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Geschichte der Welt 1350-1750 - Weltreiche und Weltmeere

Akira Iriye, Jürgen Osterhammel, Wolfgang Reinhard

 

Verlag Verlag C.H.Beck, 2014

ISBN 9783406641138 , 1008 Seiten

Format PDF, ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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36,99 EUR

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1. WELTEN UND WELTGESCHICHTE


Alle Geschichtskulturen schrieben schon immer die Geschichte ihrer ‹Welt›, sei es China oder die klassische Antike oder die Christenheit Europas. Die heutigen Geschichtskulturen hingegen sind immer noch diejenigen der alten und neuen Nationalstaaten und bringen demgemäß nationale ‹Weltbilder› hervor, derzeit etwa mit der modischen Produktion von nationalen ‹Erinnerungsorten›. Demgegenüber gibt es zwar schon lange den historiographischen Willen zur weiten Welt, der aber erst heute über ein solides realhistorisches Substrat verfügt, nämlich über eine weit gediehene wirtschaftliche, politische und kulturelle Einheit der Menschheit auf dem gesamten Erdball. Daher bezeichnet sich Weltgeschichte heute gern als ‹Globalgeschichte›.[1] Die historischen ‹Welten› mit ihren verschiedenen Geschichten können also höchst unterschiedlichen Umfang haben – von den Extremfällen eines vorgeschichtlichen Dorfes mit seiner Umwelt einerseits bis zur gesamten Erdoberfläche der Gegenwart andererseits.

Aus diesem Grund läge es nahe, ältere Weltgeschichte einfach als Weg zur heutigen Globalgeschichte zu schreiben. Denn obwohl zwischen 1350 und 1750 von einer Einheit der Menschheit noch nicht die Rede sein kann, fielen damals doch wichtige Vorentscheidungen für den Weg dorthin. Die ‹Alte Welt› entdeckte für sich eine bisher isoliert existierende ‹Neue Welt› im Westen und richtete einen zwar höchst risikoanfälligen, aber dennoch regelmäßigen Schiffsverkehr von ihrem eigenen Westende in Europa zu ihrem Ostende in Süd- und Ostasien ein. Die fünf verschiedenen ‹Welten›, die unsere Kapitel behandeln, blieben zwar noch getrennt; die ‹Atlantische Welt› entstand sogar erst in diesem Zeitraum. Aber sie begannen zu interagieren und ihre Interaktion steigerte sich in Richtung auf die ‹Eine Welt› von heute. In der Tat sind also die Geschichten unserer fünf Welten ‹Vorgeschichte› des globalen Heute und insofern wie jede Geschichte vom Interesse der jeweiligen Gegenwart an ihrer Vergangenheit getragen. Allerdings ist Geschichte als ‹Vorgeschichte› immer nur halbierte Geschichte, denn vergangene Welten existierten nach ihren eigenen Regeln aus eigenem Recht und wussten nichts davon, dass sie unter anderem auch ‹Vorgeschichte› der unsrigen zu sein hatten. Deswegen müssen Historiker sich einer derartigen einseitigen Reduktion aus der Sicht der Gegenwart versagen und stattdessen versuchen, die jeweiligen Vergangenheiten nach deren eigenen Bedingungen zu rekonstruieren. Denn wenn wir zurückblickend deren Geschichten auf unsere Gegenwart zulaufen sehen, erliegen wir einer perspektivischen Täuschung. Es handelt sich nämlich nicht um Teleologie, sondern um Akkumulation von Kontingenz, die irgendwann irreversibel wird. Aber diese Akkumulation erfolgt nicht linear, sondern in Schüben, wobei Zurückbildungen durchaus vorkommen können. Auf Gründung und Expansion von Reichen folgen Phasen des Niedergangs und Zerfalls, auf Expansion weltweiter Interaktion folgt Kontraktion. Weltreisen wie diejenigen Marco Polos oder Ibn Battutas, der zwischen Marokko und Ostasien 120.000 Kilometer zurückgelegt haben soll,[2] waren offenbar seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts nicht mehr möglich, weil sich weltweit Krisen häuften.

Doch wenn von ‹Expansion› die Rede ist, denken wir selbstverständlich an die europäische Expansion und stoßen damit auf ein Zentralproblem jeder heutigen Weltgeschichte, ihre unausweichliche eurozentrische Befangenheit, und zwar gleich in mehrfacher Hinsicht. (Dabei identifizieren wir der Einfachheit halber die ‹westliche Welt› mit Europa, indem wir ‹neue Europas› wie die USA oder Australien historiographisch kurzerhand mit dazuschlagen.) Erstens kommen wir nämlich nicht völlig ohne die erwähnte Perspektive der Vorgeschichte der Einen Welt aus. Denn weil sich nicht bestreiten lässt, dass entscheidende Impulse dieser Vorgeschichte von Europa ausgegangen sind, bleibt die Sache unabhängig von der Einstellung der Historiker in sich selbst eurozentrisch.[3] Mit der Offenlegung dieses Umstands beginnt der Eurozentrismus allerdings sich selbstkritisch zu dekonstruieren. In einem zweiten Schritt weist dieser ‹aufgeklärte Eurozentrismus› dann nach, wie viel Europas Entwicklung vor allem der jüdischen und der islamischen Welt zu verdanken hat und dass andere Kulturen auch später noch ihren eigenständigen Beitrag zur modernen Welt geleistet haben. Denn statt mit der reinen Ausbreitung der westlichen Moderne über den Erdball rechnen wir heute mit ‹vielfältiger Moderne›.[4] Schließlich versucht ‹aufgeklärter Eurozentrismus› mit einem dritten Schritt sogar sich selbst zu transzendieren, indem er von der historischen Nabelschau des Westens zu selbstbezüglichen Geschichten der Anderen übergehen möchte, obwohl er weiß, dass bereits die Formel ‹die Anderen› Bestandteil eines unvermeidlich eurozentrischen Diskurses ist.[5]

Zweitens ließe sich zwar bei diesem Schritt das verbleibende Problem des Eurozentrismus auf den ersten Blick dadurch beheben, dass die Geschichten der in unserem Zeitraum immer noch sehr verschiedenen Erdteile von Angehörigen der betreffenden Kulturen selbst geschrieben würden. Das ist offensichtlich derzeit noch nicht ohne weiteres möglich, aber es ist immerhin gelungen, Beiträger zu gewinnen, die durch langjährige intensive Beschäftigung mit den betreffenden Kulturen und dank der Beherrschung von deren Sprachen beinahe als ‹einheimisch› gelten dürfen. Drittens helfen aber weder Selbstkritik noch Perspektivenwechsel über einen basalen Eurozentrismus hinweg, der unserer Sprache und unserem Denken eingeschrieben ist. Viele weltgeschichtliche Phänomene lassen sich nämlich gar nicht anders als aus eurozentrischer Perspektive zur Sprache bringen. Das gilt bereits für den erwähnten Begriff ‹die Anderen› oder ‹die Nichteuropäer›, ebenso für ‹Entdeckung›, für ‹Neue Welt›, für ‹West-Indien›, für ‹Indianer› und erst recht für ‹Amerika›, das den Namen eines Amerigo Vespucci verewigt, der die ‹Neue Welt› als erster literarisch vermarktet hat. Aber auch alte Begriffe wie ‹Indien›, ‹Asien› und ‹Afrika› gehen auf europäische Ausweitung ursprünglich enger gefasster antiker geographischer Bezeichnungen zurück, während ‹Indonesien› und ‹Australien›, ‹Philippinen› und ‹Neuseeland‹ europäische Neuschöpfungen darstellen. Ortsnamen der Alten Welt kehren in der Neuen wieder, und zwar keineswegs immer mit dem Marker ‹Nieuw› Amsterdam oder ‹New› York. Oft sind europäische politische Verhältnisse sprachlich konserviert; auf den Landkarten von Australien und Neuseeland geben sich Fürstlichkeiten wie Victoria und Minister wie Wellington ein Stelldichein. Zwar wurde postkolonial Ceylon in Sri Lanka und Madras in Chennai verwandelt, aber derartige Operationen politischer Kosmetik sind praktisch nur in begrenztem Umfang möglich.

Über den sprachlichen Elementarbereich hinaus ist die Geschichtswissenschaft außerdem nicht nur in ihrer Methode, sondern auch in zentralen Bezugsgrößen westlichen Ursprungs und wird infolge der Übernahme des westlichen Bildungssystems durch die ehemaligen Kolonien dem Denken der Nichteuropäer nach wie vor weltweit verordnet. Während die politische Dekolonisation einigermaßen abgeschlossen und die ökonomische auf gutem Wege ist, habe die mentale oder kulturelle noch nicht einmal begonnen, behaupten postkolonialistische Theoretiker. Ein Europäer oder Amerikaner könnte oder konnte wenigstens bis vor kurzem eigene Geschichte schreiben, ohne den Rest der Welt auch nur zur Kenntnis zu nehmen, ein nichtwestlicher Historiker hingegen lande, was immer er schreiben wolle, unausweichlich beim modernen Nationalstaat europäischer Herkunft als Bezugsgröße, die sich auch in der postkolonialen Welt durchgesetzt habe und sich mittels Bildungssystem und Historiographie ständig neu legitimiere.[6] Vor allem aber ist er fast immer an den westlichen gregorianischen Kalender, an die Zählung der Jahre vor und nach Christi Geburt, allenfalls in einer säkularisierten Variante, und nicht selten sogar an die Epochengliederung der westlichen Historie gefesselt.

So folgt auch die aus wissenschaftspraktischen Gründen pragmatisch getroffene zeitliche Abgrenzung dieses Bandes – 1350 bis 1750 – zunächst einer Periodisierung der europäischen Historiographie. Sie entscheidet sich dabei für eine engere Spielart des ‹Alteuropa-Konzepts›, das im Extremfall die Zeit von der Verdorfung und Städtegründung des Hochmittelalters bis zur Industrialisierung als die ‹alteuropäische› Epoche der Geschichte betrachtet. Die Alternative wäre die sogenannte ‹Frühe Neuzeit› (1500 bis 1800) gewesen, die aber zur Erfassung weit zurückreichender langfristiger Prozesse in Europa und der Atlantischen Welt weniger geeignet ist. Selbstverständlich haben die beiden Eckdaten wie die meisten Periodisierungen...