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Erziehungsalarm - Weckruf für Eltern und Bildungsverantwortliche

Kurt Gallé

 

Verlag Braumüller Verlag, 2015

ISBN 9783991001454 , 144 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

16,99 EUR


 

BRENNPUNKT


MEDIEN UND KOMMUNIKATION


Digitale Miterzieher


Der momentan anhaltende Trend – „So viel als möglich und das zur gleichen Zeit“ – unterstützt Verhaltensweisen, die bis vor Kurzem noch dem hochgelobten Multitasking zuzuordnen waren. Der Begriff (zu Deutsch: Mehrprozessbetrieb) stammt ursprünglich aus der Computerwelt und benennt die Fähigkeit eines Betriebssystems, mehrere Aufgaben simultan und nicht, wie allgemein fälschlicherweise angenommen, mehrere Aufgaben gleichzeitig auszuführen. Ich kann Musik hören und einen Brief verfassen. Wenn ich mich der Musik widme und einen Bericht verstehend erfassen möchte, wird das schon schwieriger.

Ich kann auch nicht zeitgleich einen Wassertopf aufsetzen, das Gemüse putzen und das Fleisch zubereiten. Gemeint ist also die Fähigkeit, mehrere Aufgaben in einem kürzeren oder längeren Zeitraum zu bearbeiten bzw. zu bewältigen.

Dabei werden mehrere Prozesse gleichzeitig in Gang gebracht und in so kurzen Abständen abwechselnd betreut, dass der Eindruck der Gleichzeitigkeit entsteht.

In Wahrheit wechselt das Hirn rasant zwischen beiden Tätigkeiten hin und her, wobei die Konzentrationsleistung erheblich absinkt und der Stressfaktor diametral ansteigt, wie aktuelle Untersuchungen eines Forscherteams an der Universität Utah herausgefunden haben.

In die gleiche Kerbe stößt der deutsche Neurobiologe Martin Korte 32, indem er resümiert, dass das menschliche Gehirn nicht zum Multitasking geschaffen sei. Die digitalen Medien seien jedoch so konzipiert, dass sie genau dazu verleiten. Man denke an das Spektrum, das heutige Tablets, Smartphones und Computer ermöglichen oder, besser gesagt, zu leisten imstande seien.

Die konkreten Auswirkungen auf das Gehirn würden sich in verringerten Konzentrationsspannen zeigen sowie in höherer Fehlerhäufigkeit und der Sucht nach schnellen Erfolgserlebnissen.

„Die Herausforderung des Lernens wird sein, wie man das Erhaltenswerte und Vernünftige an unserem Bildungssystem – etwa einen Bildungskanon als Plattform des gemeinsamen Wissens – erhalten und darüber hinaus die Möglichkeiten schaffen kann, Schüler und Studenten auch ihren Gewohnheiten entsprechend anhand von digitalen Medien lernen zu lassen“, führt Korte weiter aus. „Dazu müssten Schüler und Studenten allerdings auch darin geschult werden, wie man am effektivsten mit den Neuen Medien lernt: Dieses Wissen kommt nicht von selber.“ 33

Was Korte hier anspricht, ist aber nicht nur, wie man vielleicht meinen möchte, das einseitige Erlernen und Beherrschen der technischen Möglichkeiten, sondern die verantwortete Nutzung, die den Blick dafür schärft, welche Option zu welchem Zeitpunkt die richtige ist.

Der Umgang mit digitalen Medien ist fester Bestandteil unseres gesellschaftlichen Treibens; sei es, dass sie als Informationsquelle genutzt werden oder wir uns in sozialen Netzwerken oder in virtuellen Spielwelten bewegen, um nur die wichtigsten Bereiche zu nennen. Firmengiganten bringen immer wieder neue Spiele auf den Markt, von Lernprogrammen und Strategiespielen über Flugzeugsimulatoren bis hin zu brutalen Ballerspielen.

Man taucht in seine eigene virtuelle Welt ab und kann diese auch für sich selbst gestalten – und ist mal Held, mal erfolgreicher Rennfahrer, Flugzeugpilot oder Söldner. Es ist ein nachvollziehbarer Reiz, wenn man Held sein kann, und dies macht Computerspiele vor allem für sonst erfolglose oder gelangweilte Jugendliche sehr attraktiv und lenkt zudem von realen unangenehmen Aufgaben, wie z. B. seine Hausübung oder das gebotene Lernpensum zu absolvieren, ab.

Natürlich gibt es wertvolle lern- und konzentrationsfördernde Programme, jedoch sind diese in den Kinderzimmern eher marginal vertreten. Ich fand vor Kurzem in einem Schülerportal einen wirklich guten Aufsatz einer siebzehnjährigen Schülerin zu diesem Thema, den ich hier auszugsweise wiedergeben möchte:

Wenn ein 16-Jähriger mehrere Stunden am Tag vor seinem Gerät sitzt und unentwegt spielt, dann hat das lästige Nebenwirkungen. Auch wenn der PC bereits heruntergefahren ist, denkt man meist an nichts anderes mehr als an dieses eine ganz bestimmte Spiel. Schule und Beruf werden vernachlässigt. Bücher werden kaum mehr gelesen und man verbringt die meiste Zeit im Haus vorm Computer oder darauf hoffend, die Eltern würden einem doch noch erlauben zu spielen. Glücklicherweise verfliegt diese Sucht nach einiger Zeit wieder – spätestens dann, wenn das Spiel ausgespielt ist und langweilig wird. Schlecht wäre nur, wenn man andere Software gefunden hat, die einen genauso mitreißt. 34

Dem möchte ich nichts hinzufügen.

Bei herkömmlichen Spielformen, ob mit körperlicher oder geistiger Schwerpunktsetzung, sei es von Federball über Halma und Backgammon bis hin zu den komplexeren Varianten wie Cluedo oder anderen Brettspielen mit strategischem Schwerpunkt, wird das Spiel für beendet erklärt, wenn das vorgeschriebene Ziel erreicht ist. Die Spannung lässt nach und man reflektiert mehr oder weniger bewusst Sieg oder Niederlage und tritt zu einer neuen Runde an.

Beim Computerspiel gibt es immer wieder ein nächsthöheres Level, welches am vorhergehenden indirekt oder direkt anknüpft. Sollte dieses im Spiel noch nicht implementiert sein, kann man es downloaden, und wenn der Modus ausgereizt ist, erscheint die nächste Version.

Hier zeigt das Zustandsbild des Users eine starke Ähnlichkeit mit der Wirkweise herkömmlicher Drogen. Es muss die Dosis erhöht werden, um Befriedigung zu erlangen, und auch hier gilt der Grundsatz, dass die Dosis das Gift ausmacht. Der einzige Unterschied besteht darin, dass „digitalisierte Drogen“ für jede Altersstufe legal zugänglich sind.

Der Mensch ist nun einmal grundsätzlich so konzipiert, dass ihn die Erreichbarkeit der nächsthöheren Ebene herausfordert, und das ist gut so, ist es doch die Antriebsfeder, die den Menschen in allen Lebensbereichen vieles erreichen lässt.

Oft ist dieser Drang jedoch gepaart mit der Unfähigkeit, das Erreichte als das zu erkennen, was es ist, nämlich das angestrebte Ziel, und damit verbunden das Gefühl einer tiefen Befriedigung erreicht zu haben. Das ist normalerweise ein Moment, der uns innehalten lässt, um dieses Gefühl voll und ganz auszukosten und danach entspannt das Erreichte zu reflektieren und zu genießen. Kann dieses Gefühl vom Spieler bzw. der Spielerin in diesem Fall nicht realisiert, also nicht im Bewusstsein als Ziel- und Endpunkt einer Etappe abgespeichert werden, wird sich daraus ein Suchtverhalten entwickeln. Dann mutiert der naturgegebene positive Drang, Neues zu entdecken und Angestrebtes zu erreichen, zur krankhaft anmutenden Drangsal.

Digitaler Autismus


Wenn der allseits bekannte Psychiater und Hirnforscher Manfred Spitzer 35 in unserer Gesellschaft respektive bei unserem „Nachwuchs“ Anzeichen einer digitalen Demenz feststellt und sich vehement gegen Initiativen von Wirtschaft und Bildungspolitik wendet, welche ohne viel nachzudenken „alle Schüler mit Notebooks oder Tablet-PCs ausstatten und die Computerspiel-Pädagogik noch zusätzlich fördern wollen“, dann orte ich so etwas wie einen digitalen Autismus.

Wobei ich jedoch erklärend voranstellen möchte, dass ich mich bei meiner Interpretation des Begriffes in den folgenden Ausführungen sehr stark an die grundlegende Wortbedeutung anlehne und nicht das Krankheitsbild als solches in irgendeiner Weise diskreditieren möchte. 36

Eine typische Symptomatik des digitalen Autismus zeigt sich in Abweichungen uns geläufiger Kommunikationsmodalitäten (z. B. die empathische Wahrnehmung der Umwelt oder des Umfeldes), die sich durch starke Einschränkung in der sozialen Interaktion äußern. Das heißt, dass betroffene Personen ihre Umwelt nur bedingt wahrnehmen und soziale Bezugspunkte teilweise nicht als solche erkennen oder folgerichtig einordnen, wie ich an den folgenden charakteristischen Beispielen zeigen möchte:

Im Rahmen eines Aufenthaltes in Meran beobachtete ich eine Schülergruppe eines Gymnasiums, die einen Schulausflug in die Trauttmansdorffer Gärten absolvierte. Wer schon einmal dort war, wird wissen, dass sich da eine einzigartige Fülle und Vielfalt von Flora und Fauna offenbart.

Eine Gruppe von Schülern saß auf und rund um eine der Parkbänke und beschäftigte sich mit ihren Smartphones – einige schickten SMS, andere betrachteten ihre soeben gemachten Selfies oder hörten Musik und wieder andere spielten, während eine Lehrperson mehr oder minder erfolgreich versuchte, dem Rest der Klasse die Flora nahezubringen.

Ich stellte mich hinter zwei Schüler, blickte ihnen über die Schulter und wurde ebenso wenig wahrgenommen wie ein Eichhörnchen, das sich gerade auf...