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Verschlüsselte Wahrheit - Inspector Rebus 5 - Kriminalroman

Ian Rankin

 

Verlag Goldmann, 2014

ISBN 9783641113988

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

2


Am Montagmorgen ging das Gerücht durch die Polizeiwache St. Leonard’s, dass Inspector John Rebus in noch üblerer Laune wäre als gewöhnlich. Einige konnten sich das kaum vorstellen und wären beinahe so weit gegangen, sich in seine Nähe zu wagen, um sich mit eigenen Augen davon zu überzeugen … aber auch nur beinahe.

Andere hatten gar keine andere Wahl.

DS Brian Holmes und DC Siobhan Clarke, die sich mit Rebus im abgetrennten Teil des Kripobüros einen Raum teilten, sahen aus, als säßen sie auf rohen Eiern.

»Also«, sagte Rebus, »was ist mit Rory Kontoul?«

»Er ist aus dem Krankenhaus entlassen worden, Sir«, antwortete Siobhan Clarke.

Rebus nickte ungeduldig. Er wartete nur darauf, dass sie einen Fehler machte. Und zwar nicht deshalb, weil sie Engländerin war oder studiert hatte oder reiche Eltern besaß, die ihr eine Wohnung in der New Town gekauft hatten. Auch nicht, weil sie eine Frau war. Es war einfach Rebus’ Art, mit jungen Beamten umzugehen.

»Und er redet immer noch nicht«, sagte Holmes. »Er will nicht sagen, was passiert ist, und ganz bestimmt wird er keine Anklage erheben.«

Brian Holmes sah müde aus. Rebus konnte das aus den Augenwinkeln erkennen. Er wollte Holmes nicht in die Augen blicken, wollte nicht, dass Holmes merkte, dass sie nun etwas gemein hatten.

Beide waren von ihren Freundinnen rausgeschmissen worden.

Bei Holmes war es vor etwas mehr als einem Monat passiert. Wie Holmes später gestand, nachdem er zu einer Tante nach Barnton gezogen war, hatte sich der ganze Streit an der Kinderfrage entzündet. Ihm war nicht klar gewesen, wie sehr Nell sich ein Baby wünschte, und er hatte angefangen, darüber Witze zu machen. Eines Tages war sie dann explodiert und hatte ihn unter den Augen fast aller Nachbarinnen ihres Bergarbeiterdorfs vor die Tür gesetzt. Angeblich hatten die Frauen applaudiert, als Holmes sich aus dem Staub machte.

Nun arbeitete er noch härter als vorher. (Das war auch einer der Streitpunkte zwischen den beiden gewesen. Sie hatte ziemlich regelmäßige Arbeitszeiten, seine waren alles andere als das.) Er erinnerte Rebus an eine durchgescheuerte und völlig ausgeblichene Arbeitsjeans, die sich rapide dem Ende ihres Daseins näherte.

»Was wollen Sie damit sagen?«, fragte Rebus.

»Ich will damit sagen, dass wir die Angelegenheit meiner Meinung nach auf sich beruhen lassen sollten, Sir, bei allem Respekt.«

»›Bei allem Respekt‹, Brian? Das sagen die Leute, wenn sie in Wirklichkeit meinen ›du verdammter Idiot‹.« Rebus sah Holmes immer noch nicht an, doch er konnte spüren, wie der junge Mann rot wurde. Clarke blickte auf ihren Schoß.

»Jetzt hört mir mal zu«, begann Rebus. »Dieser Typ schleppt sich mit einer fünf Zentimeter langen, klaffenden Wunde im Bauch ein paar hundert Meter über die Straße. Warum?« Keine Antwort. »Warum«, fuhr Rebus fort, »geht er an einem Dutzend Läden vorbei und hält bei dem seines Cousins an?«

»Vielleicht wollte er zu einem Arzt, konnte aber nicht mehr weiter«, schlug Clarke vor.

»Vielleicht«, meinte Rebus wegwerfend. »Nur merkwürdig, dass er es bis in den Laden seines Cousins geschafft hat.«

»Sie glauben, es hat was mit dem Cousin zu tun, Sir?«

»Jetzt will ich euch mal was anderes fragen.« Rebus stand auf, ging einige Schritte auf und ab und bemerkte, wie Holmes und Clarke einen kurzen Blick tauschten. Das machte Rebus nachdenklich. Zunächst waren zwischen den beiden die Fetzen geflogen. Doch nun arbeiteten sie gut zusammen. Er hoffte nur, dass die Beziehung nicht darüber hinausging. »Ich möchte euch Folgendes fragen«, sagte er. »Was wissen wir über das Opfer?«

»Nicht viel«, antwortete Holmes.

»Er wohnt in Dalkeith«, erklärte Clarke. »Arbeitet dort als Labortechniker im Krankenhaus. Verheiratet, ein Sohn.« Sie zuckte die Schultern.

»Das ist alles?«, fragte Rebus.

»Das ist alles, Sir.«

»Genau«, sagte Rebus. »Er ist niemand, ein Nichts. Keine einzige Person, mit der wir geredet haben, wusste ein schlechtes Wort über ihn zu sagen. Also erklärt mir eines: Wieso wird so jemand niedergestochen? Und das am helllichten Mittwochmorgen? Wenn es ein Straßenräuber gewesen wäre, hätte er uns das bestimmt erzählt. Doch stattdessen ist sein Mund so fest verschlossen wie das Portemonnaie eines Aberdeeners bei der Kirchenkollekte. Er hat etwas zu verbergen. Weiß der liebe Himmel, was, aber es hat was mit einem Auto zu tun.«

»Wie kommen Sie denn darauf, Sir?«

»Die Blutspur beginnt am Bordstein, Holmes. Das sieht für mich so aus, als wär er aus einem Auto gestiegen und da bereits verletzt gewesen.«

»Er hat zwar einen Führerschein, Sir, besitzt aber zurzeit kein Auto.«

»Kluges Mädchen, Clarke.« Sie zuckte bei »Mädchen« zusammen, doch Rebus sprach bereits weiter. »Und er hatte sich einen halben Tag freigenommen, ohne seiner Frau etwas davon zu sagen.« Er setzte sich wieder hin. »Warum denn bloß? Ich möchte, dass ihr beide ihn euch noch mal vorknöpft. Sagt ihm, wir sind nicht glücklich über sein Schweigen. Wenn ihm keine Geschichte einfällt, rücken wir ihm so lange auf den Pelz, bis er mit einer rausrückt. Und lasst ihn wissen, dass wir es ernst meinen.« Rebus zögerte. »Und danach überprüft ihr den Metzger.«

»Zack, zack, Sir«, bemerkte Holmes. Das Klingeln des Telefons rettete ihn. Rebus nahm den Hörer ab. Vielleicht war es ja Patience.

»DI Rebus.«

»John, können Sie bitte in mein Büro kommen?«

Es war nicht Patience, sondern der Chief Super. »In zwei Minuten, Sir«, erwiderte Rebus und legte den Hörer auf. Dann, zu Holmes und Clarke gewandt: »Setzt euch in Bewegung.«

»Ja, Sir.«

»Sie meinen, ich mache zu viel Wind um die Sache, Brian?«

»Ja, Sir.«

»Na ja, vielleicht tue ich das ja tatsächlich. Aber ich mag keine Rätsel, egal, wie unbedeutend. Also zieht Leine und befriedigt meine Neugier.«

Im Aufstehen deutete Holmes auf den großen Koffer, den Rebus hinter seinem Schreibtisch verstaut hatte, in der Hoffnung, dass ihn niemand sehen würde. »Sollte ich was darüber wissen?«

»Ja«, sagte Rebus. »Darin bewahre ich meine ganzen Schmiergelder auf. Ihre haben wahrscheinlich noch in der Gesäßtasche Platz.« Holmes machte keinerlei Anstalten, sich von der Stelle zu rühren, obwohl Clarke sich bereits an ihren Schreibtisch zurückgezogen hatte. »Ich gehöre jetzt auch zum Klub derer, die kein Zuhause haben.« Holmes’ Miene wurde lebhafter. »Kein Sterbenswörtchen, verstanden. Das bleibt unter uns.«

»Verstanden.« Holmes fiel etwas ein. »Wissen Sie, ich gehe jetzt fast jeden Abend zum Essen ins Heartbreak Café …«

»Dann weiß ich ja, wo ich Sie finden kann, wenn mir danach zumute ist, den frühen Elvis zu hören.«

Holmes nickte. »Auch den Las-Vegas-Elvis. Ich meinte ja nur, wenn ich irgendwas tun kann …«

»Als Erstes könnten Sie mal kurz in meine Haut schlüpfen und sich zu Farmer Watson begeben.«

Doch Holmes schüttelte den Kopf. »Ich hatte da eher an etwas Zumutbares gedacht.«

 

Etwas Zumutbares. Rebus fragte sich, ob es zumutbar war, von den Studenten zu verlangen, ihn auf dem Sofa schlafen zu lassen, während sein Bruder in der Abstellkammer nächtigte. Vielleicht sollte er ihnen anbieten, die Miete zu senken. Als er am Freitagabend unangekündigt in der Wohnung aufgetaucht war, hatten drei der Studenten mit Michael auf dem Fußboden gesessen, Joints gedreht und sich eine Rolling-Stones-Platte aus der mittleren Phase angehört. Rebus starrte entsetzt auf die Zigarettenblättchen in Michaels Hand.

»Verdammt noch mal, Mickey!« Also hatte Michael Rebus seinem Bruder endlich eine Reaktion entlockt. Die Studenten hatten zumindest den Anstand, wie auf frischer Tat ertappte Verbrecher auszusehen. »Ihr könnt von Glück sagen«, erklärte Rebus ihnen, »dass mir genau in diesem Augenblick alles scheißegal ist.«

»Na komm schon, John«, meinte Michael und bot ihm eine halb aufgerauchte Zigarette an. »Das bringt dich nicht um.«

»Der Meinung bin ich auch.« Rebus zog eine Flasche Whisky aus der Tragetasche, die er in der Hand hielt. »Aber das hier vielleicht.«

Er hatte den restlichen Abend ausgestreckt auf dem Sofa verbracht, Whisky getrunken und jede Platte mitgesungen, die aufgelegt wurde. Er hatte auch den größten Teil des Wochenendes so verbracht. Die Studenten schien das nicht zu stören, obwohl er von ihnen verlangt hatte, die Drogen wegzupacken, solange er da war. Sie räumten mit Michaels Hilfe die Wohnung um ihn herum auf, und am Samstagabend marschierten alle ins Pub und ließen Rebus mit dem Fernseher und ein paar Dosen Bier allein. Es sah nicht so aus, als hätte Michael den Studenten von seiner Gefängnisstrafe erzählt, und Rebus hoffte, dass es so bleiben würde. Michael hatte angeboten auszuziehen oder zumindest seinem Bruder die Abstellkammer zu überlassen, doch Rebus hatte dies abgelehnt. Er wusste selbst nicht genau, warum.

Am Sonntag fuhr er zur Oxford Terrace, doch es schien niemand zu Hause zu sein, und die Tür ließ sich mit seinem Schlüssel nicht öffnen. Also hatte Patience offenbar das Schloss austauschen lassen, versteckte sich vielleicht irgendwo da drinnen und machte in Gesellschaft der Kinder auf ihre Art eine Entziehungskur.

Nun stand er vor der Tür zu Farmer Watsons Büro und blickte an sich herunter. Wie zu erwarten, hatte heute Morgen in der Oxford Terrace ein Koffer mit seinen Sachen vor der Tür auf ihn gewartet. Keine Nachricht, nur der Koffer. Er hatte auf der Toilette der Polizeiwache einen sauberen Anzug angezogen. Der...