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Twisted City

Jason Starr

 

Verlag Diogenes, 2015

ISBN 9783257604672 , 336 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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10,99 EUR


 

[16] 2

In der knappen halben Stunde, die ich bis zu meiner Wohnung in der West Eighty-first Street brauchte, sperrte ich Bankkonto und Kreditkarten und stellte mit Erleichterung fest, daß noch nichts abgebucht worden war. Ich hatte Horrorgeschichten über Identitätsklau gehört, weshalb ich später die Kreditgesellschaften anrufen und ihnen melden würde, daß meine Brieftasche gestohlen worden war. Morgen wollte ich dann darangehen, die unwichtigeren Karten zu ersetzen – Blockbuster-Video, United Health Club, die New Yorker Stadtbücherei, die Duane Reade Paybackkarte –, und mich um Ersatz für Sozialversicherungskarte und Führerschein kümmern, was mich einige Kopfschmerzen kosten dürfte.

Als ich in mein Apartment kam, dröhnte mir wie gewöhnlich Hip-Hop entgegen, und im Wohnzimmer roch es nach Haschisch. Ich war ein wenig überrascht, da Rebecca gesagt hatte, daß sie am Abend ausgehen wollte.

»Ich bin wieder da!« rief ich über den Flur zum Schlafzimmer, bezweifelte aber, daß sie mich bei dieser wummernden Musik hören konnte.

Ich ging in die kleine Küche. Heute morgen war noch ein Sechserpack Amstel im Kühlschrank gewesen, aber jetzt lag da nur noch ein leerer Karton.

[17] »Sorry, Mann, wir hatten Durst.«

Ich blickte über die Schulter und sah Ray, einen von Rebeccas Discotänzern, grinsend in der Küchentür stehen. Ray war ein smarter Latino in engen Hosen und einem ebenso engen, gerippten T-Shirt Marke Ricky-Martin-Verschnitt, unter dem sich seine knochige Brust deutlich abzeichnete. Rebecca behauptete, Ray sei schwul, aber ich hoffte, daß sie log. Wenn sie mich wegen Ray oder sonstwem verlassen würde, wären eine Menge Probleme gelöst.

»Schon okay«, sagte ich. »Ist wahrscheinlich sowieso besser, wenn ich heute nichts mehr trinke.«

»Sie waren auf einer Fete?« fragte Ray, die Augen glasig vom Pot. »Kann ja wohl nicht wahr sein.«

»Hab nur ein paar Bier gehabt«, sagte ich.

»Trotzdem«, sagte Ray. »Wir sollten gleich Eyewitness News anrufen, damit sie die Story bringen. David Miller knallt sich zu – weitere Einzelheiten um elf.«

Ich war es gewohnt, daß sich Ray und Rebeccas sonstige Freunde über mich lustig machten; weil ich einen sicheren Job hatte, nicht allzuviel trank und keine Drogen nahm, behandelten sie mich, als wäre ich Mr. Clean.

Ray lachte, und ich nahm den Orangensaft aus dem Kühlschrank und trank direkt aus dem Karton.

»Ernsthaft«, sagte Ray, »das mit dem Bier tut mir leid, Mann, aber wir mußten uns 'ne Runde antörnen für heute abend. Keine Sorge, dafür bringe ich nächstes Mal einen Sechser mit.«

Jedesmal, wenn Ray kam, trank er mein Bier und vertilgte Lebensmittel aus dem Kühlschrank, und jedesmal versprach er, beim nächsten Mal was mitzubringen, tat es [18] aber nie. Mittlerweile war sein Spruch längst ein Running Gag.

Ich schüttete immer noch Orangensaft in mich hinein, als Rebecca in die Küche geschneit kam. Sie war vierundzwanzig, und niemand konnte dran zweifeln, daß sie phantastisch aussah. Ihr welliges, dunkelblondes Haar hing ihr bis halb auf den Rücken, der Körper war durchtrainiert und schlank, das Gesicht zierlich und püppchenhaft. Wenn man sie fragte, womit sie ihr Geld verdiente, antwortete sie: »Ich mache Modern Dance«, was mich schwer beeindruckt hat, bis ich sie dann tanzen sah. Ein paar Wochen nach unserer ersten Begegnung bin ich zu einer Show gegangen, die sie mit Freunden in einem in Downtown gemieteten Saal aufgeführt hat, und ich war völlig überrascht, als ich sah, wie linkisch und ungelenk sie war. Nach diesem Abend litt ich nur noch, wenn sie von ihrer Tanzerei erzählte und es so ungeheuer ernst nahm, obwohl ich doch wußte, daß sie sich was vormachte. Dabei ließ sie den Tanzunterricht meist sausen, hörte keinen Wecker klingeln und gab sich nicht die geringste Mühe, zu ihren Stunden zu gehen. Den einzigen Tanz, mit dem es regelmäßig klappte, absolvierte sie in irgendwelchen Klubs, in denen sie vier, fünf Nächte die Woche mit ihren Freunden durchfeierte.

»Dachte ich mir doch, daß ich deine Stimme gehört habe«, sagte sie. »Wie geht's, Mann?«

Rebecca stammt aus Duncanville in Texas und hat mehrere Jahre in L.A. gelebt, bevor sie nach New York zog. Man konnte bei ihr noch einen leicht texanischen Akzent heraushören, und sie redete diesen typischen Upspeak der Zwanzigjährigen, eine Mischung aus Südkalifornien und [19] Manhattan, weshalb sie die Enden ihrer Sätze oft hochzog und wie Fragen enden ließ. Außerdem redete sie ständig eine Art Pseudo-Hip-Hop-Slang, was meist ziemlich gewollt und dämlich klang – eine Weiße aus dem tiefen Süden, die sich allzu angestrengt darum bemühte, zur großen Stadt zu gehören. Früher fand ich ihre Art zu sprechen süß, aber wie mit so vielen Dingen ging sie mir damit heute nur noch tierisch auf die Nerven.

Allerdings mußte ich zugeben, daß sie in hautengen Jeans, pinkfarbenem Top und dazu passenden Sandalen heute ganz besonders verführerisch aussah. Ich hatte die Sandalen noch nie zuvor gesehen und begriff jetzt, warum mein Visa-Konto mit 124 Dollar belastet worden war, ein Einkauf, der an diesem Nachmittag bei Wheels of London, einem Schuhgeschäft in der Eighth Street, stattgefunden hatte.

Sie kam und küßte mich auf die Lippen, wobei ihre gepiercte Zunge ein, zwei Sekunden in meinen Mund glitt. Sie schmeckte wie eine Shitpfeife.

Dann wich sie zurück und fragte: »Wie war dein Tag, Sweetie?«

»Geht so«, sagte ich.

»Unser Business-Schreiber hat heute ein Faß aufgemacht«, sagte Ray.

Rebecca musterte mich mit interessiertem Lächeln. »Bist du etwa betrunken

»Nein, ich hatte nur ein paar Bier mit dem Geschäftsführer, den ich heute interviewt habe.«

»Ach, und wie ist das gelaufen?«

»Ganz okay«, sagte ich. »Ich meine, ich glaub, ich hab alle Informationen, die ich für meinen Artikel brauche.«

[20] »Gut, ich freue mich ja so für dich«, sagte sie.

»Also, was hat es nun mit dieser Party heute abend auf sich?« fragte ich.

»Ach, hat sich gerade erst ergeben. Rachel hat mir heute nachmittag davon erzählt. Der Freund von ihrem Manager, weißt du, irgend so ein berühmter Modedesigner, ja? Egal, jedenfalls gibt der heute abend diese große Party in dem neuen Klub in Soho – wird bestimmt super. Willst du mit?«

Ich wußte, daß sie mich eigentlich nicht dabeihaben wollte – falls doch, hätte ich mich nicht praktisch selbst einladen müssen –, aber ich wäre auch dann nicht gegangen, wenn sie drum gebettelt hätte. Als Rebecca und ich uns gerade kennengelernt hatten und ich vom gemeinsamen Wohnen noch begeistert war, bin ich ständig mit ihr und ihren Freunden von Klub zu Klub und von Bar zu Bar gezogen. Die ersten Male hat es richtig Spaß gemacht – angezogen wie ein MTV-Groupie in FUBU-Trikots, Snoop-Dogg-Jeans und all den anderen Klamotten, die Rebecca für mich gekauft hat. Aber nach einer Weile kam ich mir bloß noch lächerlich vor – der alte Knacker, Mitte Dreißig, mit einem Haufen Kids Anfang Zwanzig – und so fing Rebecca an, ohne mich auszugehen.

»Würde ich gern«, sagte ich, »aber ich muß den Artikel morgen nachmittag fertig haben.«

»Sag ab.« Rebecca spielte die Enttäuschte.

»Tut mir leid, geht nicht.«

»Tja, ich werd dich vermissen.« Sie küßte mich wieder, hielt es noch ein paar Sekunden mit mir aus. Dann befreite sie sich von mir und sagte zu Ray: »Wollen wir, Honey?«

[21] »Nach dir, Baby«, sagte Ray, grinste breit und legte seinen Arm um ihre Hüfte.

Als Rebecca mit Ray die Küche verließ, rief ich ihr nach: »Übrigens kannst du heute abend deine Kreditkarten nicht benutzen!«

Rebecca blieb stehen und drehte sich um, Entsetzen im Gesicht: »Warum nicht?«

»Mir wurde die Brieftasche geklaut.«

»Ehrlich?« sagte sie und klang, als machten ihr die Kreditkarten mehr Sorgen als die Tatsache, daß ich bestohlen worden war.

»Ehrlich. Muß wohl im Fahrstuhl passiert sein«, sagte ich. »Ich hab noch gemeint, eine Bewegung zu spüren, aber bevor ich kapiert habe, was los ist, war es schon zu spät – meine Brieftasche war weg.«

»So ein Mist«, sagte Rebecca, die offenbar immer noch an ihre Kreditkarten dachte. »Hast du die Polizei angerufen?«

»Wozu?«

»Ich weiß nicht. Um Anzeige zu erstatten?«

»Die tun sowieso nichts.«

»Bist du sicher?«

»Er hat recht«, sagte Ray. »Die Polizei kümmert sich einen Scheißdreck um Brieftaschen.«

»Und warum funktionieren dann meine Kreditkarten nicht?« fragte sie.

»Na ja, ich mußte doch die Konten sperren lassen, nicht?« erwiderte ich.

»Ich glaub, das war gar nicht so dumm von dir«, sagte sie. »Wie sieht's aus, kannst du mir für heute abend ein bißchen Geld leihen?«

[22] Leihen, dachte ich, der Witz war nicht schlecht.

»Das einzige Geld, das ich noch habe, liegt im Schlafzimmer in der Kommode«, sagte ich. »Ich kann erst wieder was besorgen, wenn morgen die Banken aufmachen.«

Rebecca schmollte. »Pech« wollte ich sagen, aber ich schätze, wenn ich in der Lage gewesen wäre, ihr etwas abzuschlagen, hätte ich ihr von vornherein keine Kreditkarten gegeben und keinen Zugang zu meinem Geld gewährt.

»Wieviel...