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Handbuch psychologischer Arbeitsanalyseverfahren

Heiner Dunckel

 

Verlag vdf Hochschulverlag AG, 2015

ISBN 9783728136855 , 592 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz DRM

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47,99 EUR


 

Verfahren zur Analyse von Tätigkeitsstrukturen und prospektive Arbeitsgestaltung bei Automatisierung (ATAA)

Hartmut Wächter, Brita Modrow-Thiel und Giselind Roßmann1

Zusammenfassung

Im metallverarbeitenden Bereich werden flexible Kommunikations- und Produktionstechnologien eingeführt, die neue Arbeitsinhalte und -anforderungen zur Folge haben. Auf der Basis der Handlungsregulationstheorie wurde im Rahmen eines Projektes zur Humanisierung des Arbeitslebens das Analyseverfahren ATAA entwickelt, das qualitative Tätigkeitsmerkmale in Abhängigkeit von technisch-organisatorischen Lösungsmöglichkeiten frühzeitig erkennbar und gestaltbar werden läßt und von betrieblichen Entscheidungsträgern selbst angewendet werden kann.

1 Ziele des Verfahrens und intendierte Anwendungen


Der Hintergrund, vor dem das Verfahren ATAA entwickelt wurde, läßt sich folgendermaßen beschreiben: In der Praxis werden immer mehr Gestaltungsspielräume bei Einsatz und organisatorischer Integration von Technik erkannt und genutzt. In einer Situation, die geprägt ist durch hohe Kundenorientiertheit, höchste Anforderungen an die Qualität der Produkte und Leistungen, Termintreue, verbunden mit Just in Time-Lieferung, Globalisierung der Handelsbeziehungen mit neuer Konkurrenz aus asiatischen Ländern, zeigt sich, daß der Mensch und seine Qualifikationen zum ausschlaggebenden Erfolgsfaktor werden. Wie realistisch und zukunftsweisend dieser Ansatz zum Zeitpunkt der Verfahrensentwicklung war, zeigt sich an der heutigen Diskussion um Ansätze zur Gruppenarbeit, zu Lean Production, zu ISO 9000 ff. und Total Quality Management. Ganzheitliche, qualifikationshaltige, menschzentrierte Gestaltung von Arbeit, Organisation und Technik werden dabei zur Grundlage des Wirtschaftserfolges.

Wenn eine Zentrierung auf den Menschen Ziel der Arbeitsgestaltung sein soll, so muß man ein bestimmtes Konzept von Persönlichkeit besitzen, damit nicht jedwede Maßnahme hinsichtlich des Personaleinsatzes oder der Arbeitsorganisation schon als „menschzentriert“ oder mit anderen Worten „humanisierend“ bezeichnet wird.

Ein solches Konzept sollte nicht nur normative Grundlage von Veränderungsstrategien sein; es sollte sich auch umsetzen lassen in konkrete, operationalisierte Wirkungsanalysen und Handlungsalternativen. Die Gestaltung von Arbeit mit den neuen Techniken sollte man nicht allein fachlichen Spezialisten überlassen, sondern auf Wissen, Erfahrung und Planungsvermögen derjenigen setzen, die von Änderungen betroffen sind.

Um diesen Ansprüchen gerecht zu werden, haben wir das Verfahren ATAA als qualitatives, empirisches Verfahren zur Analyse der Strukturen und Inhalte von Arbeitstätigkeiten und Qualifikationsanforderungen auf handlungsstrukturanalytischer Grundlage entwickelt.

Dieses Verfahren ist für die Analyse von Automationsarbeit in der Fertigung des metallverarbeitenden Gewerbes konzipiert. Es kann zum einen in frühen Investitionsplanungsphasen zur prospektiven Arbeitsgestaltung nach humanwissenschaftlichen Kriterien eingesetzt werden. Es kann zum anderen bei technisch-organisatorischen Veränderungen einer bestehenden Organisation als Mittel zur Gestaltung von Aufgabenzuschnitten und damit auch gleichzeitig zur Ermittlung und Gestaltung von Qualifikationsanforderungen angewandt werden. Dadurch lassen sich unterschiedliche organisatorisch-technische Gestaltungsalternativen hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf Arbeitsinhalte und Qualifikationsanforderungen vergleichen. Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten am Arbeitsplatz können erfaßt und erschlossen werden. Das analytisch-prognostische Verfahren sollte also in der betrieblichen Praxis von den Entscheidungsträgern selbst verwendbar sein und deren Dialog um Gestaltungsalternativen anregen und anleiten.

2 Anwendungsbereiche


Das ATAA kann für Arbeitsplätze in der Fertigung und den der Fertigung vor- und nachgelagerten Bereiche der Metallindustrie eingesetzt werden, z. B. für Maschinenarbeiter/innen an CNC-Maschinen, Bearbeitungszentren, Flexiblen Fertigungszellen, Flexiblen Fertigungssystemen, Fertigungsinseln, Transferstraßen und Robotern oder Werkzeugvoreinsteller/innen, Qualitätskontrolleur/innen, Arbeitsvorbereiter/innen, Programmierer/innen, Fertigungsplaner/innen oder Technische Zeichner/innen an CAD-Systemen.

Es wurde versucht, sowohl typisch ausführende Tätigkeiten als auch Planungs- und Organisationstätigkeiten, Orientierungs- und Kontroll-Leistungen, die bisher typischerweise von den (mittleren und höheren) technischen Angestellten ausgeübt wurden, erfaßbar und miteinander vergleichbar zu machen. Das ATAA-Verfahren ist somit auch geeignet, die Arbeitsaufgaben im Zusammenhang mit Gruppenarbeitsplätzen zu erfassen, da damit sowohl dispositive als auch ausführende Tätigkeiten qualitativ beschrieben und analysiert werden können.

Das ATAA-Verfahren bezieht sich auf die jeweilige(n) Arbeitsaufgabe(n), die an einem Arbeitsplatz bzw. in einer Arbeitsgruppe durchzuführen ist bzw. sind. Es lassen sich unterschiedlich anspruchsvolle Arbeitsaufgaben und ihre zeitlichen Anteile und Häufigkeiten an einem Arbeitsplatz feststellen. Arbeitsaufgabe und Arbeitsplatz sind niemals isoliert von der technisch-organisatorischen Gestaltung zu sehen. Insoweit beziehen Analyse und Gestaltung von Arbeit immer auch organisatorische, technische, gesundheitliche und qualifikatorische Komponenten in den Gestaltungsansatz mit ein.

3 Theoretische Fundierung


3.1 Das ATAA – ein objektives Verfahren

Es war angestrebt, ein ‚objektives‘ Verfahren zur Analyse interindividuell gültiger, personenunabhängiger Formen des Arbeitshandelns zu entwickeln. ‚Objektiv‘ nennen wir Verfahren, die – vom jeweiligen Arbeitenden abstrahierend – Aussagen über objektive Arbeitsaufgaben, -bedingungen und -folgen treffen. So orientiert sich die objektive Analyse, zum Beispiel einer Arbeitsaufgabe, an den Anforderungen, das heißt an der Gesamtheit der für eine gegebene Zielstellung notwendigen manuellen und kognitiven Verrichtungen“ (Gablenz-Kolakoviç, Krogoll, Oesterreich & Volpert, 1981, S. 218).

Für eine prospektive Arbeitsgestaltung, in deren Verlauf der/die Arbeitsplatzinhaber/in eines künftig entstehenden Arbeitsplatzes noch nicht bekannt ist oder zumindest nicht bekannt sein muß, ist eine Orientierung an personenabhängigen Daten nicht möglich und nicht sinnvoll (zur Diskussion objektiver und subjektiver Analyseverfahren vgl. Facaoaru 1983, S. 134–141). Es muß darauf geachtet werden, daß objektive Tätigkeitsarten und -Strukturen ermittelt werden, die vom Produktionsprozeß, den Arbeitsaufgaben und den Anforderungen gesetzt sind. Unter- oder Überforderung von konkreten Mitarbeitern/innen sollen bei einer vorausschauenden Arbeitsanalyse vermieden werden. Deshalb werden erst nach einer abgeschlossenen Analyse zukünftiger Arbeitsanforderungen das konkrete Qualifizierungsangebot der Arbeit und die tatsächliche Leistungsfähigkeit und -bereitschaft des einzelnen Mitarbeiters bzw. der einzelnen Mitarbeiterin gegenübergestellt und verglichen. Damit können dann eventuell erforderliche Qualifizierungsmaßnahmen in Art und Umfang gemeinsam mit den Betroffenen geplant oder Eignungsvoraussetzungen definiert werden. Das ATAA dient jedoch nicht der Personalauslese. Es bietet in der Analyse und im Vergleich verschiedener Aufgaben die Möglichkeit, einzelne Beschäftigte (z.B. im Rahmen der Einführung von Gruppenarbeit) allmählich über steigende Anforderungen im Sinne differentieller und dynamischer Arbeitsgestaltung an die Gesamtaufgabe einer Gruppe heranzuführen (zum Begriff differentieller und dynamischer Arbeitsgestaltung vgl. Ulich, 1981, S. 335).

Objektive Verfahren wie das ATAA werden in der Tradition der deutschen Arbeitswissenschaft auf allgemeinen psychologischen Theorien menschlichen (Arbeits-) Handelns basieren, die Aussagen über „überindividuelle Formen der Auseinandersetzung des arbeitenden Menschen mit den Gegebenheiten seiner Arbeitstätigkeit“ (Gablenz-Kolakoviç u.a., 1981, S. 218) enthalten; denn objektive Bedingungen und Anforderungen determinieren das Arbeitshandeln nicht in eindeutiger und regelhaft „automatisierter“ Art und Weise, sondern vermittelt über psychische Prozesse der Handlungsregulation.

Das ATAA ist damit den arbeitspsychologisch orientierten, handlungstheoretisch fundierten Verfahren der Arbeitsanalyse zuzuordnen (vgl. dazu auch die entsprechenden Verfahren in diesem Band).

3.2 Zentrale Annahmen der Handlungsregulationstheorie: Rückkoppelungsprozesse und hierarchisch-sequentielle Handlungsregulation

Das ATAA wurde entwickelt auf der Basis der zentralen Annahmen der Handlungsregulationstheorie, nämlich daß menschliches Handeln zielorientiert und bewußt erfolgt und hierarchisch-sequentiell organisiert ist. Es läßt sich in einzelne Handlungsschritte zerlegen, die aufeinander aufbauen und voneinander abhängig – also miteinander verknüpft – sind (zum theoretischen Hintergrund und Anwendungsbezug vgl. u.a.: Hacker 1978, 1986; Hacker & Matern, 1980; Hacker & Raum, 1980; Kannheiser, 1983; Oesterreich & Volpert, 1987; Plath, 1977; Sonntag, 1987; Volpert 1983, 1984, 1986).

Der Grundaufbau des ATAA folgt dem Prinzip „verschachtelter“ und rückgekoppelter Handlungen bzw. zyklischer Einheiten. Für das ATAA wurden fünf miteinander verschachtelte Tätigkeitsphasen oder Hauptgruppen von Handlungsarten zur Bewältigung einer Arbeitsaufgabe definiert: ORIENTIEREN – PLANEN – AUSFÜHREN – KONTROLLIEREN – INTERAGIEREN.

Eine objektive Aufgabenstruktur wird als mehrfach...