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Faule Marillen - Ein Wachau-Krimi

Lisa Lercher

 

Verlag Haymon, 2015

ISBN 9783709936528 , 272 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

4,99 EUR


 

***

Es gab aufgeschnittenes Geselchtes und die Reste des Krautstrudels vom Mittagessen. »Wir haben ohne dich angefangen«, sagte Hanni, als ihr Bruder, Major Paul Eigner, die Küche betrat.

»Ich bin aufgehalten worden, und dann war da auch noch ein Unfall auf der Autobahn und ich bin im Stau gesteckt.«

Jackie begrüßte den Major mit Freudengeheul und versuchte, an ihm hoch zu springen. »Gib Ruh, du Flohbeutel«, wehrte er ab. Sein Verhältnis zu Tieren war von seiner Seite her ein klares: Man hielt Abstand und ließ sich gegenseitig in Ruhe. Warum sich die meisten Hunde und Katzen nicht daran hielten, war ihm schleierhaft. Er schob Jackie mit dem Schuh zur Seite und setzte sich zu Hanni und seinem Enkel Simon an den Tisch. Der Bub war in ein Spiel auf seinem Nintendo vertieft. Das Gerät piepste in unregelmäßigen Intervallen. Eigner wuschelte dem Kleinen durchs Haar.

»Nicht!«, wehrte sich das Kind. »Ich muss das vierte Level …« Simon war dermaßen in sein Spiel vertieft, dass er nicht einmal den Satz zu Ende sprach.

»Der Vater hat sich schon niedergelegt. Dem tut der Fuß wieder so weh. Wahrscheinlich spürt er den Wetterumschwung«, berichtete Hanni. Die Eltern der Geschwister hatten im oberen Stockwerk des Hauses gewohnt. Die Mutter war vor einigen Jahren gestorben. Der Vater, der schon ein Stück über achtzig war, hatte nur das Schlafzimmer behalten und hielt sich sonst im Haushalt seiner Tochter und des Schwiegersohns auf.

Eigner belegte eine Scheibe Schwarzbrot mit Fleisch. Er hatte in der Autobahnraststätte einen kleinen Kaffee getrunken und spürte nun ein leichtes Brennen in der Speiseröhre. Das Geselchte würde es bestimmt nicht besser machen. Er nahm sich vor, nachher einen Löffel Zucker zu essen. Das half meistens gegen sein Sodbrennen.

»Willst ein Mineral oder lieber einen G’spritzten dazu?«

»Hast ein Bier?« Er machte Anstalten aufzustehen. Jackie hockte neben dem Tisch und sah sehnsüchtig zu ihm auf. Ab und zu winselte sie fordernd.

»Lass nur«, sagte Hanni und ging zum Kühlschrank. Der Hund folgte ihr. »Jackie, aus! Platz!« Hanni zog den Hund am Halsband zu dem Korb, den sie ihm als Schlafplatz eingerichtet hatte. »Noch einen Marillensaft, Simon?«

Der Bub reagierte nicht. Eigner stieß seinen Enkel mit dem Ellenbogen an. »Die Tante Hanni fragt dich was!«

»Nein, danke«, antwortete das Kind wohlerzogen.

»Na, was hast heut angestellt?«

Hanni stellte Flasche und Glas auf den Tisch. »Mit den Buben war er wieder unterwegs. Ich glaub nicht, dass die die richtige Gesellschaft für deinen Enkel sind. Da sind ziemliche Rotzlöffel darunter, und die bringen unserem Simon sicher nichts G’scheites bei.«

Eigner klopfte seinem Enkel auf die Schulter. »Ist es dir lieber, wenn er den ganzen Tag daheim vor dem Fernsehkastl hockt? Sind wir doch froh, dass er Freunde hat.«

»Die Verena hat angerufen«, wechselte Hanni das Thema. »Sie holt den Buben am Sonntag am Abend und wollte wissen, ob er nächstes Wochenende hier sein kann. Sie hat momentan so viel zu tun und muss auch am Feiertag arbeiten.«

Eigner zuckte die Achseln. »Von mir aus«, sagte er mit vollem Mund. »Ich hab meinen Resturlaub genommen und bin sowieso die meiste Zeit da.« Im Grunde freute er sich, dass Simon so oft in seiner Nähe war. Als Verena, die Mutter des Buben, ein Kind gewesen war, hatte er wenig Zeit für die Familie gehabt. Vor allem, wenn ein Fall zu klären war, war er oft nächtelang im Büro geblieben und hatte seine Frau mit der Organisation des Familienalltags allein gelassen. Eigner hatte sich vorgenommen, es bei Simon besser zu machen, zumindest ein guter Großvater zu sein.

»Ich hab gesagt, dass ich dich erst fragen muss, ob du Zeit hast. Ich helfe nämlich am Feiertag bei den Vorbereitungen für den Weihnachtsbasar. Den Vater nehm ich mit. Der soll Holzperlen für die Rosenkränze auffädeln, dann ist er wenigstens beschäftigt. Außerdem müssen wir die Sachen, die im Pfarrheim abgegeben worden sind, noch aussortieren. Da kann ich den Buben nicht brauchen.«

Eigner nickte. Er stupste seinen Enkel in die Seite. »Dann machen wir zwei Männer uns einen schönen Tag, gell?«

»Coolo!«, gab das Kind, immer noch ins Spiel vertieft, abwesend zur Antwort.

Hanni pickte mit der Fingerspitze ein paar Brösel vom Tisch und ließ sie auf ihren Teller fallen. Obwohl sie demnächst sechzig wurde und als Obstbäuerin schwere Arbeit verrichtete, sah man ihr das Alter nicht an. Sie war groß und kräftig, ohne dick zu wirken, und immer noch eine attraktive Frau. Durch ihr dichtes schwarzes Haar zogen sich Silberfäden.

»Was war denn eigentlich?«

»Wieso?« Eigner schenkte sich Bier nach. Das Kondenswasser auf der Flasche hatte einen dunklen Ring auf der Eichentischplatte hinterlassen.

»Na, weil du gesagt hast, du bist aufgehalten worden.« Hanni sah auf die Küchenuhr, die über der Tür tickte.

»Ein Kollege wollt noch was zu einem alten Mordfall wissen.«

»Mord?«, fragte das Kind, ohne von seinem Nintendo aufzuschauen.

»Da schau her. Da passt einer ja ganz genau auf«, sagte Hanni. »Es ist dann Zeit zum Waschen und Umziehen, Zähneputzen nicht vergessen!«

»Nur mehr das Level fertig«, bettelte der Kleine.

»Fünf Minuten!«, sagte Hanni streng. Ihr Tonfall erinnerte Eigner an seine eigene Kindheit. Hanni, die sechs Jahre älter war als er, hatte oft auf ihn aufgepasst. Das hatte mit zu ihren Pflichten gehört.

»Was tut sich bei deiner Versetzung?«

»Eine Stelle im Innenministerium haben sie mir angeboten. Aber die letzten zehn oder elf Berufsjahre in einem Büro sitzen, Akten schupfen und in Sitzungen meine Zeit verplempern, das kann ich mir wirklich nicht vorstellen.« Eigner zog eine Grimasse. Hanni hatte sich noch ein Brot genommen und bestrich es dünn mit Butter. »Wieso geben sie dir keinen Posten in Krems oder meinetwegen in St. Pölten? Du willst doch sicher nicht jeden Tag zum Dienst von Klein Dürnspitz nach Wien pendeln?«

Eigner drehte sein Glas zwischen den Fingern. »Angeblich haben sie dort keine Planstellen. Ich glaub, es wäre ihnen am liebsten, wenn ich in Frühpension gehe. Dann hätten sie ein Problem weniger, weil sich manche angeblich schon Sorgen gemacht haben, was ich im Innenministerium alles anstellen könnt.« Er grinste.

»Versteh ich nicht! Zuerst hat man gemeint, dass die Kriminalpolizei zusperren muss, wenn du einmal nicht da bist, und jetzt wollen sie dich lieber heute als morgen loswerden?«

Eigner trank den Rest seines Biers aus und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. »Wundert dich das wirklich?«

Hanni deutete auf die Küchenuhr. »Die fünf Minuten sind vorbei. Schalt jetzt das Kastl aus, geh dich umziehen und Zähne putzen.«

Simon kannte seine Großtante inzwischen gut genug, um zu wissen, wann er sich zu fügen hatte. Er legte seinen Nintendo zur Seite und rutschte die Bank entlang bis zur Kante. Jackie war aus ihrem Körbchen aufgesprungen und wedelte erwartungsvoll.

»Opa, kann ich heut bei dir schlafen?«, fragte der Bub, die Türschnalle bereits in der Hand.

Eigner seufzte. »Geht nicht, Simon. Bei mir ist immer noch so ein Saustall und die Heizung funktioniert auch nicht richtig.«

»Willst da schlafen?«, fragte Hanni ihren Bruder. »Das Zimmer von der Mama ist hergerichtet. Und dann könntest mir noch das Auto einladen helfen. Morgen ist Markttag. Da seids ihr zwei dann bis zum Nachmittag mit dem Urli allein. Ihr könnts euch das Gulasch aufwärmen oder die Saftschnitzel. Erdäpfel kochen müssts euch halt selber, und für den Vater hab ich eine Gemüsesuppe.«

»Simon, geh dich waschen!«, ermahnte Eigner das Kind.

Hanni hatte begonnen, das Geschirr abzuräumen. Sie holte ein braunes Emailreindl aus der Kredenz und legte zwei Strudelstücke hinein.

»Wo ist eigentlich der Roman?« Eigners Schwager war nur selten zu den Essenszeiten daheim, was den Major im Grunde nicht störte.

»In irgendeinem Ausschuss, was weiß ich. Wahrscheinlich sitzen sie wieder beim Wirten und finden kein Ende!« Hanni legte einen Deckel auf den Topf und stellte ihn zum Herd. Dann riss sie einen Zettel vom Block, den sie aus der Tischlade nahm, und kritzelte etwas darauf. Als fürsorgliche Ehefrau kümmerte sie sich natürlich darum, dass ihr Mann ein Nachtmahl vorfand, falls er, wenn er heimkam, noch Hunger hatte. Eigner runzelte die Stirn. Hatte nicht beim letzten Mal, als er da gewesen war, der Hund aus diesem Reindl gefressen? Da hatte er sich nämlich noch gewundert, dass seine sonst so auf Ordnung und Sauberkeit bedachte Schwester dem Tier das Futter in einem Kochgeschirr hingestellt hatte.

Simon stürmte in die Küche zurück. Er war nicht gern allein im Badezimmer, stritt aber ab, dass er sich dort fürchtete. »Fertig!« Auf seinem Pyjamaoberteil war ein nasser Fleck. »Liest du mir noch was vor?«

»Ich hab geglaubt, du kannst schon selber lesen?«, neckte Eigner das Kind.

»Bitte, Opa!«

»Der Hund bleibt aber in der Küche!« Hanni lockte Jackie mit einem...