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Tod in der Hofburg - Ein Wien-Krimi

Beate Maxian

 

Verlag Goldmann, 2015

ISBN 9783641159320 , 384 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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8,99 EUR


 

PROLOG

Sie konnte kaum glauben, dass sie ihr Vorhaben tatsächlich in die Tat umsetzte. Etwas zu planen oder eine Forderung auszusprechen war eine Sache, das Ding durchzuziehen eine andere.

Doch die Verbitterung saß tief. Bluten sollte dieser Scheißkerl. Richtig bluten. So wie sie geblutet hatte. Dieses verdammte Arschloch sollte vor ihr am Boden liegen und um Vergebung winseln. Und dieses symbolische Bluten erreichte sie über seine Achillesferse: Geld.

Im ersten Moment wollte sie abhaken, was passiert war, und einfach dort weitermachen, wo sie vor ihrem ersten Zusammentreffen aufgehört hatte. Doch er hatte keine Ruhe gegeben. Eine Zweieuromünze, die sie auf der Straße gefunden hatte, hatte sie schließlich auf die Idee gebracht. Er sollte bezahlen. Schmerzensgeld, eine Art Wiedergutmachung.

»Das ist Erpressung«, hatte er am Telefon gezischt, als sie ihre Forderung stellte. Sollte er es doch nennen, wie er wollte. Von ihr aus auch Erpressung, ihr war das egal. Hauptsache, er rückte die Kohle raus. Das allein zählte.

Heute würde sie ihm jede Menge Bares abnehmen.

Ob das ihren Seelenfrieden wiederherstellen konnte, würde sich erst hinterher erweisen.

In Gedanken versunken ging Annemarie Bartl die Kärntnerstraße hinauf und bog in den Graben ein. Am Kohlmarkt angekommen warf sie sehnsüchtige Blicke auf die Angebote der exklusiven Boutiquen. Armani. Gucci. Prada. Chanel. Die Schaufenster waren mit dicken Jacken, Mützen und Schals ausgestattet, fast alle noch mit Sale-Etiketten versehen. Sehr bald würden schon wieder Frühlings- und Sommerkleider, kurze Hosen, Strandmoden und Sandalen die Puppen bekleiden. Dann würde sie es sich auch endlich einmal leisten können, in den Luxustempeln ein Stück zu erstehen. Und zwar unabhängig vom Abverkauf. Diese Vorstellung zauberte ihr ein – wenngleich grimmiges – Lächeln ins Gesicht. Sie bahnte sich hoch erhobenen Hauptes weiter ihren Weg durch die Menschentrauben. Die Innenstadt war um diese Zeit, kurz nach Weihnachten, voller Touristen, die Silvester in der Walzerstadt feiern wollten. Sie hörte verschiedenste Sprachen, manche, die sie verstand, andere, die sie nicht einmal mit viel Fantasie zuordnen konnte. Einige klangen melodiös, andere monoton, wieder andere fast wie ein Krächzen.

Die Touristen fielen in die Mode- und Schuhgeschäfte, Restaurants und Kaffeehäuser ein und belagerten die Sehenswürdigkeiten der Stadt. Einer der Besuchermagneten war zweifellos die Hofburg. Über 600 Jahre hinweg hatte dieser Prachtbau der Habsburgerdynastie als Residenz gedient. Noch heute erahnte man die einstige Macht dieses Herrschergeschlechts. Auch innerhalb der Gemäuer war der ehemalige Kaiserwohnsitz feudal und prunkvoll – durch Reichtum und Überfluss geprägt.

Ein würdiger Ort für die Übergabe.

Annemarie Bartl hatte das Sisi Museum als Treffpunkt ausgewählt. Denn was war unauffälliger als zwei Frauen, die sich für die persönlichen Gegenstände und das Leben der Kaiserin Sisi interessierten? Einmal im Leben Prinzessin, Königin oder Kaiserin sein … Der Traum vieler Mädchen. Auch Annemarie Bartl hatte ihn geträumt. Als Kind hatte sie heimlich die Abendkleider und Stöckelschuhe ihrer Mutter angezogen und sich vor dem Spiegel bewundert. Freilich, solch aristokratische Kleider, wie Kaiserin Sisi sie getragen hatte und wie sie hier ausgestellt waren, etwa das ungarische Krönungskleid, hatte ihre Mutter nicht besessen. Doch Annemarie Bartl fühlte sich in diesem Augenblick wieder ein wenig so wie damals vor dem Spiegel: majestätisch.

Wenngleich die echte Kaiserin Elisabeth zeitlebens unglücklich gewesen sein sollte. Deshalb glänzte sie am Wiener Hof, sooft sie konnte, durch Abwesenheit. Schließlich verfiel sie einem ungesunden Schönheitswahn, floh in Magersucht und exzessive sportliche Betätigung. Eine Frau auf der Flucht vor sich selbst.

Dennoch war Annemarie Bartl davon überzeugt, den perfekten Ort ausgewählt zu haben. Dass ihr Plan funktionierte, schien außer Zweifel. Zwei Frauen. Zwei identische Handtaschen. In einer der Taschen 400 000 Euro. In einer halben Stunde würde sie um genau diesen Betrag reicher sein!

Auf dem Michaelerplatz betrachteten Touristen die römischen Ausgrabungen. Annemarie Bartl steuerte zielstrebig auf das geöffnete Michaelertor zu. Vor dem Eingang zur Spanischen Hofreitschule bildete sich eine längere Warteschlange, die Kasse fürs Sisi Museum im inneren Burghof dagegen war nahezu verwaist. Den Eintrittspreis von 11,50 Euro sah sie als notwendige und durchaus günstige Investition für ihr gesamtes Arrangement.

Während sie über den roten Teppich die breite Treppe zu den Räumlichkeiten hinaufging, überlegte sie, dass sie eigentlich noch mehr hätte verlangen sollen. Egal. Wenn ihr das Geld ausging, konnte sie immer noch eine Nachforderung stellen. Der Scheißkerl sollte sich sowieso nie mehr sicher vor ihr fühlen.

Am Drehkreuz presste sie ihre Eintrittskarte mit dem Code auf eine schmale Glasplatte und konnte gleich darauf das Museum betreten. Die Museumsaufseherin beobachtete sie aus ihrem Verschlag aus undefinierbarem Material kombiniert mit Glas. Kurz danach stand Annemarie Bartl in einem Raum namens »Der Tod« vor Sisis Totenmaske, die sich hinter Panzerglas befand und weiß wie Marmor war.

»… gibt es Geschichten über sagenumwobene Gestalten, die sich, ob wahr oder unwahr, über Jahrtausende halten und an die man gerne glauben möchte«, drang in dem Moment die Stimme einer Fremdenführerin an ihr Ohr, die eine Gruppe von Schülern und Schülerinnen vorbeiführte. »Die Weiße Frau in der Hofburg zum Beispiel ist so eine Gestalt. Je nachdem, ob sie beim Erscheinen weiße oder schwarze Handschuhe trägt, kündigt das eine Geburt oder den Tod an. Die Weiße Frau wurde zuletzt offiziell 1898 gesehen, kurz vor der Ermordung der Kaiserin Elisabeth. Damals trug sie schwarze Handschuhe. Dass sie seitdem nicht mehr gesehen wurde, bedeutet jedoch nicht, dass sie nicht mehr in der Hofburg umhergeht.«

Annemarie Bartl lächelte. Eine nette Geschichte, um die Jugendlichen während der Führung bei Laune zu halten.

Langsam ging sie weiter.

Als sie vor dem Modell der Wiener Hofburg und des Kaiserforums stand, betrat ihre neue Bekannte den Raum. Sehr groß und sehr gerade, wie ein schon in die Jahre gekommenes Model. Sie trug eine blonde Perücke. Von ihren Fingern zog sie schwarze Lederhandschuhe. Was für eine Dramaturgie!, dachte Annemarie Bartl und dachte schmunzelnd an die Geschichte der Weißen Frau. Trotz des überheblichen Blicks, mit dem die Geldbotin Annemarie Bartl bedachte, wirkte sie nervös, nahezu hektisch. Annemarie setzte ein Lächeln auf und winkte der anderen zu, wie man einer guten Freundin zuwinkt. Als sie vor ihr stand, begrüßte sie sie – vorgeblich herzlich – mit zwei Wangenküssen, wie es hierzulande eben üblich war.

»Wie schön, dich zu sehen«, flötete Annemarie Bartl.

»Was soll diese blöde Inszenierung?« Die Frage stand ihr zu. Immerhin zahlte sie seine Zeche, und Annemarie Bartl kassierte.

Selbstverständlich hätte die Übergabe auch woanders stattfinden können. Aber so war es nun einmal, wenn man etwas zu verbergen hatte: Es profitierten diejenigen, die von dem Geheimnis wussten und damit den Preis für ihr Schweigen und den Ort für die Übergabe des Geldes bestimmten.

»Hast du die Totenmaske der Kaiserin beim Eingang gesehen?«, erkundigte Annemarie Bartl sich, so als wären sie wirklich hergekommen, um die Exponate zu bewundern. »Warum haben sie die wohl gleich zu Beginn des Rundgangs ausgestellt?«

»Keine Ahnung. Bin ich die Kuratorin?«, entgegnete die andere unwirsch.

»Vielleicht, um Sisis Todessehnsucht zu dokumentieren?« Annemarie Bartl ignorierte die schlechte Laune der Überbringerin. Außerdem beschäftigte diese Frage sie tatsächlich. Sie zog die andere sanft weiter, vorbei an der lebensgroßen Statue der Sisi und am Bildschirm, der Filmauszüge mit Romy Schneider und Karlheinz Böhm in den Hauptrollen zeigte. Im Raum, der Sisis Kindheit repräsentieren sollte, blieben sie schließlich stehen.

»Wir müssen so tun, als ob uns das hier interessiert«, raunte Annemarie Bartl, während sie auf eine hinter Glas ausgestellte Zither zeigte.

»Blödsinn! Den Leuten hier ist es wurscht, ob uns das Klumpert interessiert oder nicht«, brummte die andere ungehalten.

Annemarie Bartl starrte sie überrascht an. Eine solche Ausdrucksweise hatte sie ihr gar nicht zugetraut. Sie sprach ansonsten in gehobenem Wienerisch.

»Schlechte Laune?« Die Frage klang provozierend.

»Lass uns die Sache zu Ende bringen. Ich hab nicht viel Zeit«, zischte die Geldkurierin.

Annemarie Bartl warf einen Blick an die Decke, um nach Kameras Ausschau zu halten. Sie konnte keine entdecken, was allerdings nichts zu bedeuten hatte. Sie ging weiter. Die andere folgte ihr. Annemarie hatte den optimalen Ort für den Handtaschenaustausch bereits ausgewählt, nämlich den Raum, wo das schwarze Kleid der Kaiserin ausgestellt wurde, an den Wänden Spiegel hingen und Blitze sowie Wörter auf die schwarze Wandfläche projiziert wurden: Sturm. Seele des Schwans.

Sonst war es in diesem Raum stockdunkel. Deshalb konnte sie von dem Schild auch nicht ablesen, wie dieser Teil des Museums betitelt wurde. Sie hoffte inständig, dass hier keine Kameras aufzeichneten.

»Wie viel?«, fragte Annemarie Bartl.

»So viel, wie du verlangt hast.«

Annemarie Bartls Herz klopfte aufgeregt. Offenbar waren sie allein.

»Jetzt«, gab sie das Kommando.

Rasch und unbemerkt tauschten sie die Handtaschen aus....