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König des Schicksals - Historischer Roman

Robyn Young

 

Verlag Blanvalet, 2015

ISBN 9783641173920 , 640 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

Lochmaben, Schottland,
(A.D. 1292)

Sie brachen auf, während die Abenddämmerung den Tag des letzten Lichts beraubte. In der trüben Novemberdüsterkeit wirkten die von Kapuzen beschatteten Gesichter der Männer bleich. Nur wenige sprachen bei der Arbeit, Träger wuchteten Truhen auf Karren, Knappen überprüften die Geschirre der Zugpferde, huschten zwischen den Rittern umher, die bereits auf ihren Pferden saßen, zurrten Sattelgurte fest und rückten Steigbügel zurecht. Ihre durch die Kälte starr gewordenen Finger kämpften mit den Schnallen. Die Luft war regenverhangen, verdunkelte die Strohdächer der hölzernen Gebäude, die sich im Burghof drängten, und verwandelten den Hof in einen glitschigen Morast aus Pferdemist, Erde und verrottenden Blättern.

Robert, der sich Uathachs Leine um die zur Faust geballte Hand geschlungen hatte, verfolgte die Vorbereitungen. Vor einer Woche hatte es hier von Lords und ihren Gefolgen gewimmelt, die sich zu dem Fest einfanden, der Hof war von Stimmen und Gelächter erfüllt gewesen, und aus der Halle seines Großvaters war Musik und Feuerschein geströmt. Vor einer Woche hatte er diesen Hof mit Eva durchquert, ihre Röcke hatten an seiner Seite geraschelt, und die eisige Kälte hatte die weinselige Röte aus seinem Gesicht vertrieben. Doch dann war die Nachricht eingetroffen, angekündigt vom Klirren der eisenbeschlagenen Hufe und ausgespien von den Mündern der Boten; vier Worte, die alles verändert hatten.

John Balliol wird König.

War das erst eine Woche her? Es kam ihm viel länger vor.

Robert blickte sich um, als zwei mit einem Weidenkorb, aus dem hastig zusammengepackte Kleidungsstücke heraushingen, beladene Diener aus dem Gebäude hinter ihm stolperten. Uathach sprang bellend auf sie zu, wurde jedoch durch einen scharfen Ruck an der Leine zurückgezogen. Der Welpe lehnte sich gegen Roberts Stiefel und blickte fragend zu seinem ausdruckslosen Gesicht auf. Als die Diener auf den Karren zusteuerten, bemerkte Robert, dass etwas aus dem Korb gefallen war, etwas Weißes, das zerknüllt auf dem dunklen Boden lag. Er ging hinüber und hob es auf. Es war ein jetzt schlammverschmierter Schleier seiner Mutter. Als er hinter sich eine sanfte, über das Krachen und Kratzen der Truhen, die verladen wurden, hinweg kaum vernehmbare Stimme hörte, drehte er sich um.

Gräfin Marjorie lächelte, als sie auf ihn zutrat und eine kühle Hand über die seine mit dem schmutzigen Schleier darin legte. »Agnes wird sich darum kümmern.«

Im vergangenen Jahr war Robert in die Höhe geschossen und überragte dank dieses plötzlichen Wachstumsschubs seine einst so imposante Mutter, die zur selben Zeit geschrumpft zu sein schien. Sie versank förmlich in ihrem pelzbesetzten Reiseumhang, und als er jetzt auf sie hinunterschaute, kam er sich vor wie ein Riese; seine vom Umgang mit dem Schwert schwieligen Hände ließen die ihren fast zwergenhaft erscheinen, und seine muskelbepackten Arme vermochten ihre schmale Gestalt zu zermalmen. Er dachte an die wässrigen Blutflecken auf den Laken, die er Agnes, ihre Wäscherin, früher am Nachmittag aus der Kammer hatte tragen sehen. »Das ist Wahnsinn«, murmelte er. »Bleib hier. Wenigstens über Nacht.«

Marjories Lächeln verblasste. Ihre Brauen zogen sich zusammen, als sie den Blick abwandte. »Dein Vater hat vereinbart, dass wir heute Nacht bei einem der Vasallen deines Großvaters unterkommen. Seine Halle liegt auf unserem Heimweg.«

»Dann bleib dort. Großvater kann dich doch sicherlich nach Turnberry eskortieren lassen, wenn es dir besser geht.«

»Er hat seine Entscheidung getroffen.« Marjories Blick wanderte zu ihm zurück. Ihre Augen wirkten härter und entschlossener, etwas von ihrer alten Kraft funkelte darin. »Mein Platz ist an seiner Seite.«

Robert fragte sich, ob ein anklagender Unterton in der Stimme seiner Mutter mitschwang. Gab sie ihm die Schuld an der Entscheidung seines Großvaters?

Sie schien seine unausgesprochene Frage zu spüren, denn sie drückte seine Hand. »Dein Vater hat das Urteil des Lords akzeptiert. Kraft seines Siegels gehört Carrick dir. Jetzt muss er nach Hause zurückkehren, um seine Angelegenheiten zu regeln. Gib ihm Zeit, Robert. Er wird es auch in seinem Herzen akzeptieren.«

Er hätte ihr gern gesagt, wie sehr sie doch beide wussten, dass dies nicht zutraf, aber just in diesem Augenblick kamen seine Schwestern aus ihren Unterkünften, und Isabel rief der Gräfin etwas zu.

»Unsere Kammern sind ausgeräumt, Mutter. Wir können aufbrechen.« Beim Sprechen schielte sie zu Robert hinüber.

Marjorie nickte ihrer ältesten Tochter zu. »Bring deine Schwestern zu der Kutsche.«

Gehorsam führte Isabel Bruce ihre drei jüngeren Geschwister über den schlammigen Hof, dabei schlug sie zum Schutz vor dem Regen ihre Kapuze hoch. Er fiel jetzt heftiger, trommelte laut auf die gewachste Leinwand, die über die Karren gespannt war. Christina ging neben Isabel und warf Robert einen Blick zu, als sie an ihm vorbeikam. Er schenkte seiner flachshaarigen Schwester ein aufmunterndes Lächeln, das sie jedoch nur flüchtig erwiderte. Unübersehbare Angst spiegelte sich in ihrem Gesicht wider. Die Gouvernante der Mädchen folgte ihr mit Matilda an der Hand, die mit vom Weinen geröteten Augen widerstrebend vorwärtsstolperte. Die siebenjährige Mary kam als Letzte, sie hatte die Arme fest vor der Brust verschränkt und weigerte sich, sich führen zu lassen. Sie wirkten alle bedrückt, die beiden jüngeren Mädchen begriffen noch nicht, was geschehen war, spürten aber die Anspannung der Erwachsenen; die älteren waren sich bewusst, dass diese Flucht aus Lochmaben für die Familie Bruce mehr als nur das bittere Ende eines langen Kampfes bedeutete – dass sie vielleicht sogar das Ende der Familie selbst war.

Eine barsche Stimme durchschnitt das Gemurmel der Männer, die alles für die Abreise vorbereiteten. Robert sah, dass sein Vater auf den Hof getreten war und den Dienern befahl, Fackeln zu bringen. Seine mächtige Gestalt wirkte durch einen schweren schwarzen Umhang, der sich um seinen Körper bauschte, als er seinem Knappen schroff bedeutete, sein Pferd zu bringen, noch massiger. Robert empfand das Fehlen seines weißen Mantels mit dem roten Sparren von Carrick als befremdlich. Er sah wie ein völlig anderer Mensch aus. Die Kapuze des Umhangs war zurückgeschlagen, aus dem schütteren Haar seines Vaters rann der Regen. Edward Bruce hielt sich an seiner Seite, ein nachdenklicher Ausdruck lag auf seinem jungenhaften Gesicht. Da Niall und Thomas sich in der Obhut von Zieheltern in Antrim befanden und Alexander eine Priesterausbildung durchlief, war Edward als Einziger von Roberts Brüdern bei diesem Anlass anwesend.

Der ältere Bruce erspähte seine Frau und ging zu ihr hinüber. »Es wird Zeit«, bemerkte er brüsk, ohne den Blick von der Gräfin abzuwenden.

Marjorie wandte sich an Robert. »Leb wohl«, murmelte sie, wobei sie seine Wange mit ihrer Hand umschloss. »Wenn du morgen das Schwert und die Sporen überreicht bekommst, werde ich für dich beten.«

Sie löste sich von ihm, um Edward zu küssen, bevor sie zu der Kutsche trat, in der ihre Töchter bereits saßen. Das Gefährt war für eine Gräfin nicht passend, aber sie fühlte sich jetzt zu schwach zum Reiten. Während die Träger ihr beim Einsteigen behilflich waren, reichten Diener den Knappen Fackeln. Die Flammen flackerten und zischten in der Nässe.

Robert sah seinen Vater an. Er wollte ihn zur Rede stellen, ihn fragen, warum er seine Frau und seine Töchter in Regen und Dunkelheit hinausschleifte, aber angesichts der Miene seines Vaters blieben ihm die Worte im Halse stecken. Der starre Gesichtsausdruck war Antwort genug. In Robert wallte Zorn auf – nicht auf seinen Vater, sondern auf seinen Großvater, dessen Handlungsweise an diesem Tag die Kluft zwischen ihnen noch verstärkt hatte, vielleicht bis zu einem Punkt, wo sie sich jetzt nicht mehr überbrücken ließ. Der alte Mann war noch nicht einmal hier, um dem ganzen Geschehen beizuwohnen.

»Ich werde die Bewohner von Carrick gerecht behandeln«, entfuhr es Robert, der den Drang verspürte, sich zu rechtfertigen, plötzlich. »Ich werde sie nach deinem Vorbild regieren.«

Sein Vater zuckte zusammen. Sein vom Wein, der seinen Atem säuerlich riechen ließ, fleckiges Gesicht lief dunkelrot an. »Wenn sich deine Mutter wieder erholt hat, werde ich Isabel nach Norwegen bringen. König Erik hat nach Ablauf der Trauerzeit schon zu lange keine Königin mehr an seiner Seite. Deine Schwester dürfte eine angemessene Partie für ihn sein. Herrsch du über deine neue Grafschaft, wie du es für richtig hältst, Robert. Aber du kannst sicher sein, dass ich nicht bleiben werde, um das mit anzusehen.«

Mit diesen Worten stapfte er zu seinem Pferd.

Robert hatte schon Enttäuschung, Zorn und Niedergeschlagenheit in den eisigen Augen seines Vaters gesehen, aber noch nie einen so kalten Groll. Er erschütterte ihn.

Als die Ritter und Knappen sich formierten und ihre Pferde zu tänzeln begannen, gesellte Edward sich zu Robert. Gemeinsam sahen die Brüder zu, wie die Karren und Kutschen auf die im Schatten der von dem steinernen Bergfried gekrönten Motte, die sich über dem Burghof erhob, liegenden Tore zurollten. Die Wachposten bei der Palisade öffneten sie, und...