dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Das Marsprojekt (2). Die blauen Türme - Spannendes Weltraumabenteuer

Andreas Eschbach

 

Verlag Arena Verlag, 2012

ISBN 9783401800486 , 304 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

7,99 EUR


 

1. Auf dem Weg zum Mars

Der Flug zum Mars war das Langweiligste, was Urs Pigrato in seinem ganzen Leben mitgemacht hatte. Unglaublich langweilig. Zum Schreien öde. Wenn er das geahnt hätte…!

Zugegeben: Selbst dann hätte er nichts dagegen tun können. Denn seine Mutter hatte entschieden, dass sie zum Mars fliegen würden, und seine Mutter war eine Frau, der man nicht so leicht widersprach.

Los ging es einigermaßen aufregend. Praktisch von einem Tag auf den anderen. Urs kam von der Schule nach Hause und erfuhr, dass sie auf den Mars umziehen würden. Und zwar sofort. Es war fast, als müssten sie vor irgendetwas fliehen.

»Unsinn«, sagte Mutter und reichte ihm eine kleine rote Plastikbox mit Deckel. »Wir müssen einfach nur das Raumschiff kriegen.« Sie legte ihm ein Merkblatt der Raumfahrtbehörde auf die Box. »Du darfst so viel mitnehmen, wie hier reinpasst, maximal zwanzig Kilogramm. Und um 16 Uhr 30 müssen wir am Flughafen sein.«

»Was?! Das ist ja schon in drei Stunden!«

»Zwei Stunden und 55 Minuten, um genau zu sein.«

»Aber ich… Meine Freunde! Von denen muss ich mich doch wenigstens verabschieden!«

»Dann beeil dich.«

Er beeilte sich. Telefonierte alle zusammen, während er die lächerlich kleine Box voll packte. Sie trafen sich noch einmal in der Mall, dem großen Einkaufszentrum um die Ecke, und es kam ihnen allen vor wie ein böser Traum. Als er zurückkam, sprach Mutter mit einem Mann im Anzug, der sich »um alles mit der Wohnung und so weiter kümmern würde«. Urs nutzte die letzten zehn Minuten, seine Box noch einmal umzupacken. Dann kam das Taxi und kurz darauf saßen sie in einem Zubringerflug, der sie von Genf über Korsika, Sizilien und das Mittelmeer direkt zum Raumflughafen Barqah brachte.

Als sie am Weltraumbahnhof landeten, war es schon dunkel. Endlose Reihen von Scheinwerfern beleuchteten Betonboden, soweit das Auge reichte. Ein Bus fuhr sie an Shuttles vorbei, riesigen, schon von weitem nach Treibstoff stinkenden Maschinen, die auf den ersten Blick wenig Vertrauen erweckend aussahen. Die Düsen waren schwarz angelaufen und auf der zerkratzten, schrundigen Außenhaut war jeweils mindestens ein Drittel der Hitzekacheln durch welche in anderer Farbe ersetzt. »Keine Sorge«, meinte einer vom Raumhafenpersonal, als er ihre Blicke bemerkte. »Die sind erprobt und bewährt. Auf die alten Kähne ist Verlass.«

Am Check-in stellte sich heraus, dass sie völlig umsonst Hektik gemacht hatten. Der Flug zum Mars würde erst fünf Tage später starten als vorgesehen, weil es Probleme mit der Ausrüstung gab und noch nicht alle Passagiere da waren. So blieb ihnen das Ausbildungsprogramm nicht erspart, das für Raumreisende vorgeschrieben war: Verhalten in Notfällen, Umgang mit Andruckliegen, Atemmasken und Luftschleusen und so weiter. Am Schluss gab es eine richtige Prüfung und es hieß, wer durchfalle, dürfe nicht mitfliegen.

Endlich der Start ihres Shuttles. Eine übermächtige Kraft presste sie in die Liegen, während es um sie herum donnerte und toste. Die Erde wurde kleiner und kleiner unter ihnen und schließlich zu jener zerbrechlich aussehenden weißblauen Sphäre, die man von Fotos her kannte und die doch so anders wirkte, wenn man sie in Wirklichkeit sah. Wie eine gewaltige Kugel aus Glas, über der sie schwerelos dahinschwebten.

McAuliffe Station, der große Weltraumbahnhof! Ein chaotisches Treiben, Reisende vom Mond zur Erde und von der Erde zum Mond oder zu den anderen Raumstationen. Trubel. Bewegung. Die bewundernden, manchmal neidischen Blicke, wenn man erzählte, dass man zum Mars unterwegs war. »Zum Mars, sieh mal an«, sagten viele und nickten achtungsvoll mit dem Kopf. Zum Mars, das war immer noch etwas Besonderes.

Schließlich ging es los. Die BUZZ ALDRIN, eines der ersten Raumschiffe mit dem neu entwickelten Fusionsantrieb, startete – um drei Monate lang durch die Leere zu fliegen!

Drei. Monate. Lang.

Urs hatte sich nicht vorstellen können, wie es sein würde, drei Monate lang faulenzen zu müssen, nichts zu tun zu haben, überall nur im Weg zu sein. Die ALDRIN war eng. »Wir sind kein Passagierschiff, Madam«, sagte ein brummiger Astronaut zu seiner Mutter, als sie sich beschwerte, wie klein die Kabinen seien. In den Gängen kamen kaum zwei Leute aneinander vorbei. Das Essen war synthetisch und schmeckte wie Kleister oder jedenfalls wie Urs sich vorstellte, dass Kleister schmecken musste. Und es gab nichts zu tun, rein gar nichts. Nur warten, dass die Zeit verging und man endlich ankam.

Die einzige Abwechslung war die vorgeschriebene Gymnastik, bei der man sich dauernd entweder den Kopf oder den Ellbogen irgendwo anstieß. Dauerlauf auf der Stelle, mit Fitnesscomputer am Handgelenk, der Zeit und Puls und so weiter kontrollierte und mit Säuselstimme mahnte, wenn man sich nicht genug anstrengte. Nachdem sie einen Teil des Weges zum Mars zurückgelegt hatten, musste man sich für das Training mit Gummiseilen am Boden anbinden. Das Raumschiff rotierte nämlich um seine Achse, um eine Art künstliche Schwerkraft herzustellen, und diese Rotation wurde im Lauf des Fluges allmählich verringert. Bis sie auf dem Mars ankamen, sollten sich alle Passagiere an die dort herrschende Schwerkraft gewöhnt haben, gerade mal ein Drittel der Schwerkraft auf der Erde. Schon auf halber Strecke fühlte Urs sich leicht wie eine Feder.

Ja, und immer wieder mussten sie sich untersuchen lassen, um zu überwachen, wie gut oder schlecht der Körper mit dem erzwungenen Faulenzen zurechtkam. Urs’ Mutter war alles andere als begeistert. »Eine Reise stelle ich mir anders vor«, protestierte sie beim Bordarzt, einem dicken, gemütlichen Mann aus Pakistan. »Ich bin doch keine Dose oder irgendein Stück Fracht.«

»Ich kann auch nichts machen«, erwiderte der Arzt ruhig. »Drei Monate bis zum Mars ist immerhin Rekordzeit. Die großen Transporter brauchen vier.«

»Auf denen reist es sich aber auch ganz anders«, behauptete Mutter. Doch der Arzt gab ihr nur Recht und ging wieder.

Gut, es gab Bücher. Elektronische natürlich nur, dafür zehntausende davon. Das meiste allerdings altes Zeug; die aktuell angesagten Titel konnte sich die Weltraumbehörde offenbar nicht leisten. Filme gab es auch, aber die waren noch älter und langweiliger. Urs zog es vor, in den Stunden bis zum Ablauf der Mindestwachzeit durch das Schiff zu streifen. Das war nicht gern gesehen, also stellte er es so an, dass man ihn möglichst wenig sah.

Er dagegen sah viel. Er beobachtete die Wissenschaftler, wie sie über ihren Computern saßen, die Köpfe zusammensteckten und in verhaltenem Ton diskutierten, wenn sie nicht gerade in Sprachmodule murmelten oder auf Tastaturen herumtippten. Ab und zu hörte Urs beeindruckend klingende Satzfetzen. »…vielleicht verbirgt sich die Funktionalität auf submolekularer Ebene?«, sagte einer einmal, und ein anderer erwiderte: »Sie reden von Quanteneffekten?« Ein älterer Mann brummelte etwas von »Kultstätte«, worauf ihn eine lockenhaarige Wissenschaftlerin anzischte und meinte: »Das ist ja wohl eine Allerweltserklärung, die überhaupt nichts erklärt.«

Urs wusste, worum es in den Gesprächen ging. Nicht weil er verstand, wovon die Rede war, sondern weil es nur eine Sache gab, um die es gehen konnte. Auf dem Mars war vor wenigen Wochen eine geheimnisvolle technische Anlage entdeckt worden: zwei blaue Türme in der marsianischen Wüste. Man hatte keine Ahnung, wer sie erbaut hatte und wozu. Aber es gab keinen Zweifel, dass es sich um Hinterlassenschaften Außerirdischer handelte, und da man wusste, dass es auf dem Mars auch in der Vergangenheit nie höheres Leben gegeben hatte, musste man sogar davon ausgehen, dass es Wesen aus einem anderen Sonnensystem gewesen waren, die die Türme errichtet hatten.

Das hatte natürlich für enormen Aufruhr auf der Erde gesorgt. Die ALDRIN war das erste Schiff, das Forscher und zusätzliches Gerät zum Mars brachte, um die dortigen Wissenschaftler zu unterstützen.

Dass Urs unterwegs zum Mars war, hatte einen anderen Grund: Sein Vater war nämlich zurzeit als Statthalter der Erdregierung auf dem Mars abkommandiert. Nach der Entdeckung der Türme war seine Dienstzeit um weitere sechs Jahre verlängert worden und daraufhin hatte Urs’ Mutter ein Machtwort gesprochen. »Eine Familie kann nicht acht Jahre lang voneinander getrennt leben!«, hatte sie gesagt und bei der Weltraumbehörde die sofortige Übersiedlung zum Mars verlangt.

Und deshalb waren sie nun unterwegs.

Obwohl es die längsten drei Monate seines Lebens waren, ging selbst die Zeit an Bord dieser dröhnenden Sardinenbüchse von einem Raumschiff vorüber. Sie näherten sich dem Mars. Vom Beobachtungsfenster im Bug aus konnte man ihn inzwischen mit bloßem Auge sehen, eine große Kugel in der Schwärze des Alls, eine Kugel aus rötlich goldenem Stein, staubverhangen und matt glänzend, irgendwie alt und müde aussehend.

Urs starrte hinab auf den roten Planeten und fragte sich, wie es sein würde, dort die nächsten Jahre zu verbringen. Im Moment lebten knapp über zweihundert Menschen auf dem Mars, zum größten Teil in der Marssiedlung. Es gab zwar noch eine Forschungsstation der Asiatischen Allianz, doch die war vergleichsweise klein. Auf der Erde wurde viel über die Marssiedlung geschrieben und diskutiert, allerdings kannte Urs sie hauptsächlich aus den Erzählungen seines Vaters. Der selber auch nie zum Mars gewollt hatte. Einmal – Urs war da wie alt gewesen? Fünf oder sechs? – waren ein paar Marssiedler bei ihnen zu Hause zu Besuch gewesen, und Urs erinnerte sich, wie Vater...