dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

WARP (Band 2) - Der Klunkerfischer - Grandiose Zeitreise-Trilogie für Jugendliche ab 14 Jahre

Eoin Colfer

 

Verlag Loewe Verlag, 2015

ISBN 9783732002559 , 392 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

6,99 EUR


 

Moley und Googoo

Wenn du in der Zeit zurückreist und Rasputin tötest, gibt es keinen Grund, in die Zeit zurückzureisen und Rasputin zu töten.

Also, ist der alte Grigori nun tot oder nicht?

Professor Charles Smart

Boxitenakademie für Jugendliche, London, Neu-Albion. Gegenwart – 115 BZ Boxitenzeit

Einst war London voller Magie gewesen. Allein der Name weckte Bilder von Dickens' Oliver Twist oder von Sherlock Holmes, wie er in seiner Wohnung in der Baker Street sitzt und über ein Drei-Pfeifen-Problem grübelt, oder von einer der tausend anderen Geschichten von Abenteuer und Wagemut, die mit Londons Prachtstraßen und dunklen Seitengassen verwoben sind. Jahrhundertelang waren die Menschen von überall auf der Welt in Englands Hauptstadt gereist, um sich die Orte ihrer Lieblingsgeschichten anzusehen oder ihr Glück zu machen oder einfach berühmte Bauwerke wie den Trafalgar Square oder Big Ben zu bewundern.

Doch diese Zeiten der Magie waren lange vorbei.

Zum einen gab es im Boxitenreich keine Tourismusindustrie, und zum anderen war Big Ben schon Jahrzehnte zuvor abgerissen worden, um Platz für eine riesige Statue des Heiligen Colonels zu schaffen, dessen steinerne Augen über die Stadt und jeden ihrer Bewohner wachten. Und Big Ben war nicht die einzige Sehenswürdigkeit, die unter den Boxiten zerstört worden war. Stein um Stein vernichtete das Reich die Überreste der Vergangenheit und errichtete ein neues London nach seinem eigenen Abbild: einförmig, imposant, grau und unerbittlich.

Fast alle Dienstgebäude waren aus Beton gegossen, beinahe ohne Verzierungen, mit endlosen Reihen schwach beleuchteter Fenster, die mit halb heruntergelassenen Jalousien verhängt waren. Die älteren Londoner Häuser, die vom sauren Regen zerfressen waren, wurden eins nach dem anderen abgerissen und durch fertige Betonwürfel ersetzt, die mit Megakoptern aus der Luft direkt an Ort und Stelle platziert wurden. Die Würfel waren bereits mit allen nötigen Leitungen und Rohren versehen und mussten nur an die entsprechenden Hauptleitungen angeschlossen werden, um vollständig funktionstüchtig zu sein. Auf diese Weise wurde Londons Geschichte jeden Tag ein wenig mehr ausgelöscht.

Eines dieser alten Gebäude, das verfallen war und in einem halben Jahr in die Luft gesprengt werden sollte, war die Boxitenakademie für Jugendliche, die Offiziersschule für das Militär des Reichs, in der Kadetten aus allen Ländern der Welt in den Regeln und Gesetzen des Heiligen Colonels unterwiesen wurden.

Im Inneren dieser äußerst spartanischen Akademie war kein Versuch unternommen worden, für die Bequemlichkeit und das körperliche Wohlbefinden der Kadetten zu sorgen. Die Bänke bestanden aus hartem Stein, und Holzbretter mit dünnen Matratzen dienten zum Schlafen. Das Vorbild Spartas wurde oft zitiert und schwächliche Kandidaten wurden nicht gefördert, sondern in eine der noch härteren Institutionen des Boxitenreichs versetzt.

Die siebzehnjährige Kadettin Chevron Savano wachte in ihrer Schlafkabine auf. Die Wecksirene war noch nicht ertönt, und so hielt sie die Augen noch einen Moment geschlossen, um sich auf die Albträume des Tages vorzubereiten.

Nein, keine Albträume, dachte Chevie. Obwohl der Heilige Colonel weiß, dass ich jede Menge davon habe. Das sind Visionen, und sie verfolgen mich.

Chevie zog sich die raue Armeedecke über den Kopf, sodass das Licht der an der Wand befestigten Lampen nicht mehr durch ihre Lider dringen konnte.

Was ist nur los mit mir?, fragte sie sich. Warum sehe ich Dinge, die gar nicht da sind?

Diese Visionen hatten katastrophale Auswirkungen auf ihre Ausbildung an der Boxitenakademie für Jugendliche. In letzter Zeit hatten Chevies Leistungen massiv nachgelassen – so stark, dass jetzt in ihrer Akte, die am Fußende ihres Betts befestigt war, eine orangefarbene Karte steckte.

Das bedeutete eine Überprüfung. Die erste Warnung, und vielleicht auch die letzte, falls sie sich nicht bewährte. Die Regeln der Akademie waren sakrosankt. Eine ernst zu nehmende Verfehlung, und ihr Platz würde an den Nächsten auf der Warteliste gehen.

Und es war eine lange Liste.

Ihre Überprüfung war für heute angesetzt. Wenn sie nicht zufriedenstellend verlief, würde sie womöglich in die Soldatenfabrik in Dublin versetzt – oder, was noch schlimmer wäre, als Grubenschaufler in die Minen von Newcastle.

Chevie erschauerte.

Grubenschaufler? Das ist bestimmt noch schlimmer als der Tod.

Sie wusste noch ganz genau, wann das mit den Visionen angefangen hatte, nämlich vor sechs Monaten. Damals war sie nachts schlafgewandelt, bis in den muffigen Keller der Akademie, wo sie in einem Haufen seltsamer, halb aufgelöster Kleider zusammengesackt war: lange, unförmige Streifen schweren, tropfnassen Stoffs, die sich wie dunkle Schlangen um ihren Körper gewickelt hatten. Sie hatte weder ein Nachthemd noch Pantoffeln angehabt, nur dieses eigentümliche Material, das sich in eine schleimige Masse verwandelt hatte, als sie langsam aufgewacht war. Dann war ihr übel geworden, und sie hatte ein merkwürdiges leuchtendes Gel ausgespuckt, das in Lichtpartikel zerstoben und davongeflogen war wie Glühwürmchen.

Licht?, dachte sie.

Sterbe ich?

Ist das der Tod?

Doch ihr keuchender Atem und das Hämmern ihres Herzens versicherten Chevie, dass sie noch lebte.

Wie bin ich hierhergekommen?

Wo bin ich überhaupt?

Kadettin Savano bedeckte sich mit einem alten Möbelüberzug, der auf einem Haufen Farbdosen lag, und stolperte mit zitternden Beinen die schmiedeeiserne Treppe hinauf.

Ich bin in einer Art Keller, dachte sie.

Hier stand die WARP-Kapsel, du Dummkopf, sagte eine Stimme in ihrem Kopf. Du bist zurückgekehrt.

Diese Stimme, die ihr bald sehr vertraut werden sollte, redete Unsinn, und so beachtete Chevie sie nicht weiter.

Sie pochte gegen die verschlossene Tür und rief um Hilfe, die nach einer Weile auch kam, und zwar in Form der muskelbepackten Nachtwache der Akademie: zwei Thundercats, Clover Vallicose und Lunka Witmeyer, die dem Geheimdienst angehörten. Somit war Chevie zumindest in der Akademie.

Thundercats?, dachte Chevie und fing zu ihrem eigenen Entsetzen an zu kichern.

Wieso musste sie darüber lachen? Niemand lachte in der Anwesenheit von Thundercats. Sie hatten die Lizenz, nötige und unnötige Gewalt einzusetzen, bis hin zur Beibringung tödlicher Wunden, aber nicht darüber hinaus.

Wie geht man über tödliche Wunden hinaus?, fragte sich Chevie.

Zwei Tage, sagten die Thundercats streng und runzelten die Stirn hinter ihren Spritzschutzvisieren. Zwei Tage haben wir dich gesucht, Waise. Und jetzt tauchst du in einem verbotenen Bereich auf. Wie im Namen des Heiligen Colonel bist du hier heruntergekommen? Und warum lachst du? Findest du uns etwa amüsant?

Chevie konnte nur stumm den Kopf schütteln. In ihrem Kopf herrschte ein Durcheinander aus Traumresten, Verwirrung und Fragen, die abbrachen, bevor sie richtig Gestalt annehmen konnten.

Wie bin ich …?

Was war das …?

Riley?

Wer?

Wieso?

Und genau in dem Moment hatten die Visionen, die ihr geordnetes Leben völlig auseinanderreißen würden, begonnen. Vor ihren ungläubigen Augen waren die Thundercats in gestückelte Spiegelbilder ihrer selbst zersprungen, und an ihrer Stelle war eine ältere Frau mit einem unordentlichen Haarknoten aufgetaucht.

Ich wusste, dass ihr kommen würdet, sagte sie. Charles hat es gesagt, und Charles Smart irrt sich nie.

Dann war die ältere Dame verschwunden, und die Thundercats hatten wieder Form angenommen – und Chevie hatte sich zappelnd in ihrem eisernen Griff wiedergefunden, verzweifelt darum bemüht, sich von diesem Albtraum zu befreien, in den sie erwacht war.

Schön ruhig, kleines Vögelchen, hatte Schwester Lunka Witmeyer sie ermahnt.

Chevie hatte gezittert wie ein Verbrecher auf der Schandbank am Trafalgar Square.

Wer war die ältere Frau aus ihrer Vision? Und wer war Charles Smart?

Diese Fragen konnte sie weder beantworten noch laut stellen, denn sonst würde man sie wahrscheinlich für labil halten und in eine Schule für die hoffnungslosen Fälle stecken. In Chevies Kopf wimmelte es nur so von verbotenen Fragen. Nachts hielten sie sie wach, und tagsüber machten sie sie benommen.

Es ist ein Tumor, dachte sie alle paar Sekunden. Mein Gehirn frisst sich selbst auf.

Seither waren mehrere Monate vergangen, und die Visionen hatten Chevies Lebenskelch, der ohnehin nicht gerade mit goldener Hoffnung gefüllt gewesen war, einen tiefen Sprung verpasst. Sie war Kadettin in einer Schule, die Polizisten, Soldaten und Spione für die Boxitenarmee ausbildete. Damit lag ein hartes Leben voller Misstrauen und Verhöre vor ihr – wenn sie Glück hatte. Doch jetzt sah es so aus, als würde sie kein Glück haben.

So wie ihre beste Freundin DeeDee.

Chevie öffnete die Augen, und zumindest in diesem Moment war die Welt so, wie sie laut ihrem Verstand sein sollte. Keine Halluzinationen. Kein stechender Schmerz in ihren Schläfen, der in der letzten Zeit immer als Vorbote der Visionen aufgetaucht war.

Ich bin in der Schlafkabine. Gut.

Das Bett über ihr war leer. DeeDee – ihre Freundin,...