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Rückkehr nach Mandalay - Roman

Juliet Hall

 

Verlag Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2015

ISBN 9783732507030 , 543 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR

Für Firmen: Nutzung über Internet und Intranet (ab 2 Exemplaren) freigegeben

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1. Kapitel


Könnten Sie kurz ins Büro kommen, Eva?« Jacqui Dryden klang wie immer kühl und leicht gereizt.

Eva kniete gerade vor einer viktorianischen Frisierkommode, um den Federmechanismus einer winzigen Schublade in der Verkleidung zu reparieren. Sie richtete sich auf. Autsch! Sie rieb sich den Rücken mit dem Handballen. Sie war völlig in diese knifflige Arbeit versunken gewesen und hatte gar nicht gemerkt, wie lange sie schon in dieser Stellung verharrt hatte.

»Ich komme gleich!«, rief sie zurück und berührte die Platte des Nussbaum-Frisiertisches kurz mit den Fingerspitzen, als wolle sie ihm versprechen, schnell zurück zu sein.

Jacqui Dryden stand vor dem großen Erkerfenster und sah auf die Straße hinunter. Es war ein Donnerstagnachmittag Ende Oktober, und im Zentrum von Bristol ging es so geschäftig zu wie immer. Das Bristol Antiques Emporium war in einer guten Lage angesiedelt. Es lag in einer Seitenstraße, wo die Mieten niedriger waren, es aber immer noch genug originelle Läden gab, um Passanten anzuziehen. Vintage war Mode, das Geschäft lief gut, und Evas Chefin hätte glücklich sein müssen. Doch so, wie sie aussah, war das Gegenteil der Fall. Ihr Make-up war zwar so makellos wie immer, aber in ihren blauen Augen lag ein Ausdruck der Verzweiflung, den Eva noch nie bei Jacqui gesehen hatte. Konnte das etwas mit dem lauten Wortwechsel zu tun haben, den sie heute Morgen aus dem Büro gehört hatte?

»Kommen Sie herein.« Jacqui wandte sich ihr zu, der verzweifelte Ausdruck verschwand, und Eva registrierte, wie Jacqui sie musterte. Das war die Art ihrer Chefin. Sie war knapp einen Meter sechzig groß und blond und besaß perfekte Formen. In ihrer Gesellschaft fühlte Eva sich grundsätzlich unbehaglich, denn sie kam sich unbeholfen und zu groß vor. An dieses Gefühl war sie nicht gewöhnt. Sie wischte sich Sägemehl von den Jeans. Auch ihre Hände waren schmutzig, und sie bemerkte, dass sie einen Splitter im Daumen hatte. Wegen des Jobs hielt sie ihre Fingernägel kurz und trug bei der Arbeit Jeans, ein T-Shirt und alte Chucks. Ihr widerspenstiges dunkles Haar fasste sie zu einem Pferdeschwanz zusammen, damit es nicht im Weg war. Sie konnte sich vorstellen, wie Jacqui sie wahrnahm, und ahnte, was sie dachte. Der Anblick, den sie bot, war nicht gerade glamourös. Aber sie war hier bei der Arbeit, und Eva genoss es, sich mit Haut und Haar hineinzustürzen.

Jacqui bot ihr keinen Platz an und lächelte nicht einmal. In den letzten Monaten hatte Eva sich häufiger versucht gefühlt, einmal kräftig gegen die harte Schale ihrer Chefin zu klopfen, damit diese ein paar Risse bekam und sie einen Blick dahinter werfen konnte. Aber sie hatte es nicht riskiert – noch nicht.

»Ich habe einen Auftrag für Sie. Sie müssten allerdings auf Reisen gehen«, erklärte Jacqui ohne lange Vorrede.

»Auf Reisen gehen?«, wiederholte Eva. Das war etwas ganz Neues. »Um was für eine Art Auftrag handelt es sich denn?«

Sie arbeitete jetzt seit sechs Monaten im Emporium. Der Job hatte sie gereizt, weil die Firma vor allem mit Antiquitäten aus Asien handelte. Dank ihres Großvaters hatte sie sich als Kind in Holz und in Geschichte verliebt; beides lag ihr im Blut. Mit neunzehn hatte sie ihr Elternhaus verlassen – ein Zuhause, das zerbrochen war, als Eva sechs Jahre alt war und ihr Vater gestorben war. Von Dorset war sie nach Bristol an die Universität gegangen, wo sie angewandte Kunst studiert und gelernt hatte, wie man antike Möbel restauriert. Ihr Schwerpunkt waren asiatische Artefakte gewesen. Auch das hatte sie ihrem Großvater zu verdanken. Sechzehn Jahre war das jetzt her. Und es gab noch so viele andere Dinge, für die sie ihm dankbar sein musste, dachte Eva.

Jacqui beantwortete die Frage nicht. Auch Leon, ihr Lebens- und Geschäftspartner, hatte heute Morgen ihre Fragen nicht beantwortet. »Warum interessiert dich das? Sag mir, was los ist«, hatte Jacqui verlangt. »Sonst gehe ich sofort.« Doch Leon hatte nicht geantwortet, also war Jacqui gegangen. Sie war in ihrem Bleistiftrock und ihren Stilettos aus dem Büro marschiert, direkt an Eva vorbei, die damit beschäftigt war, eine antike japanische Schwertscheide zu reparieren, und getan hatte, als hätte sie nichts gehört.

»Wie Sie wissen«, erklärte Jacqui Eva nun, »verkaufen sich unsere asiatischen Stücke momentan sehr gut.«

»Ja.« Natürlich war ihr das aufgefallen. Die Firma expandierte in diesem Bereich, und bald würden viktorianische Nussbaum-Frisiertische vielleicht auch in geschäftlicher Hinsicht der Vergangenheit angehören. Viele Länder öffneten sich stärker als je zuvor, und die im Fernen Osten wussten durchaus Profit zu schlagen aus dem wachsenden internationalen Interesse an ihren Möbeln aus der Kolonialzeit, einem Erbe vergangener Zeiten, und auch an ihren kulturellen und religiösen Artefakten, ihren alten Steinbuddhas zum Beispiel. Eva hatte einige davon im Emporium gesehen. Oft waren die Statuen so schwer verwittert, dass sie zweifellos von einem örtlichen Bildhauer neue hatten anfertigen lassen. Das Bristol Antiques Emporium hatte keine Zeit vergeudet und war lukrative Partnerschaften mit Händlern im Fernen Osten eingegangen, die verkaufen wollten.

»Aber es gibt Probleme.« Jacqui steckte eine feine blonde Haarsträhne zurück, die es gewagt hatte, aus dem Chignon im Stil der Fünfzigerjahre zu entwischen, zu dem sie ihr Haar am liebsten knotete. »Zuerst einmal kommt zu viel Ware schwer beschädigt an.«

»Was sich sicherlich vermeiden ließe«, ergänzte Eva, denn sie war meist diejenige, die diese Schäden wieder reparieren musste. Sie hatte in der Hoffnung beim Emporium angefangen, die in ihrem Studium erworbenen Fachkenntnisse anwenden zu können. Aber sie hatte sich wieder einmal geirrt. Ihr Abschluss lag jetzt dreizehn Jahre zurück, aber keiner ihrer bisherigen Jobs hatte ihre Erwartungen so ganz erfüllt. Sie hatte in einem Secondhand-Möbelshop für einen Mann gearbeitet, der darauf spezialisiert war, bei alten Damen ohne Voranmeldung und mit dem ausdrücklichen Vorsatz aufzutauchen, ihnen ihre Erbstücke abzuschwatzen, wobei am besten so wenig Geld wie möglich den Besitzer wechselte. Schließlich hatte Eva förmlich spüren können, wie sein selbstgefälliges Lächeln sie innerlich zerfraß. Sie hatte in einem Museumsshop gearbeitet, wo sie ihre Freundin Leanne kennengelernt hatte. Und über ein Jahr lang hatte sie als Näherin bei einer Firma gearbeitet, die Vintage-Ausstattungen für Hochzeiten verlieh. Dieses Mal – das hatte sie gehofft – würde ihre Karriere sich in die gewünschte Richtung entwickeln.

Aber die tatsächliche Arbeit im Emporium hatte sich als weitere Enttäuschung erwiesen. Die meiste Zeit verbrachte sie mit gewöhnlichen Reparaturarbeiten, Saubermachen, Auspacken, und oft musste sie auch Kunden bedienen. Es hätte eine beide Seiten zufriedenstellende Verbindung sein können, aber das Bristol Antiques Emporium hatte zu wenig Personal. Abgesehen von Jacqui und Leon gab es nur noch Lydia, die in Teilzeit oben im Ausstellungsraum für die Antiquitäten arbeitete, und Eva, die so ungefähr alles andere übernahm.

»Ja, aber nur, wenn wir eine Möglichkeit finden, das zu vermeiden.« Jacqui runzelte die Stirn.

»Könnten unsere Kontaktleute die Verpackung nicht vor dem Versand überprüfen?«, fragte Eva vorsichtig. In vielen Ländern wurden die Waren schlecht verpackt. Oft waren sie nur mit zerknülltem Zeitungspapier geschützt. Diese Leute schienen keinen Begriff davon zu haben, wie empfindlich einige der filigraneren Teile waren.

»Ja, ja.« Jacqui tat ihren Vorschlag mit einer Bewegung ihrer manikürten Hand ab. »Unser Kontakt ist auf einige ungewöhnliche Stücke gestoßen, an denen wir vielleicht interessiert sein könnten.«

»Ungewöhnliche Stücke?« Evas Interesse war geweckt.

»Statuetten, Holzmobiliar aus dem achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert – einiges davon sogar älter. Einzigartig, ursprünglich und genau das, wonach wir suchen.« Sekundenlang leuchteten ihre Augen vor Begeisterung auf. »Aber …« Sie zögerte. »… ich vertraue unserem Kontakt dort nicht vollständig.« Jacqui blickte Eva an, um zu sehen, wie sie reagierte.

Eva zuckte mit den Schultern. Sie brauchte nicht zu fragen, warum. Erstens hatte sie in sechs Monaten Arbeit für Jacqui Dryden gelernt, dass ihre Chefin selten jemandem vertraute – wenn sie es genau betrachtete, wahrscheinlich nicht einmal Leon. Und zweitens war sie sich des Umstands bewusst, dass viele ihrer Kontaktleute im Fernen Osten ihre eigenen Ziele verfolgten. Warum sollten sie ihren Abnehmern in Übersee gegenüber loyal sein? Warum sollten sie nicht zuerst an ihre eigenen Familien, ihre eigenen Länder denken, nachdem so viele von ihnen so lange in Armut gelebt hatten?

»Die Herkunft klingt mehr als plausibel«, erklärte Jacqui ihr. »Aber sie muss authentifiziert werden.«

»Oh, ich verstehe.« Eva spürte, wie eine kribbelnde Vorfreude in ihr aufstieg. Deswegen war sie zu dieser Firma gegangen. Es ging ihr um Authentifizierung, Restauration, ja darum, die Geschichte wiederzuerleben. Und reisen. Das war eine unerwartete Zugabe. Nach dem unerfreulichen Monat, den sie hinter sich hatte, klang es, als wäre dieser Auftrag genau das, was sie brauchte.

»Das könnten Sie doch, oder?«

»Selbstverständlich.« Das war, was sie gelernt hatte. Und diese Reise würde ihr die Chance bieten, zu zeigen, was sie konnte.

Jacqui runzelte erneut die Stirn. »Sie hätten nichts dagegen, allein zu reisen?«

...