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Die Blutsfeinde - Historischer Roman

Robyn Young

 

Verlag Blanvalet, 2015

ISBN 9783641156091 , 704 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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8,99 EUR


 

1


Bordeaux, Königreich Frankreich
23. November A.D. 1295

 

Mathieus Handflächen waren glitschig vor Schweiß. Er packte sein Breitschwert fester und schielte zu seinem Kommandanten hinüber, der rechts von ihm Kampfhaltung angenommen hatte, doch der Blick des Mannes war auf die mächtigen Flügeltüren am Ende der Halle gerichtet. Während Mathieu ihn beobachtete, rann eine ölige Schweißspur über seine Wange. Wieder ertönte das donnernde Krachen, die Tür erzitterte heftig, und die neun in der Halle aufgereihten Wächter zuckten zusammen. In der darauffolgenden kurzen Stille sogen alle scharf den Atem ein. Einen Moment später wurde das Holz von einem neuen dröhnenden Stoß erschüttert. Die Türen zerbarsten, ein Regen von Eichenholzsplittern ergoss sich in die Halle und übersäte die Wandbehänge und Fliesen. Der an der Spitze mit Eisen beschlagene Rammbock wurde knirschend zurückgezogen, dann strömten Soldaten durch die Bresche.

Mathieu überkam eine Welle heißer Angst. Eine Sekunde lang stand er wie gelähmt da. Unzusammenhängende Gebete und Beteuerungen gingen ihm durch den Kopf. Er war erst neunzehn Jahre alt. Mit dem, was sich hier abspielte, hatte er nicht gerechnet, als sein Vater ihm diesen Posten verschafft hatte. Lieber Gott, bitte verschone mich! Doch als er seinen Kommandanten den Befehl zum Angriff bellen hörte und sah, wie seine Kameraden den Soldaten entgegentraten, zwang er sich, zusammen mit ihnen vorzurücken. Viel zu schnell drang ein Soldat auf ihn ein. Mathieu konnte gerade noch einen mit Eisennieten besetzten, blauen und scharlachroten Schild vor sich aufblitzen sehen, der zu dem Überwurf des Mannes passte, dann musste er mit seinem Breitschwert auch schon einen gegen seinen Kopf gerichteten Hieb abfangen. Überall ringsum waren seine Gefährten in erbitterte Zweikämpfe mit den Gegnern verstrickt. Schwerter klirrten, unterdrückte Schreie drangen an seine Ohren, Schilde zerbarsten splitternd unter wuchtigen Angriffen, schwere Stiefel ließen den Boden der Halle erzittern. Im Gegensatz zu den in lange Kettenhemden gekleideten und mit eisernen Helmen bewehrten Soldaten trugen die Wächter nur gefütterte lederne Wämser und gepolsterte Beinschienen, um Rumpf und Schenkel zu schützen.

Mathieu knirschte mit den Zähnen, als sein Gegner erneut auf ihn losging und ihm beinahe das Schwert aus der Hand geschlagen hätte. Er versuchte, sich umzudrehen und zu flüchten, doch der Soldat trieb ihn zurück, bis er gegen die Wand prallte und in der Falle saß. Ein verzweifelter Aufschrei entrang sich seiner Kehle, als es ihm nicht gelang, seinen Widersacher zur Seite zu drängen. Schweiß rann ihm in die Augen und blendete ihn. Ihm fehlte der Raum, um sein Breitschwert zum Einsatz zu bringen. Er wich einem auf seine Seite zielenden Hieb aus, wehrte einen weiteren, gegen seine Brust geführten ab und holte dann ungeschickt zum Gegenangriff aus. Der Soldat duckte sich unter der Klinge hinweg. Scharlachrot und Blau flammte vor Mathieu auf, als der Mann ihm seinen schweren Schild mitten in das Gesicht schmetterte. Ein greller Schmerz durchzuckte ihn, Blut schoss aus seiner Nase und seinem Mund, er taumelte gegen die Wand zurück, und seine Klinge verfehlte ihr Ziel. Im nächsten Moment bohrte sich etwas Weißglühendes hoch oben in seine Seite – das Schwert des Soldaten war in das weiche Fleisch unter seiner Achselhöhle gedrungen, das an dieser Stelle nicht von der ledernen Rüstung geschützt wurde. Mathieu kreischte laut auf, als der Mann mit seiner behandschuhten Hand gegen das Heft hämmerte und ihm die Klinge mit einem angestrengten Grunzlaut tiefer in den Leib trieb.

Er spürte, wie das Breitschwert seinen Fingern entglitt. Auf der anderen Seite der Halle sah er weitere Soldaten, die sich durch die geborstenen Türen drängten, um den anderen zu Hilfe zu kommen. Doch dazu bestand wenig Anlass; Mathieus Kameraden waren in der Unterzahl und den Gegnern hoffnungslos unterlegen. Alles war so schnell gegangen. Vom Haupthaus aus hatten sie mit angesehen, wie die Wachposten am Torhaus niedergemetzelt wurden, dann waren die Soldaten auch schon wie entfesselt über den Hof galoppiert und hatten ihnen kaum Zeit gelassen, die Türen zu verriegeln. Als er zu Boden sank, sah Mathieu einen seiner Kameraden über dem Schwert zusammenbrechen, das seinen Magen durchbohrt hatte. Die anderen wichen zu den Stufen zurück, die zu einer Galerie emporführten. Wie aus weiter Ferne hörte er irgendwo donnerndes Gebrüll, doch bevor er die Quelle davon ausmachen konnte, verlor er das Bewusstsein und sackte schlaff in sich zusammen, wobei er eine rote Spur an der Wand hinter sich zurückließ.

Das Brüllen wurde lauter, übertönte das Getöse in der Halle. Dann kam ein Mann die Treppe herunter. Bei seinem Anblick ließen die Soldaten einer nach dem anderen von ihren Gegnern ab. Der Mann stapfte, noch immer etwas in einem schwer verständlichen Französisch brüllend, die letzten Stufen hinunter. Er hob das Schwert, das er in einer Hand hielt, schwang es über den Kopf, drängte sich an seinen Männern vorbei und stürmte auf die Soldaten zu, die jetzt alle stehen geblieben waren und unter ihren Helmen keuchend nach Atem rangen. Aber sie wichen keinen Schritt vor dem zornigen Neuankömmling zurück. Dieser machte kurz vor ihnen Halt und musterte ihre Überwürfe. Dass er sie sofort erkannte, schien nicht gerade zu seiner Beruhigung beizutragen. »Was hat das alles zu bedeuten?« In seiner Stimme schwang ein Anflug von Furcht mit, doch sein Schwertarm zitterte nicht. »Wie könnt ihr es wagen, hier so rüde einzudringen? Und meine Männer anzugreifen!« Er deutete mit der freien Hand auf die Leichen seiner Wächter. Sein Blick verharrte einen Moment lang auf dem reglosen Körper von Mathieu, dem Jüngsten von ihnen. »Wer ist euer Kommandant? Ich will mit ihm sprechen, und zwar sofort!« Als ihm nur eisiges Schweigen entgegenschlug, herrschte er sie an: »Antwortet mir!«

»Ihr könnt mit mir sprechen, Pierre de Bourg.« Ein weiterer Mann betrat die Halle und sah sich nach allen Seiten um, als er über die Überreste der Tür hinwegstieg. Er musste Anfang dreißig sein, hatte ein längliches Gesicht, braune Augen und einen fahlen Teint, der darauf schließen ließ, dass er schon lange keine Sonne mehr gesehen hatte. Sein Haar wurde von einer weißen Seidenkappe verdeckt, und er trug einen bodenlangen Reitumhang, der ihn größer und breiter erscheinen ließ, als er tatsächlich war. Der Umhang war schlicht, aber offenbar von einem ausgezeichneten Schneider gefertigt, und wurde vor der Brust von einer kostbaren Silberkette zusammengehalten.

»Wer seid Ihr?«, schnarrte Pierre.

Der Mann streifte ein Paar seidene Handschuhe ab und entblößte blau geäderte, spindeldürre Hände. Sein Blick heftete sich auf den Fremden. »Mein Name ist Guillaume de Nogaret.«

Er befleißigte sich der langue d’oïl, doch Pierre hörte einen weichen südlichen Akzent aus der rauen Mundart des Nordens heraus. Die Soldaten traten zur Seite, als Guillaume de Nogaret auf sie zukam, hielten ihre Waffen aber weiterhin auf Pierre gerichtet. Dessen Leibwächter hatten sich schützend hinter ihm aufgebaut.

Nogaret deutete auf ihn. »Lasst Euer Schwert sinken.«

Pierre rang um Fassung. Er wusste, dass er angesichts von Nogarets unerschütterlicher Ruhe nicht seine Autorität einbüßen durfte. »Ich werde nichts dergleichen tun. Ihr seid gewaltsam in mein Haus eingedrungen und habt meine Leute getötet. Wer hat Euch das Recht dazu gegeben?«

»Ich bin Minister König Philipps IV. und handele auf seinen Befehl.«

Pierre schielte zu den Soldaten in ihren scharlachrot und blau gemusterten Überwürfen hinüber: die Farben der unter dem Kommando von Charles de Valois, dem Bruder des Königs, in Bordeaux stationierten königlichen Leibgarde.

»Uns wurde zugetragen«, fuhr Nogaret fort, »dass Ihr unsere Truppen ausspioniert und dann die Engländer in Bayonne informiert habt.«

»Lächerlich! Wer hat so etwas behauptet? Wer beschuldigt mich?«

»Ihr werdet Euer Schwert sinken lassen«, wiederholte Nogaret. »Oder meine Männer werden Euch dazu zwingen.«

Nach einer langen Pause gehorchte Pierre widerstrebend.

»Sagt Euren Männern, sie sollen ihre Waffen auf den Boden legen und zur Wand zurücktreten.«

Pierre wandte sich mit einem knappen Nicken an seine Wächter. Sowie diese ihre Schwerter fallen gelassen hatten, brach hektische Aktivität im Raum aus. Die königlichen Soldaten sammelten die Waffen ein und drängten die geschlagenen, verbitterten Männer an die Wand. Die Leichen von Mathieu und den anderen Gefallenen wurden zu einer Seite der Halle geschleift.

»Wie viele Menschen halten sich in diesem Haus auf?«, fragte Nogaret barsch.

»Nur meine Familie und unsere Dienstboten, aber was immer Ihr von mir wollt, betrifft sie nicht.«

»Durchsucht die oberen Räume.« Nogaret winkte fünf Soldaten zu sich. »Bringt jeden herunter, auf den ihr stoßt. Leisten sie Widerstand, wendet Gewalt an.«

Pierre sah ihnen angsterfüllt nach, als sie die Treppe hinauftrampelten. »Tut ihnen nichts, ich bitte euch!« Er wandte sich an Nogaret. »Meine Frau und meine Kinder haben nichts verbrochen!«

»Führt ihn ab«, befahl Nogaret zwei weiteren Soldaten. Er deutete auf einen düsteren Gang, der von der Eingangshalle abzweigte. »Geht es dort zur Küche?«, fragte er. Als Pierre keine Antwort gab, trat er drohend einen Schritt vor.

Pierre nickte stumm. Die Soldaten packten ihn und schleiften ihn den Gang entlang. Nogaret folgte ihnen etwas langsamer. Der Rest seiner Leute blieb in der Halle zurück.

Die...