form einer Bildrede erschließbaren Offenbarkeit der Schrift, ist Konvergenz. Diese Konvergenz bleibt nach beiden Seiten hin beweglich. Eckhart selbst nennt diese Konvergenz «consonantia»: «invicem loquuntur voce consona» (Lib. Par. Gen., n. 150, LW I, 620,12) und er benutzt dazu die Beispiele des Echos bzw. Widerhalls (vgl. 620,2) sowie des reflektierenden, das Bild im Hin und Her erzeugenden Spiegels (vgl. 620f.).

Die Glaubensgeheimnisse sollten das philosophische Denken nicht kontrollieren, sondern in Gang setzen. Es gab «nur eine Wurzel der Wahrheit» (Manstetten 2007, 103). Eckharts gern zitierte Intention als Autor bzw. Kommentator in seinem Johanneskommentar wollte den Glauben nicht durch Beweise erst herstellen, sondern vorbehaltlos vernünftig aufweisen und ausweisen: an innerer Übereinstimmung der Schrift, an der Glaubenstradition, an der Glaubenspraxis bzw. Lebensführung (vgl. In Joh., n. 361, LW III, 306f.). Das unterscheidet ihn von der Vorstellung, etwas müsse aufgrund einer nicht mit Vernunftgründen ausgewiesenen, äußeren Autorität angenommen werden. Deshalb beharrte er noch im Prozess auf argumentativer Widerlegung, freilich in einem Diskurs unter Gläubigen, die einander erst dann der Häresie bezichtigen durften, wenn die Beweisführung zu einem Punkt führte, an welchem Einsicht erwartet werden konnte. Erst dann trat der Fall der sogenannten «Hartnäckigkeit» ein, dem Eckhart von vorneherein mit einem formalen Widerruf, 1327 in Köln, entgegentrat.

War aber das «lumen naturale», das «natürliche Licht der Vernunft», geeignet, das angemessen zu verstehen, was dem «lumen supernaturale», dem «Licht des Glaubens», etwa im Sinne des Urteils des Bischofs von Paris 1277, vorbehalten schien? Eckhart kennt und benutzt diese Unterscheidung durchaus. Er betrachtet aber, wie ich zu zeigen versuche (s. Kap. 6), das Verhältnis von «natürlich» und «übernatürlich» in einer dialektischen Weise: Nicht nur die Gnade setzt die Natur, sondern auch die Natur setzt die Gnade, den denkenden und liebenden Heilsplan Gottes, voraus.

Nach heutigem Verständnis könnte man Eckhart in erster Linie als philosophisch explikatorischen Theologen betrachten, der die «ratio fidei» auf bestimmten Feldern, die er persönlich bevorzugt oder die er für dringlich einer Klärung bedürftig erachtet hat, darzulegen versucht. Diese Einschätzung entspricht dem, was Max Seckler heute für die Fundamentaltheologie einfordert: Es gehe darum, nicht «von außen» den Glauben zu legitimieren, sondern ihn von innen zu erschließen. Fundamentaltheologie besteht also «in der kognitiven Einholung und vernunfthaften Rekonstruktion der die christliche Existenz konstituierenden Wirklichkeit und Wahrheit» (Handbuch der Fundamentaltheologie, Bd. 4, 1988, 470, vgl. Kampmann 1996, 15ff.).

Eckhart ist zugleich Philosoph im Sinne rationaler Vorbehaltlosigkeit und ausnahmsloser Befragbarkeit. Er ist Theologe im Sinne seiner Bevorzugung von Fragen des Woher und Woraus, also gewissermaßen im Sinne einer vernünftigen Glaubensauslegung als Explikation der Herkunft allen Denkens. (Das ist ungewöhnlich in der heutigen Zeit, in der philosophisches Fragen sich vorher abbremst, weil sich hier kein aus der Reduktion der Lebenswelt abgeleitetes Begriffslabor mehr aufbauen lässt.) Philosophie und Theologie sind also für Eckhart unterscheidbar, aber nicht zu trennen. Denn als Philosoph ist er vor allem explikatorisch (vgl. Schirpenbach 2004), er beweist nicht im voraussetzungsarmen rationalen Diskurs, sondern er zeigt etwas auf, was ihm bereits im Modus der Gewissheit gegeben ist. Jede gedankliche Konstruktion ist zugleich eine Rekonstruktion. Sie legt aus, sie drückt aus, was sich ihr als Zentrum und «Zertum» im ergangenen Wort anbietet (s.u.). Würde man aus Eckharts Gedanken das empfangende Moment herausnehmen, müsste er nicht rational auslegen, sondern – wie etwa später der gelegentlich herangezogene Philosoph Fichte – den Ausgangspunkt seiner Rekonstruktion erst selbst festlegen. Dass ihm diese Vorgehensweise fremd ist, unterscheidet ihn von einem Denker des 19. Jahrhunderts.

Gewiss ist Eckhart in seinen philosophischen Mitteln nicht einfach von Glaubensvorgaben abhängig. Er erbt diese Mittel vom Neuplatonismus, von Augustinus, vom arabischen Aristotelismus, von dessen Integrierung in die Hochscholastik, d.h. von Albert, Thomas, Dietrich von Freiberg, Heinrich von Gent. Wenn er die «Meisterdiskurse» in Paris zitiert, führt er ein ständiges Gespräch, um seine eigene Meinung abzuheben und zu schärfen. Dies verlässt ihn auch als deutschen Prediger nicht. Vom Neuplatonismus stammt der Einheitsgedanke und das prozessuale Auf und Ab von Abreise und Rückreise, er hat aber mit der «ebullitio», dem Bild von einem überfließenden Ursprungsgeschehen den hin- und herfließenden Charakter dieser Bewegung verstärkt (vgl. McGinn 2001, 71–113: «metaphysics of flow»). Vom arabischen Aristotelismus bzw. von Dietrich stammt, wie Kurt Flasch (2006) gezeigt hat, seine Charakterisierung dieser Bewegung als Denkbewegung, also sein Intellektualismus, der Agieren und Empfangen in einen Prozess auflöst. Wie Flasch auch zeigt, folgte Eckhart Dietrich nicht vollständig. Indem er das empfangende Moment im Menschen betont, kommen seine theologischen Interessen zum Vorschein. Seinen Angriff auf Thomas’ proportionale Analogielehre, der zur Betonung der Univozität an der Ursprungsstelle des Prozesses führt, kann er in seiner Verteidigung nicht mehr...