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Tödliche Begegnung im Moor

Andrea Gerecke

 

Verlag CW Niemeyer Buchverlage GmbH, 2014

ISBN 9783827198686 , 336 Seiten

Format PDF, ePUB, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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6,99 EUR


 

Joggen


Ricardo Kuhlmann fuhr langsam die Schlandorfstraße in Hille entlang, um dann in den Geestmoordamm abzubiegen. Kurz nachdem er den Mittellandkanal überquert hatte, entdeckte er schon Sonjas Auto. Perfektes Timing, dachte Ricardo und ließ sein Fahrzeug ausrollen. Er parkte in Sichtweite, aber doch nicht in unmittelbarer Nähe. Sie wählten bei jedem Treffen eine andere Variante, damit niemandem etwas auffiel. Wobei sie für Spaziergänger eben befreundete Jogger waren, die sich hier im Großen Torfmoor gelegentlich trafen, um gemeinsam ihrem Sport zu frönen. Eigentlich die normalste Sache von der Welt. Wer wollte sich dabei wohl etwas anderes denken?

Er blickte auf seine Armbanduhr. Dann stieg er aus dem Wagen und wärmte sich mit ein paar Dehnübungen kurz auf, ehe er losrannte. Er wollte pünktlich auf die Minute am Aussichtsturm ankommen.

Ihm fiel der stürmische Aufenthalt im dortigen Obergeschoss ein, unlängst. Sie waren die steilen Stufen hinaufgeeilt, immer zwei auf einmal nehmend. Und oben angekommen, waren sie übereinander hergefallen, als wären sie nicht bei klarem Verstand. Dabei hatten sie zu Beginn noch geschaut, ob sich von einem der Wege ein Fußgänger nähern würde, aber keinen bemerkt. Doch als sie sich gerade die Garderobe zurechtrückten, knarrten die Holzstufen. Ricardo und Sonja hatten sich verschwitzt angeschaut und mit Mühe ein Lachen unterdrückt. Für den neu Dazugekommenen reichte ein kurzes „Moin“, dann trippelten beide sportlich die Treppen hinunter, so als wären sie nur in einem Extrasprint hinaufgeeilt.

„Da könnt ich mir was Bessres vorstellen“, hatte der Mann noch in seinen Bart gebrummelt, was zumindest Ricardo deutlich gehört hatte. Nein, kannst du nicht, hatte er gedacht und später die Geschichte Sonja erzählt. Worauf beide schallend lachen mussten.

Er entdeckte seine Geliebte schon von Weitem. Sie tat so, als wäre sie völlig unbeteiligt und zog mal das eine, mal das andere Bein in die Höhe, indem sie das jeweilige Knie mit beiden Armen umfasste und dicht an den Oberkörper drückte. Ein leichtes Kopfnicken mit deutlichem Zwinkern genügte für die Begrüßung und schon waren beide auf dem Knüppeldamm unterwegs.

Die Moorfrösche quakten lautstark und tauchten rechts und links vom Pfad sofort glucksend unter, sobald die beiden sich ihnen näherten und der Boden leicht vibrierte. Das Scheidige Wollgras bog sich sanft im Wind und daneben präsentierte der Schlangenwurz – eine Calla – seine schönen weißen Blüten. Die Mecklenburgische Seenplatte war nichts dagegen, davon war Ricardo überzeugt. Denn ein Urlaub hatte ihn einst mit seiner Gattin dorthin verschlagen. Aber es mochte natürlich auch an der jeweiligen Partnerin liegen, dass ihm eben der eine Ort entschieden besser als der andere gefiel ...

Wenig später hielten sie an einer unbeobachteten Stelle inne und lagen sich in den Armen. Dass da, zum Greifen nahe, eine Hand aus dem morastigen Boden ragte, nahmen sie nicht wahr. Sie küssten und streichelten sich. Ihr Atem ging heftiger.

„Können wir zu dir oder müssen wir zu mir?“, fragte Sonja zwischen den Küssen.

„Mein Mann wollte heute eher nach Hause kommen. Das könnte ungünstig werden. Schließlich soll er uns nicht in flagranti erwischen.“

„Warte mal, ich glaube, da will jemand was von mir.“

Ricardo zog sein Handy aus der Jackentasche und schaute auf das Display.

„Nanu, die Firma?“

Dann nahm er das Gespräch an.

„Ja, Kuhlmann, wer stört am zeitigen Morgen?“

„Hier Gabler, Herr Kuhlmann, ich würde es nicht wagen. Aber wir haben eine Havarie in der Firma. Der ganze Technikbereich steht unter Wasser. Ich habe das heute früh gleich als Erste bemerkt.“

„Und hoffentlich den technischen Notdienst verständigt“, fiel ihr Ricardo, ganz der Vorgesetzte, ins Wort.

„Aber selbstverständlich, Herr Kuhlmann, direkt vor dem Anruf jetzt bei Ihnen“, antworte etwas verschnupft die Chefsekretärin.

„Ich weiß ja, Gabelchen, dass ich mich auf Sie verlassen kann. Bin dann in Kürze im Büro. Sie erwischen mich nur gerade beim Joggen. Und ich will erst noch daheim duschen. Aber Sie halten in der Zwischenzeit die Fäden in der Hand. Davon bin ich überzeugt.“

„Selbstverständlich, Herr Kuhlmann“, hatte Ulla Gabler sofort wieder ihren umgänglich-heiteren Ton drauf. „Bis gleich und fahren Sie vorsichtig.“

Das war ihre übliche besorgte Verabschiedung von ihm. Diese Betulichkeit nervte ihn schon, wenngleich er ihre Verlässlichkeit sehr schätzte. Ricardo schüttelte den Kopf.

„Schade, Liebste, das wird dann wohl heute nichts. Es gibt Probleme in der Firma. Eben nur ein kurzes gemeinsames Joggen. Mir wäre allerdings nach viel mehr.“

Und er schloss die Arme eng um Sonja.

„Und mir erst“, stöhnte sie leidenschaftlich. Dann trennten sie sich schweren Herzens. Für den Rückweg zu den Autos liefen sie in entgegengesetzte Richtungen, um alle Vermutungen eventueller Zeugen auszuräumen.

Am Pkw angekommen zog Ricardo seine Schlüssel aus der Jackentasche, drückte auf den Türöffner und stieg auf der Fahrerseite ein. Dann mal hurtig, fuhr es ihm durch den Kopf. Er startete den Wagen. Dabei wühlten die Räder im schlammigen Untergrund und der Dreck spritzte hoch, als er das Fahrzeug ruckartig in Bewegung setzte. Schnell beschleunigte er, um zu seinem Ziel zu kommen, und fuhr den Neuen Damm entlang.

Dabei bemerkte er nicht, wie sich von rechts, in der Höhe von Auf dem Aspel, ein Radfahrer näherte. Ricardo war schon in Gedanken bei dem Wasserproblem in der Firma. Hoffentlich hatte das keine Auswirkungen auf die aktuellen Aufträge. Die Lieferungen nach Russland standen gerade an und waren fast fertig, davon ein spezieller Teil für Kirgistan. Sein Unternehmen war ein wichtiger Partner in einem großen Projekt. Das könnte den Ruin bedeuten, wenn da die Ware Schaden genommen hatte. Er fuhr in aufsteigender Panik noch schneller und übersah den Radfahrer, der rechterhand überscharf gebremst hatte, dabei das Gleichgewicht verlor, aus der Bahn geworfen wurde und nun am Boden lag.

Fluchend starrte Benno Kasten hinter dem Auto her.

„Na, warte, mein Lieber. Das hat ein Nachspiel.“

Er kniff die Augen zusammen und erkannte noch das Kennzeichen: MI-RK ...

„Das will ich mir wohl notieren. So ein Bastard. Brettert wie ein Idiot durch die Gegend.“

Vorsichtig tastete Benno seine Arme und Beine ab. Nein, ihm war nichts Schwerwiegendes passiert. Da hatte er offensichtlich noch einmal Glück gehabt. Im Sitzen schrieb er das Kennzeichen des dunkelgrauen Fahrzeugs auf einen kleinen Notizblock, den er immer bei sich führte.

„Das gibt eine fette Anzeige bei der Polizei. Das kannst du mir glauben, du selten dämliches Arschloch!“, fluchte Benno Kasten vor sich hin, als eine Frau in Kittelschürze und Hauslatschen über die Straße gerannt kam und atemlos bei ihm anhielt.

„Ist Ihnen etwas passiert? Ich habe das alles genau gesehen. Wie der Mann da mit seinem dunkelgrünen Auto ohne Rücksicht auf Verluste und mit überhöhter Geschwindigkeit davongefahren ist. Der muss Sie doch bemerkt haben!“

Erna Kraft stemmte die Arme in die Hüften und atmete mit einem Stoß vorwurfsvoll aus. Ihr graues Haar hing etwas wirr um ihren Kopf.

Prima, dachte Benno, eine Zeugin, wenngleich in Sachen Farben nicht hundertprozentig zuverlässig.

„Haben Sie sich verletzt? Kann ich Ihnen vielleicht helfen? Eine kleine Stärkung? Ich habe gerade frischen Kaffee aufgebrüht.“

Benno überlegte kurz und willigte ein. Eine Tasse Kaffee konnte nie schaden und wenn er so recht in sich hineinhorchte, dann war er schon ziemlich erregt, ihm zitterten sogar die Knie. Das hätte ja alles auch viel schlimmer ausgehen können. So wollte er sich lieber zunächst einmal mit der Frau austauschen und dann die Details zum Unfallhergang festhalten.

„Benno Kasten, mein Name. Ich habe mich ja noch gar nicht vorgestellt“, entschuldigte sich Benno.

„Ach, und ich mich ja auch noch nicht. Erna Kraft. Ich wohne gleich hier“, zeigte die Frau auf das gegenüberliegende Fachwerkhaus, aus dem sie gekommen war. Auf dem Dach prangte ein Storchennest.

„Davon bin ich jetzt mal ausgegangen“, grinste Benno.

„Das mit dem Kaffee ist eine gute Idee. Mir wackeln auch irgendwie die Beine wie Pudding.“

„Sehen Sie! Und, soll ich einen Notarzt rufen?“

„Ach nein, so schlimm ist es nun auch wieder nicht.“

„Dann kommen Sie mal mit mir mit.“

Benno folgte der Frau humpelnd und schob sein Rad, das auch etwas in Mitleidenschaft gezogen worden war. Das Vorderrad war ein wenig verbogen. Zum Glück hatte er ausreichend Flickzeug und das Nötigste für kleine Reparaturen stets dabei. Er lehnte das Rad an den Gartenzaun und ging hinter Erna Kraft her.

„Leute gibt’s, die gibt’s gar nicht“, plauderte Erna weiter. „Folgen Sie mir einfach, junger Mann. Sonst habe ich ja nie Herrenbesuch. Höchstens mal den Pfarrer.“

Für einen Augenblick wurde ihr mulmig zumute. Was man so alles in der Zeitung las und im Fernsehen sah! Sie konnte doch nicht einfach so mir nichts, dir nichts einen Fremden auf der Straße aufgabeln. Wenn das nun ein Sexual- oder gar Serienmörder war, auf der Suche nach einem neuen Opfer?! Erna musterte Benno scharf, schluckte und bekam Herzschmerzen.

„Das ist richtig lieb von Ihnen, Frau Kraft. Aber wenn ich Ihnen einen gut gemeinten Rat geben darf, dann holen Sie sich Ihnen unbekannte Leute lieber nicht so einfach ins Haus. Das könnte auch mal schiefgehen ...“

Nun atmete die Frau erleichtert auf.

„Ach, bei Ihnen ist das was anderes. Sie hatten ja rein zufällig diesen...