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Leben oder gelebt werden - Schritte auf dem Weg zur Versöhnung

Walter Kohl

 

Verlag Integral, 2011

ISBN 9783641060749 , 288 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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4,99 EUR


 

Und nun? (S. 136-137)

Konnte es mit mir so weitergehen? Sollte dies mein Lebensweg bleiben? Wollte ich so sein? Die Antworten wurden immer deutlicher, immer ernüchternder, um es zurückhaltend auszudrücken. Nein, dieses Leben war nicht schön, es war verkorkst, und ich steckte tief in der Sackgasse. Ich spürte immer mehr, dass ich mich nun entscheiden musste.

Ich fühlte mich ausgepumpt, total leer. Ein sonderbares Detail bewies, in welchem Maße ich mich selbst negierte: Ich verlor meinen Geschmackssinn. Monatelang! Ich konnte tatsächlich nicht mehr schmecken, was ich aß. Essen degenerierte zur reinen Kalorienaufnahme. Ich hatte den Geschmack am Leben verloren, ich verlor mich selbst …

Meine Mutter hatte Selbstmord verübt, meine Ehe war gescheitert, beruflich fühlte ich mich fehl am Platz, mit einem Wort: Meine ganze Existenz schien sinnlos. Wohl ging ich allen Tätigkeiten, die von mir erwartet wurden, pflichtschuldigst nach, doch ich funktionierte wie auf Autopilot. Immer wieder ging sie mir durch den Kopf, diese Frage: Papa, ist das Leben schön?

Ich fühlte mich wie in Packeis eingeschlossen, emotionale Eisbrocken schlossen mich immer dichter ein. Meine Gefühle und Gedanke waren erstarrt. Ich begann, über den Tod »nachzudenken«, wie ich es nannte: Im Grunde war es ein emotionales Sich-Hineinarbeiten in ein existenzielles Grenzland. Gibt es eine Todessehnsucht? Irgendwann ja, spätestens wenn in einem der Wunsch entsteht, sich an den Tod heranzutasten, ihn vielleicht als letzten Ausweg anzunehmen. Und je länger ich mich dieser Beschäftigung hingab, desto angenehmer und attraktiver erschien mir der Tod, zunächst. Er wurde zu einem lächelnden, lockenden Begleiter.

Wenn ich mit dem Motorrad auf den schmalen Landstraßen des Hintertaunus und des Westerwaldes fuhr, dann suchte ich den Nervenkitzel des rasanten Ausfahrens der engen Kurven. Ich verspürte keine Hemmungen mehr, mein Leben und meine Gesundheit aufs Spiel zu setzen. Ich fuhr wie in Trance. Zwar achtete ich peinlich darauf, andere Verkehrsteilnehmer nicht zu gefährden, doch auf den zumeist schwach befahrenen Landstraßen konnte ich richtig Gas geben und die Gefahr in der Magengrube spüren.

Deshalb fuhr ich hinaus, nur deshalb. Mehr als einmal ließ ich mich an den Rand der Kurve, an den Rand von allem tragen, und für einen Sekundenbruchteil blickte ich in den Abgrund in mir. Doch stets fing ich die Maschine knapp ab. Es war eine Form von Trance, eine Mischung aus Desinteresse und Euphorie, die sich meiner bemächtigt hatte. Ich beobachtete mich selbst, wie ein Zuschauer einen Film betrachtet. Doch selbst diese Erfahrung wurde mir schal, die Fahrten uninteressant, ich konnte mich damit immer weniger ablenken.