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Das Wichtigste im Leben - Worte mit Herz und Verstand

Eugen Drewermann

 

Verlag Patmos Verlag, 2015

ISBN 9783843606042 , 128 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

Energie
des Vertrauens

oder:
Warum wir Religion nötig haben


Wenn die „Energie“ des Vertrauens und der Liebe, die von einer anderen Person ausgeht, uns so ergreift, daß sie uns wie im Rhythmus des eigenen Seins durchfließt und alles in uns verstärkt, anregt und auf ein Niveau hebt, zu dem wir von uns selbst her niemals imstande gewesen wären, so hat man in etwa ein Modell, um zu verstehen, was bei dem Vorgang geschieht, der theologisch als „Glauben“ bezeichnet wird: ein Ergriffenwerden und Einschwingen in die pulsierende Kraft, die das gesamte Weltall durchströmt und die dennoch unendlich mehr ist als nur eine „Kraft“, da nur eine Person auf uns als Personen mit jener unvergleichlichen Energie zu wirken vermag, die wir „Liebe“ nennen.

An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen 61f.

Die Ansicht mancher Religionspsychologen, daß die Religion aus Angst und Hilflosigkeit entstanden und deshalb als haltlose Illusion zu betrachten sei, verkennt, daß es zum Menschen wesentlich gehört, Ängste zu haben, die unendlich sind und im Endlichen nie eine Antwort finden, und daß es zudem auf eine Verwechslung von Ursache und Wirkung hinausläuft, das Heilmittel einer Krankheit als Produkt der Krankheit zu interpretieren. So wie der Durst eines Menschen in gewißem Sinne ein Beweis für die Existenz des Wassers ist oder wie etwa die Flugunruhe der Vögel um Anfang Oktober beweist, daß es wärmere Länder im Süden der Erde geben muß, so ist die Sehnsucht des Menschen nach Gott ein Beweis für die Existenz des Göttlichen. „Du würdest mich nicht suchen, wenn du mich nicht schon gefunden hättest“, läßt Blaise Pascal in den „Pensées“ Christus zum Menschen sprechen. Wir Menschen sind auf dieser Welt die einzigen Lebewesen, die sich ängstigen können und müssen vor der Nichtigkeit und Zufälligkeit alles Existierenden; wir sind die Einzigen, denen die Welt erscheint wie ein Meer, über die sie nur zu schreiten vermögen mit dem Blick auf eine Gestalt, die vom anderen Ufer uns entgegenkommt.

Marienkind 54f.

Wie nötig wäre Religion! Wer, wenn nicht sie, könnte den Menschen sagen, daß sie mehr sind als Übergangsgebilde im Stoffwechselhaushalt der Natur, daß sie zu schade sind, um sich als Konsumenten und als Produzenten im Wirtschaftskreislauf dubioser Kapitalverwerter zu verschleißen, daß sie es nicht verdienen, ihren Wert als Leistungsträger bei der Sicherung des Industriestandorts der BRD oder irgendeines anderen Landes im globalen Konkurrenzvergleich bestimmt zu finden?

Auf daß Menschen eine absolute Geltung haben, bedarf es eines absoluten Gegenübers ihrer Anerkennung. Ein solches Gegenüber kann und darf nicht die Natur, nicht die Gesellschaft, nicht ein Zweckverband aus Industrie und Militär und Banken sein. Wie aber glauben an ein Absolutes, auf daß Menschen nicht länger mehr als Mittel für die Zielsetzungen anderer versklavbar sind?

Es müßte einen jeden die Religion begleiten auf dem Weg zu seiner Freiheit. Sie müßte die verinnerlichten Zwänge seiner Seele durcharbeiten, in denen andere mit scheinbar göttlicher Autorität vor ihn hintraten und ihn nach ihrem Bild zu formen suchten, – vom eigenen Vater in den Kindertagen über den Lehrer in der Schule, den Pastor in der Kirche, den Spieß auf dem Kasernenhof, den Herrn Professor auf dem Universitätsgelände bis hin zum Chef der belle etage des Glashochhauses eines systemrelevanten Großkonzerns … Sie alle sind nicht Gott, sie sind nur lächerlich, wenn sie versuchen, so zu tun.

Doch das zu spüren macht auch Angst. Leichter, als seine Freiheit zu riskieren, ist es in jedem Falle, einzutauchen in die Fremdbestimmung anderer; statt selbst zu sein erscheint es einfacher zu tun, was alle sind und machen; Normalität statt Individualität – nach dem Konzept be­-
sorgt, versorgt man stets ein nur uneigentliches Dasein, das nie zum Leben kommt, weil es im Kampf ums Überleben sich und alle Welt in die Begräbnisstätte seiner selbst verwandelt.

Nötig wäre die Religion! Doch so, wie nötig, ist sie nicht.

Denn selber tritt sie auf als göttliche Autorität, verbreitet Angst vor Gott, um selber Macht zu haben über Menschen und augenscheinlich hält sie es zum Selbsterhalt konstant mit dem, was Geld und Geltung bringt.

In seiner institutionalisierten Form hat religiöser Glau­be seine Glaubwürdigkeit endgültig eingebüßt.

Wendepunkte 9f.

Rein „naturwissenschaftlich“ zeigt sich das Dasein unbezweifelbar so: Wir kommen aus dem Nichts, und wir gehen ins Nichts, und was dazwischen liegt, unser Leben, dient einzig dem Zweck, Leben weiterzugeben. Das Nichts, das wir sind, gibt sich den Anschein, etwas zu sein. Das ist alles. Es ist gar nichts, – der mutwillige Versuch einer Selbsttäuschung. Doch was ist es dann mit der Religion? Ist auch sie nur ein Versuch, sich etwas vorzumachen? Oder verweist sie auf eine Wahrheit, die nötig ist, um „richtig“ zu leben? Eine „Wahrheit“, die man braucht, um „richtig“ zu leben, steht von vornherein in Verdacht, bloßem Wunschdenken zu entstammen. Doch vielleicht verhält es sich gerade umgekehrt, und die Menschlichkeit, die der Glaube gebiert, „beweist“, daß die Religion wahr ist, wenn sie das Leben in einer Liebe birgt, die den Tod besiegt. Naturwissenschaftliches Denken kann Tatbestände erklären, doch was wir tun sollen, sagt es uns nicht, und noch weniger sagt es, wer wir selbst sind. Das vermag uns nur jemand anzuvertrauen, der uns sehr liebt.

Doch wem ist Liebe zu glauben? Und was alles nennt sich nicht Liebe? In INGMAR BERGMANs (1918–2007) Film „Wie in einem Spiegel“ sagt David am Ende zu seinem Sohn: „Es steht geschrieben, daß Gott die Liebe ist … Ich will dir nur meine eigene Hoffnung andeuten … Es ist das Wissen, daß Liebe als etwas Wirkliches in der Welt der Menschen existiert.“ David meint ausdrücklich nicht „eine besondere Art Liebe“; er meint: „Jede Art von Liebe …! Die höchste und die niedrigste, die armseligste und die reichste, die lächerlichste und die schönste. Die besessene oder krasse. Jede Art von Liebe … Sehnsucht und Verleugnung, Mißtrauen und Vertrauen.“ Einzig die Liebe ist diesen Worten nach imstande, die Verstellungen zu öffnen und die Verformungen zu überreifen, an denen sie selbst leidet, und es ist dieser Glaube an die Macht der Liebe, der sich in allen Religionen ausspricht und sich, trotz allen Unglücks, allen Unheils, alles Ungemäßen, in allen Mythen der Antike darstellt.

Liebe, Leid und Tod 35

Die Hoffnung, es möchte möglich sein, auf dieser Erde endlich miteinander in Frieden und Gerechtigkeit zu leben, wurde aufs bitterste enttäuscht. Gekommen ist nicht eine „bessere“ Welt, gekommen sind die Realisten, die Pragmatiker, die Utilitaristen, die Opportunisten, und sie reden von Verantwortung, von Sachzwängen, von Wirtschaftswachstum unter allen Umständen und buchstäblich um jeden Preis; als unverantwortlich erscheint es jetzt, an Idealen, Utopien und Prinzipien noch länger festzuhalten. Die Zeit der Träume ist vorbei; die Kinder schon kann man nicht früh genug heranführen an die Härte der Lebenswirklichkeit. Man muß sie ausbilden, um fit zu sein für den weltweiten Konkurrenzkampf der Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft.

Die Erwartung, die Welt lasse sich nach religiösen Idealen umgestalten, hat sich scheinbar als trügerisch erwiesen; die Religion in der tradierten Form ist nichtssagend und leer geworden. Doch sonderbar: Gerade damit wird erst wirklich klar, was Religion zu sagen hätte. Erst jetzt wird vollends offenbar, daß es von Grund auf falsch war, Religion mit Ethik gleichgesetzt zu haben. Die Religion, speziell die christliche, hat mehr, unendlich mehr und tieferes zu lehren als: „Du mußt“, „Du sollst“ und: „Du darfst nicht“. Sie bietet in gewissem Sinne allererst die Grundlage dafür, daß Menschen hinreichend mit sich identisch sind, um tun zu können, was sie moralisch wollen und was sie ethisch sollen. Die Religion kommt erst zu ihrer Wahrheit, wenn sie abläßt davon, nichts weiter sein zu mögen als eine Ideologie des Staatserhalts. Die Menschen brauchen an­deres …

Wendepunkte 15f.

Die Menschen allerdings … gehen unterdessen selber auf die Suche. Das All, das Universum, die Natur tritt für sie an die Stelle Gottes; das Einssein mit dem Kosmos gilt ihnen als Gebet; das Einverständnis, daß doch alles kommt, wie’s muß, und daß es gut ist, wie es ist, ersetzt ihnen den Gottesglauben; und sich im Gang des Ganzen aufzulösen, kompensiert für sie die Hoffnung auf Unsterblichkeit. Fast wird es eine Lust, die Personalität des Menschen als ein scheinbar zu Begrenztes zu negieren und eine Frömmigkeit im Jenseits eines personalen Gottes zu erträumen; man gibt sich das Versprechen, auf diese Weise eine Weisheit zu besitzen, in der die Unterschiede zwischen Gott und Welt, Mensch und Natur, Seele und Leib, die Differenzen auch zwischen den Religionen selbst in mystischer Alleinheit wie von selbst verschwänden, – eine Toleranz der Indifferenz zur Überwindung der Intoleranz und Divergenz vor allem der monotheistischen Offenbarungsreligionen. Bei den Nachdenklichen erübrigt sich die Metaphysik der abendländischen Theologie nunmehr durch eine physikalisch argumentierende Naturphilosophie, bei der gewisse überraschende Aussagen der Quantentheorie, nicht selten in Kombination mit esoterischen Anschauungen und Praktiken,...