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Toller Dampf voraus - Ein Scheibenwelt-Roman

Terry Pratchett

 

Verlag Manhattan, 2014

ISBN 9783641143367 , 448 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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8,99 EUR


 

Es ist nicht ganz leicht, Nichts zu verstehen, aber das Multiversum ist voll davon. Nichts kommt überallhin, ist immer schneller als Etwas, und in der großen Wolke der Unwissenheit sehnt sich Nichts danach, Etwas zu werden. Es will ausbrechen, in Bewegung kommen, fühlen, sich verändern, tanzen und Erfahrungen machen – kurz gesagt, Etwas sein.

Und als es gerade so durch den Äther trieb, ergriff es die Gelegenheit beim Schopf. Das Nichts wusste natürlich über das Etwas Bescheid, aber dieses Etwas war anders, und zwar ganz eindeutig. Deshalb wurde Nichts unmerklich zu Etwas und ließ sich nach unten treiben, denn es hatte so Einiges vor. Glücklicherweise landete es auf dem Rücken einer Schildkröte, einer sehr großen, und machte sich sofort daran, etwas noch Schnelleres zu werden. Es war elementar, urgewaltig, und nichts war besser als das, und dann war das Urgewaltige plötzlich gefangen! Der Köder hatte funktioniert.

Jeder, der schon einmal gesehen hat, wie sich der Fluss Ankh in seinem Bett aus mannigfaltigen Widerwärtigkeiten dahinwälzt, begreift sofort, weshalb die Bewohner von Ankh-Morpork, was Fische und dergleichen angeht, fast ausschließlich von den Fangflotten Quirms versorgt werden. Um grässliche Magenbeschwerden in der Bürgerschaft zu verhindern, müssen die Ankh-Morporker Fischhändler sicherstellen, dass ihre Zulieferer weit, sehr weit von der Stadt entfernt ihre Netze auswerfen.

Für Birkenstock Jeschke, seines Zeichens Lieferant allerfeinster Meeresfrüchte, stellten die mindestens zweihundert Meilen, die zwischen dem Fischereihafen von Quirm und den Kunden in Ankh-Morpork lagen, im Winter, Herbst und Frühling eine bedauernswert große Entfernung dar. Aber im Sommer waren sie die reinste Tortur, denn dann wurde die Landstraße in die ferne Großstadt unter den gegebenen Umständen zu einem einzigen sehr langen Backofen. Wer sich schon mal mit einer Tonne überhitztem Tintenfisch herumschlagen musste, vergisst das nie wieder; der Geruch hält sich tagelang und folgt einem überallhin, sogar fast bis ins Schlafzimmer. Man kriegt ihn einfach nicht mehr aus den Kleidern raus.

Die Leute waren so schrecklich anspruchsvoll, aber die Elite von Ankh-Morpork – und im Grunde genommen auch alle anderen – wollte nun mal Fisch, sogar in der heißesten Jahreszeit. Obwohl Jeschke eigenhändig ein Eishaus errichtet und sogar dafür gesorgt hatte, dass auf halbem Weg von Quirm noch ein zweites stand, war einem dabei zum Heulen zumute, aber wirklich!

Das alles erzählte er seinem Vetter Rohrspatz Jeschke, einem Obst- und Gemüsebauer, der in sein Bier starrte und dann sagte: »Ist doch immer dasselbe. Den kleinen Unternehmern hilft niemand. Kannst du dir vorstellen, wie schnell sich Erdbeeren bei der Hitze in kleine Matschkugeln verwandeln? Tja, das kann ich dir sagen: in null Komma nix. Einmal kurz weggeschaut, schon passiert, und zwar genau dann, wenn alle Leute Erdbeeren wollen. Frag mal die Brunnenkresseleute, wie schwierig es ist, das verdammte Zeug in die Stadt zu kriegen, bevor es so schlapp ist wie die Predigt vom vergangenen Tag. Wir sollten uns an die Regierung wenden!«

»Nein«, erwiderte sein Vetter, »mir reicht’s jetzt. Wir schreiben an die Zeitungen! Nur so kommen die Dinge ins Rollen. Alle beschweren sich über das Obst, das Gemüse und die Meeresfrüchte. Vetinari müsste dazu gezwungen werden, sich um die Not der Kleinunternehmer zu kümmern. Wozu zahlen wir schließlich ab und zu unsere Steuern?«

Dick Simnel war erst zehn Jahre alt, als sein Vater in der alten Familienschmiede in Schafrücken in einer rosaroten Dampfwolke zwischen Heizkesselteilen und herumfliegenden Metalltrümmern verschwand. Er wurde in dem brühheißen grausigen Nebel nie wiedergefunden. An jenem Tag schwor Dick Simnel seinem Vater, oder was von ihm in diesem siedenden Dunst noch übrig sein mochte, dass er sich den Dampf eines Tages untertan machen werde.

Seine Mutter hatte andere Vorstellungen. Sie war Hebamme und sagte zu allen Leuten immer wieder und völlig zu Recht: »Babys werden überall geboren. Mir gehen die Kunden nicht aus.« Und so beschloss Elsie Simnel, ihren Sohn entgegen seinem eigenen Wunsch von dem ihr nicht mehr ganz geheuren Ort wegzubringen. Sie packte ihre Habseligkeiten, und die beiden zogen in die Nähe von Sto Lat, woher Elsies Familie stammte und wo die Leute nicht einfach unerklärlicherweise in heißen rosa Wolken verschwanden.

Kurz, nachdem sie dort ankamen, geschah mit ihrem Jungen etwas sehr Wichtiges. Während er darauf wartete, dass seine Mutter von einer komplizierten Entbindung zurückkehrte, spazierte Dick in ein Gebäude, das ihm interessant erschien und sich als Bücherei entpuppte. Zuerst dachte er, dort würde nur hochgestochenes Zeug herumstehen, lauter Könige und Dichter und Liebespaare und Schlachten, aber dann entdeckte er in einem entscheidenden Buch etwas, das sich Mathematik und die Welt der Zahlen nannte.

So kam es, dass er eines schönen Tages zehn Jahre später all seinen Mut zusammennahm und zu seiner Mutter sagte: »Weißte noch, wie ich letztes Jahr gesagt hab, ich will mit meinen Kumpels zusammen in den Bergen von Überwald wandern gehen? Also, das war nicht ganz … es war … na ja, da hab ich gelogen, aber nur’n bisschen.« Dick wurde rot. »Also, ich hab die Schlüssel von Papas altem Schuppen gefunden, und da bin ich … na ja, ich bin nach Schafrücken rüber und hab dort so’n bisschen rumgebastelt und …«, er warf seiner Mutter einen bangen Blick zu, »ich glaub, ich weiß jetzt, was er falsch gemacht hat.«

Dick war auf hartnäckigen Widerstand gefasst gewesen, aber mit Tränen hatte er nicht gerechnet, nicht mit so vielen Tränen. Während er die Mutter noch zu trösten versuchte, fügte er hinzu: »Weißt du, Mutter, du und Onkel Flavius, ihr habt dafür gesorgt, dass ich die Zahlen kann, und die Arithmetik und anderes merkwürdiges Zeug, was sich die Philosophen in Ephebe ausgedacht haben, wo sogar Kamele mit den Hufen Logarithmen malen. Von so was hat Papa nix gewusst. Die richtigen Ideen hat er schon gehabt, aber nicht die richtige … Tech-no-lo-gie.«

An dieser Stelle ließ Dick seine Mutter zu Wort kommen. »Ich weiß, dass ich dich nicht aufhalten kann, Dickilein«, sagte Frau Simnel, »da bist du ganz wie dein eigensinniger Vater, total stur. Hast du das dort in der Scheune getrieben? Tech-ologie?« Sie musterte ihn vorwurfsvoll, dann seufzte sie: »Ich kann dir nicht vorschreiben, was du machen sollst, das ist mir klar. Aber sag mir eins: Wie können deine ›Locker-Rhythmen‹ dich davon abhalten, dass es dir genauso ergeht wie deinem armen alten Papa?« Schon fing sie wieder zu schluchzen an.

Dick zog etwas aus seiner Jacke, was wie ein Zauberstab für einen Minizauberer aussah, und sagte: »Das hier beschützt mich, Mutter! Ich verfüge über das Wissen des Rechenschiebers! Ich kann dem Sinus sagen, was er machen soll, und dem Kosinus auch, und ich kann die Tangente von quaderatischen Gleichungen rausfinden! Jetzt komm schon, Mutter, hör auf, dir Sorgen zu machen, und geh mit mir rüber zur Scheune. Du musst sie unbedingt sehen!«

Eine etwas unwillige Frau Simnel – die wider besseres Wissen hoffte, ihr Sohn hätte zufälligerweise ein Mädchen kennengelernt – wurde von Dick zu der großen, offenen Scheune gezogen, die er ganz genau wie die Werkstatt damals in Schafrücken eingerichtet hatte. Dort blickte sie ratlos auf einen großen Kringel aus Metall, der den Großteil des Scheunenbodens bedeckte. Etwas Metallisches sauste auf dem Metall wieder und wieder im Kreis herum und hörte sich dabei an wie ein Eichhörnchen im Käfig, wobei es einen kräftigen, an Kampfer erinnernden Geruch absonderte.

»Das ist sie, Mutter. Ist sie nicht toll?«, sagte Dick fröhlich. »Ich nenne sie Eisenpfeil!«

»Aber … was ist das, mein Sohn?«

Er grinste bis über beide Ohren und antwortete: »So was nennt man einen Pro-to-typ, Mutter. Wenn man Inschenör sein will, braucht man einen Pro-to-typ.«

Seine Mutter lächelte matt, aber Dick war einfach nicht zu bremsen. Die Worte kamen nur so aus ihm herausgepurzelt.

»Es ist nämlich so, Mutter: Bevor man überhaupt was ausprobiert, muss man wenigstens ’ne ungefähre Ahnung davon haben, was man überhaupt machen will. In einem von den Büchern, die ich in der Bücherei gefunden hab, steht drin, wie man Architekt wird. In dem Buch sagt der Mann, der es geschrieben hat, dass er jedes Mal, wenn er sein nächstes großes Haus bauen will, erst mal ganz kleine Modelle davon bastelt, damit er sieht, wie alles hinterher aussieht. Er hat gesagt, das hört sich alles zwar sehr fummelig und kompliziert an, aber man kommt nur voran, wenn man alles langsam angeht und gut drüber nachdenkt. Deshalb probiere ich sie ganz langsam aus und schau mir an, was funktioniert und was nicht funktioniert. Ich muss sagen, ich bin ganz schön stolz auf mich. Am Anfang hab ich die Schienen aus Holz gemacht, aber dann hab ich mir überlegt, dass die Maschine, die ich haben will, ziemlich schwer wird, also hab ich den Holzkringel klein gehackt und bin wieder in die Schmiede.«

Frau Simnel betrachtete den kleinen Apparat, der auf dem Scheunenboden unaufhörlich im Kreis herumfuhr, und sagte wie jemand, der sich wirklich um Verständnis bemüht: »Ja, schon, mein Junge, aber was macht es denn?«

»Also, ich hab mich dran erinnert, was Papa damals gesagt hat, als er dem Wasser im Teekessel beim Kochen zugesehen hat. Da ist ihm nämlich aufgefallen, dass der Deckel immer so auf- und zugeht, von wegen dem Druck, und da hat er zu mir gesagt, dass eines schönen Tages mal jemand einen größeren...