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Rom - Alle 3 Bände

Emile Zola

 

Verlag e-artnow, 2014

ISBN 9788026816980 , 1712 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz frei

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1,99 EUR


 

II.


Inhaltsverzeichnis


Um diese Stunde war die Via Giulia, die sich vom Palast Farnese bis zur Kirche S. Giovanni de Fiorentini in einer geraden Linie, etwa fünfhundert Meter lang, hinzieht, von einem Ende bis zum andern vom hellsten Sonnenschein überflutet. Das kleine viereckige Pflaster des Fahrweges – ein Trottoir gab es nicht – sah ganz weiß davon aus. Der Wagen fuhr beinahe die ganze Straße entlang, inmitten der alten, grauen, wie schlafend und leer aussehenden Häuser mit den großen, vergitterten Fenstern und den tiefen Vorhallen, durch die man in düstere, brunnenähnliche Hofe blicken konnte. Die Straße war von Papst Julius II. eröffnet worden, der sie mit prächtigen Palästen einzufassen gedachte, und hatte im sechzehnten Jahrhundert als Corso gedient, da sie zu jener Epoche die regelmäßigste und schönste Straße Roms war. Man merkte noch jetzt, daß hier einst das elegante Viertel war; nun war es der Stille und Einsamkeit der Vernachlässigung anheimgefallen und von einer Art klerikaler Ruhe und Verschwiegenheit erfüllt. Eine alte Fassade folgte der andern; die Schalterläden waren geschlossen, ein paar Gitter mit Kletterpflanzen umrankt, auf den Thürschwellen saßen Katzen, in den Dependancen waren einfache Kramladen untergebracht, und nur wenige Passanten ließen sich sehen: barhäuptige Frauen, die Kinder nach sich zogen, ein mit einem Maultier bespannter Karren Heu, ein prächtiger Mönch im faltigen Wollengewand, ein geräuschlos dahinfahrender Velocipedist, dessen Maschine in der Sonne funkelte.

Endlich drehte der Kutscher sich um und deutete auf ein großes, viereckiges Gebäude an der Ecke eines zum Tiber führenden Gäßchens.

»Der Palazzo Boccanera.«

Pierre hob den Kopf. Das regelmäßige, vom Alter geschwärzte, kahle und massive Haus machte ihn etwas beklommen. Gleich dem Palazzo Farnese und dem Palazzo Sacchetti, seinen Nachbarn, war es gegen 1540 von Antonio de San Gallo erbaut worden, und wie bei dem ersteren, behauptete sogar die Tradition, daß der Architekt gestohlene Steine aus dem Kolosseum und dem Theater des Marcellus bei dem Baue verwendet habe. Die Fassade, gegen die Straße zu ungeheuer breit und viereckig, bestand aus drei Stockwerken; das erste Stockwerk war sehr hoch, sehr vornehm. Statt jeden Schmuckes ruhten die hohen, wohl aus Furcht vor einer Belagerung mit ungeheuren, vorspringenden Gittern versehenen Fenster des Erdgeschoßes auf großen Konsolen und waren mit Attiken gekrönt, die wieder auf kleineren Konsolen ruhten. Ueber dem monumentalen Eingangsthor mit den Bronzethüren, vor dem Mittelfenster, zog sich ein Balkon hin. Die Fassade schloß gegen den Himmel zu mit einem prächtigen Sims ab, dessen Fries Zeichnungen von bewundernswerter Anmut und Reinheit aufwies. Dieser Fries, die Konsolen und Attiken der Fenster, sowie die Bekleidungen des Thores bestanden aus weißem Marmor, aber dieser war so fleckig, so zerbröckelt, daß er rauh und gelb wie Sandstein aussah. Rechts und links vom Thore befanden sich zwei antike, von Drachen getragene Bänke, ebenfalls aus Marmor; und an einer der Ecken war in der Mauer ein kostbarer, nun versiegter Renaissance-Springbrunnen, ein von einem Delphin getragener Amor, eingelassen. Aber das Relief war kaum noch erkenntlich, so sehr war es abgenutzt.

Die Blicke Pierres wurden jedoch ganz besonders von einem gemeißelten Wappenschilde über einem der Fenster des Erdgeschoßes angezogen; es war das Wappenschild der Boccanera, ein beflügelter Drache, der in Flammen hineinblies. Er vermochte deutlich die noch vollständig erhaltene Devise zu lesen: Bocca nera, Alma rossa – schwarzer Mund, rote Seele. Ueber einem andern Fenster, als Pendant dazu, befand sich eine jener in Rom noch so zahlreichen kleinen Kapellen, eine in Atlas gekleidete heilige Jungfrau, vor der am hellen Tage eine Laterne brannte.

Der Kutscher wollte, wie es Brauch ist, in die düstere, gähnende Vorhalle hineinfahren, aber der junge Priester hielt ihn, von Schüchternheit ergriffen, zurück.

»Nein, nein, nicht hineinfahren,« sagte er. »Es ist nicht nötig.«

Er stieg aus, bezahlte den Kutscher und trat mit seinem Handkoffer in der Hand unter das Thor und von da in den Mittelhof, ohne einer menschlichen Seele begegnet zu sein.

Es war ein viereckiger, ziemlich geräumiger und wie in einem Kloster von einem Säulengang umgebener Hof. Unter den düsteren Arkaden waren an den Wänden Reste von Statuen, Marmorfunde aufgestellt – ein armloser Apollo, eine Venus, von der nur noch der Rumpf übrig war, und zwischen den Kieseln, die den weißschwarzen Mosaikboden bedeckten, war zartes Gras aufgeschossen. Es schien, daß die Sonne nie auf dieses von Feuchtigkeit verwitterte Pflaster dringen dürfte. Ueberall herrschte das Dunkel, das Schweigen einer toten Größe und einer unendlichen Trauer.

Pierre, von der Leere dieses stummen Palastes überrascht, suchte einen Portier, irgend einen Diener, und da er einen Schatten vorüberstreichen zu sehen glaubte, entschloß er sich, ein zweites Gewölbe zu durchschreiten, das in einen kleinen, am Tiber liegenden Garten führte. Von dieser Seite wies die ganz gleichförmige schmucklose Fassade nur die drei Reihen symmetrischer Fenster auf. Aber der Garten schnürte ihm durch seine Vernachlässigung das Herz noch mehr zusammen. In der Mitte, in einem zugeschütteten Bassin, war ein hochstämmiger Buchsbaum aufgeschossen. Zwischen den wirren Gräsern deuteten nur die Orangenbäume mit ihren reifenden, goldenen Früchten die Zeichnung der Alleen an, die sie begrenzten. An der rechten Mauer, zwischen zwei ungeheuren Lorbeerbäumen, stand ein Sarkophag aus dem zweiten Jahrhundert; das Relief stellte Faune dar, die Frauen schändeten, ein zügelloses Bacchanal, eine jener gierigen Liebesscenen, wie sie das dekadente Rom auf den Gräbern anzubringen pflegte. Und dieser in einen Trog umgewandelte, verdorrte, grünüberzogene Marmorsarkophag fing den feinen Wasserstrahl auf, der aus einer an der Mauer festgekitteten, großen, tragischen Maske floh. Einst ging hier eine Art Loggia mit einem Säulengang auf den Tiber hinaus, eine Terrasse, von der eine doppelte Treppe zum Fluß führte. Aber die Quaibauten brachten auch eine Erhöhung der Ufer mit sich; die Terrasse lag schon tiefer als der neue Boden, mitten unter Schutt und liegengebliebenen Hausteinen, mitten unter der kläglichen Verwüstung, den Demolirungen, die das ganze Viertel auf den Kopf stellten.

Aber nun war Pierre fest überzeugt, daß er den Schatten eines Rockes gesehen habe. Er kehrte in den Hof zurück und sah sich einer Frau gegenüber, die an den Fünfzig sein mochte, aber noch kein einziges weißes Haar besaß; sie war von etwas kurzem Wuchs und sah munter und sehr lebhaft drein. Beim Erblicken des Priesters nahm jedoch ihr rundes Gesicht mit den kleinen, hellen Augen einen gleichsam mißtrauischen Ausdruck an.

Er gab sich sogleich zu erkennen, indem er sein bißchen schlechtes Italienisch zusammensuchte.

»Madame, ich bin der Abbé Pierre Froment.«

Aber sie ließ ihn nicht zu Ende reden, sondern sagte in sehr gutem Französisch, mit dem etwas schwerfälligen, schleppenden Accent von Ile-de-France:

»Ach, der Herr Abbé! Ich weiß, ich weiß, ich habe Sie erwartet. Ja, ich bin eine Französin,« fuhr sie fort, als er sie verwundert anblickte. »Nun lebe ich schon seit fünfundzwanzig Jahren in diesem Lande, aber ich habe mich an ihr verteufeltes Kauderwelsch noch immer nicht gewöhnen können.«

Nun erinnerte sich Pierre, daß der Vicomte de la Choue ihm von dieser Dienerin, Victorine Bosquet, erzählt hatte. Sie war eine Beauceronnin, aus Auneau, und zu zweiundzwanzig Jahren mit einer schwindsüchtigen Dame nach Rom gekommen. Ihre Herrin starb plötzlich, und sie blieb verzweifelt, ganz allein, wie unter lauter Wilden zurück. Daher ergab sie sich mit Leib und Seele der Gräfin Ernesta Brandini, einer geborenen Boccanera, die eben niedergekommen war und sie auf der Straße aufgelesen hatte, um sie dann zum Kindermädchen ihrer Tochter Benedetta zu machen. Sie glaubte auch, durch sie Französisch zu erlernen. Victorine, nun seit fünfundzwanzig Jahren in der Familie, hatte sich zur Rolle einer Haushälterin aufgeschwungen, obwohl sie ganz ungebildet blieb und ein so geringes Sprachtalent besaß, daß sie, wenn der Dienst es erforderte, im Verkehr mit der übrigen Dienerschaft noch immer ein entsetzliches Italienisch radebrechte.

»Der Herr Vicomte befindet sich also wohl?« fuhr sie mit ihrer freimütigen Familiarität fort. »Er ist so nett. Es macht uns immer so viel Vergnügen, wenn er, so oft er herkommt, bei uns absteigt! Ich weiß, daß die Prinzessin und die Contessina gestern einen Brief von ihm bekommen haben, der Sie uns ankündigte.«

In der That, der Vicomte Philibert de la Choue hatte alles für den römischen Aufenthalt Pierres geordnet. Von der alten, kräftigen Rasse der Boccanera war niemand mehr übrig als der Kardinal Pio Boccanera, seine Schwester, die Prinzessin, eine alte Jungfer, die man aus Respekt Donna Serafina nannte, dann ihre Nichte Benedetta, deren Mutter Ernesta ihrem Gatten, dem Grafen Brandini, ins Grab gefolgt war, und endlich ihr Neffe, der Fürst Dario Boccanera, dessen Vater, Fürst Onofrio Boccanera, gestorben war, und dessen Mutter, eine geborene Montefiori, sich wieder vermählt hatte. Der Vicomte war durch eine Zufalls-Heirat eine Art Verwandter dieser Familie geworden; sein jüngerer Bruder hatte nämlich eine Brandini, die Schwester von Benedettas Vater geheiratet. Auf diese Weise hatte er als Titularonkel mehrmals zu Lebzeiten des Grafen in dem Palast in der Via Giulia gewohnt...