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Ein Geschenk von Bob - Ein Wintermärchen mit dem Streuner

James Bowen

 

Verlag Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2014

ISBN 9783732501113 , 180 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR

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Vorwort


London, Dezember 2013


Es war zwar erst Anfang Dezember, aber auf der Weihnachtsparty in dem noblen Hotel am Trafalgar Square ging es bereits hoch her. In dem großen, verspiegelten Ballsaal hatten sich um die zweihundert Leute versammelt, und mir schlug fröhliches Stimmengewirr und Lachen entgegen. Ein Heer von schwarz-weiß gekleidetem Service-Personal verteilte Champagner, Wein und sehr appetitliche Kanapees an die Gäste. Es herrschte eine festliche Stimmung.

Einer der größten Verlage Londons hatte zu diesem Mittagsempfang geladen, und viele berühmte Autoren waren gekommen. Verwundert stellte ich fest, dass mir das eine oder andere Gesicht unter den Gästen vertraut vorkam, bis mir klar wurde, dass ich sie im Fernsehen oder in der Zeitung gesehen hatte.

Die meisten schienen sich gut zu kennen, denn sie umarmten und küssten sich bei der Begrüßung sehr herzlich. Nur ich kannte niemanden auf dieser noblen Party.

Ich fühlte mich etwas fehl am Platz unter all diesen eleganten Menschen, aber ich war wirklich eingeladen. In der Innentasche meiner Lederjacke steckte die elegante goldgeprägte Einladungskarte mit meinem Namen »plus 1«. Sie war der Beweis, und ich wollte sie mir auf jeden Fall zur Erinnerung aufheben. Außerdem hatte sich die Gastgeberin, die Geschäftsführerin des Verlags, vor ein paar Minuten, als alle Gäste eingetroffen waren, bei einigen Autoren namentlich bedankt, dass sie trotz der Kälte den Weg hierher auf sich genommen hatten. Dabei war auch mein Name gefallen. Das heißt, mein Name und der meiner »Plus 1«-Begleitung an diesem Tag.

»Und wir freuen uns besonders, James Bowen begrüßen zu dürfen, der natürlich von seinem besten Freund Bob begleitet wird«, versuchte sie den lauten Applaus zu übertönen.

Alle Köpfe schienen sich in diesem Moment nach uns umzudrehen. Wenn die Leute mich angestarrt hätten, wäre ich wohl völlig verschüchtert im Boden versunken. Aber wie so oft in diesen Tagen blieben ihre Blicke an einem Punkt irgendwo über meiner Schulter an dem schönen roten Kater hängen, der dort oben thronte und wie der Kapitän eines Piratenschiffes wohlwollend sein Reich überblickte. Er war die Hauptattraktion, wie immer.

Bob hat mein Leben gerettet, und das ist keine Übertreibung. Als wir uns sechs Jahre zuvor getroffen hatten, war er ein Streuner. Er lag verletzt im Hausflur meines Mietshauses in Nordlondon. Unsere Begegnung war der Wendepunkt in meinem bis dahin schwierigen Leben. Ich war ein Ex-Junkie, der mühsam versuchte, mit Hilfe von Methadon von den Drogen wegzukommen. Ich war achtundzwanzig Jahre alt und hatte den größten Teil der letzten zehn Jahre als Obdachloser auf der Straße oder in Obdachlosenunterkünften verbracht. Mein Leben war grau und leer. Die Verantwortung für Bob gab mir die Kraft und den Willen, mein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Anfangs arbeitete ich noch als Straßenmusiker, später verkaufte ich die Obdachlosenzeitschrift The Big Issue, aber vor allem schaffte ich es mit Bobs Hilfe, ein drogenfreies Leben zu führen.

Bob ist die intelligenteste und einfallsreichste Katze, die mir je begegnet ist. Unsere gemeinsame Zeit, in der ich als Straßenmusiker und Zeitungsverkäufer auf den Straßen von London arbeitete, war voller Abenteuer und neuer Erfahrungen für mich. Jeden Tag lernte ich dank ihm dazu; er wies mir den richtigen Weg, gab mir einen Grund, morgens aufzustehen, wich mir nicht von der Seite – und er brachte mich wieder zum Lachen.

Sein Einfluss auf mein Leben war so groß, dass mir eine Literatur-Agentin den Vorschlag machte, ein Buch über unsere gemeinsamen Abenteuer zu schreiben. Als es im März 2012 in England herauskam, waren meine Erwartungen gering. Mit ein bisschen Glück würden sich vielleicht ein paar Hundert Bücher verkaufen. Aber zu meinem grenzenlosen Erstaunen wurde das Buch ein Bestseller, nicht nur in England, sondern auf der ganzen Welt. Allein in Großbritannien wurden über eine Million Exemplare davon verkauft. Also schrieb ich ein zweites Buch über mein Leben auf der Straße mit Bob und ein Bilderbuch für Kinder über Bobs Leben, wie es ausgesehen haben könnte, bevor wir uns trafen. Der Erfolg der Bücher war der Grund für die Einladung zu diesem besonderen Fest.

Nach den diversen Ansprachen kam die Party richtig in Schwung. Die hilfsbereiten Kellner besorgten mir zwei kleine Schüsseln, damit ich Bob etwas Futter und Katzenmilch hinstellen konnte, die ich extra für ihn mitgebracht hatte. Bob war ein Publikumsmagnet, und auch an diesem Tag war er der Liebling aller Partygäste. Laufend kamen Leute auf uns zu, um ein Foto von Bob zu machen und sich kurz mit mir zu unterhalten. Sie gratulierten mir zu meinem Erfolg und wollten wissen, wie meine Pläne für die Zukunft aussähen. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich tatsächlich Pläne und war glücklich, davon erzählen zu dürfen. Besonders stolz war ich darauf, einige Obdachlosen- und Tierschutz-Organisationen unterstützen zu können. Dabei hatte ich das gute Gefühl, etwas an diejenigen zurückzugeben, die mir in schlechten Tagen geholfen hatten. Ich freute mich auch auf Weihnachten – was vor wenigen Jahren noch unvorstellbar gewesen wäre. Ich erzählte allen, die es wissen wollten, dass ich Bob und meine beste Freundin Belle in eine Show im Westend einladen und die beiden an den Weihnachtstagen in das eine oder andere gute Restaurant zum Essen ausführen wollte.

»Dieses Weihnachtsfest wird bestimmt ganz anders als die vergangenen, oder?«, meinte eine Frau.

Ich lächelte nur und nickte. »Ein bisschen schon.«

Mit der Zeit hatte sich vor uns eine beachtliche Schlange gebildet, weil so viele Partygäste Bob streicheln wollten. Ich hatte mich immer noch nicht an diese geballte Ladung Aufmerksamkeit gewöhnt, auch wenn sie inzwischen zu unserem Alltag gehörte. Wie bei den Dreharbeiten für das japanische Fernsehen. Die hatten tatsächlich nur unseretwegen für einen Tag die Lobby eines teuren Londoner Hotels gemietet, um ungestört mit uns drehen zu können. Erst später fand ich heraus, dass das japanische Team anschließend in Japan mit Schauspielern mein Leben mit Bob nachspielen ließ, auch das war Teil der Fernsehsendung. Ich kann das bis heute immer noch nicht fassen.

Vor ein paar Monaten waren wir bei der Preisverleihung der »National Animal Awards« zu Gast gewesen, die zum ersten Mal im Fernsehen ausgestrahlt wurde und Millionen Zuschauer hatte. Auch Bob hatte dort einen Preis bekommen. Mein neues Leben war wie ein Traum. Tag für Tag durfte ich Dinge tun, die ich mir früher niemals hätte vorstellen können. Eigentlich hätte ich permanent jemanden gebraucht, der mich in den Arm kniff, um sicherzugehen, dass ich nicht doch träumte.

Auch gegen Ende dieser Weihnachtsparty kam so ein unwirklicher Moment. Bob sah müde aus, und ich wollte gerade gehen. Als ich mich bückte, um ihm die Leine anzulegen, die er immer trug, wenn wir draußen unterwegs waren, vernahm ich hinter uns eine weibliche Stimme: »Ich wollte schon die ganze Zeit herüberkommen. Glauben Sie, er hat etwas dagegen, wenn ich ihn kurz streichle?«, fragte sie.

»Einen Moment bitte, ich will ihn nur noch anleinen«, gab ich zur Antwort. Als ich hochblickte, erkannte ich sie sofort. Es war die Kinderbuchautorin Jacqueline Wilson, eine nationale Berühmtheit in England, die Dutzende bekannter Kinderbücher geschrieben hat.

Normalerweise bin ich nicht auf den Mund gefallen, aber in diesem Moment verschlug es mir die Sprache, so verblüfft war ich, sie hier leibhaftig vor mir zu sehen. Als ich nach einem tiefen Atemzug meine Sprache wiederfand, stotterte ich, wie sehr ich sie bewunderte und dass Belle ein großer Fan von Tracy Beaker, ihrer bekanntesten Romanfigur, war.

»Ich habe eure Geschichte verfolgt und finde es einfach fantastisch, was ihr beide erreicht habt«, strahlte sie mich an. Wir unterhielten uns kurz und verließen dann gemeinsam den Saal, um im Foyer unsere Mäntel zu holen. Neben ihr gehen zu dürfen, war eine Ehre für mich. Anfangs war ich mir wie ein Außenseiter vorgekommen, aber sie gab mir das Gefühl, dazuzugehören.

Wie immer trug Bob auch an diesem Abend einen der vielen Schals, die er von seinen Fans geschenkt bekommen hatte. Als wir in den düsteren Spätnachmittag hinaustraten, rückte ich ihm den Schal zurecht, um ihn vor der eisigen Kälte zu schützen.

»Na, das hat doch Spaß gemacht, nicht wahr Bob?«, fragte ich ihn. Ich war ziemlich aufgedreht, weil ich auf der Party so viele interessante Leute kennengelernt hatte.

Aber wie schon so oft in der Vergangenheit holten mich die Straßen von London schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Es dämmerte, und ein eisiger Wind blies uns vom Trafalgar Square entgegen. Die Lichter des riesigen traditionellen Weihnachtsbaums auf dem Platz waren schon angegangen und kündigten den baldigen Abend an.

»Los, Bob, wir nehmen ein Taxi«, sagte ich und lief mit ihm zum Trafalgar Square.

Auch das war ein bisschen wie im Traum. Es ist noch nicht lange her, da wäre ein Taxi für mich vollkommen undenkbar gewesen. An manchen Tagen hatte ich mir kaum eine Busfahrkarte leisten können. Nach wie vor erlaubte ich mir diesen Luxus nur sehr selten. Ich hatte immer ein schlechtes Gewissen, wenn ich dafür Geld ausgab, auch wenn es, wie in dieser Situation, gerechtfertigt schien. Wir hatten einen harten Tag hinter uns, Bob war müde, und ihm war kalt. Außerdem wollten wir gleich noch Belle am Oxford Circus treffen.

Aber es war gar nicht so einfach, am Trafalgar Square ein freies Taxi zu finden. Es waren viele Leute unterwegs, die vom Einkaufen oder von der...