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Der Kampf im Spessart (Historischer Roman)

Levin Schücking

 

Verlag e-artnow, 2015

ISBN 9788026844310 , 174 Seiten

2. Auflage

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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1,99 EUR


 

Zweites Kapitel.



Wilderich ging in der Tat am andern Tage, als ob er danach sehen wolle. Er war am Morgen ungewöhnlich früh aufgestanden, aber zuerst war er in die Mühle gegangen, mit dem Gevatter Wölfle zu reden. Margarete hatte gesehen, daß mehrere fremde Männer die Schlucht heraufgekommen und sich ebenfalls in die Mühle begeben hatten – der Müller hatte seine Räder gestellt, als ob er Wichtigeres heute zu tun habe, als seine alten Steine sich umschwingen zu lassen. Margarete schüttelte den Kopf über dies Treiben, aber sie war gewohnt, daß man ihr ein Hehl daraus machte, und so plauderte sie ihren Ärger nur gegen den kleinen Leopold aus, der ihr von der Wiese am Bach gelbe Blumen des Löwenzahns zutrug, aus denen sie ihm eine Kette um den Hals machen mußte. Als Wilderich aus der Mühle zurückkam, nahm er erregt, wie es schien, und hastig ein Frühstück ein, dann warf er die Büchse um, pfiff seinem Hunde und schritt davon, die Schlucht hinauf.

Eine halbe Stunde später sah er die Steinbrücke von Haus Goschenwald vor sich. Der alte Schösser saß zwar nicht mehr auf der Brustwehr, aber er lag in seiner roten Uniform und mit einer hohen weißen Zipfelmütze auf dem gelbgrauen, runzeligen Haupte in einem offenen Fenster des Torbaues, über dem Einfahrtstor. So blickte er Wilderich entgegen, ohne sich zu rühren, nickte auch nicht mit dem Kopfe, als dieser die Hand grüßend an seine Mütze legte; wenn er auch nicht mehr starr und steif wie ein Steinbild auf der Brücke saß, versteinert schien der alte Mann doch.

Wenn man durch das gewölbte Tor im Vorbau auf den Hof von Goschenwald kam, so hatte man rechts das Haupthaus und vor sich einen im rechten Winkel vorspringenden Flügel; von diesem nach dem Vorbau hin schloß links eine niedrige gezinnte Mauer den Hof, über welche man fort in das enge, waldbewachsene Tal und den Weiher im tiefsten Grunde blickte, in die stille, grüne, menschenleere Waldwelt.

Mitten im Hofe stand eine Linde und unfern ein Ziehbrunnen mit seinem Eisenrade zwischen zwei Steinpfeilern; der Brunnen mußte sehr tief sein, da Goschenwald auf halber Berghöhe lag und das ganze Tal beherrschte. Dicht unter der Linde, die weithin ihre niederhängenden Zweige ausbreitete und den Boden umher mit ihren gelben beflügelten Blüten bedeckt hatte, stand eine Bank, und auf dieser Bank saß ein junges Mädchen in einem dunkelgrünen Kleide, unter dem nach der Mode der Zeit ein graues Unterkleid hervorblickte; ihre Brust war mit einem weißen geblümten Tuche umhüllt, das auf dem Rücken zu einem Knoten zusammengeschlungen war; um ihr Haupt wallten frei die dichten braunen Locken. So saß sie da, das Kinn auf die Hand gestützt und in das Tal vor ihr hinabschauend; ein grober grauer Strickstrumpf, mit dem sie beschäftigt gewesen sein mußte, lag in ihrem Schoße. Wilderich fixierte sie überrascht, als er näher kam. War das in der Tat – ja, sie war es, dies schöne rosig-bleiche Antlitz konnte keinen Doppelgänger haben – es war die Nonne von gestern!

Ein eigentümliches Gefühl von Befriedigung war es, womit Wilderich die Wandlung bemerkte, die aus der Nonne ein junges Mädchen, anscheinend des wohlhabenden Bürgerstandes, gemacht. Es war auffallend, daß sie so geeilt, das fromme kirchliche Gewand abzutun; für den jungen Forstmann freilich konnte es ganz dasselbe sein, ob er sie nun so oder so sah; und doch flößte der Anblick ihm eine warme, wohltuende Empfindung ins Herz.

Als er auf sie zutrat, fühlte er sich tief erröten, und dem Blicke, den sie groß und ruhig auf ihm haften ließ, ein wenig unsicher begegnend, aber mit der Verbeugung eines weltgewandten Mannes, sagte er: »Ich hoffe, Demoiselle, Sie finden mich nicht zudringlich; meine Waldstreiferei führte mich in die Nähe, und die Hoffnung, zu erfahren, daß Sie wohl untergekommen sind und daß Ihre Fußreise Sie nicht zu sehr ermüdet und angegriffen habe, bis hierher.«

»Ich danke Ihnen,« versetzte sie freundlich, aber sehr ernst. »Wie Sie sehen, bin ich wohl. Ich danke Ihnen für die große Gefälligkeit, welche Sie mir gestern erwiesen und die ich nicht hätte annehmen sollen, da Sie einen so weiten Weg deshalb zu machen hatten. Aber ich wußte ja nicht, wie weit.«

»Sie kannten den Weg nicht, freilich, und es wäre ja unverzeihlich von mir gewesen, hätte ich es Ihnen überlassen, sich den Weg selber zu suchen. Darum reden wir nicht von Dank.«

Sie antwortete nicht, Wilderichs Auge haftete auf dem Antlitze des jungen Mädchens, das einen so unbeschreiblichen Zauber auf ihn ausübte; unter dem Einfluß dieses Zaubers, der ihm eigentümlich die Gedanken verwirrte, wußte er nicht, wie er den abreißenden Faden des Gesprächs wieder anknüpfe. »Es freut mich,« stotterte er endlich, »daß Sie hier wohl aufgehoben sind. Der Herr Schösser hat sicherlich – «

»Der Herr Schösser,« fiel sie lächelnd ein, »hat endlich den Brief der Äbtissin gelesen und mir die besten Zimmer dort oben –« sie deutete auf den vorspringenden Flügel des Baues – »eingeräumt; er spricht zwar nur mit den Augen, der Herr Schösser, aber er scheint ein friedlicher, wohlmeinender Herr; auch ist er nicht so abgeneigt, auf eine Frage eine Antwort zu geben, wie man glauben könnte. Man muß ihn nur dabei – die Haushälterin hat es mir verraten – Ew. Gestrengen nennen und er wird dann gleich ein ganz umgänglicher Mann. Die Zimmer sind recht wohl erhalten, sie haben eine hübsche Aussicht, und ich bin durchaus nicht unzufrieden, sie mit meiner Zelle vertauscht zu haben.«

»Und diese Tracht, die so viel kleidsamer und, wenn ich es zu sagen mir herausnehmen darf, so viel passender für die Demoiselle ist, mit dem schwarzen Habit, in welchem ich mich gar nicht recht Sie anzureden getraute!«

Sie nickte lächelnd.

»Ich war nur Novize oder auch das nicht einmal so recht im Kloster,« sagte sie. »Ich trug das schwärze Habit nur so mit den andern, und ich habe es abgelegt, da es doch nur eine Entweihung desselben wäre, wenn ich es hier vor den Leuten beibehalten und so Parade mit einem frommen und sehr ernsten Berufe gemacht hätte, der meiner Seele ganz fremd ist, für den ich gar nicht würdig genug bin. Es ist sicherlich nicht Eitelkeit, wenn ich Ihnen heute so verwandelt und verweltlicht erscheine, nein, nur Ehrlichkeit!«

Sie sah ihn dabei mit Augen an, aus denen diese Ehrlichkeit hervorleuchtete.

Wilderich geriet immer tiefer in den Zauberbann dieser Augen, er kam sich dabei, weil er nichts zu antworten, nichts Sinniges oder Kluges vorzubringen wußte und das Rot der Verlegenheit auf seinen Wangen brennen fühlte, entsetzlich hölzern und täppisch vor; er suchte nach einem Schluß der Unterredung, und mochte sich doch auch von der Stelle, wo er stand, nicht losreißen.

»Die Klostertracht,« sagte er nach einer Weile, »würde Sie vielleicht doch besser geschützt haben, wenn der Sturm hier in unsern Waldbergen losbricht.«

»Der Sturm? Sie meinen?«

»Ich meine den Kampf, der sich hier in der Stille vorbereitet. Ich darf es Ihnen ja sagen. Sie wissen, daß die Franzosen oben im Lande zurückgeworfen sind; eine zweite Schlacht, vielleicht in der Gegend von Würzburg, wird hoffentlich ihre Macht völlig brechen und sie zwingen, sich durch die Wälder hier auf den Rhein zurückzuziehen. In diesen Wäldern aber werden sie alsdann vernichtet werden.«

»Mein Gott, Sie sprechen das so bestimmt aus – Sie glauben, der Erzherzog Karl wird sie hier auf dem Rückzuge angreifen?«

»Nicht das. Der Erzherzog Karl wird mit seiner Armee für die Weidmänner des Spessart der Treiber sein, der ihnen das gehetzte Wild in den Schuß treibt! Wir sind bereit und gerüstet, es zu empfangen. Es ist alles vorbereitet. Wir haben im stillen für Waffen gesorgt, die Männer im Gebrauch derselben geübt, die Anführer und Rotten aufgestellt, die Punkte, wo die Angriffe erfolgen sollen, bestimmt. Warten Sie ein paar Tage, und Sie werden auch hier in Goschenwald hören können, wie's drüben in den Tälern, durch die die Straßen ziehen, knattern und knallen wird.«

»Mein Gott, was sagen Sie mir da!« rief das junge Mädchen erschrocken. »Und das soll hier unter meinen Augen vorgehen?«

»Hier schwerlich! Seien Sie darüber beruhigt! Goschenwald liegt in gerader Linie fast eine Stunde von der Heerstraße entfernt. Sie werden höchstens einige der Jäger vorüberziehen sehen, nichts von der Jagd!« »Das ist aber doch fürchterlich! Und Sie, Sie selbst?« versetzte sie, indem sie in das von dem Ausdrucke wilden Mutes und der Kampfeslust glühende Antlitz Wilderichs blickte.

»Ich selbst, ich bin Weidmann, im Spessart angestellt; durch mein Revier zieht ein gutes Stück der Rückzugslinie des Feindes; möchten Sie da meine Büchse feiern sehen?«

Sie antwortete nicht. Ihre Züge waren bleicher geworden.

»Schrecklich ist es aber doch,« sagte sie dann, mit dem Ausdrucke der Angst zu Wilderich aufblickend; »es hat mich so entsetzt, daß ich noch in dieser Stunde wieder aufbrechen und mich weiter flüchten möchte! Aber wohin, wohin? Ich weiß keinen Winkel auf Erden, der mich aufnähme, wenn ich diesen hier verließe – keinen Winkel, keine Stätte! O mein Gott!« setzte sie halb wie für sich und den Blick von Wilderich abwendend, um in die Ferne hinauszustarren, hinzu, »ich bin ja nun einmal verlassen von allen, verlassen und verloren! So muß es denn über mich kommen, ich muß es überstehen, so gut es zu überstehen ist!«

»Es tut mir leid,« versetzte Wilderich bewegt, »daß es Sie so erschreckt, so zittern macht. Hätte ich's Ihnen lieber nicht verraten, wie wir's bis heute...