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Der König in Gelb

Robert W. Chambers

 

Verlag Festa Verlag, 2014

ISBN 9783865523334 , 192 Seiten

Format ePUB, OL

Kopierschutz frei

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4,99 EUR


 

Prolog


August 1880

»Sie sehen aus, als hätten Sie ’n Gespenst gesehen, mein Freund«, sagte Kapitän Michael McQuinn hinter dem großen Steuerrad des Schiffes. Die Bemerkung galt seinem Ersten Offizier, einem wettergegerbten Böhmen namens Poelzig, der teilnahmslos aus einem Steuerbordfenster des kleinen Ruderhauses starrte. Um sie herum erstreckte sich die perfekt flache Chesapeake Bay.

»Ein Gespenst«, murmelte Poelzig. Er fuhr sich mit seiner schwieligen Hand übers Gesicht. »Hab ich letzte Nacht nicht viel geschlafen, Käpt’n, genau wie meine Frau. Und Sie?«

»Ach, ich hab geschlafen wie ’n Baby«, behauptete McQuinn mit seinem irischen Akzent. Er klopfte lächelnd auf den Flachmann an seiner Seite. »Gibt keinen Grund, rastlos zu sein. Wir sind beide Einwanderer, die von diesem großartigen Land mit offenen Armen aufgenommen wurden, nicht wahr? Das Versprechen auf Freiheit und gute, ehrliche Arbeit. Wir sollten immer dankbar sein ...«

Das stimmte soweit. McQuinn war ein irischer Katholik und Poelzig ein Jude irgendwo aus Europa. Österreich? Wer weiß das schon nach all den verdammten Kriegen, dachte McQuinn. Poelzig und seine Frau Nanya waren vor der Judenverfolgung geflüchtet, während McQuinn sich vor Dublins Steuereintreibern und mehr als einem wütenden Ehemann in Sicherheit gebracht hatte. Aber soweit er bisher sehen konnte, hielt Amerika seine Versprechen.

Ja, das stimmte soweit, aber was nicht stimmte, war Captain McQuinns Behauptung, er habe wie ein Baby geschlafen. Denn das hatte er ganz gewiss nicht. Sie waren jetzt seit zwei Wochen auf der Chesapeake Bay unterwegs. Von Baltimore aus hatten sie ihre Waren erst den Patuxent River hinauf nach Sandsgate geliefert, dann auf die andere Seite der Bay und den Nanticoke hinauf, anschließend in den Wicomico nach Salisbury. Und bei jedem Löschen ihrer Ladung in jeder Hafenstadt überkam ihn ein immer merkwürdigeres Gefühl; und jede Nacht schlief er weniger und weniger.

Poelzig stierte immer noch müde ins Leere. »Gott, hab ich geträumt letzte Nacht ...«

McQuinns Kopf fuhr herum. Er starrte seinen mürrischen Mitarbeiter an. »Was haben Sie geträumt, Mann?«

Poelzig schüttelte nur den Kopf. Er musste um die 40 sein, aber im Moment sah er aus wie 80.

Allmächtiger! McQuinn hasste es, sich auf seine Autorität als Kapitän berufen zu müssen. Die meisten dieser Flusstouren liefen wie am Schnürchen – was war diesmal nur anders? »Irgendwas macht Ihnen zu schaffen, seit wir Baltimore verlassen haben«, ereiferte er sich, »und nach jedem Stopp wird’s schlimmer. Sie und Ihre bessere Hälfte nützen mir nichts, wenn Sie sich nicht auf Ihre Arbeit konzentrieren können. Also – was ist los? Was stimmt nicht?«

Dem sonst so selbstsicheren Ersten Offizier schienen die Worte zu fehlen. Er zeigte hinter sich, hielt den Blick aber auf McQuinn gerichtet.

»Was, das Frachthaus? Poelzig, wir haben nur noch einen Stopp, dann ist unsere Tour beendet!«

Poelzigs Stimme klang brüchig. »Ist Ziel, Sir, was Nanya und mir Sorgen bereitet.«

Grundgütiger! McQuinn nahm das Kursbuch und las den Bestimmungsort laut vor. »Lowensport, Maryland, elf Meilen Ost-Nordost am Brewer River. Was passt Ihnen denn nicht daran, dass wir da hinfahren? Ist nur ’ne kleine Stadt mit ’nem Sägewerk, wie ich gehört hab.«

Poelzig räusperte sich. »Mehr als das, Sir.«

»Hab vor dieser Tour noch nie was vom Brewer River gehört, aber der Hafenmeister sagt, er hat die ganze Strecke tiefes Fahrwasser und ist frei von Hindernissen. Und Sie wissen ja, dass die Wegener ’n zähes altes Luder von Dampfschiff ist. Herrgott noch mal – wir werden schon nicht sinken!«

Poelzigs Miene blieb unverändert finster. »Meine ich Lowensport selbst, Sir.«

McQuinn kniff die Augen zusammen und beugte sich vor. »Sie und Ihre bessere Hälfte sind doch Juden, oder?«

»Sind wir, Käpt’n, und sind wir stolz drauf.«

»Na ja, ich weiß nichts über Ihren Glauben – und auch mächtig wenig über meinen eigenen, wenn ich ehrlich sein soll – und von mir aus soll jeder glauben, was er will.« Die nächsten Worte sprach er mit besonderem Nachdruck. »Aber der Hafenmeister hat mir noch was gesagt, Poelzig. Er hat mir gesagt, dass dieser kleine Ort namens Lowensport von Juden gegründet wurde. Von Ihren Leuten, Poelzig!«

»Nicht ... unseren Leuten, Sir«, flüsterte Poelzig scharf.

Kapier das alles nicht, dachte McQuinn. Lieber nicht drüber nachdenken. Warum sollten sich zwei Juden wegen einer Stadt voller Leute, die an das Gleiche glaubten wie sie, in die Hosen machen? Das ist so, als hätte ich Angst zur Messe zu gehen.

Er schaute wieder hinaus auf die Bay, entdeckte die breite Mündung eines Flusses und warf einen Blick auf die Seekarte. »Was auch immer Sie daran so aufregt, Poelzig, stellen Sie’s fürs Erste hinten an, denn da vorn ist schon der Brewer River. Schätze, wir machen im Moment um die sechs Knoten; wenn wir flussaufwärts fahren, dürfte uns das höchstens auf drei zurückwerfen, also sollten wir nicht später als zwei Stunden nach Sonnenuntergang in Lowensport sein. Wir werden da die Nacht verbringen.«

Poelzig versteifte sich, als er einen Blick nach vorne warf und die breite Flussmündung sah. Dann ließ er sichtlich verzweifelt die Schultern hängen. »Käpt’n, meine Frau und ich, bitten wir Sie inständig – wir können nicht Nacht in Lowensport verbringen! Bitte, Sir. Gehen wir vor Anker hier und fahren morgen bei Tageslicht weiter!«

Jetzt wurde McQuinn langsam wütend. »Dann kommen wir mit einem Tag Verspätung nach Baltimore zurück, Mann! Sind Sie übergeschnappt?«

»Bitte, Sir. Meine Frau und ich, wir können nicht in der Nacht dorthin gehen«, beteuerte Poelzig. »Und wenn Sie unbedingt dahin müssen, schwimmen Nanya und ich sofort an Ufer und gehen zu Fuß nach Baltimore zurück, dann müssen Sie Rest der Tour allein fahren.«

McQuinn starrte seinen Ersten Offizier mit versteinertem Gesicht an. Wollte Poelzig ihm mit dieser ungeheuerlichen Ankündigung drohen? Ich bin der Kapitän dieses Schiffes – kein Erster Offizier schreibt mir meinen Kurs vor, verdammt! Aber je länger er Poelzig anstarrte, desto verzweifelter schien der Mann zu werden. »Poelzig. Wollen Sie meine Autorität auf diesem Schiff infrage stellen?«

»Ganz bestimmt nicht, Sir. Und ich hab noch nie für besseren Mann gearbeitet«, sagte Poelzig trübsinnig. »Aber ich flehe Sie: Lassen Sie uns nicht Nacht in Lowensport verbringen. Bitte!«

McQuinn nahm einen großen Schluck aus seinem Flachmann und dachte nach. Ich bin so wütend, ich könnte den Kerl und sein hübsches Weib auf der Stelle über Bord werfen, aber ... Aber was? Er ließ seine Wut noch etwas gären, dann sagte er sich: Seit Monaten schuftet Poelzig sich für mich den Buckel krumm und noch nie hat er mich um was gebeten ...

»Also gut«, willigte McQuinn ein. »Ich lasse Ihnen Ihren Willen. Ich bringe uns eine oder zwei Meilen flussaufwärts, dann geh ich vor Anker. Aber ich will, dass der Tender voll ist, wenn wir weiterfahren, haben Sie mich verstanden?«

Poelzig lächelte zum ersten Mal seit Beginn der Fahrt. »Hab ich sehr gut verstanden, Käpt’n, und meine Frau und ich, wir danken Ihnen vielmals.« Dann stürmte er zur Hintertür hinaus und rief Nanya die Neuigkeit in ihrer seltsamen Sprache zu.

Jesus, Maria und Josef, dachte McQuinn.

Nach dem Ankern harkte McQuinn am Heck halbherzig nach Austern, während Poelzig die Krebsfallen ins Wasser ließ und seine Frau methodisch das letzte Holz für den Tender hackte. Als McQuinn seinen Blick über das Schiff wandern ließ, verspürte er den gleichen Stolz wie an dem Tag, als er es übernommen hatte. Die Wegener war unter den flachbödigen Flussschiffen das letzte ihrer Art: ein 100 Fuß langer Heckraddampfer, der in seinem Kessel Holz verbrannte statt Kohle. Kohle war in manchen Gegenden schwer zu bekommen. Sicher, die Kohlendampfer waren schneller, aber dafür kosteten die Heizkessel auch doppelt so viel. Und Holzdampfer wie die Wegener konnten große Mengen Ladung auch in schmalere Flüsse befördern, und wenn einem der Brennstoff ausging, ließ man einfach die Laufplanke herunter, ging an Land und hackte Holz. McQuinn hatte noch nie solche Hartholzwälder gesehen wie entlang der Chesapeake Bay. Vor dem Holztender, dem Heizkessel und dem großen Schaufelrad befanden sich das Frachthaus auf dem Hauptdeck und die Kabinen auf dem Oberdeck. Es gab kein Unterdeck, denn es gab keinen Rumpf – das Schiff war im Grunde eine große rechteckige Plattform, die auf dem Wasser trieb, womit es geradezu ideal war für schlecht kartierte Flüsse mit unbekannten Untiefen und Sandbänken. McQuinn war noch nie auf Grund gelaufen, nicht einmal bei Niedrigwasser; und er hatte noch nie das Schaufelrad durch Treibgut beschädigt. Er liebte es, durch die Gewässer zu navigieren, und nach so vielen Jahren konnte er sich mittlerweile selbst seine Touren aussuchen und mehr Gewinn einfahren als die jüngeren Kapitäne, die den Krieg überlebt hatten.

McQuinn harkte mit dem Austernrechen – nicht viel Glück heute – und schaute zwischendurch immer wieder über die Schulter nach den dumpfen Schlägen der Axt. Ich versteh diese Europäer nicht, wunderte er sich. Der Mann ließ seine Frau das Holz hacken – aber er musste auch zugeben, dass es wesentlich...