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Prophetisch leben - prophetisch dienen - Die Entdeckung einer vergessenen Gabe

Heinrich Christian Rust

 

Verlag SCM R.Brockhaus im SCM-Verlag, 2014

ISBN 9783417227352 , 336 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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15,99 EUR

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Kapitel 1


1. Was ist christliche Prophetie?


»›Ich sehe was, was du nicht siehst!‹ – Wollt ihr dieses Spielchen denn immer noch weiterspielen?« – Die Frage des älteren, pensionierten Pastors war sicher provozierend. Er konnte wohl nicht verhindern, dass immer wieder Frauen und Männer in den Gottesdiensten und Gebetszeiten davon berichteten, wie sie Bilder, Visionen oder Worte empfangen hatten. Andere hatten Bibelstellen vor ihrem »inneren Auge« gesehen. Manchmal waren es sehr bildhafte Eindrücke, die eine klare Aussage in sich trugen; häufig waren es jedoch typisch religiöse Symbole, die eine Facette des Evangeliums aufleuchten ließen. Da wurden zum Beispiel funkelnde Herzen gesehen oder auch enge Pforten, blühende Gärten und sprudelnde Brunnen.

So provozierend die Frage des Pastors war – sicherlich hat er da einen Nerv getroffen. Denn die »klare« Aussage solcher visionären Eindrücke ist nicht immer eindeutig. Eine Deutung und Auslegung, was Gott denn nun »im Klartext« sagen will und wem eine solche Aussage gelten soll, fehlt vielfach. Ich selber habe erlebt, wie dann eine Art »Rätselraten« in Gang kam; nur wenig von der Klarheit eines prophetischen Wortes leuchtete auf, das aufbauend, ermutigend und tröstend ist. Wenn dann in einer christlichen Versammlung gleich mehrere solcher »Impulse« unkommentiert weitergegeben werden, dann mag es für einen predigtorientierten Gottesdienstbesucher wie ein »Ratespielchen« aussehen.

Der erfahrene ältere Theologe war nicht prinzipiell gegen ein prophetisches Wort, er bemängelte allerdings die Einseitigkeit und auch die Unreife des Umgangs mit visionären Impulsen. Zudem vertrat er immer wieder sehr nachdrücklich die Auffassung, dass der eigentliche Ort der Prophetie die Verkündigung sei. In der Predigt könne ein biblisches Wort durch die aktuelle Zuordnung und seelsorgerliche Anwendung zu einem prophetischen Wort werden.

Mit dieser klaren Zuordnung steht der evangelische Theologe nicht allein da. Alles, was außerhalb der Predigt geschieht, wird sodann eher wie ein »Spielchen« oder ein Vor- bzw. Nachprogramm zum Eigentlichen gesehen. Dass nach dem biblischen Zeugnis Prophetie umfassender ist als Schriftauslegung oder gottesdienstliche Predigt, wird mehr oder weniger bewusst ignoriert. Zudem schwingt ständig die Frage mit, was denn eigentlich christliche Prophetie noch sein kann, wenn Gott sich doch abschließend in Jesus Christus selber offenbart hat (Hebräer 1,1-2).

Dennoch lesen wir von der Gabe der Weissagung und vom Dienst christlicher Propheten im Neuen Testament. Zudem werden wir sogar aufgefordert, uns nach dieser Gabe auszustrecken (1. Korinther 14,1). Was also ist christliche Prophetie? Was soll noch offenbart werden? Worin unterscheidet sie sich von alttestamentlicher und vorchristlicher Prophetie? Wo ereignet sich Prophetie bei Christen? Ist christliche Prophetie beschränkt auf eine seelsorgerliche Offenbarung oder auf die Deutung bzw. Auslegung der biblischen Offenbarung? Ist ihr Kennzeichen womöglich die Prüfung und Beurteilung von Entwicklungen der Gegenwart? Beschränkt sich christliche Prophetie auf die Gabe der Weissagung oder die Gabe der Unterscheidung der Geister? Kann man christliche Prophetie definieren? Wovon reden wir, wenn wir von christlicher Prophetie sprechen?

Bevor ich in den weiteren Kapiteln dieses Buches stärker auf Einzelfragen der Praxis eingehen werde, will ich den Versuch machen, den Horizont für eine Definition zu öffnen, um so auch Missverständnisse zu vermeiden.

Gemeinsamkeiten und Unterschiede in Bezug zur alttestamentlichen Prophetie


Denken wir an das umfassende Zeugnis alttestamentlicher Prophetie, so ist es nur verständlich, dass wir uns auch daran orientieren. Es ist ja der gleiche Gott, der sich hier durch Menschen zu Wort meldet. Auch die Art und Weise, wie prophetische Impulse empfangen werden, hat sicherlich eine Ähnlichkeit mit dem, wie wir es heute erleben. Da sind die großen, frühen Prophetengestalten, aus deren Leben uns vieles berichtet wird – Elia, Elisa, Obadja, Joel, Hosea, Jesaja, Micha oder auch Jona. Da sind die späteren Schriftpropheten des 7. Jahrhunderts v.Chr. Nahum, Zefania und Habakuk. Wir lesen ausführlich von den Exilpropheten Jeremia, Daniel und Hesekiel. Und schließlich werden uns nachexilische prophetische Zeugnisse von Haggai, Sacharja und Maleachi sowie die vorchristlichen Propheten, unter denen Johannes der Täufer hervorsticht, im biblischen Zeugnis vorgestellt. Im Alten Testament begegnen uns 65 namentlich genannte Frauen und Männer, die als Propheten bezeichnet werden. 14 weitere werden ohne Namensnennung erwähnt, und schließlich können wir Gruppen bzw. Gemeinschaften (vgl. 1. Samuel 10,10) ausmachen, die prophetisch lebten.

Innerhalb dieser großen Schar gab es erhebliche Unterschiede in der Art der Botschaft, die weitergegeben wurde, aber auch bei den Offenbarungsempfängern selbst. Von einigen erfahren wir detailliert ihre Berufungsgeschichte; sie soll verdeutlichen, dass Gott im Leben dieser Menschen wirkt. In der hebräischen Sprache des Alten Testamentes werden drei Begriffe für Propheten verwandt, die etwas von der Art des Wirkens deutlich machen: ro´äh, chosäh und nabi. Die ersten beiden Wörter kommen in verschiedener grammatischer Form nur weniger als dreißigmal vor und werden ausschließlich im 1. Samuelbuch verwendet. Sie bedeuten so viel wie »Seher« oder »Visionär«. Der Begriff nabi hingegen kommt über 300-mal vor. Er wird meist mit »Prophet« übersetzt. Die Hauptfunktion eines alttestamentlichen Propheten war die eines Boten, eines Bevollmächtigten oder Botschafters. Gott erwählte Frauen und Männer, um durch sie zu sprechen. Während »Seher« und »Visionär« einen stärkeren Akzent auf eine bestimmte Form der Offenbarung legen, betont der alttestamentliche Begriff nabi stärker die Autorität, die Vollmacht.11 Allerdings kann daraus nicht der Rückschluss gezogen werden, dass ein »Nabi« keine Visionen gehabt habe, dafür gibt der biblische Befund keinen Anlass.

Inwiefern der Offenbarungsempfang alttestamentlicher Propheten stärker ekstatische Züge trug als das prophetische Geschehen im Neuen Testament, lässt sich gleichfalls nicht eindeutig ausmachen.12 Allein ein Blick in die Johannesoffenbarung sollte dieses häufig angeführte Unterscheidungskriterium zwischen alt- und neutestamentlicher Prophetie infrage stellen. Die distanzierte und zuweilen ablehnende Haltung gegenüber einem visionären oder ekstatischen Offenbarungsempfang resultiert meines Erachtens weniger aus einer soliden Sichtung des biblischen Befundes als vielmehr aus einer geradezu blinden Konzentration auf die Wortbindung einer Offenbarung.

a. Offenbarungsform, Struktur und Inhalt

Die Formen des Offenbarungsempfangs im Alten und Neuen Testament weisen meiner Ansicht nach viele Gemeinsamkeiten auf. Beim Empfang einer Prophetie handelt es sich um einen übernatürlichen Prozess, bei dem etwas zwischen Gott und Mensch kommuniziert wird. Ekstatische Begleiterscheinungen sind allerdings nicht das typische Kennzeichen prophetischer Kommunikation, sondern sie bilden eher die Ausnahme. Das gilt für alttestamentliche und christliche Prophetie gleichermaßen. Das Ziel des Offenbarungsempfanges ist es, in verständlicher Weise, zumeist als Wort oder durch eine Symbolhandlung gestützt, eine klare Aussage im Namen Gottes weiterzugeben.

Die Propheten des Alten Testaments sprachen Worte, die eine Deutung der Vergangenheit, der Gegenwart oder auch der Zukunft beinhalteten. Einige Prophetenworte reichten weit über die Generation der ursprünglichen Adressaten hinaus. Man denke nur an die Verheißungen der Ausgießung des Geistes auf alles Fleisch bei Joel oder die Ankündigung des Erlösers und Friedensreiches bei Jesaja. Prophetie war nicht nur Vorhersage der Zukunft, sondern im Kern eine Botschaft für die Gegenwart, die mit einem Rückblick auf die Vergangenheit oder einem Ausblick auf die Zukunft verbunden war. Auch hierin ist eine Gemeinsamkeit mit neutestamentlicher Prophetie gegeben.

b. Weitergabe, Prüfung und Autorität

Alttestamentliche Propheten haben sehr detailliert Orte und Zeiten beschrieben, von denen sie nur durch Offenbarung und Beauftragung Gottes wissen konnten, was ihre Bevollmächtigung zeigte. Sie verwandten häufig die Botenformel »So spricht der Herr« und setzten ihre Botschaft dann in der Ich-Form fort. Von Haggai heißt es z.B.: »Da sprach Haggai, der Bote des Herrn, im Auftrag des Herrn zum Volk: ›Ich bin mit euch‹, spricht der Herr« (Haggai 1,13).

Ein alttestamentlicher Prophet ist jemand, der von Gott selber beauftragt ist (Jeremia 28,9), wohingegen falsche Propheten Worte sprechen, obwohl sie nicht von Gott gesandt und beauftragt wurden (Jeremia 29,9; Hesekiel 13,6). Die alttestamentlichen Propheten treten dem Volk oder auch Einzelpersonen gegenüber. Ihre Worte werden als direkte Worte Gottes empfangen und weitergegeben (2. Mose 4,12; 4. Mose 22,38; Jeremia 1,9; Hesekiel 2,7). Dementsprechend war Ungehorsam gegenüber dem Prophetenwort auch eine Missachtung des Redens Gottes. Wir finden aus diesem Grund im Alten Testament keinen vergleichbaren Aufruf zur allgemeinen Prüfung oder Deutung eines Prophetenwortes wie bei der neutestamentlichen Gemeinde. Im Alten Testament gab es nur ein »Ja« oder »Nein«. Wenn es sich um eine konkrete Prophezeiung für die nahe Zukunft handelte, konnte man sehen, ob diese auch so eintreten würde; wenn nicht, so war es nicht das...