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Time*Out

Andreas Eschbach

 

Verlag Arena Verlag, 2012

ISBN 9783401801742 , 528 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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7,99 EUR


 

Befreiung

1

Jetzt rührte sich etwas. Doch es war nur ein magerer, jammervoll aussehender Hund, der von Schatten zu Schatten schlich und an Mülleimern schnüffelte. Ab und zu schaute er witternd herüber, als ahne er, dass ihn aus dem grauen Lieferwagen am Straßenrand vier Männer und ein siebzehnjähriger Junge beobachteten. Schließlich spitzte er die Ohren und huschte davon.

Niemand sagte etwas. Alle waren damit beschäftigt, zu atmen, zu schwitzen, am Leben zu bleiben. Christopher griff nach der Flasche mit dem Wasser, aber das schmeckte brühwarm und abgestanden und erfrischte längst nicht mehr.

»Das war keine gute Idee«, sagte er leise.

Er sagte es eigentlich zu sich selbst, aber Kyle hatte es gehört, klopfte ihm von hinten auf die Schulter und meinte: »Nur kein Neid, Sportsfreund. Bloß, weil es ausnahmsweise mal nicht deine Idee war.«

»Quatsch«, gab Christopher ärgerlich zurück.

Allerdings fragte er sich tatsächlich, warum er nicht selber auf die Idee gekommen war. Vor Kyle zumindest, der von Computern und Mobilfunktechnik so gut wie nichts verstand.

Andererseits, sagte sich Christopher, hatte er damals einfach anderes im Kopf gehabt. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Er kniff die Lider zusammen, öffnete sie wieder. Der Schweiß biss in den Augen. Ihm war, als brenne sich der Anblick draußen allmählich in seine Netzhaut ein: eine ausgebleichte Asphaltstraße, auf einer Seite eine Reihe identisch aussehender Häuser, auf der anderen Niemandsland bis zum Horizont. Karge Steppe, graues bleiches Gras und schließlich, wie zum Hohn, schneebedeckte Berge, deren Konturen in der aufsteigenden Hitze flimmerten.

Vor dieser Szenerie stand eine abgeschabte Plakatwand. Sie war leer. Kein Wunder: Wer würde Geld dafür bezahlen, hier zu werben, in dieser öden, verlassen daliegenden Straße?

Christopher betrachtete die Häuser. Es stimmte nicht, dass sie alle gleich aussahen. Eines davon war größer, sein Garten besser gepflegt, und es besaß nicht wie die anderen eine simple Einfahrt vor einer Garage, sondern einen Carport. Ein protziges Schild verkündete: Immobilien Albert Burns.

Und schräg gegenüber hatten sie ihren Wagen am Straßenrand geparkt, so, dass sie, hinter einer halb verspiegelten Sonnenschutzfolie verborgen, alles gut im Blick hatten. Denn dieses Haus war der Grund, warum sie hier waren.

Hinter Christopher rauschte plötzlich das Funkgerät. »Ein Wagen biegt ab«, sagte eine undeutliche Stimme. »Der Beschreibung nach könnte er das sein.«

Die Männer rings um Christopher setzten sich auf, rutschten in ihren Sitzen zurecht, streckten die Köpfe nach vorn. Jemand patschte Christopher auf die Schulter, mit einer heißen, feuchten Hand. »Dass du dir die Nummer von diesem Motorrad gemerkt hast – sagenhaft. In so einer Situation. Reife Leistung.«

Christopher sagte nichts. Er bereute es längst, das mit dem Motorradkennzeichen überhaupt erwähnt zu haben. Und was hieß reife Leistung? Er hatte nun mal ein Gedächtnis für Zahlen, Codes, Programme, Passwörter und so weiter. Sich so etwas zu merken, ging bei ihm ganz von selbst.

Anstrengung erforderte es höchstens, sich die Begleitumstände ins Gedächtnis zu rufen, unter denen er sich ein Detail gemerkt hatte. In diesem Fall kein Problem, dazu waren die Geschehnisse zu dramatisch gewesen: Er sah das Kennzeichen noch vor sich, dann das Motorrad und schließlich die ganze Szenerie. Passiert war es rund zweihundertfünfzig Kilometer von hier entfernt, mitten in Nevada, auf einer der wenigen Straßen, die die Wüste durchquerten. Ein hagerer älterer Mann in Motorradkluft hatte sie angehalten und behauptet, seiner Frau sei schlecht.

In Wirklichkeit war es eine Falle der Kohärenz gewesen. Der Mann hatte sie mit einer Waffe bedroht. Und Serenity hatte ihn hinterrücks niedergeschlagen, mit einem Stück Holz, das ihr Bruder Kyle als Unterlage für den Wagenheber dabeigehabt hatte, und mit einer wütenden Entschlossenheit, die Christopher immer noch imponierte, wenn er daran zurückdachte. Er bezweifelte, dass er das selber so hingekriegt hätte.

Anhand des Motorradkennzeichens hatten sie den Halter des Motorrads ermittelt. Was solche Dinge anbelangte, verfügten die Leute von Hide-Out über eindrucksvolle Beziehungen. Und die Spur hatte hierhergeführt. Zu einem Immobilienmakler namens Albert Burns.

Inzwischen war Christopher davon überzeugt, dass die Kohärenz das Ganze damals inszeniert hatte, um ihn dazu zu bringen, ins Feld zu gehen. Das Feld war erstaunlich stark hier in Nevada. Zumindest fand man es erstaunlich, bis man sich klarmachte, dass in Kalifornien, vor allem im berühmten Silicon Valley, mehr Upgrader lebten als sonst irgendwo in den USA. Und da die Upgrader viel reisen mussten, war das Mobilfunknetz auch in den umliegenden menschenleeren Wüstenstaaten stark ausgebaut worden.

»Da kommt er.« Kyles Stimme klang angespannt.

Es war ein Schiff von einem Auto, mit einer fetten Stoßstange, viel zu vielen Scheinwerfern und getönten Scheiben. Es rauschte an ihnen vorbei, bog in einer schwungvollen Kurve in den Carport ein und kam schaukelnd zum Stehen. Ein Mann stieg aus.

»Okay.« Russell, der das Kommando hatte, reichte Kyle das Fernglas. »Euer Job.«

Kyle hob das Glas vor die Augen. »Das ist er«, erklärte er ohne Zögern und reichte es an Christopher weiter.

Auch Christopher erkannte das Gesicht wieder. Der Mann trug statt der Lederjacke ein dünnes weißes Leinenjackett, aber Christopher erinnerte sich nur zu gut an die stechenden Augen und die wie gegerbt wirkende Haut. »Ja«, bestätigte er. »Das ist der Mann.«

»Okay«, sagte Russell. »Dann los.«

2

Matthew und Patrick stiegen aus. Christopher duckte sich, obwohl er wusste, dass die Folie an der Innenseite der Frontscheibe keinen Blick ins Wageninnere zuließ. Der Mann durfte auf keinen Fall jemanden zu Gesicht bekommen, den die Kohärenz kannte, und ihn schon gar nicht.

Niemand sprach. Alle schauten sie gebannt zu, wie die beiden Männer die Straße überquerten und auf den Immobilienmakler zutraten, die Hände zu einem harmlos wirkenden Gruß erhoben.

»Mr Burns?«, hörten sie Matthew sagen. Ein winziges Mikrofon in seinem Kragen übertrug seine Stimme.

Was der Mann daraufhin erwiderte, hörte man nicht, dazu war er wohl noch zu weit weg oder sprach zu leise. Aber er sah nicht aus, als schöpfe er Verdacht.

»Freut mich, Sie zu treffen. Mein Name ist Tom Miller junior und das ist mein Cousin Peter Hecker.« Sie schüttelten Burns die Hand.

»Wir haben auf Ihrer Website gesehen, dass Sie auch Farmen im Angebot haben«, fuhr Patrick alias Peter fort. »Und da wir gerade in der Gegend waren, haben wir gedacht, schauen wir doch einfach vorbei.«

»…dachten Sie denn?« Das war, ganz leise, die Stimme des hageren alten Mannes. Christopher erkannte sie wieder. Dieselbe Stimme hatte damals »Keiner bewegt sich« gesagt. Und dann: »Wir brauchen nur den Jungen, Christopher Kidd.«

Christopher lief immer noch ein Schauer über den Rücken, wenn er an diesen Augenblick zurückdachte.

»Irgendwas, das sich für Hühnerzucht eignet. Nicht zu klein. Think big, sag ich immer.«

Burns, der eine Aktentasche in der Hand trug, musterte die hemdsärmelig dastehenden Männer. Christopher hielt den Atem an. Die beiden wirkten harmlos, aber Patrick hatte eine sperrige, ziemlich geräumige Tasche über der Schulter hängen. Das musste sein, war aber ziemlich auffallend.

Sie hörten Burns etwas von »engem Zeitplan« und »Termin machen« sagen. Schöpfte er Verdacht?

»Ja, klar. Können wir machen«, sagte Patrick. Christopher fand ihn beneidenswert cool. »Aber ich würde gern wissen, dass Sie auch gerade was im Angebot haben, was annähernd hinkommt. Sonst lohnt sich der Weg ehrlich gesagt nicht.«

»... kommen Sie her?«

»Aus Richmond, Utah. Aber Sie wären der Erste, der das kennt, der nicht von dort ist.« Patrick lachte.

Sie hatten sich die Einzelheiten dieser Geschichte sorgfältig zurechtgelegt. Es gab eine Ortschaft namens Richmond in Utah: Es kostete die Kohärenz nur den Bruchteil einer Sekunde, das nachzuprüfen.

Christopher hörte Kyle neben sich aufatmen. »Es klappt«, murmelte er, als sie sahen, wie Burns eine einladende Handbewegung machte.

»Gefällt mir nicht, dass sie nur zu zweit sind«, brummte Russell. »Drei wären besser gewesen.«

»Drei Männer wären verdächtig gewesen«, widersprach Kyle. »Da hat mein Vater schon recht.«

Russell sagte nichts. Er war einst beim Marine Corps gewesen, hatte in Kriegen in Übersee gekämpft, bis er nicht mehr daran hatte glauben können, dass er auf diese Weise die Welt besser machte. Zweifellos war er derjenige von ihnen, der am meisten vom Kämpfen verstand.

Burns ging voraus, auf die Haustür zu. Patrick und Matthew folgten ihm. Patrick hatte die Hand auf der Umhängetasche, bereit hineinzugreifen. Die beiden hatten das alles in Hide-Out bis zum Abwinken geübt.

»Jetzt können wir nur beten, dass das klappt mit dem Kupfernetz«, fügte Kyle mit angespannt klingender Stimme hinzu.

In diesem Moment meldete sich Finn wieder per Funk. »Achtung. Weißer Lieferwagen ohne Aufschrift nähert sich euch. Fährt ziemlich schnell.«

»Verdammt«, knurrte Russell.

Der Makler schloss gerade die Tür auf, sagte irgendwas. »Ja, genau«,...