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Die Blutschrift - Historischer Roman

Robyn Young

 

Verlag Blanvalet, 2014

ISBN 9783641156084 , 704 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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8,99 EUR


 

1


Ayn Jalut (Teiche des Goliath), Königreich Jerusalem

3. September A. D. 1260

 

Die gleißende Sonnenscheibe näherte sich dem Zenit und verwandelte den satten Ockerton des Wüstensandes in das fahle Weiß ausgebleichter Knochen. Über den Kuppen der Hügel, die die Ebene von Ayn Jalut säumten, zogen Bussarde ihre Kreise; ihre heiseren Schreie hallten durch die glutheiße Luft. Am westlichen Rand der Ebene warteten zweitausend berittene Krieger geduldig auf das Zeichen zum Angriff. Obwohl ihre Überwürfe und Turbane ihnen wenig Schutz vor der erbarmungslos auf sie niederbrennenden Sonne boten, ließ keiner der Männer einen Laut der Klage vernehmen.

Baybars Bundukdari, der Befehlshaber des Bahri-Regiments, griff nach dem Wasserschlauch, der neben zwei Krummsäbeln, deren Klingen mit Kratzern und Kerben übersät waren, an seinem Gürtel hing. Nachdem er einen tiefen Schluck genommen hatte, rollte er die Schultern, um die verkrampften Muskeln zu lockern. Der Rand seines weißen Turbans war schweißdurchtränkt, und das Kettenhemd, das er unter seinem blauen Umhang trug, fühlte sich ungewöhnlich schwer an. Der Morgen verstrich, die Hitze nahm zu, und das Wasser hatte zwar Baybars’ ausgedörrte Kehle besänftigt, nicht aber den quälenden Durst zu stillen vermocht, der tief in seinem Inneren brannte.

»Amir Baybars«, murmelte ein jüngerer Offizier, der neben Baybars’ schwarzem Hengst an der Spitze der Truppe auf seinem Pferd saß. »Die Zeit verrinnt. Die Kundschafter müssten schon längst wieder hier sein.«

»Sie werden bald zurückkommen, Ismail. Hab Geduld.« Während Baybars den Wasserschlauch wieder an seinem Gürtel befestigte, ließ er den Blick über die Reihen des Bahri-Regiments schweifen, die hinter ihm Stellung bezogen hatten. Auf den Gesichtern aller Männer lag derselbe Ausdruck grimmiger Entschlossenheit, den er schon oft bei Kriegern kurz vor einer Schlacht gesehen hatte. Bald würde sich dies ändern. Baybars hatte schon die kühnsten Kämpfer erbleichen sehen, wenn sie sich einer feindlichen Armee gegenübersahen, die ihrer eigenen in jeder Hinsicht ebenbürtig war. Aber wenn die Zeit gekommen war, würden sie bis zum letzten Atemzug kämpfen, denn sie waren Soldaten der Mameluckenarmee, der Sklavenkrieger Ägyptens.

»Amir?«

»Was gibt es, Ismail?«

»Wir haben seit dem Morgengrauen nichts mehr von den Kundschaftern gehört. Was, wenn sie gefangen genommen wurden?«

Als Baybars die Stirn runzelte, wünschte Ismail, er hätte den Mund gehalten.

Wie die meisten seiner Männer, so war auch Baybars hochgewachsen, schlank und sehnig; er hatte dunkelbraunes Haar und eine zimtfarbene Haut. Was ihn von der Masse der anderen abhob, war sein Blick, der aufgrund einer Fehlbildung in Form eines weißen Sterns in der Mitte seiner linken Pupille ungewöhnlich stechend wirkte, was ihm den Spitznamen eingetragen hatte, unter dem er bekannt war – die Armbrust. Der junge Offizier Ismail, den diese scharfen blauen Augen jetzt durchbohrten, kam sich vor wie eine Fliege, die in einem Spinnennetz zappelt.

»Ich habe doch eben gesagt, du sollst dich in Geduld fassen.«

»Ja, Amir.«

Baybars’ Blick wurde weicher, als Ismail betreten den Kopf senkte. Jahre zuvor hatte er selbst an vorderster Front seiner ersten Schlacht entgegengefiebert. Damals hatten die Mamelucken auf einer staubigen Ebene in der Nähe eines Dorfes namens Herbiya gegen die Franken gekämpft. Baybars hatte die Kavallerie befehligt, und innerhalb weniger Stunden hatten sie ihre Feinde vernichtend geschlagen, und das Blut der Christen war im Sand versickert. Mit Allahs Hilfe würde er heute einen ähnlich großen Sieg erringen.

In der Ferne stieg eine kleine Staubwolke von der Ebene auf und nahm langsam die von der flirrenden Hitze verzerrten Umrisse von sieben Reitern an. Baybars stieß seinem Pferd die Fersen in die Flanken und löste sich aus den Reihen seiner Krieger. Seine Offiziere folgten ihm.

Der Kundschaftertrupp kam rasch näher, der Anführer lenkte sein Pferd auf Baybars zu, zügelte es scharf und brachte es direkt vor seinem Kommandanten zum Stehen. Das Fell des Tieres glänzte vor Schweiß, Schaumflocken standen vor seinen Nüstern.

»Amir Baybars!« Der Reiter keuchte und rang mühsam nach Atem. »Die Mongolen kommen!«

»Wie groß ist ihre Armee?«

»Sie umfasst zehntausend Mann, Amir.«

»Und wer befehligt sie?«

»Falls wir denn richtig unterrichtet sind, wird sie von General Kitboga angeführt.«

»Haben sie euch gesehen?«

»Dafür haben wir gesorgt. Die Vorhut ist dicht hinter uns, der Hauptteil der Truppen auch gleich dahinter.« Der Kundschafter trieb sein Pferd näher an das von Baybars heran und dämpfte seine Stimme, sodass die anderen Offiziere Mühe hatten, seine Worte zu verstehen. »Sie sind uns zahlenmäßig überlegen, Amir, sie führen viele Kriegsgeräte mit sich, und wir haben in Erfahrung gebracht, dass diese Truppen nur ein Drittel der gesamten mongolischen Armee ausmachen.«

»Wenn du einem Ungeheuer den Kopf abschlägst, wird sein Leib sein Leben aushauchen«, erwiderte Baybars.

Der schrille Klang eines mongolischen Horns zerriss die Luft. Andere fielen ein; ein misstönender Chor, dessen Gesang von den Hügeln zu den Mamelucken hinüberwehte. Die Pferde, die die Anspannung ihrer Reiter spürten, begannen zu schnauben und unruhig mit den Hufen zu scharren. Baybars nickte dem Anführer der Kundschafter zu, dann wandte er sich an seine Offiziere. »Auf mein Zeichen leitet ihr den Rückzug ein.« Er sah Ismail an. »Du wirst an meiner Seite reiten.«

»Zu Befehl, Amir.« Die Augen des jungen Mannes leuchteten vor Stolz auf.

Einen Moment lang war außer dem Jaulen der Hörner in der Ferne und dem leisen Seufzen des Windes, der über die Ebene strich, kein Laut zu hören. Eine Staubwolke verdunkelte den Himmel im Osten, als die ersten Reihen der mongolischen Armee hoch oben auf den Hügeln auftauchten. Die Reiter verharrten kurz auf dem Gipfel, ehe sie sich wie eine dunkle Welle über die Ebene ergossen. Das Sonnenlicht fing sich in ihren Schwertern und ließ die stählernen Klingen hell aufblitzen.

Hinter der Vorhut rückte der Hauptteil der Armee auf den Feind vor, angeführt von mit Speeren und Bogen bewaffneten Reitertruppen, denen Kitboga selbst folgte. Der Mongolenführer wurde von Veteranenkriegern in ledernen Rüstungen und eisernen Helmen flankiert, die jeder zwei zusätzliche Pferde am Zügel führten. Hinter dieser Kolonne rollten Belagerungstürme und Karren voller Beutegut, das aus von den Mongolen überfallenen und ausgeplünderten Dörfern und Städten stammte. Diese Karren wurden von Frauen gelenkt, über deren Rücken große Jagdbogen hingen. Dschingis Khan, der Gründer des Mongolenreiches, war vor dreiunddreißig Jahren gestorben, doch sein Kampfgeist lebte in den Kriegern weiter, die jetzt im Begriff standen, die Mamelucken anzugreifen.

Baybars war seit Monaten auf diese entscheidende Schlacht vorbereitet, doch der glühende Wunsch nach Rache beherrschte ihn allerdings schon viel länger. Vor zwanzig Jahren waren die Mongolen in seine Heimat eingefallen, hatten das Land seines Stammes verwüstet und die Viehherden gestohlen. Zwanzig Jahre waren vergangen, seit seinem Volk keine andere Wahl geblieben war, als vor dem Angriff der Feinde zu fliehen und bei einem benachbarten Stammeshäuptling Schutz zu suchen, der sie dann verraten und an syrische Sklavenhändler verkauft hatte.Aber erst als vor einigen Monaten ein mongolischer Abgesandter in Kairo eingetroffen war, hatte sich Baybars eine Möglichkeit eröffnet, Vergeltung an den Menschen zu üben, die ihn unter das Joch der Sklaverei gezwungen hatten.

Der Abgesandte hatte den Mameluckensultan Kutus im Namen seines Herrn aufgefordert, sich dem mongolischen Herrscher zu unterwerfen, und diese Unverschämtheit hatte – zusammen mit dem letzten verheerenden Angriff der Mongolen auf die muslimisch regierte Stadt Bagdad – den Sultan endlich dazu bewogen, dem Feind die Stirn zu bieten. Die Mamelucken neigten vor keinem anderen als Allah das Haupt. Und während Kutus und seine militärischen Ratgeber, Baybars eingeschlossen, einen Schlachtplan entworfen hatten, war der mongolische Abgesandte vor den Mauern von Kairo bis zum Hals im Sand eingegraben worden, wo er Zeit hatte, über seine Fehler nachzudenken, bis die Bussarde ihr Werk vollendeten. Nun würde Baybars seinen ehemaligen Peinigern eine ähnliche Lektion erteilen.

Er wartete, bis die vordersten Linien der schweren Kavallerie die Ebene zur Hälfte hinter sich gelassen hatten, dann riss er sein Pferd herum, zog einen seiner Säbel aus der Scheide und schwang ihn hoch über seinem Kopf. Die Klinge blitzte im Sonnenlicht.

»Krieger von Ägypten!«, brüllte er. »Für uns ist der Tag der Rache gekommen! Mit Allahs Hilfe werden wir siegen, und der Berg der Leichen unserer Feinde wird höher als diese Hügel sein!«

»Für den Sieg!«, erscholl die Antwort der Soldaten des Bahri-Regiments. »Im Namen Allahs!«

Im nächsten Moment wandten sie sich wie ein Mann von der näher rückenden Armee ab und trieben ihre Pferde auf die Hügel zu. Die Mongolen, die dachten, der Feind würde außer sich vor Angst und Entsetzen die Flucht ergreifen, nahmen unter wüstem Gejohle die Verfolgung auf.

Die im Westen gelegene Hügelkette, die sich am Rand der Ebene entlangzog, war breit und niedrig und wurde von einer weiten Felsschlucht durchschnitten. Baybars und seine Männer sprengten durch diese Lücke, gefolgt von der Vorhut der Mongolen, die sich durch die von den Hufen der Mameluckenpferde aufgewirbelten Staubschwaden kämpften....