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Serapis (Historischer Roman aus dem alten Ägypten)

Georg Ebers

 

Verlag e-artnow, 2015

ISBN 9788026845348 , 456 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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1,99 EUR


 

Zweites Kapitel


In der Frühe des folgenden Morgens befand sich die Sängerfamilie auf dem Wege nach dem Hause des reichen Porphyrius. Sie war nicht vollzählig, denn Dada hatte zu Hause bleiben müssen. Der Schuh des Alten, welcher gegen den Dämon geschleudert worden war, hatte das frisch gewaschene Kleid des Mädchens von der Stange neben dem Herd gerissen, und in der Frühe war es mit großen Brandlöchern auf der Asche gefunden worden.

Dada besaß kein anderes gutes Gewand, und so mußte sie trotz ihrer ungeduldigen Weigerung und vieler Thränen bei dem kleinen Papias bleiben.

Agne's eifriges Verlangen, an ihrer Stelle den Knaben zu hüten und ihr mit dem eigenen Kleide auszuhelfen, war von Karnis und seiner Gattin bestimmt abgelehnt worden; und Dada hatte erst still und gutwillig, sehr bald aber in aller Fröhlichkeit mitgeholfen, Kränze für die Anderen zu winden und Agne's schlichtes, tiefschwarzes Haar mit einem zierlichen Gewinde von Veilchen und Epheuranken zu schmücken.

Die Männer hatten sich schon gesalbt und Pappel- und Lorbeerkränze aufgesetzt, als der Hausmeister des Porphyrius erschienen war, um sie in das Haus seines Gebieters zu führen. Nun galt es auch für sie Entsagung üben, denn der Bote veranlaßte sie, die Kränze abzulegen, weil sie den Unwillen der Mönche im Hofe erregen und draußen den christlichen Pöbel aufreizen würden. Enttäuscht und ebenso niedergeschlagen, wie er kurz vorher siegesgewiß und froh gewesen, war Karnis in's Freie getreten.

Die Mönche, welche sich vor dem Xenodochium zusammengeschaart hatten, blickten ihn und die Seinen mißtrauisch und feindselig an, und die Freudigkeit, mit der er früh in den Tag hineingeschaut hatte, wollte nicht wiederkehren, so lange er sich in der engen, halbdunklen Hafengasse, wo es nach Theer und gesalzenen Fischen roch, durch das Gedränge Bahn brechen mußte. Der Hausmeister ging mit Frau Herse dem Zuge voran und gab ihr gesprächig den gewünschten Bescheid.

Sein Gebieter gehörte zu den größten Kaufherren der Stadt und hatte seine Gattin vor zwanzig Jahren bei Gorgo's Geburt verloren. Die beiden Söhne des Hauses befanden sich gegenwärtig auf Reisen. Die Greisin, welche sich gestern so freigebig gegen die Sänger erwiesen, war des Porphyrius Mutter Damia. Sie verfügte über ein großes eigenes Vermögen und galt trotz ihres hohen Alters immer noch für die Seele der Geschäfte des Hauses und für eine in der Geheimwissenschaft tief erfahrene Frau. Maria, die fromme Christin, welche die Herberge zum vollendeten Märtyrer gestiftet hatte, war mit Apelles, dem verstorbenen Bruder des Porphyrius, vermählt gewesen, hatte sich aber ihrem Schwager und ihrer Schwiegermutter völlig entfremdet. Natürlich, denn sie stand an der Spitze der rechtgläubigen Frauen Alexandrias; das Haus des Porphyrius aber war trotz der Taufe seines Gebieters so gut heidnisch wie irgend eins in der Stadt.

Karnis hörte nichts von dem Allen, denn zwischen ihm und seinem Weibe gingen zwei Sklaven, welche die Lauten und Flöten der Sängerfamilie trugen, und vor ihnen her Orpheus und Agne. Diese schaute immerfort zu Boden, als wolle sie das, was sie hier umgab, zu sehen vermeiden; nur wenn Orpheus sie etwas fragte, schlug sie das Auge scheu auf und antwortete kurz und befangen.

Bald gelangten die Wanderer durch einen finstern Gang an den Kanal, welcher den Meereshafen Kibotus mit dem mareotischen See verband, in dem die Nilschiffe vor Anker gingen. Karnis athmete auf, denn hier war es licht und hell, ein leiser Nordwind trug ihm die erfrischende Luft des Meeres entgegen, und die schlanken Palmen am Rande der Wasserstraße warfen lange, die vollen Kronen der Sykomoren mächtige Schatten über den breiten, bunt belebten Weg. In allen Zweigen sangen Vögel, und der alte Sänger sog mit tiefen Zügen die wunderbar leichte und würzige Luft des ägyptischen Lenzmorgens ein.

Als er auf der Mitte einer hochgewölbten Brücke angelangt war, welche über den Kanal führte, blieb er plötzlich stehen und schaute wie gebannt nach Südosten.

Von tiefer Begeisterung ergriffen, hob er die Arme, die Augen wurden ihm feucht und gewannen den Glanz der Jugend zurück, und wie immer, wenn ein herrliches Werk der Gottheit oder der Menschen sein Herz mit Entzücken erfüllte, trat ungerufen vor seine Seele das Bild seines verstorbenen ältesten Sohnes, welcher sein Freund und Gesinnungsgenosse gewesen. Bald war es ihm, als liege sein Arm auf der Schulter des früh dahingegangenen Jünglings, der seinen zweiten, ruhigeren Sohn Orpheus an Schwungkraft der Seele weit überboten hatte, und als genieße er gemeinsam mit ihm den großen Anblick, welcher sich ihm darbot.

Auf Fundamenten von Felsen und mächtigen Quadern erhob sich vor ihm ein Bauwerk von wunderbarer Größe und Schönheit. Es leuchtete im Gold des Morgenlichtes hell und prächtig, und seine edlen, farbenbunten Formen schienen selbst Glanz auszustrahlen in blendender Fülle. Über seiner vergoldeten Kuppel breitete sich der reine, ungetrübte Azur des afrikanischen Himmels, und wie die Sonne am Firmament, entsandte das blanke, gewaltige Halbrund leuchtende Strahlen. – Rampen für Wagen und Stufenreihen für andächtige Fußgänger führten zu ihm empor. Der Unterbau, welcher dieses Wunderwerk menschlicher Hände, den Tempel des Gottes Serapis, trug, war wie für die Ewigkeit gefestigt, und die Säulen an seiner Vorhalle trugen die Decke eines Raumes, welcher für die Größe der himmlischen und nicht für die Kleinheit sterblicher Wesen bestimmt zu sein schien. Wie Kinder unter den Bäumen eines hochstämmigen Waldes bewegten sich Priester und Beter unter ihnen umher. Auf der Bekrönung des Daches, in Hunderten von Nischen und auf zahllosen hervorragenden Theilen schienen sich alle Götter des Olymps, alle Heroen und Weisen Griechenlands ein Stelldichein gegeben zu haben, und schauten hier in glänzendem Erz, dort in schön bemaltem Marmor dem Nahenden entgegen. Gold und glänzender Farbenschmuck leuchteten von allen Gliedern dieses Wunderbaues. Selbst den großen Reliefbildern in dem doppelten Giebelfeld und den kleineren an der langen Metopenreihe hatte die Hand des Malers sprechendes Leben verliehen. Die Einwohnerschaft einer ganzen Stadt hätte in diesem Bauwerke Unterkunft gefunden, und es wirkte in seiner Gesammtheit wie ein schöner Chorgesang aus der weiten Brust götterfreundlicher Riesen.

»Sei gegrüßt, froh und demüthig gegrüßt, hoher Serapis! Dank dir, daß es diesen alten Augen vergönnt ist, dein göttliches, ewiges Haus noch einmal wiederzusehen!« murmelte Karnis andächtig vor sich hin. Dann rief er seine Gattin und seinen Sohn, wies schweigend auf den Tempel, und als er sah, wie des Orpheus Augen still und in trunkenem Entzücken an den herrlichen Formen des Serapeums hingen, rief er feurig: »Des Königs der Götter, des hohen Serapis edle Festung! Ein dauerhaft Werk! Ein halbes Jahrtausend ist seine Vergangenheit, seine Zukunft die Ewigkeit! Ja, ja, sie ist es, und so lang es in solcher Herrlichkeit dasteht, sind die alten Götter noch nicht überwunden!«

»Es rührt auch Keiner an diesen Bau,« fiel ihm der Hausmeister in's Wort, »denn jedes Kind in Alexandria weiß, daß die Welt morsch zusammenstürzt, sobald man Hand daran legt, und wer des Gottes ehrwürdiges Bildniß . . .«

»Es schützt sich selber,« unterbrach ihn der Sänger. »Aber ihr, ihr christianischen Heuchler, die ihr vorgebt, das Leben zu hassen und den Tod zu lieben, – lüstet es euch nach dem Ende der Dinge, so vergreifet euch nur frisch an diesem Wunder! Thut es, thut es – nur zu!«

Der Alte schwang die Faust gegen einen unsichtbaren Feind; Herse aber sprach ihm zornig nach: »Nur zu, nur zu!« und fuhr dann ruhiger fort: »Wenn Alles zusammenbricht, gehen die Götterfeinde mit uns zu Grunde; und ein Ende zugleich mit Allem, was schön ist und was man lieb hat, das kann uns nicht schrecken!«

»Unbesorgt,« versetzte der Hausmeister. »Der Bischof hatte die Hand schon nach diesem Heiligthume ausgestreckt, aber der große Olympius ließ die Tempelschänder nicht heran, und sie haben mit blutigen Köpfen abziehen müssen. Unser Serapis läßt eben nicht mit sich spaßen. Er bleibt, wenn alles Andere vergeht. ›Die Ewigkeit‹, sagt der Priester, ›ist für ihn eine kleine Minute, und wenn Millionen von Menschengeschlechtern verblüht sind, ist Er immer noch derselbe wie heute.‹«

»Heil, Heil dem erhabenen Gotte!« rief Orpheus und streckte die Hände dem Tempel entgegen.

»Ja, Heil, ewiges Heil soll ihm blühen!« wiederholte sein Vater. »Serapis ist groß, und sein Haus und sein Bild, sie werden dauern . . .«

»Bis der Mond wieder voll ist!« fiel ihm mit finsterem Spott ein Vorübergehender in's Wort und drohte mit der Faust nach dem Tempel.

Orpheus wandte sich, um den Unglückspropheten zu strafen; dieser aber war schnell in die Menge zurückgetreten und floß mit dem ruhelosen Volksstrome weiter.

»Bis der Mond wieder voll ist!« murmelte Agne, welche bei dem begeisterten Rufe des Orpheus zusammengeschaudert war, dem Unheilsboten nach. Dann blickte sie bekümmert auf den jungen Sänger; doch als sich Herse um weniges später nach ihr umschaute, hatte sich der Ausdruck ihrer Züge geändert, und die Matrone konnte sich über das sonnige Lächeln an ihren Lippen freuen. Auch mancher junge Alexandriner, der zu Fuß oder zu Wagen an den Fremden vorbeikam, sah sich nach ihr um, denn das Lächeln verlieh ihrem bleichen, stillernsten Gesicht einen geheimnißvollen Zauber. Und es blieb ihr noch treu, nachdem sie die Brücke verlassen und sich dem Ufer des Sees genähert hatten, denn was ihre Seele einmal...