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Ehrensache - Inspector Rebus 4 - Kriminalroman

Ian Rankin

 

Verlag Goldmann, 2014

ISBN 9783641113940

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

1


Der Melkschuppen


Das Erstaunlichste an der Sache war, dass die Nachbarn sich nicht beschwert hatten, es noch nicht mal bemerkt hatten, wie viele von ihnen später den Leuten von der Presse erzählten. Jedenfalls nicht bis zu jener Nacht, als ihr Schlaf von einer plötzlichen Betriebsamkeit auf der Straße gestört wurde. Autos, Minibusse, Polizisten, das Rauschen und Knistern von Funkgeräten. Nicht dass es übermäßig viel Lärm gegeben hätte. Die Aktion wurde sogar dermaßen stilvoll und so zügig durchgeführt, dass manche die ganze Aufregung verschliefen.

»Ich erwarte von Ihnen Höflichkeit«, hatte Chief Superintendent »Farmer« Watson seinen Männern an jenem Abend im Besprechungsraum erklärt. »Es mag zwar ein Hurenhaus sein, aber es befindet sich auf der richtigen Seite der Stadt, wenn Sie verstehen, was ich meine. Man kann nie wissen, wer sich dort gerade aufhält. Vielleicht treffen wir ja sogar unseren lieben Chief Constable.«

Watson grinste, um zu signalisieren, dass dies ein Scherz sein sollte. Aber einige Beamte im Raum, die den CC besser kannten, als Watson das offenbar tat, tauschten vielsagende Blicke und grinsten spöttisch.

»Also gut«, sagte Watson, »dann wollen wir den Angriffsplan noch einmal durchgehen …«

Mein Gott, das macht ihm richtig Spaß, dachte Detective Inspector John Rebus. Er genießt jede einzelne Sekunde. Und warum auch nicht? Schließlich war das Watsons geistiges Kind, und es sollte eine Hausgeburt werden. Das hieß, Watson trug die volle Verantwortung dafür, von der unbefleckten Empfängnis bis zur unbefleckten Entbindung.

Vielleicht hatte das etwas mit den männlichen Wechseljahren zu tun, dieses Bedürfnis, ein bisschen die Muskeln spielen zu lassen. Die meisten Chief Supers, die Rebus in seinen zwanzig Jahren bei der Polizei erlebt hatte, hatten sich damit zufrieden gegeben, Papiere zu unterschreiben und auf die Pensionierung zu warten. Doch nicht Watson. Watson war wie Channel Four – voller unabhängiger Sendungen, die nur wenige interessierten. Er wirbelte nicht gerade große Wellen auf, aber er plantschte wie der Teufel.

Und nun schien er sogar einen Informanten zu haben, irgendein unsichtbares Wesen, das ihm das Wort »Bordell« ins Ohr geflüstert hatte. Sünde und Ausschweifung! Das hatte in Watsons hartem presbyterianischem Herz heiligen Zorn entfacht. Er war ein typischer Highland-Christ, der Sex in der Ehe gerade noch akzeptabel fand – sein Sohn und seine Tochter waren Beweis dafür –, alles andere jedoch kategorisch ablehnte. Wenn es ein Bordell in Edinburgh gab, dann würde Watson dafür sorgen, dass es geschlossen wurde.

Doch dann hatte der Informant ihm die Adresse genannt, und das hatte ein gewisses Zögern hervorgerufen. Das Bordell lag nämlich in einer der besseren Straßen der New Town, ruhige georgianische Häuserreihen, gesäumt von Bäumen, Saabs und Volvos. In den Häusern lebten Akademiker: Anwälte, Ärzte, Professoren. Das war kein Seemannspuff, nicht ein paar dunkle, feuchte Zimmer über einer Hafenkneipe. Das war, wie Rebus selbst zum Besten gegeben hatte, ein Etablissement für die Etablierten. Watson hatte diesen Scherz nicht verstanden.

Mehrere Tage und Nächte wurde mit nicht gekennzeichneten Autos und unauffälligen Zivilbeamten Wache gehalten. Bis es kaum noch einen Zweifel gab: Was auch immer in den Räunen hinter den geschlossenen Fensterläden geschah, geschah nach Mitternacht, und dann ging es ziemlich lebhaft zu. Eigenartigerweise kamen nur wenige der zahlreichen Männer mit dem Auto an. Doch ein wachsamer Detective Constable, der mitten in der Nacht pinkeln ging, entdeckte, warum. Die Männer parkten ihre Autos in Seitenstraßen und gingen zu Fuß zum Eingang des vierstöckigen Hauses. Vielleicht gehörte das zu den Regeln des Hauses. Das Knallen von Autotüren zu so später Stunde würde in der Straße Misstrauen erregen. Oder vielleicht war es auch im eigenen Interesse der Besucher, ihre Autos nicht in der hell erleuchteten Straße abzustellen, wo sie möglicherweise erkannt werden könnten …

Kraftfahrzeugkennzeichen wurden aufgenommen und überprüft, ebenso Fotos von den Besuchern des Hauses. Außerdem machte man den Eigentümer des Hauses ausfindig. Neben diversen Häusern in Edinburgh gehörte ihm die Hälfte von einem Weingut in Frankreich, und er lebte das ganze Jahr in Bordeaux. Sein Anwalt hatte das Haus an eine Mrs Croft vermietet, eine sehr distinguierte Dame Mitte fünfzig. Nach Aussage des Anwalts zahlte sie die Miete immer pünktlich und in bar. Gab’s da ein Problem …?

Kein Problem, versicherte man ihm, aber wenn er das Gespräch bitte für sich behalten könnte …

In der Zwischenzeit hatte man festgestellt, dass es sich bei den Autobesitzern um Geschäftsleute handelte, einige aus der Gegend, die meisten kamen jedoch von südlich der Landesgrenze in die Stadt. Durch diese Information ermutigt, hatte Watson mit der Planung der Razzia begonnen. Mit seiner üblichen Mischung aus Witz und Scharfsinn nannte er die Aktion Operation Hush Puppies.

»Schweinehunde, die ins Bordell schleichen, verstehen Sie, John.«

»Ja, Sir«, antwortete Rebus. »Ich hab auch mal so ein Paar Schuhe gehabt und mich oft gefragt, wieso die eigentlich so heißen.«

Watson zuckte die Schultern. Er war niemand, der sich leicht ablenken ließ. »Vergessen Sie das mit den Hush Puppies«, sagte er. »Hauptsache, wir erwischen die Schweinehunde.«

 

Da ab Mitternacht offenbar immer der meiste Betrieb im Haus herrschte, setzte man die Razzia für ein Uhr am Samstagmorgen an. Die Durchsuchungsbeschlüsse waren ausgestellt. Jeder im Team kannte seinen Platz. Und der Anwalt hatte ihnen sogar Pläne vom Haus zur Verfügung gestellt, die die Beamten auswendig gelernt hatten.

»Das ist ja der reinste Kaninchenbau«, hatte Watson gesagt.

»Kein Problem, Sir, solange wir genug Frettchen haben.«

In Wahrheit freute Rebus sich ganz und gar nicht auf seine Arbeit in dieser Nacht. Bordelle mochten zwar illegal sein, aber sie erfüllten einen Zweck, und wenn sie sich um ein ehrbares Äußeres bemühten, wie es dieses zweifellos tat, wo lag dann das Problem? Er sah einen Teil seines Zweifels in Watsons Blick widergespiegelt. Doch Watson hatte sich mit so viel Begeisterung in die Sache gekniet, dass ein Rückzug jetzt undenkbar war und als ein Zeichen von Schwäche gewertet würde. Also wurde Operation Hush Puppies durchgezogen, obwohl niemand so richtig wild darauf war. Während andere gefährlichere Straßen nicht patrouilliert wurden. Während in Familien misshandelt wurde. Während weiterhin ungeklärt blieb, ob die Tote im Water of Leith wirklich ertrunken war …

»Okay, gehen wir rein.«

Sie verließen die Autos und Minibusse und marschierten zum Eingang, klopften leise an. Die Tür wurde von innen geöffnet, und dann überstürzten sich die Ereignisse wie auf einem Video, das mit doppelter Geschwindigkeit läuft. Weitere Türen wurden geöffnet … wie viele Türen konnte denn so ein Haus haben? Erst anklopfen, dann öffnen; ja, sie waren höflich.

»Würden Sie sich bitte anziehen …«

»Wenn Sie jetzt mit hinunterkommen könnten …«

»Sie können zuerst Ihre Hose anziehen, Sir, wenn Sie möchten …«

Dann: »Du meine Güte, Sir, sehen Sie sich das mal an.« Rebus folgte dem jugendlichen Detective Constable, der ganz rot im Gesicht geworden war. »Hier rein, Sir. Da fallen einem ja die Augen aus dem Kopf.«

Ach ja, die Folterkammer. Ketten, Lederriemen und Peitschen. Mehrere vom Boden bis zur Decke reichende Spiegel, ein ganzer Schrank mit Zubehör.

»Hier ist ja mehr Leder als in einem verdammten Melkschuppen.«

»Sie scheinen ja eine Menge über Kühe zu wissen, Kleiner«, sagte Rebus. Er war froh, dass der Raum gerade nicht benutzt wurde. Aber es sollte noch mehr Überraschungen geben.

In manchen Teilen des Hauses schien sich nichts Anstößigeres abzuspielen als Kostümpartys; man sah Krankenschwestern und Oberschwestern, Nonnenschleier und hohe Absätze. Nur dass die meisten Kostüme mehr freigaben als sie verbargen. Eine junge Frau trug eine Art Taucheranzug aus Gummi, bei dem an den Brustwarzen und im Schritt Löcher waren. Eine andere sah aus wie eine Mischung aus Heidi und Eva Braun. Watson beobachtete die Parade, und rechtschaffener Zorn ergriff ihn. Nun hatte er keinerlei Zweifel mehr. Es war absolut richtig, dieses Etablissement zu schließen. Dann setzte er sein Gespräch mit Mrs Croft fort. Chief Inspector Lauderdale hielt sich ganz in seiner Nähe auf. Er hatte darauf bestanden, mitzukommen, weil er seinen Vorgesetzten kannte und ein Fiasko befürchtet hatte. Nun ja, dachte Rebus lächelnd, bisher war nichts in die Hose gegangen.

Mrs Croft sprach mit einem verfeinerten Cockney-Akzent, der immer weniger fein klang, je länger sich die Sache hinzog und je mehr Paare die Treppe herunter in das große, mit Sofas vollgestellte Wohnzimmer strömten. Ein Raum, in dem es nach teurem Parfüm und Markenwhisky roch. Mrs Croft stritt alles ab. Sie stritt sogar ab, dass sie sich in einem Bordell befanden.

Bin ich die Hüterin meines Bordells?, ging es Rebus durch den Kopf. Trotzdem musste er ihre Darbietung bewundern. Sie wäre eine Geschäftsfrau, erklärte sie immer wieder, eine Steuerzahlerin, und hätte ihre Rechte. Und wo wäre überhaupt ihr Anwalt?

»Ich dachte, sie vertritt hier die Rechte der sexuell Ausgehungerten«, flüsterte Lauderdale Rebus zu – ein seltener Anflug von Humor bei einem der verdrießlichsten Typen, mit denen Rebus je zusammengearbeitet hatte. Deshalb verdiente diese Bemerkung ein Lächeln.

»Was grinsen Sie so?...