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Die Henkerin von Köln - Historischer Roman

Peter vom Falkenberg

 

Verlag Bergischer Verlag, 2014

ISBN 9783943886825 , 268 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz DRM

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9,99 EUR


 

Kapitel 1

Hannes Rheinbeck wohnte mit seinen beiden Töchtern und seinem kleinen Sohn am Rande der Stadt Köln in einer engen Seitengasse, die bis an die Stadtmauer ging – da, wo das niedere Volk ohne Stand so eben noch geduldet wurde. Jeder Kölner Bürger, der einigermaßen etwas auf sich hielt, versuchte, diese Gasse möglichst zu meiden. Es war die Gasse der Abtrünnigen und Ausgestoßenen; hier wohnte der »Dreck« der Gesellschaft, wie viele Bürger Colonias sagten. Die Bewohner waren zwar geduldet, wurden aber mit einem Tuch der Schande überzogen.

Zu viert teilten sich Hannes und die Kinder die beiden spartanisch eingerichteten kleinen Zimmer. Seit dem Tod seiner Frau musste er seine Familie notgedrungen alleine versorgen, was ihm mal gut, meistens aber weniger gut gelang – aber immer mit enormen Anstrengungen. Wilmas Tod vor drei Jahren hatte ihn sichtlich gezeichnet. Oft dachte er zurück an vergangene glückliche Tage, die sie gemeinsam mit ihren Kindern erlebt hatten. Seine Wilma! Warum nur musste sie ihn und die Kinder so frühzeitig verlassen? Es fiel ihm nicht leicht, den Kindern die Mutter zu ersetzen. Seine Tochter Gisela war im letzten Monat achtzehn Jahre alt geworden und unterstützte ihn seit dem Tod seiner Frau bei der Erziehung der jüngeren Kinder. Sie tat, was ein Mädchen ihres Alters tun konnte, stieß aber dabei an ihre Grenzen. Da waren noch Wiltrud, gerade 14 Jahre alt und in einem schwierigen Alter, und der erst zehnjährige Sohn Karl. Gerade Wiltrud in ihrer pubertären Phase bereitete ihrer Schwester die meisten Sorgen.

Um seine drei Kinder und sich selbst über Wasser zu halten, brauchte er Aufträge, bezahlte Aufträge. Von Privatleuten erhielt er Drecksarbeiten zugewiesen, von den Stadtvätern Arbeiten, die etwas mehr einbrachten für das ärmliche Leben seiner Familie.

Er und seine Kinder führten ein verfluchtes Leben, ein Dasein, das kein richtiges war.

Hannes erinnerte sich noch sehr gut an den Tag vor drei Jahren, als er von der Arbeit nach Hause kam und seine Kinder weinend am Tisch saßen. Wilma lag tot auf ihrem Strohsack, und keiner wusste, woran sie gestorben war. Für die Kinder und ihn war es ein furchtbarer Verlust gewesen, und er hatte alle Hände voll zu tun, seine restliche Familie durchzubringen. Seine älteste Tochter Gisela unterstützte ihn, wo sie nur konnte, und übernahm fast schon eine Mutterrolle gegenüber ihren jüngeren Geschwistern.

Wiltrud und Karl wurden von ihr sorgfältig behütet, sozusagen ersatzbemuttert. Gisela hatte den spärlichen Haushalt und die Sorgepflicht für ihre Geschwister in der Abwesenheit ihres Vaters übernommen. Mit ihrem jüngeren Bruder Karl kam sie gut zurecht, aber ihre Schwester Wiltrud war in einem schwierigen Alter. Das Erwachsenwerden bereitete ihr große Sorgen, auch nörgelte sie ständig nur herum.

Hannes nahm seine Umhängetasche vom Nagel, ohne die er nie sein Haus verließ, und warf sie mit einem gekonnten Schwung über die rechte Schulter.

»Vielleicht gelingt es mir heute, ein paar Pfennige zu verdienen«, hoffte er.

»Das wäre vonnöten, Vater! Ich weiß nicht mehr, was ich auf den Tisch stellen soll. Außer Wasser und trockenem Brot ist nichts mehr im Haus«, bemerkte Gisela, und fuhr fort: »Unsere Regale – leer, die Tonkrüge – ebenfalls leer. Ich frage mich, wofür wir eigentlich eine Vorratskammer haben. Außer Mäusen, die sich von den letzten Krumen ernähren, ist sie seit Wochen leer.«

»Ich weiß, mein Kind! Ich werde mein Bestes geben. Also bis heute Abend«, sagte er und verschwand in der verruchten Gasse. In Gedanken versunken machte er sich auf den Weg zu seinem heutigen Arbeitgeber.

Als seine Frau noch lebte, hatte sie für einen kleinen Nebenverdienst gesorgt. Wilma war eine hervorragende Schneiderin und brachte durch Auftragsarbeiten den einen oder anderen Pfennig mit in die Haushaltskasse ein. Als Gläubige und eifrige Kirchgängerin wurde sie auf einem christlichen Friedhof beigesetzt – wo er nie hinkommen würde. Es bedrückte Hannes sehr, dass er nun die Last alleine zu schultern hatte. Immer wieder versuchten bestimmte Personen, ihn nur auszunutzen, doch er wollte sich wehren. »Mit meiner Gutmütigkeit ist es jetzt vorbei!«, nahm er sich vor.

Er ging durch die engen Gassen von Köln. Nur die Hauptstraßen waren teilweise gepflastert, während die kleineren Nebengassen oft nur eine festgetretene Lehmdecke besaßen, die im Winter durch Schneematsch und Pfützen weitgehend verschlammte. »Verhungern lasse ich meine Kinder nicht, selbst wenn ich stehlen müsste«, sagte er sich.

Fleischhauer Wilbert hatte ihm eine Botschaft überbringen lassen, dass er sich bei ihm melden sollte, und nun war er auf dem Weg dorthin. Was der wohl für einen Auftrag für ihn hatte? Was konnte ein Fleischhauer von ihm wollen?

Ja, er und seine gesamte Familie waren verflucht – sie waren der Abschaum von Köln. Um nicht erkannt zu werden, trug er meist eine Kapuze, sonst wechselten die Kölner Bürger die Straßenseite und zeigten mit Finger auf ihn, wenn er durch die Gassen und Straßen ging. Er legte großen Wert auf Geheimhaltung und Anonymität, auch aus Scham vor seiner Arbeit.

Wenn aber die Aborte überquollen und die Exkremente durch die Stadt flossen, war er ein gefragter Mann – dann sollte er schnellstmöglich erscheinen. Wenn sich die Ratten wie die Fliegen vermehrten und der Gestank nicht mehr auszuhalten war, dachte man an ihn. Hatte er mit Eimern den Kot in seinen Karren gegossen, die Aborte entleert und ihn außerhalb der Stadt entsorgt, erhielt er ein paar Pfennige und war danach wieder der gehasste Außenseiter, der Klärgrubenentleerer der Kölner Gesellschaft. Diese Arbeiten waren für ihn die schlimmsten unter seinen vielfältigen schmutzigen Tätigkeiten. Allein der Gedanke trieb ihm den widerlichen Geruch in die Nase. Oft wusste er nicht, wie er diesen entsetzlichen Gestank aushalten sollte, der sich geradezu in seine Kleidung einfraß – den Geruch menschlicher Abfälle. Nach jeder Grubenentleerung überkam ihn das Gefühl, sich am ganzen Körper kratzen zu müssen – er hatte großes Verlangen nach sauberem Wasser, um sich damit den Körper zu reinigen. Am liebsten hätte er nach einer solchen Arbeit seine Kleidung direkt entsorgt, aber mittellos, wie er war, konnte er sich diesen Luxus nicht erlauben. So blieb ihm nur die Wassertonne übrig, in der er alle seine Kleidungsstücke versenkte. In den Sommermonaten war auch der Fluss für ihn eine große Hilfe. Oft stürzte er sich nach einer Klärgrubenentleerung so, wie er war, in den Rhein. Dabei wusch er sich mitsamt seiner Kleidung am Leib. Anschließend warf er die Kleider in das hohe Riedgras, wo sie trocknen konnten.

Nur sein Freund und Nachbar Wilhelm der Bader, seine Tochter Gisela und der Amtsmann Hardevust, ein Patrizier der Stadt Köln, wussten, welche beruflichen Tätigkeiten er ausübte.

Zu seinen Aufgaben gehörte es auch, streunende Hunde und Katzen einzufangen. Die Köter waren für viele Kölner nur unnütze Fresser, verwildert und gefährlich für kleine Kinder – einfach nur verfluchtes Hundepack, genau so verflucht wie er. Um diese Tiere zu fangen, besaß er einen kräftigen Holzstab mit einer Drahtschlinge an einem Ende, die er um den Hals des Tieres zuziehen konnte. So konnte er das Tier zu sich heranziehen und mit einem eigens dafür hergestellten Knüppel totschlagen. Anschließend balgte er die Kreatur ab und warf die Reste in den Stadtgraben. So war nach dem Entleeren von Aborten sein zweiter Beruf Hundeschläger – eine weitere Karriere in seinem beruflichen Werdegang. Für diese Tätigkeit wurde er jedoch noch schlechter bezahlt, nämlich meist überhaupt nicht. Als Belohnung durfte er die Felle der ausgenommenen Hunde behalten. Viel konnte er damit nicht anfangen.

Manchmal gelang es ihm, ein Fell gegen kleines Geld an alte, unter Gelenkbeschwerden leidende Damen zu verkaufen. Diese bevorzugten dabei häufig die weicheren Katzenfelle.

Seinem dritten Beruf konnte er nur selten nachgehen; dafür wurde er aber am besten bezahlt. Die Auftragslage war undurchsichtig. Diesen Beruf hatte er von seinem Vater vererbt bekommen; er musste von Sohn zu Sohn weitergereicht werden, und es gab auch für ihn keine Alternative. In seinem richtigen Beruf war er nämlich Henker – der Henker oder, wie ihn auch viele nannten, der Scharfrichter von Köln. Deshalb verließ er das Haus auch nie ohne die Schultertasche, in der sich seine Henkerkapuze befand. Bei seinen Auftraggebern und bei all seinen Arbeiten trug er sie. Er führte ein gespaltenes Leben: der normale Bürger Hannes aus der unteren Schicht und der Henker von Köln – das Grauen der Stadt in leiblicher Person. Vielen Bürgern der Stadt war der Hundeschläger, der Abort-Entleerer und der Henker bekannt. Jedes Mal, wenn er sich unbeobachtet fühlte, meistens kurz vor seinem Auftrag, ging er in eine verborgene Ecke und setzte sich eilig die Kapuze auf. So auch jetzt, kurz bevor er das Geschäft des Fleischhauers erreicht hatte. Überall in der Stadt hatte er seine kleinen Ecken und Verstecke – Orte der Einsamkeit und der Verzweiflung.

Als die Bürger ihn mit seiner Kapuze auf seinem Haupt kommen sahen, wechselten sie sofort die Straßenseite. Eine Mutter sagte zu ihren Kindern: »Schaut nicht hin, da kommt der Henker! Geht ihm immer aus dem Weg und berührt ihn um Gottes willen nicht, sonst seid ihr verflucht!« Sie zerrte die Kleinen an den Händen schleunigst aus dem Gesichtsfeld des Scharfrichters. Die Leute ließen sich immer wieder neue Bezeichnungen...