dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Das schwarze Sakrament - Ein Krimi aus dem Mittelalter

Dennis Vlaminck

 

Verlag Emons Verlag, 2015

ISBN 9783863587529 , 360 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz frei

Geräte

11,99 EUR


 

Der Auftrag

Woran ich mich erinnere? Nun, wenn ich an jene unheilvollen Frühjahrstage zurückdenke, kommt mir zunächst die raue Hand in den Sinn, diese grobe, harte Hand. Jedenfalls ist sie in meiner Erinnerung rau. Sie riss mich hoch, mein Kopf wurde in den Nacken geworfen, und der Schmerz war so heftig, dass ich unvermittelt aufwachte. Ich spürte das wilde Pumpen meines Herzens und blinzelte in das grelle Licht einer Fackel. Mein Hals war im Schlaf ganz ausgetrocknet, und beim Versuch zu schlucken musste ich heftig husten.

»Was …?«, stammelte ich.

Die Hand ließ mich los. »Herr, wacht endlich auf, wir müssen gehen.«

»Was … wohin? Was ist geschehen?«

Im flackernden Fackellicht sah ich das Gesicht eines Mannes, kantig, mit Lederhaut. Es kam mir bekannt vor. Aber woher?

»Seid Ihr Konstantin, den man den Kneifer nennt?«

»Ja … Wer seid Ihr?«

»Ihr müsst mir folgen. Auf der Stelle.«

Mit der Linken rieb ich mir den Schlaf aus den Augen, meine Rechte tastete nach meinem Schwert, das ich stets neben mein Lager legte.

»Gebt Euch keine Mühe. Ich habe Eure Waffe an mich genommen. Zu meiner Sicherheit. Und zu Eurer.«

Ich setzte mich auf und sah mich um. Ich war daheim. Mein Schwert lag hinter dem Eindringling. Es musste tiefste Nacht sein. Durch das offene Fenster drang kein Lichtstrahl und auch kein Geräusch von der Straße. Köln schlief. Ich nicht mehr.

»Wie seid Ihr hier hereingelangt? Und was wollt Ihr? Warum nehmt Ihr mein Schwert?«

Der Mann hob die Waffe auf und drückte sie mir in die Hand. »Ich hab es nur kurz beiseitegelegt, damit Ihr nicht auf dumme Gedanken kommt, schlaftrunken, wie Ihr seid. Und nun los. Der Erzbischof will Euch sehen. Jetzt.«

»Um diese Zeit?«

»Um diese Zeit. Wenn es Euch nicht passt, dann sagt es ihm selbst. Kommt schon. Kommt, kommt, kommt.«

Der Erzbischof. Endlich ordneten sich meine wirren Gedanken ein wenig. Irgendetwas musste geschehen sein. Erzbischof Konrad von Hochstaden war streng genommen mein Dienstherr. Ihm oblag die Blutgerichtsbarkeit in der Stadt, doch weil der Erzbischof als Geistlicher keine Strafen an Hals und Hand verhängen durfte, war diese Aufgabe schon vor langer Zeit dem Burggrafen übergeben worden. Was aber war so wichtig, dass nicht der Burggraf, sondern Konrad selbst nach einem Büttel schicken ließ, noch dazu mitten in der Nacht?

Ich erhob mich von meinem Strohsack und brauchte einen Augenblick, bis ich fest auf beiden Füßen stand. Nun erkannte ich auch meinen ungebetenen Besucher. Er gehörte zur Wachmannschaft des erzbischöflichen Palastes.

»Packt ein, was Ihr an Habseligkeiten in den nächsten Wochen benötigt.«

»Was?«

»Ihr werdet so schnell nicht in Euer Haus zurückkehren. Also packt. Das ist mein wohlgemeinter Rat.«

Ich stellte keine Fragen mehr. Je wacher ich wurde, desto klarer wurde mir, wie ernst die Lage sein musste. Ich nahm meine Satteltasche und packte ein, was ich für eine Reise brauchte. Auch zu meiner Amtstracht griff ich, dem rot-schwarzen Surkot.

»Lasst den Fetzen hier. Ihr werdet ihn dort, wo Ihr hingeht, sicher nicht nötig haben.«

Ein ungutes Gefühl, eine schlimme Vorahnung machte sich breit in mir, genährt nicht nur von dem, was der Bote des Erzbischofs sagte, sondern auch davon, wie er es sagte. Dann warf ich mir die Satteltasche über die Schulter und trat mit dem Mann vor die Tür.

Von meinem Haus in der Stolkgasse bis zum Palast des Erzbischofs war es nur ein Katzensprung. Es war immer noch warm, die Nachtluft jedoch schon frisch genug, um meinen Kopf freizufegen. Stille und Dunkelheit beherrschten die Gassen der Stadt, aber nicht völlige Dunkelheit. Der Mond war fast voll und spendete genug Licht, um zügig voranzukommen. Der Bote eilte mit der Fackel voran, ich folgte ihm auf dem Fuß. Der Tag, der in wenigen Stunden anbrechen würde, war der Feiertag des heiligen Apostels Matthias, der 14. Mai im Jahr des Herrn 1248.

Als wir auf den Domhof kamen, stieg mir Brandgeruch in die Nase. Auch wenn das Unglück nun schon zwei Wochen zurücklag, schwebte der Atem des großen Feuers noch in der Luft. Der Versuch, einen Teil des alten Doms niederzulegen, um Platz für den neuen zu schaffen, hatte in einem Inferno geendet. Die Flammen hatten nicht nur, wie es eigentlich geplant war, die Stützbalken in den eigens gegrabenen Stollen unter dem Marienchor gefressen, sondern waren übergesprungen auf die gesamte Kirche, hatten sich an ihr gelabt, bis das bleierne Dach geschmolzen und in einem glühenden Regen auf den Marmorboden herabgerauscht war. Von der jahrhundertealten Kathedrale waren nur Ruinen geblieben. Ruinen, auf denen bald eine neue Herrlichkeit zu Ehren Gottes zu sehen sein würde.

Andere hätten in dem alles verzehrenden Feuer einen Fingerzeig Gottes gesehen, eine Mahnung, dass die hochfliegenden Pläne der Kölner, eine Kathedrale im neuen Stil zu bauen, dem Herrn missfielen. Doch Erzbischof Konrad hatte die Schmach der Kölner umgedeutet. Die Zerstörung der alten Kirche zeige doch nur, dass es dem Herrn nicht schnell genug gehe, hatte Konrad der Stadt verkündet. Nur flott fort mit dem alten Tand, nur schnell her mit der neuen Pracht! Und die Kölner waren dieser Deutung gern gefolgt. Warum sich selbst geißeln, wenn man sich doch auch zu Gottes Günstlingen zählen durfte?

Gottes Günstling. Das war ich sicher nicht. Als ich durch die Ruinen der Kirche schritt, durch schwarze Asche und über zerplatzte Steine, fühlte ich mich, als stiege ich auf direktem Weg in die Hölle hinab. Mauerreste griffen rechts und links von mir in die Nacht, als wären sie beinerne Finger. Im flackernden Licht der Fackel schienen sich die Ruinen zu bewegen. Als winkten mir knochige Hände hinterher.

Hatte ich mir etwas zuschulden kommen lassen? Nein, da war nichts, woraus man mir einen Strick drehen konnte. Versuchte jemand, mir etwas anzuhängen? Hatte jemand ein falsches Zeugnis abgelegt, um eine lästige Spürnase loszuwerden? Ich war Diener der Gewaltrichter. Ich hatte schon viele Langfinger, Schlitzohren und Beutelschneider den Richtern übergeben, sie alle wünschten mir sicher das Antoniusfeuer oder eine andere Seuche an den Hals. Aber was galt schon deren Wort gegen meins?

»Könnt Ihr mir sagen, worum es sich handelt?«, fragte ich.

Der Bote, der schnellen Schrittes vorneweg ging, blickte über die Schulter. »Was der Erzbischof Euch mitzuteilen hat, wird er schon selbst sagen. Meine Aufgabe ist es nicht. Eilt Euch. Dann erfahrt Ihr es früher.«

Wir überquerten den Domhof und kamen an den erzbischöflichen Palast. Nun, da der Dom nur noch ein Haufen aus gebrochenen Steinen, geborstenen Balken und geschmolzenem Blei war, erschien Konrads Haus noch mächtiger. Der Palast war trutzig wie eine Burg, drei Stockwerke hoch und an die hundert Schritte breit. Die vielen kleinen Bogenfenster kamen mir wie argwöhnische schwarze Augen vor, die jeden Besucher vor seinem Eintritt prüften.

Der Bote klopfte dreimal kurz und zweimal mit langem Abstand an die Hauptpforte, die sofort aufschwang. Die Wachen erwarteten uns offenbar bereits. Ein kurzes Nicken des Wachmanns, der hinter der Tür wartete, dann traten wir hinein. Der Bote löschte seine Fackel in einem Wasserbottich und ließ sich vom Wachmann ein Öllicht geben. Ich folgte dem Mann und dem schwachen Licht. Wir passierten zwei kleinere Räume und kamen an eine doppelflügelige Tür, die so hoch war, dass ein Mann bequem auf einem Pferd hätte hindurchreiten können. Ich wusste zwar nicht, was sich dahinter verbarg, aber ich ahnte es. Hinter der Tür musste die große Halle des Palasts liegen, die sich über zwei Stockwerke erstreckte und der Residenz des Erzbischofs den Namen gab. Die Kölner nannten sie wegen dieses riesigen Raumes nur den »Saal«. Würde Konrad mich etwa hier empfangen, im Herzen seiner Macht?

Der Bote schien meine Gedanken zu erraten. »Keine Sorge, Konstantin, so wichtig seid Ihr nicht. Es ist der kürzeste Weg, daher.«

Der Saal war leer und dunkel. Die kleine Öllampe des Boten warf gerade genug Licht, dass ich die riesigen Teppiche erkennen konnte, die an den Wänden hingen, und am gegenüberliegenden Kopf der Halle den steinernen Thron, der Konrad bei Prozessen, Empfängen und Festen über die Anwesenden erhob. Die hohe Decke konnte ich nur erahnen. Alles in diesem Saal diente dazu, den Besucher klein wirken zu lassen. Ihn vor dem Hausherrn zu erniedrigen.

Unsere Schritte hallten in der Stille seltsam laut wider. Wir liefen am Thron vorbei und verließen den Saal durch eine dahinterliegende Tür. Von nun an ging es aufwärts, zunächst über eine breite Treppe, ab dem nächsten Stockwerk dann nur noch über schmale Stufen. Als ich glaubte, unter dem Dach angekommen zu sein, stieß der Bote eine weitere Tür auf. Eine enge Wendeltreppe führte uns noch weiter hinauf. Wir mussten in dem kleinen Turm sein, der an der Ostseite der Residenz, zum Rhein hin, auf dem Satteldach saß und aus gutem Grund als Warte gebaut war. Noch heute erzählten sich die Kölner gern, wie ihre Vorfahren vor zweihundert Jahren dem damaligen Erzbischof ans Leder wollten. Ich hatte die Geschichte mehr als einmal gehört. Der ungeliebte Erzbischof Anno hatte vor den Aufständischen fliehen müssen wie ein Straßenköter vor den Hundeschlägern. Rainald von Dassel, einer seiner Nachfolger, lernte aus Annos Schaden, ließ vor knapp hundert Jahren eine neue Residenz bauen und sie wehrhafter ausstatten. Ein Turm, von dem aus man die ganze Stadt im Blick behalten konnte, war Pflicht. Den Kölnern war wohl nicht zu trauen, zumindest nicht, wenn man ihr Erzbischof war.

Ich nahm die letzten Stufen und spürte den Wind, der...