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Die Flamme von Hali - Ein Darkover Roman

Marion Zimmer Bradley

 

Verlag Edel Elements - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe, 2014

ISBN 9783955306076 , 575 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz frei

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4,99 EUR


 

Prolog


Rumail Deslucido hatte dem Tod schon oft ein Schnippchen geschlagen, aber diesmal gab es kein Zurück mehr. Er lag auf einem Bett, so gebeutelt und verschlissen wie sein gebrechlicher Körper, in dem schmutzigen Zimmer, das lange seine Zuflucht und sein Gefängnis gewesen war, und wartete. Jeder Atemzug war ein Ringen nach Luft geworden, um die vernarbten Lungen zu füllen. Mit jedem verstreichenden Augenblick taumelte sein Herz mehr, als zittere es aufgrund der Anstrengung, zu lange gelebt zu haben.

Die Tür öffnete sich, und ein Mädchen aus dem Dorf trat ein. Es trug einen Korb mit Brot und einen irdenen Krug. Er nippte an der Brühe, die sie ihm Löffel für Löffel reichte, dann legte er sich zurück. Sie sprach mit ihm, belangloses Zeug, das die Mühe des Zuhörens nicht wert war. Ihre Stimme verklang, ging unter in der Erinnerung an andere Stimmen. Manchmal sprach er mit längst verstorbenen Menschen – seinem königlichen Bruder...

Ah! Da war wieder das unbeugsame goldene Haupt, der Blick, in dem der Wille zum Sieg brannte. Seite an Seite standen sie auf einem Balkon, während unter ihnen Deslucidos schwarz-weiße Banner mit dem Diamantenmotiv im Wind wehten. Die Morgensonne ließ das braune Haar des Königs wie eine Krone erstrahlen. Er sprach, und seine Worte riefen Bilder vor Rumails geistigem Auge wach, die Hoffnung auf eine Zeit, in der die Hundert Königreiche zu einem einzigen harmonischen Reich vereint sein würden. Keine ständigen Kriege, kein kleinliches Gezänk mehr, während Männer auf den verwüsteten Schlachtfeldern ihr Leben aushauchten. Rumails Laran-Talente würden endlich gefeiert werden; sein Platz als Bewahrer eines eigenen Turms, den ihm diese mental blinden Puristen so lange verwehrt hatten, wäre ihm sicher...

Der helle Himmel verdunkelte sich, die Vision verwehte wie winterdürres Laub, und nun stand Rumail auf dem Schlachtfeld von Drycreek, wo die Armee seines Bruders auf die von König Rafael Hastur getroffen war. Die Soldaten seines Bruders hielten inne, um zum Himmel zu schauen. Über dem Feind schwebend, ließen Rumails mechanische Vögel Schauer leuchtend grüner Teilchen herabregnen, so unheimlich schön wie tödlich: Knochenwasserstaub, durch die konzentrierte Macht talentierter Geistesarbeiter geschaffen, zu einem horrenden Preis einem abtrünnigen Kreis abgekauft.

Als Rumail zusah, wie das leuchtende Gift zu dem ahnungslosen Feind trieb, wünschte er, es hätte einen anderen Weg gegeben, den Hastur-König und seine Nichte, die Hexe Taniquel Hastur-Acosta, aufzuhalten. Durch Verrat und eigene psi-begabte Diener hatten sie das Schlachtenglück gewendet.

Mir blieb nichts anderes übrig. Keinem von uns blieb etwas anderes übrig.

Rumail hatte diese Szene schon tausendmal durchlebt, vom ersten Augenblick an, da ihnen der Sieg entglitten war, weil der Wind jäh umschlug und den Knochenwasserstaub zu ihren eigenen Streitkräften zurücktrieb. Als wäre es gestern gewesen, erinnerte er sich an den panischen Rückzug, an die Männer und Tiere, die binnen eines Herzschlags starben, und die tausende, denen ein langsamer Tod bevorstand. Er selbst war nur mit knapper Not entronnen. Verletzt, kaum im Stande, einen psychischen Abwehrschirm gegen den giftigen Staub aufrechtzuerhalten, hatte er sich an den kleinsten Hoffnungsschimmer geklammert.

Er hätte dort sterben sollen, reglos und hilflos. Aber er starb nicht. Damals war er dem Tod entronnen, wie schon frühere Male und auch bei späteren Gelegenheiten. Die Götter hielten ein anderes Schicksal für ihn bereit, nicht das einer weiteren namenlosen Leiche auf einem Schlachtfeld, das für eine Generation oder länger niemand mehr zu überqueren wagte.

Nun stand er in seiner Erinnerung hoch oben auf einem Balkon des Turms, in das scharlachrote Gewand eines Bewahrers gehüllt. Endlich befehligte er einen eigenen Kreis, und wie sehr seine Arbeiter ihn auch verabscheuten, sie würden ihm gehorchen. Ihr Turm hatte seinem königlichen Bruder einen Treueeid geleistet, und auf sein Geheiß führten sie jetzt diesen Angriff auf einen Hastur-Turm durch.

Schreie hallten in dem Labyrinth von Rumails Gedanken wider. Um ihn herum erzitterten die Mauern unter Blitzschlägen, als die Türme einander mit ihren schrecklichen Waffen bekämpften. Steine zerbarsten in einem unnatürlichen Licht. Er spürte die Sterbegedanken seiner Arbeiter und in weiter Ferne die ihrer Feinde. Blaue Flammen schossen himmelwärts und brachten die Fundamente zum Erbeben.

Rumail erinnerte sich, wie er aus dem zerstörten Turm getaumelt war – ein körperloser Geist in der Überwelt, zerlumpt und halb verhungert – und benommen durch das wilde Land gestreift war, in dem niemand ihn kannte.

Nun flackerten die Erinnerungen durch seinen Geist wie Kerzen, die der Winterwind zum Tropfen bringt. Er blickte die hausbackene Dorfbewohnerin an, die er zu seiner Frau erkoren hatte, starrte auf das rundliche Gesicht eines neugeborenen Sohnes hinab, dann auf noch einen und noch einen. Die Jahre zogen flirrend vorüber. Er starrte in die hellen Augen seiner Söhne, und seine eigenen Rachegelüste spiegelten sich darin. Er empfand ein jähes Reißen, als das Bewusstsein seines ältesten Sohns aufflammte und verstummte. Sah das verwitterte Antlitz eines reisenden Kesselflickers, der die Kunde brachte, dass König Rafael Hastur unter geheimnisvollen Umständen gestorben war.

Er vernahm die Stimme seines zweiten Sohns: »Vater, Felix Hastur von Carcosa hat Anspruch auf den Thron erhoben, und er hat einen gesunden Erben, seinen Neffen Carolin.«

»Dann muss auch Carolin sterben«, hatte Rumail gesagt, »damit ihre Linie ausgelöscht wird. Ich werde meinen jüngsten Sohn, meinen Eduin, zum Arilinn-Turm schicken, damit er dort zum Laranzu ausgebildet wird, die perfekte Waffe gegen diesen Hastur-Prinzen.«

Eduin...

»La! So ist’s fein!«, sagte das Dorfmädchen und strich Rumail das Haar aus der Stirn. »Jetzt fühlen wir uns doch schon viel besser, nicht wahr?« Er hatte nicht mehr die Kraft, ihr eine Antwort zu geben, denn die Vergangenheit lastete jetzt noch schwerer auf ihm.

Das Gesicht seines jüngsten Sohns stieg hinter Rumails geschlossenen Lidern auf, und es hatte den Anschein, als versänke er wieder im Delirium, sein Körper bis ins Mark vom Lungenfieber zermartert, die Lungen von seinem Martyrium auf dem Schlachtfeld geschwächt. Als die Kunde von seiner Krankheit Arilinn erreicht hatte, war Eduin ihm zu Hilfe gekommen. Rumail spürte, wie sein Sohn ihn mit seinem trainierten Laran berührte.

Vater, bitte! Du musst leben, und sei’s nur deshalb, um dich bei den Hasturs gerächt zu sehen!

Leben..., hörte er seine eigene mentale Stimme, schwach und weit entfernt. Ja, ich muss leben. Und dafür sorgen, dass du mich beim nächsten Mal nicht im Stich lässt.

Eduin hatte sich unter dem geistigen Angriff gekrümmt. Seine Schwäche, seine Schuldgefühle waren durchgeschimmert. Rumail stürmte durch jede Erinnerung, jeden einzelnen Augenblick des Verrats. Als Carolin eine Jahreszeit lang im Arilinn-Turm ausgebildet worden war, hatte Eduin ein Dutzend Gelegenheiten zum Zuschlägen gehabt – ein Stoß mit dem Dolch, ein Sturz vom Balkon, ein jäher Herzstillstand, während seine Finger sich um Carolins Sternenstein schlossen... Doch in jedem kritischen Augenblick hatte etwas seine Hand zur Ruhe ermahnt.

Es war nicht meine Schuld!, hatte Eduin geschrien. Stets ist Varzil Ridenow dazwischengetreten, der mir mit Argwohn begegnete und Carolin beschützte...

Keine Ausflüchte! Mit aller Kraft seiner turmtrainierten Gedanken schlug Rumail zu. Eduin, zwischen Verzweiflung und Hoffnung gefangen, war schutzlos. Rumail drang in den Verstand seines Sohns ein, tief ins Zentrum seiner Laran-Gaben, packte zu und drehte...

Du wirst weder Ruhe noch Freude erfahren, solange Carolin Hastur und alle anderen, die ihm halfen, nicht tot sind.

Als es getan war, hatte Rumail die Augen aufgeschlagen und seine beiden letzten Söhne angesehen, Eduin den Laranzu und Gwynn den Attentäter. Eduin war zu seinem Werkzeug geworden, nur noch seiner Sache verschrieben.

Rumail schickte seine Söhne wieder in die Welt hinaus. »Findet Taniquels Kind! Tötet Carolin Hastur und jeden, der sich euch in den Weg stellt!«

Bruchstücke von Laran-Energie stiegen in Rumails Erinnerung auf, Dinge, die er von fern gespürt hatte, verbunden mit dem Geist seiner Söhne. Gwynn kämpfte an einem schlammigen Ufer mit Carolin und lieferte sich dann eine mentale Schlacht mit Varzil Ridenow, der den Attentatsversuch vereitelt hatte. Varzils Gedanken bedrängten ihn: Wer hat dich geschickt? Wer?

Noch jetzt hörte Rumail das Echo von Gwynns letztem, verzweifeltem Gedanken: MAN WIRD UNS RÄCHEN!

Aus der Ferne schwelgte Eduin in einem Triumphgefühl, als er die Identität von Felicia Hastur-Acosta aufdeckte; seine Hände berührten und erbauten eine tödliche Matrix-Falle. Er floh aus den Ruinen des Hestral-Turms, wurde gejagt... zum Gesetzlosen... Rumail wusste nicht mehr, ob es Eduins oder seine Erinnerungen waren – die Kälte, die Furcht, die ständige Notwendigkeit, sich zu verstecken, in Bewegung zu bleiben...

Vater, ich bin hier..., warte auf dich...

Rumail blinzelte, als eine Vision die andere überlappte. Gwynn winkte ihm, und hinter dieser geisterhaften Gestalt standen andere – die Söhne, die er auf seiner Suche nach Vergeltung...