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Die Janson-Option - Roman

Robert Ludlum, Paul Garrison

 

Verlag Heyne, 2015

ISBN 9783641167592 , 384 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

»Checkpoint«, warnte Janson.

Etwa eineinhalb Kilometer voraus standen zwei Toyota Pick-ups Kühler an Kühler quer über der Straße, die etwa zwei Meter über dem Wüstenniveau verlief. Ein Panzer hätte den Kontrollpunkt mit seinen Ketten vielleicht weiträumig umfahren können. Ein gestohlenes Taxi mit einem Amateur am Steuer war hingegen chancenlos.

»Regierungstruppen oder Rebellen?«, fragte Jessica Kincaid auf dem Rücksitz. Sie trug eine abgenutzte Leica-Kamera um den Hals.

Janson saß zur Beruhigung des Fahrers vorne und beobachtete die Pick-ups mit einem monokularen Fernglas. Zivilisten, die zwischen die Fronten von regierungstreuen Truppen und Rebellen geraten waren, verstopften die Straßen zur Grenze mit ihren Autos, deshalb hatte er das Taxi nach Süden in karges Wüstengelände ausweichen lassen.

Er überblickte den Checkpoint mit dem Fernglas. »Schwarze Söldner … Bullpup-Sturmgewehre … der linke Truck ist mit einem Raketenwerfer Typ 63 ausgerüstet.«

Jessica versteckte den Passierschein der Rebellen unter dem Fahrersitz und gab Janson die Geschäftsvisa, die ihnen ein Unternehmer in Tripolis besorgt hatte, der Bewässerungspumpen für das »Great Man-Made River«-Projekt importierte. Bei diesem Projekt wurde eine riesige Pipeline für eine verbesserte Wasserversorgung der Bevölkerung und der Landwirtschaft installiert. Sie war eine junge, athletische Frau und trug ein Tuch über dem kurzen braunen Haar, eine weite Cargohose und ein verschwitztes Hemd. Laut ihren Papieren arbeitete sie in der PR-Abteilung des amerikanischen Bauunternehmens KBR.

Jansons Visum wies ihn als Wasserbau-Ingenieur desselben Unternehmens aus. Er war älter als Jessica, ein unscheinbarer Mann mit kurzem stahlgrauem Haar. Die Narben an den Händen und im Gesicht sowie die muskulöse Statur, die unter dem weiten Hemd kaum hervortrat, ließen vermuten, dass er sich vom einfachen Bohrturmarbeiter hochgearbeitet hatte. Er wirkte ebenso ruhig und gelassen wie die Frau auf dem Rücksitz.

»Wir kommen ohne Probleme durch«, versicherte er dem Fahrer. »Bleiben Sie einfach ruhig.«

Der Fahrer war überzeugt, dass die beiden Amerikaner keine Ahnung hatten, welche Gefahr ihnen drohte. Afrikanische Söldner waren als ausgesprochen schießwütig bekannt. Wären es wenigstens Rebellen gewesen, die vielleicht bestrebt waren, sich auf CNN in einem guten Licht zu präsentieren. Den ausländischen Soldaten aufseiten der Regierung aber war es schnurzegal, was die Welt über sie dachte. Sie kämpften stets mit dem Rücken zur Wand – für sie hieß es »Siegen oder sterben«.

In diesem Fall handelte es sich allem Anschein nach um Soldaten der berüchtigten 32. Brigade, einer Spezialeinheit, die direkt dem Despoten unterstellt war. Der Kommandeur des Trupps wusste um die hohe Belohnung, die für die Ergreifung des übergelaufenen Diktatorensohnes winkte. Falls der Verräter das Glück hatte, von den Rebellen erwischt zu werden, würden sie ihn möglicherweise als Geisel am Leben lassen. Die Regierungstreuen würden ihn auf der Stelle töten, und wer seinem Vater den Kopf des Verräters brachte, konnte mit einem Orden und einer Villa in der besten Gegend rechnen.

Die Soldaten brachten ihre Gewehre in Anschlag.

»Langsam«, forderte Janson den Fahrer auf. »Lassen Sie die Hände auf dem Lenkrad.« Er selbst legte seine Hände gut sichtbar auf das Armaturenbrett und hielt ihre Papiere unter der Linken fest. Jessica legte ihre Hände auf den Fahrersitz.

Der Fahrer, ein kahlköpfiger Mann in den Dreißigern, war mit einer falschen Designerjeans und einem schäbigen weißen Hemd bekleidet, dem typischen Outfit der vielen gut ausgebildeten Afrikaner, die keine adäquate Arbeit fanden. In diesem Moment verspürte er den unbändigen Drang, aufs Gaspedal zu treten und die Soldaten zu überfahren. Wenn er anhielt, konnten sie bestenfalls darauf hoffen, dass sich die Söldner damit begnügten, sie zu verprügeln und das Auto auseinanderzunehmen. Noch schlimmer würde es der Frau auf dem Rücksitz ergehen. War es angesichts dieser Aussichten nicht besser, ihr Schicksal in Allahs Hände zu legen und einen Fluchtversuch zu wagen?

»Langsam«, wiederholte Janson. »Wir dürfen sie nicht reizen.«

Seit er und Jessie sich anschickten, die Grenze zu überqueren, waren ihnen jede Menge verängstigte Zivilisten, schießwütige Söldner und marodierende Rebellen begegnet, was darauf hindeutete, dass die Revolution ins Chaos gekippt war. Kein Wunder nach vierzig Jahren unter der Herrschaft eines psychopathischen Diktators. Bezeichnend auch, dass sich die regierungstreuen Truppen nun vor allem auf die Suche nach einem einzelnen Abtrünnigen konzentrierten.

Fünf der acht Söhne des psychotischen Despoten, der sich selbst »Löwe der Wüste« nannte, waren Personen des öffentlichen Lebens – Playboys, Funktionäre, Minister. Sie waren im Staatsfernsehen in Erscheinung getreten und gaben in Rom und Paris rauschende Feste. Ein weiterer versteckte sich als obskurer Imam in einer abgelegenen Provinz hinter seinem priesterhaften Bart. Der schwule Sohn war nach seiner Flucht nach Mailand seit Jahren nicht mehr in Erscheinung getreten, ebenso wie der jüngste Sohn Yousef, genannt »Welpe«, der in den Vereinigten Staaten Computerwissenschaft studiert hatte. Sein Gesicht war der Öffentlichkeit nicht bekannt. Angeblich hatte er es im Gegensatz zu seinen Brüdern geschafft, das Vertrauen seines Vaters zu erwerben, indem er die Strukturen der inneren Sicherheit modernisiert und für eine lückenlose Überwachung von Handykommunikation und Internet gesorgt hatte. Twitter und Facebook wurden vom Löwen zwar geduldet, er konnte sie aber jederzeit nach seinem Belieben mit nur einem Wort sperren lassen.

Alle Hoffnungen, der Jüngste könnte den alten Despoten in eine gemäßigtere Richtung lenken, zerschlugen sich schon in den ersten blutigen Tagen des Aufstands, als der Herrscher seinen Gegnern schwor, bis zum Tode zu kämpfen. Die Armee spaltete sich auf, sein Kabinett dankte ab, und ein blutiger Bürgerkrieg entbrannte. Die politische Pattsituation und das drohende militärische Eingreifen der NATO bewogen selbst einige der loyalen Gefolgsleute, im Verborgenen das Wort »Amtsenthebung« zu flüstern.

Yousef fürchtete eine mögliche Anklage als Kriegsverbrecher, sodass ihm das Asylangebot Italiens äußerst gelegen kam. Die italienische Initiative zielte einerseits auf ein Ende des Blutvergießens, andererseits jedoch auch auf gute Beziehungen zur Wirtschaftselite des Ölstaates ab. Doch wie so vieles in diesem Konflikt sollte auch dieser Versuch zu spät kommen, und Yousef tauchte in den Wirren des Krieges unter. Zuletzt war er in der Oasenstadt Ghadames gesichtet worden.

»Langsam!«, zischte Janson dem Fahrer erneut zu. Der Mann sah ein, dass es zwecklos war, einen Fluchtversuch zu wagen. Wahrscheinlich würde ihn Janson in diesem Fall töten, noch bevor die Soldaten ihre Gewehre auf den Wagen richten konnten.

Die Söldner gestikulierten mit ihren Gewehren, um sie zum Verlassen des Fahrzeugs aufzufordern. Der Kommandeur begutachtete ihre Papiere. »Kofferraum aufmachen«, befahl er.

»Hab keinen Schlüssel«, antwortete der Fahrer.

»Schießt das Schloss auf.« Die Soldaten richteten ihre Waffen auf den Kofferraum und feuerten erst einmal eine Salve ab, ehe sie mit einem gezielten Schuss das Schloss knackten und einer von ihnen mit dem Gewehrlauf den Deckel hob.

Im Kofferraum lagen ein von Kugeln durchlöchertes Reserverad und eine hellgrüne Fußballtasche. Die Augen des Offiziers weiteten sich, als er sie öffnete. Er griff hinein und zog ein Bündel Hundert-Euro-Scheine hervor. »Gehört das Ihnen?«

»Nein«, antwortete Janson. »Ich hatte keine Ahnung, dass das da drin ist. Vielleicht haben Sie dafür Verwendung.«

Der Offizier machte seinen Männern ein Zeichen. Ein Soldat sprühte mit grüner Farbe einen Halbmond auf die Motorhaube. »Fahren Sie weiter. Damit kommen Sie durch alle Checkpoints. Entschuldigen Sie die kleine Verzögerung. Erzählen Sie der Welt, dass Sie anständig behandelt wurden.«

Der Offizier schlug dem Fahrer auf den Hinterkopf und trieb ihn mit einem Fußtritt zum Auto. Der Fahrer spannte sich unwillkürlich an. Janson schob ihn hinters Lenkrad. Jessica wandte sich an den Soldaten. »Darf ich ein Foto von Ihnen machen?«

Der Offizier straffte die Schultern und registrierte jetzt erst, dass sie eine außerordentlich attraktive Frau war.

Janson schritt ohne Eile um den Wagen herum und setzte sich auf den Beifahrersitz. »Fahren Sie, bevor sie es sich anders überlegen.«

Der Fahrer trat auf das Gaspedal, und das alte Taxi rollte los.

Der Passierschein in Form des aufgesprühten Halbmonds sowie hundert Euro Bestechungsgeld brachten sie schließlich über die Grenze.

Die tunesischen Behörden, überfordert durch den Strom von Flüchtlingen, die dringend Nahrung, Wasser und ein Dach über dem Kopf benötigten, winkten sie sofort zum Flughafen weiter. Dort landete wenig später eine zweistrahlige Embraer Legacy 650. Der Langstreckenjet gehörte Jansons Firma namens Catspaw Associates, die Sicherheitsberatung für Unternehmen anbot. Er hatte ein Netzwerk aus selbstständigen Recherchespezialisten, IT-Experten und Feldagenten zusammengestellt, die rund um die Uhr über das Internet und sichere Telefonleitungen miteinander verknüpft waren.

Paul Janson und Jessie Kincaid halfen ihren Piloten beim Ausladen von Zelten, Decken und Wasserflaschen. Fünfzehn Minuten nach der Landung beförderten die mächtigen Rolls-Royce-Triebwerke das Flugzeug wieder in die Lüfte. An Bord befand sich neben Janson und Jessica auch...