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Strandzauber - Ein Rügen-Roman

Lena Johannson

 

Verlag Aufbau Verlag, 2015

ISBN 9783841209078 , 144 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

7,99 EUR


 

Das Fass läuft über …


»Mami, was ist eigentlich Sex?«

»Weiß nicht, Schatz, ist so lange her.« Carolina strich sich gedankenverloren eine Strähne ihres rötlich-braunen Haares aus dem Gesicht. Warum fuhr denn dieser Trottel da vorne nicht? Wartete er auf eine Farbe, die ihm besser gefiel als Rot, Gelb oder Grün? Nur war so eine Ampel leider keine Losbude, bei der man die freie Auswahl hatte. Schon wieder spät dran. Und ausgerechnet jetzt funktionierte diese dämliche Klimaanlage nicht. Carolina musste dringend damit in die Werkstatt. Warum eigentlich? Das war doch eindeutig Männersache, fand sie. Wenn Kinder chauffieren, waschen und bügeln, Garten pflegen inklusive Rasen mähen, staubsaugen, putzen, Ausflüge planen, Geschenke für Eltern, Schwiegereltern, entfernte Tanten, unzählige Spielkameraden und nicht zuletzt für die Kinder kaufen und Kochen Frauensache war, gehörte das Auto dann nicht zu den Männer-Jobs? Sie seufzte. Sie würde Spaghetti Bolognese machen, überlegte Carolina. Das ging schnell, und die Kinder liebten Bolo, wie sie es nannten. Lutz aß ohnehin alles gern, was sie kochte. In diesem Punkt war er pflegeleicht.

Moment, was war das gerade eben? Sie spulte in Gedanken zurück. Mami, was ist eigentlich Sex? Hatte Lara das wirklich gefragt? Sie war acht Jahre alt! Carolina sah das Gesicht ihrer Tochter im Rückspiegel an. Hinter der kleinen Stirn arbeitete es gewaltig. Carolina musste sich eingestehen, dass ihre Antwort pädagogisch nicht gerade wertvoll gewesen war. Die Frage war so unvorbereitet gekommen, dass die Reaktion heraus war, ehe Carolina überhaupt ihr Hirn in Betrieb genommen hatte. Sie konzentrierte sich auf die Straße. Ein Symbol im Armaturenbrett leuchtete auf. Carolina runzelte die Stirn. Was war das nun wieder? Was sollte das überhaupt darstellen? Verdammt, Lutz hatte ihr versprochen, einen Termin für die Inspektion zu vereinbaren. Er konnte einfach besser erklären, welche Macken an dem Fahrzeug auftraten, und er konnte die Fragen beantworten, die von dem Werkstatt-Heini so sicher kamen wie der Ausfall der Klimaanlage im Sommer. Sie war auf diese Karre angewiesen. In dem Dorf, in dem sie lebten, gab es einen Bäcker, der aus unerfindlichen Gründen noch nicht geschlossen hatte. Das war aber auch schon alles. Zum nächsten größeren Laden waren es mindestens sieben Kilometer, Lara musste zur Schule gebracht und abgeholt werden, Konrad hatte zweimal die Woche Fußballtraining plus einmal Schlagzeugunterricht. Wenn er spät dran war, und das war Konrad meistens, musste er ebenfalls kutschiert werden.

Carolinas Leinentop klebte an ihrem Rücken, ihr Rock, vom Schweiß schon ganz feucht, umschloss ihre Beine wie die Folie eine Salatgurke. Und jetzt kitzelte auch noch irgendetwas in ihrem Ausschnitt. Vielleicht nur ein Schweißtropfen, wahrscheinlicher aber ein Haar, das sich gerade gelöst hatte und in ihr Top gerutscht war. Carolinas Laune sank in dem Maß, in dem die Temperatur im Wagen stieg.

»Wie kommst du bloß auf so eine Frage?«, wandte sie sich an ihre Tochter. Sie konnte das Thema schließlich nicht einfach im Sande verlaufen lassen.

»Finn hat neulich in der Schule davon erzählt.«

»Finn hat von Sex erzählt?« Carolinas Stimme überschlug sich. Ihr war durchaus klar, dass die Kinder heutzutage weiter waren, als sie es in dem Alter gewesen war. Aber dass ein Achtjähriger womöglich schon … Nein, das überstieg dann doch ihr Vorstellungsvermögen.

»Na ja, nicht so richtig. Aber er hat das Wort dauernd benutzt.« Carolina entspannte sich ein wenig. Sie musste nicht darauf gefasst sein, in vier oder fünf Jahren Großmutter zu werden, falls Lara ein Auge auf Finn werfen sollte.

»Was ist das denn nun?«, bohrte Lara.

»Warum fragst du nicht deinen Vater?«, antwortete Carolina und konnte ein schadenfrohes Grinsen nicht unterdrücken. Sollte der sich ruhig auch einmal winden und ins Schwitzen kommen.

»Von Vätern ist dazu nichts Gescheites zu erwarten, sagt Frau Mertens.«

Kluge Klassenlehrerin, ging es Carolina durch den Kopf. Allerdings fühlte sie sich nun gefordert, ihrer Tochter eine ebenso intelligente wie altersgerechte Erklärung zu liefern. Nicht einfach, so aus dem Stand.

»Du weißt doch, dass es Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt, zwischen Mami und Papi zum Beispiel«, begann sie. »Also körperliche Unterschiede, meine ich. Frauen sehen doch ganz anders aus als Männer.« Sie spähte in den Rückspiegel und hoffte auf ein deutliches zustimmendes Nicken von Lara, doch die wirkte ausgesprochen skeptisch. »Na ja, überleg doch mal, Papi hat zum Beispiel einen Bart.«

»Na und? Hat Omi Anna doch auch.«

Carolina setzte den Blinker und fuhr auf den mit Natursteinen gepflasterten Hof des Einfamilienhauses.

»Da wären wir! Also, ich habe jetzt Bärenhunger. Wollen wir Spaghetti Bolo machen?«

»Ja!«, jubelte Lara, löste den Gurt und rutschte eilig vom Rücksitz. Herrlich, wie leicht sich Kinder manchmal ablenken ließen.

*

»Ich habe die Fenster in den Kinderzimmern weit aufgerissen, aber es kommt trotzdem kaum Luft herein. Wahrscheinlich werden sie wieder schlecht schlafen.« Carolina blickte düster vor sich hin. Dann gab sie sich einen Ruck. »Lust auf eine Weinschorle?«

»Nein, danke.«

»Lieber ein Alsterwasser bei der Hitze?«

»Nein, danke, überhaupt keinen Alkohol. Ich trinke noch ein Glas Wasser und gehe dann auch gleich ins Bett.« Lutz rieb sich mit beiden Händen das Gesicht.

»Jetzt schon? Es ist gerade mal neun.«

»Ich weiß. Aber ich bin erledigt, als wäre es elf.« Er lächelte erschöpft. »Außerdem will ich morgen etwas früher ins Büro.«

»Noch früher?« Carolina konnte es nicht fassen. »Warum bleibst du nicht gleich über Nacht da?«

»Tut mir leid. Ist einfach viel zu tun im Moment.« Lutz war ein dunkler Typ, braunes Haar und braune, sehr dunkle Augen. Seine Haut nahm einen Milchkaffee-Ton an, wenn der Wetterbericht nur Sonne ankündigte. Sobald Lutz dann draußen war, wurde aus Milchkaffee frisch polierte Eiche. Die meisten, die ihn kennenlernten, mutmaßten, er habe spanische, italienische oder gar arabische Wurzeln. Trotz seiner Bräune wirkte sein Gesicht an diesem Abend müde und blass. Er hatte Schatten unter den Augen, die ihr gar nicht gefielen. Natürlich tat er ihr leid. Er schuftete wie ein Maulesel. Und zwar nicht im Moment sondern seit einer gefühlten Ewigkeit. Besserung in Aussicht? Von wegen, das Gegenteil war eher der Fall.

»Im Moment?«, sagte sie gereizt. »Definiere Moment!«

»Was ist denn los? Du bist schon den ganzen Abend so komisch. Alles gut bei dir?« Da war er wieder, dieser sanfte Klang in seiner Stimme, der den Sturm in ihren Segeln augenblicklich in ein laues Lüftchen verwandeln konnte.

»Nichts, alles bestens«, murmelte sie schnippisch.

»Du bist sauer, weil ich noch keinen Termin mit der Werkstatt vereinbart habe, stimmt’s? Hast recht, mein Fehler. Tut mir leid. Ich habe die Nummer im Büro und erledige das gleich morgen früh. In Ordnung?«

Sie setzte sich neben ihn an den großen Esstisch, an dem viel zu lange keine ausgelassene Schar guter Freunde mehr gehockt, gegessen und die halbe Nacht geredet hatte. »Ja, wir müssen uns wirklich dringend darum kümmern.« Carolina strich eine Strähne hinter das Ohr und malte mit der anderen Hand Kreise auf das von Kerben und Rotweinflecken gezeichnete Holz.

Lutz legte den Kopf schief. »Und was hast du noch auf dem Herzen?«

»Nichts.«

»Das war geschummelt, dafür müssen wir leider einen Punkt abziehen.«

Sie blickte auf und musste lächeln. »Ach, Lutz, ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Du willst ins Bett, und zwischen Tür und Angel lässt sich nun mal nicht klären, was ich alles auf dem Herzen habe.« Sie seufzte tief.

»So schlimm?« Er sah sie ernst an und legte einen Finger auf ihren Arm. Sie nickte. »Es ist wirklich noch früh. Wahrscheinlich kann ich bei diesen tropischen Temperaturen sowieso nicht schlafen. Und wenn meine Frau Kummer hat, habe ich Zeit zum Zuhören.« Er stand auf, ging in die offene Küche, die direkt hinter dem Essplatz lag, und kam mit einem Glas Wasser für sich und einer Weinschorle für Carolina wieder. »Bist du nicht mehr glücklich in unserem kleinen Häuschen?«, wollte er wissen, nachdem er wieder neben ihr Platz genommen hatte.

»Doch, natürlich. Das Haus ist toll, und ich liebe unseren Garten. Das weißt du. Wir haben zwei gesunde Kinder, die sich wunderbar benehmen können. Jedenfalls, wenn sie mit anderen Menschen zusammen sind.«

Er lachte. »Stimmt. Wenn sie mit ihren Eltern allein sind, können sie dafür den Eindruck erwecken, als seien sie Terroristen im ersten Ausbildungsjahr.« Lutz wartete einen Augenblick, dann sagte er leise: »Also bin ich das Problem?«

»Unsinn! Es ist die ganze vertrackte Konstellation. Du arbeitest rund um die Uhr. Ich habe mit Haus, Garten und Kindern nicht viel weniger um die Ohren.«

»Eher mehr«, warf er ein.

»Das fühlt sich für mich nicht wie Familienleben an, sondern wie ein Mini-Konzern, den es zu führen gilt.« Wie sollte sie es nur erklären? Eigentlich hatte sie alles, was sie sich gewünscht hatte. Trotzdem fehlte ihr etwas. Sie hatten gemeinsam beschlossen, dieses Haus mit großem Grundstück im Grünen zu kaufen. Und sie waren sich schon immer beide einig gewesen, dass sie Kinder wollten und dass diese nicht so früh wie möglich in fremde Hände gegeben werden sollten. Sie wollten ihre Kinder selbst...