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After love - AFTER 3 - Roman

Anna Todd

 

Verlag Heyne, 2015

ISBN 9783641162689 , 944 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

1

Tessa

»Dad?« Obwohl mir seine braunen Augen bekannt vorkommen, kann der Mann, der da vor mir steht, unmöglich mein Vater sein – oder?

»Tessie?« Seine Stimme klingt rauer als in meinen verblassten Erinnerungen.

Hardin dreht sich zu mir um und mustert erst mich und dann meinen Vater irritiert.

Mein Vater, hier, in diesem total heruntergekommenen Viertel. Seine Kleider strotzen vor Dreck.

»Tessie? Bist du das wirklich?«

Ich bin wie gelähmt und weiß nicht, was ich zu diesem Betrunkenen sagen soll, der das Gesicht meines Vaters hat.

Hardin legt mir eine Hand auf die Schulter, um mir irgendeine Reaktion zu entlocken. »Tessa …«

Ich mache einen Schritt auf den Fremden zu, und er lächelt erneut. Sein brauner Bart ist von silbernen Härchen durchzogen, und die Zähne, die er beim Lächeln entblößt, sind bei Weitem nicht mehr so weiß wie früher … Wie konnte das passieren? All meine Hoffnungen, dass er es schaffen würde, sich zu ändern, so wie Hardins Vater, sind auf einen Schlag dahin. Die Erkenntnis, dass dieser Mann tatsächlich mein Vater ist, bekümmert mich mehr, als ich erwartet hätte.

»Ja, ich bin’s«, sagt jemand, und es dauert einen Moment, bis mir klar wird, dass die Worte aus meinem Mund gekommen sind.

Er tritt zu mir und umarmt mich. »Ich glaub’s nicht! Du hier! Ich versuch schon seit einer Ewigkeit …«

Er bricht ab, weil mich Hardin von ihm wegzieht. Ich weiß nicht, wie ich mich verhalten soll, also lasse ich es einfach geschehen.

Der Unbekannte – mein Vater – blickt zwischen Hardin und mir hin und her, alarmiert und ungläubig zugleich. Aber er hat sich gleich wieder gefangen und bleibt auf Distanz, und ich bin froh darüber.

»Ich bin seit Monaten auf der Suche nach dir«, sagt er und wischt sich mit der Hand über die Stirn, wo ein grauer Streifen auf seiner Haut zurückbleibt.

Hardin ist im Verteidigungsmodus und schiebt sich zwischen uns. »Ich war die ganze Zeit über in der Stadt. Tja, und jetzt hast du mich gefunden«, sage ich leise, wobei ich über Hardins Schulter spähe. Ich bin ihm dankbar dafür, dass er mich beschützt. Erst jetzt wird mir bewusst, dass die Situation für ihn vollkommen verwirrend sein muss.

Mein Vater mustert ihn von Kopf bis Fuß. »Wow, Noah, du hast dich ganz schön verändert.«

»Das ist nicht Noah, sondern Hardin«, kläre ich ihn auf.

Er tritt ein, zwei Schritte zur Seite und schiebt sich an Hardin vorbei in meine Richtung. Wenn er mir so nahe ist wie jetzt, kann ich ihn riechen. Er hat eine Fahne. Wann immer er sich bewegt, spannt Hardin sämtliche Muskeln an.

Hardin und Noah sind so unterschiedlich wie Tag und Nacht, man kann sie gar nicht verwechseln. Wahrscheinlich ist der Alkohol schuld – mein Vater trinkt schon seit Jahren. Jetzt legt er mir einen Arm um die Schultern, und Hardin mustert mich fragend, aber ich schüttele kaum merklich den Kopf. Ich will nicht, dass er dazwischengeht.

»Hardin ist also dein …« Allmählich wird es mir unangenehm, dass der Arm meines Vaters noch immer auf meiner Schulter liegt. Hardin steht einfach nur da und sieht aus, als könnte er jeden Moment ausflippen – wenn auch nicht unbedingt vor Wut. Es kommt mir vor, als hätte er keine Ahnung, was er sagen oder tun soll.

Tja, willkommen im Club. »Hardin ist … äh … er ist mein …«

»… Freund. Ich bin ihr Freund«, beendet Hardin den Satz für mich.

Die Pupillen des Mannes weiten sich. Es scheint, als würde ihm Hardins Äußeres erst jetzt auffallen.

»Ich bin Richard. Schön, dich kennenzulernen, Hardin.« Er streckt Hardin die schmutzige Rechte hin.

»Äh, ja, gleichfalls«, stottert Hardin sichtlich verstört.

»Was treibt ihr zwei denn hier in dieser Gegend?«

Ich nutze die Gelegenheit, um mich von meinem Vater zu lösen und neben Hardin zu stellen, der sich wieder etwas gefangen hat und mich an sich zieht.

»Hardin wollte sich ein Tattoo stechen lassen«, antworte ich, ohne nachzudenken. Mein Hirn ist total überfordert mit der Situation.

»Ah … gut. Ich war auch schon mal in dem Laden.«

Ich muss daran denken, wie mein Vater früher, ehe er morgens aus dem Haus ging, Kaffee getrunken hat. Der Mann von damals sah komplett anders aus, redete anders und wäre definitiv nie auf die Idee gekommen, sich tätowieren zu lassen. Damals war ich noch seine kleine Prinzessin.

»Bei meinem Freund Tom, jawohl.«

Er schiebt den Ärmel seines Pullovers hoch, und ich erkenne einen Totenkopf auf seinem Unterarm. Es ist, als würde dieser Arm einem anderen gehören, aber je länger ich hinsehe, desto klarer wird, dass er tatsächlich der meines Vaters ist.

»Oh.« Mehr bringe ich nicht heraus.

Die Situation ist einfach zu schräg. Dieser Mann ist mein Vater, also der Mann, der meine Mutter und mich vor neun Jahren verlassen hat. Und jetzt steht er betrunken vor mir, und ich habe keine Ahnung, was ich von alldem halten soll.

Irgendwie freue ich mich, auch wenn ich es mir im Augenblick nicht eingestehen will. Insgeheim hatte ich immer die Hoffnung, dass ich ihn wiedersehen würde, seit meine Mutter mal erwähnt hat, dass er wieder in der Gegend ist. Ich weiß, es klingt albern – total verrückt eigentlich –, aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass es ihm besser geht. Er ist betrunken und vermutlich obdachlos, aber er hat mir gefehlt, und zwar mehr, als ich dachte. Vielleicht hatte er ja gerade nur eine schlechte Phase. Es steht mir nicht zu, mir über diesen Mann, über den ich so gut wie nichts weiß, ein Urteil zu bilden.

Ich betrachte ihn, und es kommt mir bizarr vor, dass auf der Straße um uns herum alles seinen gewohnten Gang geht. Als ich vorhin so unerwartet meinem Vater gegenüberstand, hätte ich schwören könnten, dass die Zeit stehen geblieben ist.

»Wo wohnst du?«, frage ich ihn.

Hardin mustert ihn misstrauisch und lässt ihn nicht aus den Augen, als wäre mein Vater ein gefährliches Raubtier.

»Ich hab gerade nichts Festes.« Mein Vater wischt sich mit dem Ärmel über die Stirn.

»Oh.«

»Ich habe bei Raymark gejobbt, aber sie haben mich entlassen.«

Ich erinnere mich dunkel daran, dass ich den Namen schon mal gehört habe. Raymark stellt irgendwas her. Mein Vater hat in einer Fabrik gearbeitet?

»Und was treibst du so? Wie lange haben wir uns nicht gesehen? Fünf Jahre?«

»Nein, neun«, erwidere ich und spüre, wie Hardin neben mir die Schultern strafft.

»Neun Jahre? Das tut mir leid, Tessie.« Er lallt kaum merklich.

Tessie. Dass er diesen Kosenamen verwendet, macht mich traurig. So hat er mich immer dann genannt, wenn alles gut war. Wenn er mich auf die Schultern gehoben hat und mit mir durch unseren kleinen Garten galoppiert ist. Damals, bevor er uns verlassen hat. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Mir ist zum Weinen zumute, weil ich ihn so lange nicht gesehen habe, und zugleich ist mir zum Lachen, weil wir uns ausgerechnet hier über den Weg gelaufen sind. Eigentlich habe ich Lust, ihn anzuschreien, weil er mich verlassen hat. Es ist verwirrend, ihn so zu sehen. Getrunken hat er auch früher schon, aber damals war er ein aggressiver Alkoholiker, keiner, der lächelt und seine Tätowierungen zeigt und dem Freund seiner Tochter die Hand schüttelt. Vielleicht ist er ja tatsächlich netter geworden …

»Ich glaube, wir sollten dann mal los«, sagt Hardin zu meinem Vater.

»Es tut mir wirklich leid, Theresa. Es war nicht nur meine Schuld. Deine Mutter … Na ja, du kennst sie ja«, verteidigt er sich. »Bitte, gib mir eine Chance.«

»Tessa …«, murmelt Hardin warnend.

»Moment, ja?«, sage ich, dann packe ich Hardin am Arm und stelle mich mit ihm ein paar Schritte abseits.

»Was zum Henker soll das werden? Du willst doch nicht etwa …?«

»Er ist mein Dad, Hardin.«

»Er ist ein obdachloser Alkoholiker, verflucht noch mal«, knurrt er verärgert.

Obwohl er recht hat, treiben mir seine Worte die Tränen in die Augen. »Ich habe ihn seit neun Jahren nicht gesehen.«

»Genau deshalb – weil er dich verlassen hat. Das ist doch bloß Zeitverschwendung, Tessa.« Er späht über meine Schulter hinweg zu meinem Vater.

»Mir egal. Ich will hören, was er mir zu sagen hat.«

Er schüttelt den Kopf, doch dann sagt er: »Okay, meinetwegen. Du hast ja hoffentlich nicht vor, ihn mit zu uns zu nehmen.«

»Wenn ich das will, dann werde ich es tun. Und wenn er mitkommen will, dann werde ich ihn mitnehmen. Es ist schließlich auch meine Wohnung«, zische ich und betrachte unauffällig meinen Vater, wie er dort steht, in seinen dreckigen Klamotten, und auf den Boden starrt. Wann hat er wohl zuletzt richtig gegessen oder in einem Bett geschlafen? Der Gedanke versetzt mir einen Stich.

»Du willst ihn doch nicht etwa ernsthaft mitnehmen zu uns, oder?« Hardin fährt sich entnervt durchs Haar … eine Geste, die ich nur allzu gut kenne.

»Nur für eine Nacht. Ich sage ja nicht, dass er bei uns einziehen soll. Wir könnten was kochen«, schlage ich vor. Mein Vater hebt den Kopf, und unsere...