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Fächergrün - Oskar Lindts sechster Fall

Bernd Leix

 

Verlag Gmeiner-Verlag, 2011

ISBN 9783839236048 , 256 Seiten

6. Auflage

Format PDF, ePUB, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

2


»Verdammte Sch…!«, entfuhr es Jan Sternberg, der als Erster des Karlsruher Kripo-Teams eintraf. Entsetzt ließ er seinen schweren Alukoffer fallen, trat zwei Schritte zurück und blieb schreckensstarr stehen. Nur mühsam konnte er den Würgereiz unterdrücken.

»Wo ist der Bruder?«, presste Hauptkommissar Oskar Lindt hervor, der nur eine halbe Sekunde brauchte, um die Situation zu erfassen.

Sternberg schaute ihn verständnislos an. »Noch einer? Wieso?«

Lindt zeigte durch das sperrangelweit geöffnete Fenster zur anderen Straßenseite. »Über 20 Jahre haben wir da drüben gewohnt. Auch ein Haus der Gebrüder Maiwald. Die waren immer zusammen.«

»Beim Sterben anscheinend nicht«, kommentierte Paul Wellmann, der Dritte im Bunde, nachdem auch er einen flüchtigen Blick auf den Toten geworfen hatte.

»Hier drin ist keiner mehr«, antwortete einer der Sanitäter.

»Absuchen!«, kommandierte Lindt. »Die haben alles gemeinsam gemacht. Der andere muss irgendwo sein.«

»Flüchtig?«

»Quatsch, der würde seinen Bruder nie alleine lassen.«

»Außer, er hat ihn …«

»Jan, geh suchen!«, herrschte ihn sein Chef an. »Ich kenne die beiden.«

»Wer hat Sie alarmiert?«, wandte sich der Kommissar an den Notarzt.

»Keine Ahnung, wir müssen die Leitstelle fragen«, antwortete einer der Sanitäter und hatte bereits das Handy am Ohr.

»Oskar!«, schallte Paul Wellmanns Stimme über den Hof. Der Tonfall verhieß nichts Gutes. Lindt verstand sofort und stürmte nach draußen.

»Hier«, tönte es vom Lagerschuppen her. Wellmann und Sternberg traten kreidebleich aus der Tür.

Lindt musste sich an der Wand festhalten. Er begann, am ganzen Körper zu zittern. Dasselbe grässliche Bild. Anton im Schuppen, Josef im Haus.

Er wankte aus der Tür. Seine Kollegen saßen schon am Tisch neben dem alten Laster. Für Lindt blieb die Bank. »War immer der Besucherplatz«, sagte er mühsam.

»Spusi kommt, Chef.« Jan Sternberg hatte trotz des schrecklichen Anblicks nicht vergessen, was zu tun war.

Der Kommissar sank stumm in sich zusammen. Schlimm, wenn er die Leute kannte.

Der Sanitäter blieb drei Schritte entfernt stehen. »Sie haben das Band abgehört, kein Name drauf.«

»Also anonym«, stellte Jan Sternberg fest.

»Nur Straße und Hausnummer, dann: ›Erdgeschoss, da liegt einer im Klo.‹ ›Ansprechbar?‹ ›Tot!‹ Männliche Stimme, das war alles.«

»Danke«, antwortete Paul Wellmann, »wir holen das Band später ab.« Dann zeigte er auf den Tisch, um den sie saßen.

Lindt wischte sich die Schweißperlen von Stirn und Nacken. »Sonntags gönnten sich die beiden was. Immer denselben Roten.«

»Zwei Gläser, also kein Besuch?«

»Am liebsten waren sie für sich, auch früher schon.«

»Du hättest es ja nicht weit gehabt.«

Der Kommissar schüttelte den Kopf: »Ich bin mir nicht sicher, ob sie mir ein Glas angeboten hätten. Ihre Sparsamkeit war legendär. Nur sonntags …«

»Gönnten sie auch anderen was?«

»Die Miete war nicht billig, aber im Allgemeinen gab es keine Klagen. Sie hielten ihre Häuser in Schuss.«

»Viele?«

»Vermutlich, aber Genaues hat man nie erfahren.«

»Wird sich jetzt ändern, Chef«, mischte sich Jan in das Gespräch ein. »Bin gespannt, wer das alles erbt.«

Lindt zeigte auf ihn: »Genau, du wirst das herausfinden.«

Ein Uniformierter vom Streifendienst, der gleichzeitig mit der Rettung eingetroffen war, kam zum Tisch: »Eine Hausbewohnerin hat von oben gesehen, wie sie sich übergeben haben. Beide, da rein!« Er zeigte auf den Gully.

»Und weiter?«

»Sind sie eiligst weg, der eine ins Haus, der andere in den Schuppen.«

»Natürlicher Tod scheidet in diesem Fall wohl aus.«

Lindt zog die Stirn in Falten und schaute seinen jungen Kollegen durchdringend an: »Ich wär mal wieder nicht von selbst draufgekommen. Komm, Paul, lass uns fahren.«

Am großen, dunkelgrün gestrichenen Hoftor trafen sie auf Ludwig Willms, den Chef der Kriminaltechnik. »Einer im Haus, einer im Schuppen. Nehmt euch auch den Hof vor, den Wasserablauf und die Weingläser dort auf dem Tisch.«

»Und ihr? Schon fertig?«

»Ludwig, zieh Gummistiefel an, du wirst sie brauchen!«

Für den Rest des Tages sprach Oskar Lindt nicht mehr viel. Er zog sich in sein separates Büro zurück, vergrub sich in irgendwelchen Akten und rauchte dabei eine Pfeife nach der anderen. Nur seine Frau rief er an: »Die Maiwald-Brüder, ja, beide. Heute Abend mehr.«

»Kein Wunder, dass ihr beide so schnell abgehauen seid«, streckte Ludwig Willms den Kopf zu Lindts Bürotüre herein. »Ein Glück, dass jetzt das Wochenende kommt. Nach dieser Sauerei brauch ich dringend Erholung. Wir haben Masken aufgezogen – so was hab ich schon jahrelang nicht mehr gesehen.«

»Und gerochen, meinst du wohl.«

Der KTU-Chef nickte. »Die Leichen sind in der Rechtsmedizin und vom Drumrum haben wir Proben genommen. Das Labor ist dran. Also, wenn du mich fragst …«

»Vielleicht frag ich dich am Montag«, erwiderte Lindt so kurz angebunden, dass Willms die Tür schnell wieder zuzog.

Auch zu Hause war der Kommissar ziemlich einsilbig. Carla verstand, denn ihr ging der Tod der Maiwalds ebenfalls sehr nahe. Sie lebten zwar schon lange in der Waldstadt, aber die Erinnerung an ihre frühere Wohnung war längst nicht verblasst.

»Ob noch viele unserer früheren Nachbarn dort wohnen?«, fragte Carla beim Essen, und Oskar begann tatsächlich, etwas aufzutauen.

»Keine Ahnung, Jan und Paul gehen hausieren. Morgen bekomm ich die Liste.«

Sie legte ihre Hand auf die seine: »Ich seh die Brüder immer noch vor mir, das große grüne Holztor, der alte ratternde Lastwagen.«

»Eigentlich waren sie ja in Ordnung«, meinte Oskar zögernd.

»Was heißt eigentlich?«

»So als Vermieter halt. Aber sonst … na, wie soll ich sagen, ziemlich eigen. Meinst du nicht?«

»Die Miete war auch nicht höher als anderswo, die Wohnung schön groß und wenn was zu reparieren war, haben sie es anstandslos gemacht.«

»Vielleicht ist eigen ja nicht der richtige Ausdruck. Ich hab heut den halben Tag drüber gebrütet, wie ich die beiden denn beschreiben könnte.«

»Zurückgezogen? Eher nicht, durch ihr Baugeschäft waren sie doch überall bekannt.«

»Aber trotzdem gab’s nicht viele, mit denen sie näheren Kontakt hatten. Keine Freunde, keine Verwandten. Das hätten wir doch sonst mitgekriegt auf der anderen Straßenseite.«

»Einen zufriedenen Eindruck haben sie aber schon gemacht«, überlegte Carla. »Und gegrüßt hat man sich immer.«

Oskar schnitt nachdenklich an seinen Rouladen herum: »Vielleicht waren sie sich ja einfach selbst genug. Der Betrieb und die ganzen Häuser, damit kann man ein Leben verbringen.«

»Ich wette, die sind steinreich.«

»Waren, Carla, wenn, dann waren sie steinreich, jetzt nützen ihnen alle ihre Mietshäuser nichts mehr. Reich und doch arm, aber auch das wissen wir morgen.«

»Als geizig galten sie schon damals.«

»Sparsam, geizig, wo ist da der Unterschied? Ihr Frauen seht das natürlich gleich, wenn einer zehn Jahre denselben Sonntagsanzug trägt.«

»Es war wirklich auffallend. Ich glaube nicht, dass die jemals Urlaub gemacht haben.«

»Die hatten einfach ein geregeltes Leben, das hat ihnen gereicht.«

Gegen halb neun am Montagmorgen kam KTU-Chef Willms mit ersten Laborergebnissen: »Kein natürlicher Tod, so viel steht fest.«

»Danke, Ludwig, das lag schon gestern auf der Hand.«

»Wenn der Herr Hauptkommissar alles besser weiß, dann bitte. Was war die Todesursache?«

»Nach diesem Bild gab es für uns hier keinen Zweifel. 3:0 für Gift. Von dir wollen wir nur den Wirkstoff wissen.«

»Okay, ihr seid auf der richtigen Spur, aber viele Alternativen gab es ja wirklich nicht.«

»Also, rück’s raus.«

»Taxin heißt der Stoff. Wer kennt den?«

Allgemeines Schulterzucken.

»Pflanzliches Gift, kommt in der Eibe vor.«

»Eibe«, wollte Jan Sternberg wissen, »die gibt’s doch in jedem Gartencenter. Ist das nicht so ein kleiner Strauch mit grünen Nadeln? Den kannst du dort kaufen, um ’ne Hecke zu pflanzen. So was soll giftig sein?«

»Im Herbst kriegt der rote Beeren«, erinnerte sich Oskar Lindt. »Hinterm Schloss stehen ganz viele. Das sind aber keine so kleinen Dinger, die können mehrere Meter hoch werden.«

Ludwig Willms legte einige Blätter auf den Tisch. »Kopien aus verschiedenen Büchern zum Thema Giftpflanzen. Von dieser Eibe ist praktisch alles giftig: Nadeln, Triebe, Rinde, alles, außer der roten Hülle der Beeren.«

»Die kann man essen?«

Willms klopfte auf die Kopien: »Jan, wenn das stimmt, was hier drinsteht, sollen diese Hüllen richtig süß schmecken, vielleicht etwas schleimig. Der Kern muss allerdings raus, der ist wieder giftig.«

»Selbstversuch gefällig? Marmelade vom Giftstrauch?«, schlug Paul Wellmann vor.

»Okay, ich koche und ihr probiert«, zeigte Sternberg auf Lindt und Wellmann. »Falls es schiefgeht, werden wenigstens zwei Hauptkommissarsstellen frei.«

»Wär doch schade um uns, so kurz vor der Pension. Meinst du nicht, Paul?«

»Danke, mir ist schon schlecht. Wenn ich an die Bilder von gestern...