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Die Feindin

Margaret Millar

 

Verlag Diogenes, 2015

ISBN 9783257604689 , 368 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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10,99 EUR


 

7

Louise zog sich sehr sorgfältig an. Sie wählte ein enges blaues Leinenkleid mit weißem Bubikragen, passende flache Schuhe, in denen die Kleinheit ihrer Füße noch mehr zur Geltung kam, und weiße Handschuhe, die so winzig waren, dass sie sie in der Kinderabteilung kaufen musste. In letzter Sekunde steckte sie sich noch eine Schleife in ihr kurzes braunes Haar, weil Charlie es gern hatte, wenn Mädchen Schleifen im Haar trugen.

Sie ging ins Wohnzimmer, um ihren Eltern gute Nacht zu sagen. Mr. Lang saß über dem Kreuzworträtsel in der Abendzeitung, und Mrs. Lang stickte an dem ersten von zwölf Schlummerkissenbezügen, die sie ihren Verwandten zu Weihnachten schicken wollte.

»Also, ich gehe jetzt«, rief ihnen Louise von der Tür aus zu. »Ich komme nicht spät zurück, aber wartet nicht auf mich.«

Mrs. Lang warf über ihre Brille hinweg einen Blick auf sie. »Du siehst ganz reizend aus, Liebes. Joe, sieht sie nicht reizend aus?«

Mr. Lang legte die Zeitung weg und stand auf, als wäre [87] Louise eine Fremde, zu der man höflich sein musste. Wenn er saß, schien er von normaler Größe, aber wenn er auf- stand, war er nicht viel größer als Louise, obgleich er sich sehr gerade hielt. »Du siehst wirklich ganz reizend aus, liebes Kind. Irgendein besonderer Anlass?«

»Nein.«

»Wohin gehst du?«

»Zu Ben und Charlie.«

»Es hört sich an wie der Name von einer Bar oder einem Grill auf der unteren State Street.«

»Wie redest du nur«, warf Mrs. Lang ein. »Hör auf damit, Joe, aber auf der Stelle. Du weißt ganz genau, wer Ben und Charlie sind. Es sind nette, anständige –«

Ihr Mann bedeutete ihr mit einer Handbewegung, still zu sein. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder Louise zu. »Andere Mädchen scheinen sich damit zu begnügen, sich mit einem Herrn zu treffen. Außerdem werden sie auch, glaube ich, von diesem Herrn zu Hause abgeholt. Bist du anders, Louise?«

»Die Umstände sind anders.«

»Drück dich genauer aus, welcher Art sind diese Umstände?«

»Der Art, dass ich alt genug bin, selber damit fertig zu werden.«

»Alt genug ja – mit zweiunddreißig, allerdings –, aber bist du auch gerüstet?«

»Gerüstet?« Louise sah an sich hinunter, als hätte ihr Vater sie darauf aufmerksam gemacht, dass etwas an ihrem Körper fehle, als hätte ein Teil davon versäumt zu wachsen, oder als hätte sie irgendwo einen verloren. »Papa«, sagte sie [88] mit fester Stimme, »ich gehe hinüber zu zwei Freunden, um Karten zu spielen. Zufällig sind sie männlichen Geschlechts. Jeder von ihnen würde mich mit Vergnügen hier abholen, aber ich habe meinen eigenen Wagen, und es macht mir Spaß, selber zu chauffieren.«

»Louise, Liebling, ich bezweifle deine Motive nicht. Ich will dich nur daran erinnern, dass du sehr wenig Erfahrung hast, dir – na ja, dir Männer vom Leib zu halten.«

»Denk mal an.«

»Ich möchte dich auch daran erinnern, dass Formen noch immer zählen, sogar in dieser zügellosen Welt. Es macht einfach einen schlechten Eindruck, wenn ein Mädchen deiner Klasse und Stellung sich abends heimlich aus dem Haus schleicht, um zwei Männer in ihrer Wohnung zu besuchen.«

»Ihrem Haus, wenn du nichts dagegen hast.«

»Nenne es, wie du willst.«

»Ich nenne es, was es ist«, sagte Louise scharf. »Ein Haus, wo Ben und Charlie schon gelebt haben, als sie noch Kinder waren. Und was mein Heimlich-aus-dem-Hause-Schleichen angeht, ist das ein Trick, den du mir erst mal vormachen musst, noch dazu mit einem Sportwagen, den man kilometerweit hören kann. Ich muss geradezu ein Zauberer sein. Oder wirst du langsam taub?«

Mrs. Lang bewegte ihren schweren Körper, vor Anstrengung stöhnend, umständlich aus dem Sessel heraus. Sie stand zwischen Mann und Tochter wie ein riesiger Schiedsrichter zwischen zwei Fliegengewicht-Boxern, die sich gegen die Regeln vergingen. »Jetzt hab ich aber genug gehört von euch beiden. Louise, du solltest dich schämen, so frech [89] zu deinem Vater zu sein. Und du, Joe, mein Gott, du solltest doch endlich begreifen, dass du in einer modernen Welt lebst. Die Leute legen nicht mehr solchen Wert auf solche Dinge, dass ein Mann seine Verabredung zu Hause abholt. Es ist ja schließlich auch nicht so, als wäre Charlie ein Fremder, den du nicht kennst. Du hast ihn kennengelernt und mit ihm gesprochen. Er ist ein netter, angenehmer Mensch.«

»Angenehm, ja.« Mr. Lang nickte völlig ungerührt. »Ich habe gesagt, es sei heiß, und er pflichtete mir bei. Ich habe gesagt, das sei eine schlimme Sache mit der Börse, und er gab mir recht. Ich –«

Louise unterbrach ihn. »Er ist scheu. Du hast ihn in Verlegenheit gebracht, indem du ihn über seine Vergangenheit und seine Arbeit ausgefragt hast.«

»Mir macht das nichts aus, wenn mich jemand über meine Vergangenheit und meine Arbeit ausfragt.«

»Du bist auch nicht scheu wie Charlie.«

»Warum ist Charlie scheu?«

»Empfindsamkeit und Gefühl.«

»Was ich nicht besitze?«

Mrs. Lang legte ihre Hände nicht allzu sanft auf Louises Schultern und schob sie zur Tür hinaus in den Hausflur. »Geh jetzt, Liebes, sonst kommst du zu spät. Hör nicht zu sehr hin, was Vater heute Abend sagt, er hat Ärger mit seinem Vorgesetzten gehabt. Hast du deinen Hausschlüssel?«

»Ja.«

»Viel Vergnügen, mein Kind.«

»Danke.« Langsam hob Louise ihre Hand und berührte die Schleife in ihrem Haar. Sie konnte sie durch den Stoff [90] ihres Handschuhs kaum fühlen. Aber sie war noch da – für Charlie. »Seh ich gut aus?«

»Ganz reizend. Ich hab dir das ja schon vorhin gesagt. Ich glaube wenigstens.«

»Ja. Gute Nacht, Mutter.«

Mrs. Lang vergewisserte sich, dass Louise die Tür hinter sich abgeschlossen hatte. Dann ging sie zurück ins Wohnzimmer. Sie schnappte hörbar nach Luft, als brauchte es mehr Kraft, Schiedsrichter zu sein als Kämpfer. Sie wünschte, Joe würde zu Bett gehen und sie noch ein bisschen ihren Träumen überlassen: ›Louise heiratet natürlich in der Kirche. In einem ganz langen Brautkleid, mit langen Ärmeln, um ihre dünnen Arme zu verbergen, und gut zurechtgemacht, um ihre Augen größer erscheinen zu lassen, wird sie ganz attraktiv aussehen. Sie hat ein hübsches Lächeln. Louise hat sogar ein sehr hübsches Lächeln.‹

Joe stand noch immer da, wo sie ihn verlassen hatte, in der Mitte des Zimmers. »Empfindsamkeit und Gefühl, dass ich nicht lache. Mir ist er ganz einfach dumm vorgekommen. Hat ja kaum den Mund aufgemacht.«

»Du bringst aber auch sehr oft nicht gerade das Beste in einem Menschen hervor, Joe.«

»Warum sollte ich ihn nicht über seine Arbeit fragen? Was hat er zu verbergen?«

»Nichts«, sagte seine Frau sanft. »Hör jetzt auf, dich so zu gebärden, es tut dir nicht gut. Charlie Gowen ist ein gutaussehender junger Mann mit guten Manieren und einer einträglichen Beschäftigung. Wahrscheinlich hat er eine große Auswahl an weiblichen Bekanntschaften. Du solltest es als ein Glück ansehen, dass er Louise gewählt hat.«

[91] »Sollte ich?«

»Dass er scheu ist, empfinde ich zum Beispiel als wohltuend. Besonders heutzutage, wo so viele geschniegelte, aufgeblasene junge Männer rumlaufen, die dauernd ihr eigenes Loblied singen. Für die Art hat Louise nichts übrig. Sie ist eine geistige Natur.« Und ohne den Ton zu wechseln, fügte sie hinzu: »Ich warne dich, Joe. Verdirb ihr ihre Chancen nicht, oder es wird dir noch einmal leidtun.«

»Ihre Chancen? Welche denn? Dass man in der ganzen Stadt über sie redet? Dass sie in schlechten Ruf kommt, was sie sogar ihre Stellung kosten kann?«

»Louise und Charlie werden heiraten.«

Diese Antwort verschlug Joe einen Moment lang den Atem. Dann: »Ach so. Hat dir Louise das gesagt?«

»Nein.«

»Charlie?«

»Nein, keiner hat mir was gesagt. Das war gar nicht nötig. Ich spür es in der Luft.« Sie ließ sich wieder in ihren Sessel nieder und nahm ihre Stickerei wieder auf. »Lach du nur ruhig über mein Gefühl. Aber habe ich letzten Herbst nicht auch recht gehabt, als ich sagte, dass wir einen nassen Winter haben würden, weil ich es in meinen Knochen spürte? Und bei Mrs. Cudahy, wo ich gesagt habe, sie macht's keine Woche mehr, und dann ist sie am nächsten Tag gestorben? Hab ich da vielleicht nicht auch recht gehabt?«

Er schwieg. Es war ein nasser Winter gewesen, Mrs. Cudahy war gestorben, Louise heiratete Charlie.

[92] Ben machte ihr die Tür auf. Er war frisch rasiert – sie roch noch seine Rasiercreme, als sie sich die Hand gaben –, und er war im Straßenanzug und nicht in Bluejeans und Polohemd, wie er sonst zu Hause herumging.

»Nanu, du bist ja so elegant«, sagte Louise lächelnd. »Gehen wir irgendwohin aus?«

Ben sah verlegen aus. »Nein. Das heißt, ich gehe aus. Du und Charlie, ihr könnt natürlich tun, was ihr wollt.«

»Aber ich dachte, wir wollten wieder zu dritt Karten spielen wie sonst? Warum willst du denn plötzlich weggehen? Ist irgendwas passiert?«

»Nein, nichts. Ich dachte mir nur, dass ihr beide zur Abwechslung auch mal allein sein wolltet.«

Sie wurde von einer so wahnsinnigen...