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Jugendweihe und Jugendfeier in Deutschland - Geschichte, Bedeutung, Aktualität

Horst Groschoppp, Daniel Pilgrim, Peter Adloff, Manfred Isemeyer

 

Verlag Tectum-Wissenschaftsverlag, 2014

ISBN 9783828860599 , 200 Seiten

Format PDF, ePUB, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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15,99 EUR


 

Manfred Isemeyer


Jugendweihe/-feier zwischen Tradition und Moderne


Ein historischer Überblick


Neugierde ist ein Grundmotiv historischen Forschens. Mit Fragen der facettenreichen und komplizierten Geschichte der Jugendweihe haben sich in der Vergangenheit nur wenige Historiker befasst. Bis 1990 lässt sich in der alten Bundesrepublik zwar noch eine Konjunktur der Arbeiterkulturforschung, insbesondere auch zum Bereich der Fest- und Feierkultur, konstatieren. Weitgehend unberücksichtigt blieb in dieser Forschung jedoch die Jugendweihe als zentrales Element proletarischer Festkultur.

Im Gegensatz dazu wurde der Erforschung der Jugendweihe in der DDR weitaus mehr Platz eingeräumt. Die Gründe liegen auf der Hand: Im Selbstverständnis der DDR war die Jugendweihe Bestandteil des staatlichen sozialistischen Bildungs- und Erziehungssystems. Ideologisch verengt konzentrierte sich die Forschung allerdings nur auf die Tradition der kommunistischen Jugendweihen der Weimarer Republik.

Nun hätte man vermuten können, dass sich in Nachwende-Zeiten die historische Forschung wieder des Themas Jugendweihe annimmt. Dies ist aber nicht der Fall, und das ist umso unverständlicher, als sich im vereinten Deutschland eine hitzige politische Debatte um die Jugendweihe entzündete. Der mediale „Kulturkampf“ um diese Feier wurde zehn Jahre lang insbesondere von den Kirchen und konservativen Politikern geführt. Den Fortbestand der Jugendweihe geißelten sie als größten Erfolg der „Christenverfolgung in der ehemaligen DDR“ oder als „ideologiebefrachtetes Spektakel“.

Nur wenige Zeitgenossen haben damals erwartet, dass diese Form eines Passageritus im vereinten Deutschland eine Zukunft hat. Die Teilnehmerzahlen fielen zwar nach 1989/1990 in den ostdeutschen Bundesländern rapide ab, stabilisierten sich aber bald wieder auf hohem Niveau. Für 2013 verzeichnen die Organisatoren von Jugendfeiern und -weihen regen Zuspruch, und selbst in den alten Bundesländern macht sich signifikant ein Aufwärtstrend bemerkbar. Die Jugendweihe ist heute in der gesellschaftlichen Mitte angekommen und hat ihren gleichberechtigten Platz neben der Konfirmation. Dies ist vielleicht auch ein Grund, warum das Interesse der Forschung an der Jugendweihe so gering ist. Eine umfassende Untersuchung, die Entwicklungslinien, Tendenzen und Funktionen des Phänomens Jugendweihe behandelt, wäre eine attraktive und aktuelle wissenschaftliche Herausforderung.

Die Entstehung der Jugendweihe in Deutschland


Die Rekonstruktion der Geschichte der Jugendweihe ist ohne Rückgriff auf die freireligiöse Bewegung nicht möglich. Ihre Wurzeln liegen im Deutschkatholizismus und im freien Protestantentum, also in Strömungen, die sich gegen Orthodoxie und Negation des wissenschaftlichen Fortschritts in den beiden Großkirchen wandten. Die neuen religiösen Ideen verbanden sich von Anfang an auch mit politischen. 1848/49 vereinigten sich diese religiösen Oppositionsbewegungen in den freireligiösen Gemeinden, deren Zahl 1850 auf knapp 400 Gemeinden mit rund 180000 Mitgliedern stieg.

Abb. 1: Erinnerungsblatt zur Jugendweihe 1888, Bildnachweis: HVD

Der Entstehung der freireligiösen Gemeinden und der langsamen Abkehr einer Minderheit des Volkes von Religion und Kirche trugen viele deutsche Länder Rechnung, indem sie „Dissidentengesetze“ erließen, die u. a. den Austritt aus der Kirche und die Befreiung vom Religionsunterricht regelten. Nach der bedingten staatlichen Anerkennung als Religionsgemeinschaften begannen die größeren Gemeinden, eigene Schulen und Kindergärten zu gründen. So errichtete die Freie Gemeinde Hamburg 1851 eine Knaben- und Mädchenschule, in der neben Geschichte, Fremdsprachen und Naturkunde auch ein überkonfessioneller Religionsunterricht erteilt wurde, der die Schüler zu religionsmündigen, selbstständigen Persönlichkeiten erziehen sollte. Die kleineren Gemeinden waren in der Lage, für ihre 12 – 14-jährigen Kinder einen freireligiösen Konfirmationsunterricht zu organisieren. Basierten die Unterrichtsinhalte zunächst noch auf dem lutherischen Katechismus, so entwickelte sich der Religionsunterricht innerhalb weniger Jahrzehnte zu einem Weltanschauungsunterricht, der allerdings pantheistischen Vorstellungen verhaftet blieb.

Am Ende des Unterrichts stand eine Feier, die anfänglich unverkennbare Züge der evangelischen Konfirmation trug. Eine der wenigen überlieferten freireligiösen Konfirmationen der ersten Stunde ist die der deutschkatholischen Gemeinde Breslau vom 9. April 1846.1 Nach dem Eingangsgesang sprach zunächst der Prediger ein „Weihegebet“. Es folgten eine Ansprache „über die an die Confirmanden zu stellenden Forderungen“ und eine fast einstündige Prüfung der 288 Jungen und Mädchen. Anschließend traten die Konfirmanden paarweise an den Altar heran, „um durch Hand und Mund das Gelübde ihres Herzens zu bekräftigen“. Der Bericht von der Feier schließt mit den Worten: „Solche Tage sind wahre Weihetage.“

Die bekannten Konfirmationsordnungen aus den ersten Jahren der freireligiösen Bewegung verdeutlichen ebenfalls den Charakter der Feier als christlichen Ersatzritus, der stark vom Weihegedanken durchdrungen war. In regional unterschiedlicher Ausprägung beinhalteten die Feiern u. a. Lieder, die Rede eines Gemeindevorstandes, den Vortrag des Predigers, die Prüfung der Konfirmanden und die Ablegung des Glaubensbekenntnisses. Auch die Bezeichnung der Feier als „Einführung in die Gemeinde“, „Confirmation“, „feierliche Einsegnung“, „Bestätigung des Glaubensbekenntnisses bei erlangter Verstandesreife“ oder „Feier der Jugendaufnahme“ war nicht einheitlich.

Die voranschreitende Auflösung der religiösen Inhalte und des christlichen Kultus in den freien Gemeinden stellte auch den Namen der Feier zur Disposition. Der freireligiöse Prediger Wislicenus unterzog schon 1851 das „Confirmationsgelübde“ einer scharfen Kritik: „… der Begriff der Confirmation ist in der That dem Wesen der freien Gemeinde fremd, denn diese will nur selbständige Menschen auf deren Entschluss und freien Überzeugung in ihre Gemeinschaft aufnehmen.“2

Etwa zur gleichen Zeit prägte der Sprecher der Freien Protestantischen Gemeinde Nordhausen, Eduard Baltzer, erstmals den Begriff der Jugendweihe. Im Mitteilungsblatt Nr. 7 vom 20. Mai 1852 der Freien Gemeinde Halle veröffentlichte er eine Liedersammlung für die Jugendweihe. In Baltzers Wortschöpfung den Ursprung eines neuen Passageritus zu sehen, ist durch die bisherige historische Forschung nicht gedeckt. In ihrer „liturgischen“ Gestaltung ähnelte die Jugendweihe sehr der evangelischen Konfirmation. Erst Anfang der 1880er Jahre setzte sich die Bezeichnung „Jugendweihe“ in den meisten großen Gemeinden durch, nachdem dort der Säkularisierungsprozess weiter vorangeschritten war und die Feier in Abgrenzung zur kirchlichen Konfirmation immer stärker weltlichen Charakter angenommen hatte. So verschwanden Abendmahl und Beichte als Teil der Feier gänzlich, und an die Stelle des Gelübdes trat häufig das Bekenntnis zu einer aufklärerischen Vernunftreligion, verbunden mit der Aufnahme in die Gemeinde. Die Entwicklung beschreibt bereits um 1860 der Freireligiöse Ferdinand Kampe. Die „Confirmation“ sei eine Feier religiöser Mündigkeit, welche zu mündiger selbstständiger Mitgliedschaft erhebe und „Ausdruck dankbarer Anerkennung [ist], welche die Jugend für das in und von der Gemeinde empfangene Gute“ hege.3

In der Folge der Niederschlagung der bürgerlichen Revolution von 1848/49 galten die freireligiösen Gemeinden als staatsgefährdende politische Vereine und wurden polizeilich unterdrückt. Dort, wo die Gemeinden nicht gänzlich verboten waren, schrumpften sie zu bedeutungslosen Sekten zusammen. Religionsunterricht und „Confirmation“ waren stark eingeschränkt und fanden allenfalls versteckt statt, wie beispielsweise in der Berliner Gemeinde: „Da die Frauen und Kinder noch immer von dem Besuch des gemeinsamen Gottesdienstes abgehalten werden, so kann auch die Konfirmation nicht wie früher öffentlich stattfinden. Diese Feier ist daher jetzt auf den engeren Familienkreis angewiesen. Vergangenen Sonntag fand eine solche Feier in einer Familie statt. Unser Vorstandsmitglied Dr. Jacobson vollzog die Konfirmation dreier aus der Kirche gerichtlich ausgeschiedener Knaben …“4

Anfang der 1860er Jahre erlangten die Gemeinden das Recht zurück, Religionsunterricht und „Confirmationen“ durchzuführen. Jetzt begannen sich auch Handwerksgesellen und Arbeiter für die von mittel- und kleinbürgerlichen Kreisen beherrschten freien Gemeinden zu interessieren. Ihr Beitritt in die Gemeinden erfolgte vorrangig, um die eigenen Kinder vom Religionsunterricht in der Schule abmelden zu können und sie in einem weltlichen Sinne erziehen zu lassen. Dahinter verbargen sich erste Entkirchlichungsprozesse eines Teils...