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Das Blut der Rebellin - Die Geraldines-Saga 2 - Historischer Roman

Sabrina Qunaj

 

Verlag Goldmann, 2015

ISBN 9783641144777 , 704 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

Llansteffan Castle, Südwales, Sommer 1146

Wie ging die Geschichte weiter, Großmutter Nesta? Bekam er den Schatz?«

»Aber natürlich.« Nesta legte ihr die Hand auf die Schulter und führte sie vom Wasser weg, das in sanften Wellen an den Strand gespült wurde. »Henry bekam stets, was er wollte. Er zog sein Schwert, trat William de Breteuil entgegen und sagte: ›Eure Treue meinem Bruder gegenüber ehrt Euch, Mylord, doch der König ist tot, und Ihr tätet gut daran, Eurem neuen Souverän zu gehorchen.‹«

Isabel sprang begeistert in die Luft und hopste neben ihrer Großmutter her. »Und was geschah dann?«

»De Breteuil sah ein, dass er nichts unternehmen konnte, denn viele einflussreiche Barone standen auf Henrys Seite. Er gab den königlichen Schatz frei, und Henry zog zu seiner Krönung.«

Isabel entfuhr ein verträumtes Seufzen. »Ach, wie gerne wäre ich damals dabei gewesen.«

»Hinterher klingt alles sehr viel eindrucksvoller, als es tatsächlich war. Du hast ja keine Vorstellung, wie erschöpft und schmutzig wir nach diesem überstürzten Ritt nach Winchester waren. Oder wie groß die Angst und Verwirrung nach dem plötzlichen Tod des Königs.« Großmutter Nesta legte einen Arm um ihre Schultern und wies hoch zur Burg, die auf einem grasbewachsenen Hügel über dem Fluss thronte. Dichtes Buschwerk beugte sich über das himmelblaue Wasser, als sehnten sich die Pflanzen danach, in die Fluten einzutauchen. Ein paar Fischer saßen draußen in ihren Booten, um Lachse und Forellen zu fangen, und manch einer winkte ihnen zu. »Das hier ist die Wirklichkeit, Kind. Deine Familie, dein Zuhause. Du magst in die Ferne blicken und von längst vergangenen Heldensagen träumen, doch verliere dabei niemals aus den Augen, was direkt vor dir liegt.«

»Schlamm?« Isabel hob kichernd einen nackten Fuß aus dem Sand und wackelte mit den Zehen. Sie hatte den Saum ihres Kleides hochgebunden, aber trotzdem war sie bereits klitschnass.

Mit einem verstohlenen Blick zu ihrer Großmutter, die gedankenverloren in die Ferne sah, suchte Isabel den Boden am Ufer ab und hob schließlich einen größeren, abgerundeten Stein auf. Damit bewaffnet bewegte sie sich vorsichtig durch die Pfützen des Watts und beobachtete den im seichten Wasser stehenden Brachvogel mit seinem lustig aussehenden Schnabel, der sonderbar lang und nach unten gebogen war. Ohne ihn aus den Augen zu lassen, knüpfte Isabel ihr ledernes Haarband im Nacken auf, legte den Stein in den breiteren Teil in der Mitte, holte aus und machte eine schnelle Bewegung in Richtung Vogel. Der Stein flog mit einem bedrohlichen Sausen von der Schleuder und platschte mehrere Fuß von seinem Ziel entfernt ins Wasser. Frustriert stieß Isabel den angehaltenen Atem aus und sah sich nach einem neuen Stein um, als ein Schatten auf sie fiel.

»Isabel FitzWilliam, was glaubst du eigentlich, was du da machst?«

Isabel zuckte zusammen, bemühte sich aber schnell um einen unschuldigen Ausdruck, als sie in das sturmumwölkte Antlitz ihrer Großmutter hochsah. »Mein Haarband ist plötzlich runtergefallen«, sagte sie und hob den Riemen aus Rindsleder, der aus zwei schmalen Bändern mit einem verbreiterten Mittelteil bestand.

»Nicht nur Geschichten hören willst du, du erfindest auch noch welche! Wo hast du die denn her?« Ihre Großmutter deutete auf die Schleuder, doch Isabel zuckte mit den Schultern.

»Das ist nur ein Haarband …« Sie wollte sich die Schleuder wieder umbinden, doch ihre Großmutter hob warnend die Augenbrauen, und so reichte Isabel sie ihr murrend.

»Ein hässlicheres Haarband hat es nie gegeben, Isabel. Wie oft soll ich dir noch sagen, dass Steinschleudern nichts für junge Damen sind?«

»Aber …«

Ihre Großmutter ging vor ihr in die Hocke und sah ihr eindringlich in die Augen. »Du bist ein Mädchen, Isabel, und willst du ernst genommen werden, musst du mit anderen Waffen kämpfen. Mit der hier …«, sie hob die Schleuder und knüllte sie in ihren Händen zusammen, »… wirst du nur belächelt. Wissen ist die Waffe von Frauen, mein Kind, und die Gabe, dieses richtig einzusetzen. Frauen waren seit jeher in der Lage, Männer in den Krieg zu schicken oder sie im Frieden zu vereinen. Aber nicht indem sie waffenschwingend in den Kampf zogen. Wir Frauen führen unsere eigenen Schlachten, das wirst du allzu früh selbst lernen. Und jetzt komm, mein Kind, ich bin müde.« Sie strich ihr ein paar Strähnen aus dem Gesicht, die ihr der Wind immer wieder nach vorne blies, und lächelte, was den Tadel etwas entschärfte.

Trotzdem war Isabel bedrückt, als sie den Arm ihrer Großmutter ergriff, um sie beim steilen Weg den Hang hinauf zu stützen. Sie dachte über die Worte nach und befand, dass sie zwar gerne Geschichten hörte und immer mehr wissen wollte, aber gleichzeitig machte es ihr auch Spaß, mit der Schleuder umzugehen. Eine Waffe benutzen zu können gab ihr ein sicheres Gefühl, so wie die Burg auf dem Hügel, von der aus Wachen immer ein Auge auf sie hatten. Da das Gelände unterhalb der Burg von Bäumen befreit worden war, um Feinden keine Möglichkeit zur Deckung zu geben, überblickten die Männer ihres Onkels das ganze Flusstal. So konnte ihnen hier nichts geschehen, auch wenn alle immer nur von Krieg sprachen.

Konzentriert kletterte sie über ein paar Felsen, schob sich durch stacheliges Gestrüpp und half ihrer Großmutter über die rutschige Abkürzung. Wasser umspülte das Gestein unter ihnen und schlug rauschend dagegen, doch Isabel fürchtete sich nicht. Sie war hier schon oft entlanggegangen, und ihre Großmutter war trotz ihres hohen Alters von einundsechzig Jahren immer noch flink und voller Abenteuergeist. Sie hatte bereits so viel erlebt, und Isabel tat nichts lieber, als mit ihr über den Strand zu spazieren, die Flussluft auf ihrem Gesicht zu spüren und Geschichten zu lauschen.

»Großmutter?«

»Ja, mein Kind?«

Sie folgten dem Trampelpfad, der in einem Bogen zur Burg hinaufführte und neben dem Rinder weideten. »Glaubst du, wir werden jemals wieder einen König haben? Einen König wie Henry?« Sie sah hoch zu der Dame, auf deren Kopf ein weißer Schleier stufenförmig gleich einer Krone angeordnet war, und versuchte, in den grünen Augen zu lesen.

Ein Lächeln vertiefte die Falten um den Mund. »Einen König wie Henry wird es nicht mehr geben, Kind«, sagte sie schließlich und sah auf sie hinab. »Doch wir werden bestimmt wieder einen gerechten König bekommen … oder vielleicht sogar eine Königin.«

Isabel nickte zufrieden und stellte sich vor, wie es wäre, selbst Königin zu sein. In England herrschte Krieg, denn der große König Henry hatte nur eine Tochter als Erbin hinterlassen, und ein Gutteil der Barone hatte sich trotz Treueschwur von Matilda abgewandt. Sie wollten keine Frau auf dem Thron, und ihren Ehemann wollten sie noch weniger, wie ihr Vater stets sagte. Also hatte sich der Neffe des verstorbenen Königs selbst zum Nachfolger ernannt, und nun kämpften die Anhänger Matildas gegen die Anhänger Stephens um die englische Krone.

Isabel war eine gute Zuhörerin, und dass die Erwachsenen sie mit ihren acht Jahren nur für ein einfältiges Kind hielten, half ihr, immer neue Geschichten zu erfahren. Es gab nichts, was sie nicht wissen wollte, und nichts, was sie nicht zu verstehen versuchte – und ihre Großmutter ermutigte sie dabei.

»Großmutter Nesta, stimmt es, dass in jenem Moment, da König Henry seinen letzten Atemzug tat, zwei Seen in Elfael über die Ufer traten? Die Leute sagen, einer von ihnen überschwemmte ein ganzes Dorf und all die Menschen mussten mit ihrem Vieh in höhere Gefilde flüchten.«

»Das mag wohl so stimmen.« Ihre Großmutter beugte sich zu ihr hinab und senkte die Stimme, als verriete sie ihr ein Geheimnis. »Die Überschwemmungen lagen aber wohl eher daran, dass es damals wochenlang ohne Unterlass regnete, weniger an Henrys Tod.«

Lächelnd stemmte Isabel eine Hand in die Seite. »Ich glaube trotzdem, es war ein Zeichen …«

Ein lautstarker Fluch ließ sie hochblicken. Es war Bran, der Rinderhirte, der einem wild den Hügel hochlaufenden Kalb nacheilte. Kühe stoben auseinander, und ein ohrenbetäubendes Muhen drang zu ihnen herüber. Bran pfiff durch die Zähne, und sein zottiger Rüde setzte dem Kalb nach, und erst da bemerkte Isabel den anderen Hund, der zwischen den Rindern umherlief und wie toll nach ihnen schnappte. Im nächsten Moment zischte etwas Dunkles durch die Luft, und der wilde Hund brach lautlos zu Boden, als hätte die Hand Gottes ihn niedergestreckt.

Beeindruckt sah Isabel zu Bran, der gerade wieder seine Schleuder um seinen Kopf band, und als er Isabel und ihre Großmutter bemerkte, verneigte er sich. Isabel winkte ihm und wünschte, sie könnte ebenfalls derart präzise mit einer Schleuder umgehen. Wie hatte der alte Bran es nur vollbracht, den tollen Hund am Kopf zu erwischen?

»Er war es, nicht wahr?!« Ihre Großmutter deutete zu Bran hinüber, der seinem zurückgekehrten Hund das Fell kraulte. »Der Rinderhirte – er hat dir die Schleuder gegeben.«

Hitze stieg in ihren Wangen auf, sie fühlte sich ertappt, aber sie schüttelte entschieden den Kopf. Sie würde Bran nicht verraten. Er war ihr Freund, und er hatte ihr nicht nur eine Schleuder geschenkt, sondern ihr auch gezeigt, wie man damit umging. Sooft sie konnte, lief sie zu ihm auf die Weiden und übte, aber das sollte ihre Großmutter unter keinen Umständen erfahren, denn so...