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Die Blutritter - Historischer Roman

Robyn Young

 

Verlag Blanvalet, 2014

ISBN 9783641154714 , 768 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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8,99 EUR


 

2


Genuesisches Viertel, Akkon
13. Januar A. D. 1276

 

»Marco, so sag mir doch, was du vorhast!«

»Lass mich los, Luca«, zischte Marco, wobei er versuchte, die Hand des kleinen Jungen von seinem Arm zu lösen.

»Ich bin dein Bruder! Sag es mir!«

Im Nebenraum erklang ein gedämpftes Husten, dann drang eine zittrige Stimme durch die Sackleinwand, die als Tür diente. »Marco? Bist du das?«

»Ja, Mama«, rief der immer noch so leise wie möglich mit seinem Bruder ringende Marco.

»Wo warst du?«

»Arbeiten, Mama.«

Ein zufriedener Seufzer war zu hören. »Du bist ein guter Junge, Marco.« Die gekrächzten Worte endeten abrupt in einem Hustenanfall; einem qualvollen würgenden Röcheln, das beide Brüder zusammenzucken ließ.

Lucas braune, vor Angst und Entsetzen geweitete Augen wanderten zu der Öffnung in der Wand.

»Geh zu ihr und bring ihr Wasser«, drängte Marco ihn flüsternd. »Sie braucht dich!«

Luca zögerte unschlüssig, doch dann ging das Husten in rasselnde Atemzüge über, und er schöpfte neuen Mut.

Er starrte zu seinem Bruder hoch. »Ich sage es Vater!«

Marcos Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Er riss sich so unsanft von Luca los, dass der Junge zurücktaumelte. »Tu das«, fauchte er. »Aber du weißt selbst, dass er zu betrunken sein wird, um dir zuzuhören.« Er verstummte, sein Blick heftete sich auf das Objekt ihres Streites, das er in einer Faust hielt. Die scharfe Spitze des Dolches zeigte auf das Gesicht seines Bruders. Langsam ließ er die Waffe sinken und umklammerte den Griff so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten.

»Es geht um Sclavo, nicht wahr?«, piepste Luca ängstlich. »Du arbeitest wieder für ihn, obwohl du versprochen hast, es nie wieder zu tun. Du hast es versprochen

»Was bleibt mir denn anderes übrig?«, stieß Marco heiser hervor. »Wir sind Genueser. Weißt du, was das in dieser Stadt heißt? Es heißt, dass wir nichts wert sind. Die Venezianer, die Pisaner und der Rest dieser ganzen Bande haben uns alles genommen. Sclavo ist der Einzige, der mir noch Arbeit gibt.«

»Vater hat gesagt, wir würden nach Tyrus gehen. Er würde wieder arbeiten, wir sollten ihm helfen, und Mama würde wieder gesund werden.«

»Das sagt er schon, solange ich denken kann«, giftete Marco. »Und es ändert sich gar nichts.«

»Vielleicht doch irgendwann. Man kann nie wissen.«

»Ich glaube einfach nicht, dass du immer noch Vertrauen in ihn setzt.« Marco hatte Mühe, seine Stimme zu dämpfen. »Er kümmert sich um überhaupt nichts mehr – seit er die Bäckerei verloren hat, ist mit ihm nichts mehr anzufangen.«

»Das war nicht seine Schuld. Es war der Krieg.«

»Du bist zu jung, du weißt ja gar nicht, wovon du redest«, wies Marco ihn verbittert zurecht. »Ich war sechs, als der Krieg von St. Sabas zu Ende ging. Ich erinnere mich noch gut, wie es damals war. Vater hätte die Bäckerei aufgeben und mit den anderen nach Tyrus gehen können, um dort neu anzufangen. Aber er war zu stolz und zu halsstarrig; er gönnte den Venezianern diesen Triumph nicht, und deshalb ist er geblieben. Ich habe zugesehen, wie die Genueser nach und nach unser Viertel verließen und die Familien, die unser Brot kauften, immer weniger wurden.« Marcos Augen sprühten Feuer. »Am Ende konnte er es sich nicht mehr leisten, seinen Weizen ernten und das Korn in der Mühle mahlen zu lassen.«

Luca beobachtete seinen Bruder voller Sorge. So hatte er ihn noch nie erlebt. »Vielleicht geht es uns jetzt, wo die Genueser zurückkommen, bald besser.«

»Es wird Jahre dauern, bis sich unser Volk das, was zerstört wurde, wieder aufgebaut hat. Und Vater zeigt nicht mehr das geringste Interesse am Geschäft. Außer an seinem Wein und seinen Huren liegt ihm an gar nichts mehr!«

Luca presste die Hände gegen die Ohren, doch Marco ließ den Dolch fallen, packte die Handgelenke seines Bruders und zog seine Hände weg. Dann zerrte er Luca zum Fenster, fort von dem Eingang zum Nebenraum, wo der rasselnde Atem seiner Mutter den leisen, pfeifenden Geräuschen gewichen war, die sie im Schlaf von sich gab.

»Was glaubst du denn, wo das Geld, das er von der Familie unter uns bekommt, hingeht?«, fragte er böse. »Vater hat einen Teil unseres Hauses vermietet, damit er auch weiterhin in die Schänken gehen kann. Sieh der Wahrheit endlich ins Gesicht, Luca! Du und ich und Mama, wir müssen jetzt allein für uns sorgen.«

»Sclavo ist kein guter Mann«, schluchzte Luca. »Du bist beim letzten Mal mit Blut auf den Kleidern zurückgekommen, ich habe es gesehen! Und ich habe gesehen, wie dich die Leute anschauen. Sie haben Angst vor dir. Sie sagen, du tust schlimme Dinge.«

»Ich habe keine andere Wahl, Luca. Woher soll denn sonst unser Essen und die Medizin für Mama kommen?« Marco umschloss das Kinn seines Bruders mit der Hand, befeuchtete seinen Daumen und wischte einen Schmutzfleck von Lucas Wange. »Das ist das letzte Mal, dass ich einen Auftrag für Sclavo übernehme, das verspreche ich dir.«

»Das hast du schon einmal gesagt.«

»Diesmal ist alles anders. Sclavo zahlt mir so viel, dass wir uns für den Rest des Jahres keine Sorgen mehr machen müssen. Ich kann mich nach anderer Arbeit umsehen. Vielleicht werde ich bei den Docks beschäftigt. Oder auf dem Markt.«

Luca betrachtete den auf dem Boden liegenden Dolch argwöhnisch. »Du wirst irgendjemandem wehtun«, murmelte er.

Marco presste die Lippen zusammen. »Wenn ich das nicht tue, wird Mama den Winter nicht überstehen. Du musst mich gehen lassen, Luca. Und du darfst Vater nichts verraten. Tust du mir den Gefallen?« Als Luca zögerte, fügte Marco hinzu: »Mama zuliebe.«

Luca nickte langsam, und Marco rang sich ein beruhigendes Lächeln ab. Er gab seinen Bruder frei, stapfte über die roh gezimmerten Bodendielen und hob den Dolch auf. Dann griff er nach einem schäbigen Sack aus Segeltuch, der eine grobe Decke und einen Laib harten Brotes enthielt, und stopfte die Waffe hinein.

»Wie lange bleibst du weg?« Luca sah zu, wie sein Bruder den Sack verknotete. Ein kühler Wind, der nach Regen roch, wehte durch das Fenster hinter ihm in den Raum und ließ ihn erschauern. »Was soll ich machen, wenn es Mama schlechter geht?«

Marco hielt mit seiner Tätigkeit inne und warf seinem Bruder einen Blick zu. »Ich gehe zum Hafen. Aber ich weiß nicht, wie lange ich auf das Schiff warten muss. Vielleicht ein paar Tage, vielleicht auch länger.« Zum ersten Mal schwang Nervosität in seiner Stimme mit. »Es müsste bald eintreffen, das ist alles, was ich in Erfahrung bringen konnte.«

»Von was für einem Schiff sprichst du denn?«

Marco ging auf die Frage nicht ein. »Du weißt, wo Mamas Medizin ist. Wenn sie einen Anfall bekommt, flößt du sie ihr ein, das kannst du doch, oder?« Er trat zu seinem Bruder. »Sag ihr, ich wäre arbeiten. Vater kannst du dasselbe erzählen, wenn du willst, dann stellt er wenigstens keine Fragen.« Er umarmte Luca kurz, dann warf er sich den Sack über die Schulter und verließ den Raum.

Luca huschte in die Kammer seiner Mutter. Der Strohsack, auf dem die Kranke lag, nahm fast den gesamten Platz ein. Seine Mutter wirkte darauf so klein und zerbrechlich wie ein verletzter Vogel. Eine zerschlissene Decke war bis zu ihrem Kinn hochgezogen. Luca beugte sich über sie und fühlte ihr die Stirn. Nicht zu heiß und nicht zu kalt. Dann küsste er sie auf die pergamentdünne Wange, schlich geräuschlos aus der Kammer und schloss die Tür des angrenzenden Raumes hinter sich.

 

 

Ordenshaus Akkon

17. Januar A. D. 1276

 

Will Campbell stützte die Hände auf das Sims und spähte aus dem schmalen Fenster. Tief unter ihm brachen sich die Wellen krachend an den Felsen am Fuß des benachbarten Schatzturms, der von der Mauer des Ordenshauses aufragte. Will spürte, wie der Stein unter der Wucht des Aufpralls erzitterte. Vom blauen Mittelmeer wehte ein kalter Wind herüber, und er war dankbar für den dicken Mantel, den er über seinem Überwurf und seinem Hemd trug. Das Kreuz auf der Brust hob sich blutrot vom weißen Untergrund ab. Er erinnerte sich an Winter in Schottland, London und Paris, wo er seine Jugend verbracht hatte, die strenger gewesen waren als dieser hier. Aber nach acht Jahren im Heiligen Land hatte er sich an das mildere Klima gewöhnt und war von dem plötzlichen Temperatursturz überrascht worden.

Der Winter war hart gewesen; der kälteste seit vierzig Jahren, hieß es. Nördliche Winde fegten vom Meer herüber; pfiffen durch das steinerne Labyrinth von Kirchen, Palästen, Läden und Moscheen der Kreuzritterhauptstadt; wirbelten Unrat auf; zerrten an den Umhängen und Kapuzen der Männer und trieben ihnen Tränen in die Augen. Jetzt türmte sich das Eis, das sich reiche Edelleute im Sommer für teures Geld von den Gipfeln des Karmel-Gebirges herbeischaffen ließen, auf den Fenstersimsen und Türschwellen, und die Straßenkinder brachen sich die Eiszapfen ab, um daran zu lutschen. Im Außenhafen tanzten die Galeeren auf den Wellen; seit Wochen war kein Schiff mehr in den Hafen eingelaufen oder hatte ihn verlassen können. Die im Ordenshaus stationierten Ritter pflegten nun auf der zur Seeseite gelegenen Mauer Tag und Nacht Wachposten aufzustellen, die den sturmverdunkelten Horizont im Auge behielten und das Wetter verwünschten, während sie auf das lang ersehnte Schiff warteten, das ihren Großmeister zum ersten Mal seit seiner Ernennung vor über zwei Jahren an ihre Gestade bringen würde. Eine fiebrige, ungeduldige Erregung hatte von den...