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Ich, der Roboter - Erzählungen

Isaac Asimov

 

Verlag Heyne, 2014

ISBN 9783641132071 , 304 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

Einführung

Ich schaute mir meine Notizen an, und sie gefielen mir nicht. Ich hatte drei Tage bei der U.S. Robot Company verbracht. Ebenso gut hätte ich zu Hause bleiben und die Encyclopaedia Tellurica studieren können.

Susan Calvin habe im Jahre 1982 das Licht der Welt erblickt, hieß es dort. Dies bedeutete, dass sie nun fünfundsiebzig Jahre zählte. Jedes Kind wusste das. Auch die Firma U.S. Robot and Mechanical Men Co. war fünfundsiebzig Jahre alt, denn Lawrence Robertson hatte dieses Unternehmen im Geburtsjahr Dr. Calvins gegründet. Später hatte sich daraus das seltsamste Riesenunternehmen der Weltindustrie entwickelt. Auch das wusste jedes Kind. Im Alter von zwanzig Jahren hatte Susan Calvin an jenem berühmt gewordenen psychomathematischen Seminar teilgenommen, in dem Dr. Alfred Lanning von der U.S. Robot Company den ersten beweglichen Robot vorführte, der eine menschliche Stimme besaß. Ein großer, schwerfälliger, hässlicher Robot war das gewesen, der nach Maschinenöl roch und der in den Bergwerksplanungen auf dem Planeten Merkur verwendet werden sollte. Aber er konnte tatsächlich sprechen, und was er sagte, besaß Hand und Fuß.

Susan blieb in jenem Seminar sehr schweigsam. An den aufregenden Diskussionen, die der Vorführung folgten, beteiligte sie sich nicht. Sie war kühl, weder hübsch noch hässlich, ein ziemlich farbloses Mädchen, das sich gegen eine Welt, die ihr nicht sonderlich gefiel, durch einen maskenartigen Gesichtsausdruck und ein Übermaß an Verstand schützte. Während sie aber zuhörte und die Einzelheiten der Vorführung in sich aufnahm, spürte sie die ersten Regungen eines gewissen, wenn auch kalten Enthusiasmus. Ihr erstes Examen bestand sie im Jahre 2003 an der Columbia-Universität und begann dann ihre Studien für Graduierte auf dem Gebiete der Kybernetik.

Alles, was man etwa um die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts auf dem Gebiet der sogenannten Kalkulationsmaschinen erreicht hatte, war durch Robertson und seine positronischen Gehirnbahnen auf den Kopf gestellt worden. Die vielen Kilometer langen Stränge von Relais und fotoelektrischen Zellen waren jener porösen Kugel aus Platinum-Iridium gewichen, die etwa die Größe eines menschlichen Gehirnes besaß.

Susan erlernte die Errechnung der Parameter, die benötigt wurden, um die möglichen Variablen innerhalb des »positronischen Gehirnes« festzulegen. Sie lernte, Gehirne auf dem Papier zu konstruieren – Gehirne, bei denen man die Reaktionen auf gewisse gegebene Reizwirkungen exakt voraussagen konnte.

Nachdem sie im Jahre 2008 promoviert hatte, trat sie als »Robotpsychologe« in den Dienst der U.S. Robot Co. So war sie die Erste, die diese neue Wissenschaft praktisch ausübte. Damals war Lawrence Robertson noch immer Präsident der Firma, und Alfred Lanning war inzwischen Leiter ihrer Forschungsabteilung geworden.

Fünfzig Jahre lang konnte Susan Calvin beobachten, wie menschlicher Fortschritt sich ständig wandelte – und in großen Sprüngen vorwärtseilte.

Jetzt bereitete sie sich darauf vor, sich zur Ruhe zu setzen – so gut dies ging. Jedenfalls gestattete sie, dass das Namensschild eines anderen an der Tür ihres alten Büros angebracht wurde.

Das war nun so ungefähr alles, was ich auf meinem Notizzettel zusammengetragen hatte. Ich besaß dazu noch eine lange Liste aller ihrer wissenschaftlichen Arbeiten sowie eine solche der Patente, die ihr erteilt worden waren. Ich verfügte über die chronologischen Einzelheiten ihrer Laufbahn … Kurz gesagt, die Eckdaten ihres Lebenslaufes war mir bekannt.

Das aber war es gar nicht, was ich suchte.

Für meine Artikel in der Interplanetarischen Presse benötigte ich bedeutend mehr. Bedeutend mehr.

Und das sagte ich ihr auch.

»Dr. Calvin«, sagte ich so einschmeichelnd wie möglich, »Sie und die U.S. Robot Co. sind in der öffentlichen Meinung durchaus identisch. Wenn Sie sich jetzt zur Ruhe setzen, so bedeutet das das Ende einer Epoche und …«

»Sie möchten vermutlich die menschliche Seite der Sache aufspüren, was?« Sie lächelte mich nicht an. Ich glaube, sie lächelt überhaupt niemals. Ihr Blick war scharf, aber sie war sichtlich nicht verärgert. Ich hatte das Gefühl, als schaue sie durch mich hindurch, als wäre ich vor ihren Augen durchsichtig wie Glas, als wäre für sie jeder, der ihr gegenübertrat, ein offenes Buch.

»Das stimmt genau«, sagte ich.

»Ist es aber nicht ein Widerspruch, wenn Sie sagen, dass Sie die menschliche Seite von Robots kennenlernen wollen?«

»Nein, Frau Doktor! Nicht die menschliche Seite von Robots – die menschliche Seite Ihres eigenen Lebens.«

»Na ja, ich bin auch schon ein Robot genannt worden. Sicher haben Sie doch schon von anderen gehört, dass ich selbst gar nicht menschlich sei.«

Das traf zu, aber ich hatte natürlich keinen Grund, es ihr zu sagen.

Sie stand von ihrem Stuhl auf. Sie war nicht groß, und sie sah zerbrechlich aus. Ich folgte ihr zum Fenster, und wir schauten hinaus.

Die Büros und Fabrikgebäude der U.S. Robot Co. bildeten eine kleine Stadt für sich. Sie waren planmäßig angeordnet und eingeteilt. Von hier oben hatte man den Eindruck, als betrachte man eine aus der Luft aufgenommene Fotografie.

»Als ich hierherkam«, erklärte sie mir, »verfügte ich über einen kleinen Raum in einem Gebäude, das sich ungefähr dort befand, wo jetzt das Feuerwehrdepot ist.« Sie deutete hinüber. »Es wurde abgerissen, noch ehe Sie zur Welt kamen. Ich teilte den Raum mit drei anderen. Ich selbst besaß die Hälfte eines Schreibtisches. Alle unsere Robots bauten wir in einem einzigen Gebäude. Wir produzierten wöchentlich drei Stück. Und nun sehen Sie, was aus uns geworden ist!«

»Fünfzig Jahre«, sagte ich banal, »sind eine lange Zeit.«

»Nicht, wenn Sie darauf zurückschauen«, war ihre Antwort. »Man fragt sich dann, wohin die Zeit eigentlich verschwunden ist.«

Sie ging zu ihrem Schreibtisch zurück und setzte sich. Sie bedurfte gar keiner besonderen Regungen ihres Gesichts, um traurig auszusehen.

»Wie alt sind Sie?«, wollte sie wissen.

»Zweiunddreißig«, sagte ich.

»Dann erinnern Sie sich gar nicht mehr daran, wie die Welt ohne Robots ausgesehen hat. Es gab nämlich wirklich einmal eine Zeit, in der die Menschheit dem Universum allein und ohne Freund gegenüberstand. Jetzt besitzen wir Geschöpfe, die uns helfen. Sie sind stärker, als wir selbst es sind, treuer, nützlicher und uns völlig ergeben. Die Menschheit ist nicht mehr allein. Haben Sie die ganze Sache schon einmal von diesem Standpunkt aus betrachtet?«

»Leider nicht. Darf ich das, was Sie eben sagten, wörtlich zitieren?«

»Wenn Sie wollen. Für Sie ist ein Robot ein Robot. Schaltungen und Metall – Elektrizität und Positronen – Geist und Eisen. Von menschlicher Hand hergestellt und wenn nötig von Menschenhand zerstört. Nur haben Sie leider noch nicht mit ihnen gearbeitet, und so kennen Sie sie in Wirklichkeit überhaupt nicht. Sie sind anständiger, sauberer und besser erzogen, als wir es sind.«

Ich versuchte sie sanft dazu zu bringen, dass sie weitersprach.

»Unsere Leser wüssten gerne ein paar von den Dingen, die Sie uns erzählen könnten – so, wie sie gerne etwas von Ihren eigenen Ansichten über die Robots erführen. Die Interplanetarische Presse ist übers ganze Sonnensystem verbreitet. Wir haben eine potenzielle Leserschaft von drei Milliarden. Ich glaube, diese hat sozusagen ein Anrecht darauf, zu erfahren, was Sie, Dr. Calvin, uns zu erzählen wissen.«

Es war gar nicht nötig, sie zum Reden zu verführen. Sie hörte mich nicht, aber ihre Gedanken bewegten sich in der von mir gewünschten Richtung.

»Man hätte es von Anfang an wissen können. Damals verkauften wir Robots zur Verwendung auf der Erde – das war sogar noch vor meiner Zeit. Damals konnten die Robots natürlich noch nicht sprechen. Später wurden sie menschlicher, und damit setzte auch die Opposition ein. Natürlich wehrten sich die Gewerkschaften gegen die Konkurrenz. Auch verschiedene Widersprüche auf religiöser Basis wurden laut. All das war recht lächerlich und recht unnütz. Und dennoch – man musste mit diesen Dingen rechnen.«

Ich notierte mir all das wörtlich, so wie sie es sagte. Dabei versuchte ich, die Schreibbewegungen meiner Fingerknöchel vor ihr zu verheimlichen. Mit dem neu erfundenen Taschen-Notizapparat konnte man das mit einiger Übung ganz gut fertigbringen.

»Nehmen Sie zum Beispiel den Fall Robbies!«, sagte sie. »Ich habe ihn nie kennengelernt. Er wurde ein Jahr ehe ich zu der Gesellschaft kam, demontiert – so hoffnungslos unmodern war er geworden. Aber das kleine Mädchen habe ich im Museum gesehn …«

Sie brach ab, aber ich sagte nichts. Ihre...