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Die Täuferin - Der Bund der Freiheit. Historischer Roman

Jeremiah Pearson

 

Verlag Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2015

ISBN 9783732505982 , 704 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR

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2.

AUF DER ALTEN RÖMERSTRASSE INS DONAUTAL, WEIT SÜDLICH VON WIEN, IM UMSTRITTENEN GRENZGEBIET, ANNO DOMINI 1517

Lud

Marsch der Heiligen Befreiung – so nannten die Priester und Adligen die Reise. Lud erinnerte sich an andere Feldzüge, andere Namen. Die Heilige Interventionskampagne, die Ewige Herrlichkeit und wie sie alle geheißen hatten.

Lud bewegte sich leise und bedächtig über den Höhenrücken oberhalb der Armee, die unten auf der Straße schlief. Immer wieder hielt er inne, um zu lauschen und seine Umgebung zu beobachten, kaum seines Körpers gewahr oder der alten Narben, die in der Kühle der Nacht schmerzten. Seine Wahrnehmung war schärfer geworden in den drei Jahrzehnten seines Lebens, in denen er so oft in der Nähe des Todes gewesen war. Was das anging, war Lud wie ein wildes Tier, hellwach und ungezähmt. Er hörte einen Kauz rufen – einmal, zweimal, dreimal. Der Ruf blieb ohne Antwort.

Die schlafende Armee lag unter ihm ausgebreitet mit ihren Karren und Zelten. Lud dachte daran, wie überheblich sie losmarschiert waren. Die Streitmacht von sechstausend Mann war mit großem Trara aus Würzburg losgezogen, voller Siegesgewissheit. Lud starrte von seinem Aussichtspunkt über einem felsigen Steilhang auf die Armee hinunter. Hier und da durchstach das Licht einer einzelnen Laterne oder eines erlöschenden Lagerfeuers die Dunkelheit. Die Nachtwache war voller schwarzer Löcher.

Sie liegt da wie ein Betrunkener, ging es Lud durch den Kopf, die Kehle ungeschützt, sodass man sie blitzschnell aufschlitzen kann.

Lud war ein einfacher Sergeant, ein Waffenmeister, unter dessen Befehl zwölf Spießträger standen, doch in dieser Nacht waren zwei seiner Jungen auf Horchposten, und er musste wissen, wie die Lage war.

Sein Ritter, der Herr Dietrich, hatte Lud hinausgeschickt, damit er ihm einen morgendlichen Bericht ablieferte. »Wir sind seit Wochen unterwegs«, hatte Dietrich gesagt. »Noch immer gibt es keine Spur von den Türken, und Erschöpfung schläfert die Aufmerksamkeit ein. Es ist die gefährlichste Zeit für Männer auf Posten, hier draußen, entlang der Grenze, wenn alle ermattet sind vom ständigen Marschieren und benommen von der Gleichförmigkeit der Tage.«

Die Männer marschierten durch das Land und zerstörten alles auf ihrem Weg, bis sie Befehl erhielten, umzukehren und nach Hause zu gehen. Die ganze Zeit bestand die Gefahr eines Angriffs durch die Türken. Der Streit zwischen Habsburgern und Türken schwelte schon länger, als irgendein lebender Mensch sich erinnern konnte. Je tiefer sie in feindliches Gebiet vordrangen, desto mehr war mit einen Angriff der Türken zu rechnen. Da half nur ständige Wachsamkeit.

Während Lud seinen Weg entlang des Hügelkammes fortsetzte, suchte er beständig das Lager ab und prägte sich die größten Lücken in der Aufstellung der Wachposten ein. Es war gut, sich mit dieser Aufgabe zu beschäftigen. Dann konnten einem keine störenden Gedanken die Zeit stehlen – nicht, wenn so viele Leben auf dem Spiel standen. Die Dunkelheit war Luds Freund. Er hatte das Kundschaften gelernt, als er dem Knabenalter gerade erst entwachsen war – durch die nächtliche Jagd, wenn Geduld und Geistesgegenwart im Wettstreit mit der Schnelligkeit und Kraft der Tiere standen.

Die rechte Hand griffbereit auf der Parierstange seines Schwertes, lauschte Lud dem Läuten der Mitternachtswache. Zwölf Schläge. Unter seinem gesteppten Umhang sammelte sich Schweiß. Er kratzte sich an den Rippen und unter den Armen. Der Kettenpanzer rieb und juckte an den Stellen, wo die Flöhe saßen und sich satt fraßen. Lud vermisste die schlichte Arbeitskleidung von zu Hause, das derb gewebte Hemd aus Flachs. Wenigstens hatte er seine kurze Wollhose mitgenommen und seine einfachen alten Bundschuhe aus Rohleder. Keine Stiefel. Ritter und Soldaten trugen Stiefel, nicht aber Männer wie er.

Die Wolken rissen auf, und eine Flut von Sternenlicht ergoss sich über das Land. Lud erstarrte inmitten der milchig weißen Felsen und wartete. Als er die Sterne sehen konnte, stellte er fest, dass sie die gleichen Muster bildeten wie zu Hause: ein riesiges Rad aus winzigen Punkten, das sich ganz langsam über ihm drehte. Doch das Land hier unten war fremd. Fremd und gefährlich.

Unten an der Straße standen die Zelte der Magistrate und Edlen. Die Laternen schimmerten durch die derb gewebten Wände. Lud wusste, dass die hohen Herren noch auf waren und Wein tranken.

Wie viele von ihnen könnte ich töten, bevor sie erkennen, wer ich bin?

Er hörte den Schrei einer Frau. Wahrscheinlich machte einer der Magistrate sich über eines der Mädchen her, die sie in den niedergebrannten Dörfern gefangen genommen hatten. Die Bewohner versuchten ihre Vorräte zu verstecken und ihre Töchter zu verbergen. Als Vorwand für die Gräuel und Plünderungen – falls überhaupt Ausreden erforderlich waren – wurden die Dörfler verhört, gefoltert und wegen Spitzeln, Mohammedanismus oder Satansanbetung hingerichtet. Das Ziel war, alles zu vernichten, was der Streitmacht in den Weg geriet.

Lud beteiligte sich nicht an den Gräueln. Er war Sergeant. Aber so war nun mal das Leben in der Armee, war es immer gewesen. Der Geist stumpfte ab, während der Körper seinen Dienst leistete.

Über ihm zogen Wolken dahin und verdeckten den Sternenhimmel. Nebel senkte sich ins Tal und über die Straße.

Ein guter Zeitpunkt, um weiterzugehen.

Im Schutz der tiefen Dunkelheit umrundete Lud das vordere Ende des Feldlagers, wo die Hügelkette sich absenkte. Verstohlen näherte er sich den flackernden Rändern des rauchenden Lagerfeuers. Schlüpfte durch den Dunst und behielt die nur verschwommen erkennbaren Gesichter der müden Wachposten im Auge, die auf allem saßen oder lehnten, was sich dazu benutzen ließ.

Ihr Narren. Seht ihr mich denn nicht?

Sobald sie die Köpfe in seine Richtung drehten, erstarrte Lud zur Reglosigkeit. Blickten sie in eine andere Richtung, huschte er weiter. Es war kinderleicht.

Römische Sklaven, so hatte man ihm erzählt, hätten diese Straße erbaut, vor mehr als tausend Jahren. Die Namen der geplünderten und niedergebrannten Dörfer klangen fremd, das gesamte Tal der Donau hinunter. Das Weinen der Kinder und Frauen jedoch klang immer gleich, genau wie die Schreie, die hin und wieder aus den Zelten der Magistrate drangen und bald darauf verstummten.

Denk nicht daran. Es ist nicht deine Sache, das zu begreifen. Du musst nur gehorchen. Gedanken, die dich quälen und dich von deiner Aufgabe ablenken, zählen nicht.

Bei Tag kroch die Armee über die Straße aus geborstenen Steinen wie eine gigantische, mit Eisen und Stahl gespickte Schnecke. Spießträger und Kanonen, Kavallerie und Karren, alles fein säuberlich nach Rängen geordnet, wirbelten dichten gelben Staub auf, der den Tross einhüllte, diesen zerlumpten, wilden Haufen der nachfolgenden Marketender und Lagerbummler und Huren, und ihn vor fremden Blicken verbarg.

Hinter der Riesenschnecke blieb eine Schleimspur aus Tod und Verwüstung, Ruinen und verbrannten Dörfern zurück. Wohin die Kreatur auch kam, sie fraß alles. Rauchsäulen stiegen in den Himmel, und der Schein der Feuer hinter ihr war in Nächten weithin sichtbar. Der Feind musste nur den Blick zum Horizont heben, um diese Fanale des Schreckens zu entdecken. Oder den riesigen Heerwurm, wenn sie einen Blick nach hinten warfen.

Lud kletterte über einen weiteren Kamm und sah in einiger Entfernung einen Lichtschein, ein stumpfes, schwaches Orange wie ein schwelendes Lagerfeuer.

Dann wurde ihm klar, dass der Horchposten, nach dem er suchte, direkt vor ihm sein musste. Im letzten Licht der Abenddämmerung hatte Lud dort zwei seiner Leute postiert und sich die Lage des Felsens und eines großen, umgestürzten Eichenstammes eingeprägt, sodass er den Posten auch in der Dunkelheit wiederfinden konnte.

Haltet die Augen offen, Männer, jetzt komme ich.

Hoffentlich bemerkten sie ihn. Aber er würde ihnen nicht dabei helfen, indem er absichtlich Geräusche machte. Er bewegte sich blind, nur nach der Erinnerung, an den Felsen vorbei, die jetzt als dunkle Schatten erschienen.

Da seid ihr ja. Ich sehe euch. Seht ihr mich auch? Hört ihr mich?

Vor einem helleren, undeutlichen Hintergrund sah Lud zwei dunkle Gestalten – die eine groß, die andere klein – auf dem umgestürzten Baumstamm sitzen. Sie stützten sich auf ihre Spieße. Verblüfft stellte er fest, dass er ihre jungen Stimmen hören konnte.

»Sie verschwindet hinter den Bergen im Westen.«

»Die Berge erheben sich, um sie zu verbergen?«

»Berge bewegen sich nicht, Dummkopf.«

»Nenn mich nicht Dummkopf! Am Morgen geht die Sonne im Osten auf. Wie kommt sie in der Nacht von Westen auf die andere Seite?«

Luds Gesicht brannte vor Scham. Schweigen war die wichtigste Verhaltensregel auf Horchposten. Die schrille Stimme des Fragers gehörte Kaspar, seinem jüngsten Spießbuben, dem Lud seinen alten abgelegten Brustpanzer zum Tragen gegeben hatte. Die tiefere Stimme war die von Götz, den alle spöttisch »Kleiner Götz« nannten wegen seiner großen, schlaksigen Gestalt. Lud hatte die beiden gemeinsam zur Wache eingeteilt in der Hoffnung, Kaspar würde Führungseigenschaften entwickeln. Doch wie alle zwölf Männer Luds waren sie zu jung; außerdem war es ihr erster Feldzug. Kaspar war gerade fünfzehn und der Kleine Götz noch keine siebzehn.

»Die Sonne schwimmt durchs Meer«, sagte Kaspar mit seiner hohen Stimme. »Die Priester sagen, Gott hat es so eingerichtet.«

»Müsste das Meer denn nicht das...