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The Gray Man - Unter Killern

Mark Greaney

 

Verlag Festa Verlag, 2015

ISBN 9783865524065 , 448 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz frei

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4,99 EUR


 

1


Die ersten Bewaffneten, die an der Absturzstelle eintrafen, gehörten nicht zu al-Qaida und hatten rein gar nichts mit dem Abschuss zu tun. Es handelte sich um vier Jungs aus der Gegend mit alten Kalaschnikows, die noch einen Holzschaft besaßen. Sie hatten gelangweilt an der Straßensperre rumgelungert, als der Hubschrauber keine 100 Meter entfernt auf der Straße mitten im Stadtzentrum aufschlug. Die jungen Männer drängten sich durch die schnell anwachsenden Reihen der Gaffer, der Ladenbesitzer und Straßenkinder, die hastig in Deckung gegangen waren, als der Helikopter mit den zwei Rotoren auf sie zustürzte. Taxis standen quer, weil sie dem amerikanischen Heli auswichen und dabei von der Fahrbahn abkamen.

Die vier jungen Schützen näherten sich vorsichtig der Unfallstelle, ließen dabei aber jedes taktische Geschick vermissen. Sie duckten sich sofort, als ein lauter Knall aus dem wütenden Feuer erscholl. Ein einzelner Schuss löste sich aus dem Inferno. Sie zögerten einen Moment, dann ruckten ihre Köpfe hoch. Sie zielten auf das brennende Metall und feuerten ihre ratternden und störrischen Waffen ab.

Ein Mann in verkohlter amerikanischer Militäruniform kroch aus dem Wrack. Sie empfingen ihn mit einem Kugelhagel. Sein Todeskampf dauerte nicht lange.

Das Adrenalin ließ die Jungs mutiger werden. Sie hatten gerade vor den Augen johlender Zivilisten einen Mann getötet. Nun kamen sie aus ihrer Deckung und wagten sich näher an das Wrack heran. Sie luden die Gewehre nach und richteten sie auf die brennenden Körper der beiden Piloten im Cockpit. Aber noch bevor sie abdrücken konnten, schossen von hinten drei Fahrzeuge heran. In den Pick-ups saßen bewaffnete Araber. Fremde.

Al-Qaida.

Die Jungs aus der Stadt waren klug genug, sich unter die Zivilisten zu mischen, während die vermummten Männer rund um die Absturzstelle ausschwärmten. Sie murmelten ein Gebet.

Die verstümmelten Leichen zweier weiterer Soldaten fielen aus dem Heck des Hubschraubers. Dabei handelte es sich um die ersten Bilder des Unglücks, die drei Kameraleute von Al Jazeera einfingen, nachdem sie von dem dritten Pick-up gesprungen waren.

Keine zwei Kilometer entfernt lenkte Gentry den Wagen von der Straße in ein ausgetrocknetes Flussbett. Er steuerte den Land Rover so tief wie möglich in das hohe bräunliche Schilfgras am Ufer, stieg aus, rannte nach hinten, setzte den Rucksack auf und zog einen länglichen ockerfarbenen Koffer aus dem Laderaum. Während er sich vom Fahrzeug entfernte, bemerkte er zum ersten Mal das eingetrocknete Blut auf dem lose fallenden Gewand der Einheimischen, das er trug. Nicht sein eigenes, doch er wusste sofort, von wem die Flecken stammten.

30 Sekunden später stieg er die Böschung hinauf und robbte vorwärts, so schnell er konnte. Das Gepäck schob er vor sich her. Als Gentry sich zwischen Sand und Schilf ausreichend unsichtbar fühlte, zog er ein Fernglas aus dem Rucksack und richtete es auf die dunklen Rauchschwaden, die in einiger Entfernung die Sicht erschwerten.

Seine Kiefermuskeln verkrampften sich.

Der Chinook war auf einer Straße der Stadt Al-Ba’aj heruntergekommen. Ein Mob hatte sich um die Trümmer versammelt. Das Fernglas erlaubte es ihm nicht, alle Einzelheiten zu erkennen. Er rollte sich zur Seite ab und ließ die Schlösser des Koffers aufschnappen.

Darin verbarg sich ein Barrett M107, ein gigantisches Scharfschützengewehr, das Projektile so groß wie Bierflaschen abfeuerte, die mit Leichtigkeit innerhalb einer Sekunde die Distanz von neun Footballfeldern überwanden.

Gentry lud die Waffe nicht etwa, sondern begnügte sich damit, die Mündung auf die Absturzstelle zu richten, um das Zielfernrohr einzusetzen. Durch die 16-fach vergrößernde Linse konnte er das Feuer, die Pick-ups, die unbewaffneten Zivilisten und die bewaffneten Schützen genau beobachten.

Einige von ihnen waren unmaskiert. Kleine Gangster aus der Gegend.

Aber die anderen trugen schwarze Masken oder ums Gesicht gewickelte Kufiya. Das mussten die Leute von al-Qaida sein. Die Arschlöcher, die nicht hierhergehörten, sondern lediglich gekommen waren, um Amerikaner und deren Verbündete zu töten. Sie machten sich dabei die anarchischen Zustände in der Region zunutze.

Plötzlich blitzte etwas Metallisches auf und beschrieb einen raschen Bogen nach unten. Ein Schwert, mit dem einer der Männer auf eine Gestalt am Boden einhackte. Selbst durch das Zielfernrohr konnte Gentry nicht ausmachen, ob der Liegende tot oder lebendig gewesen war, als die Klinge auf ihn niedersauste.

Sein Kiefer spannte sich erneut an. Gentry selbst war kein US-Soldat. Er hatte nie Militärdienst geleistet. Aber er war Amerikaner. Und obwohl er keinen Eid auf die Verfassung geleistet hatte, seinem Land zu dienen, erinnerte ihn das Abschlachten, dessen Zeuge er soeben wurde, unweigerlich an viele Fernsehbilder vergangener Jahre. Abscheu und Zorn nagten an seiner beachtlichen Selbstkontrolle.

Die Männer rund um den Hubschrauber wogten wie ein einziger Lindwurm hin und her. Die flirrende Hitze, die aus dem trockenen Boden zwischen seinem Beobachtungsposten und der Absturzstelle aufstieg, ließ ihn für einen Moment im Unklaren, was genau dort passierte. Aber dann erkannte er den unvermeidlichen Ausbruch des Triumphs und der Freude, dem diese Metzger freien Lauf ließen.

Die Bastarde tanzten um die Leichen ihrer Feinde herum.

Gentry nahm die Hand von der Sicherung der riesigen Barrett. Die Fingerspitze strich über den glatten Auslöser. Der lasergesteuerte Entfernungsmesser zeigte ihm an, wie weit entfernt sich der Gegner aufhielt. Ein paar Zelte, deren Segeltücher in der Brise flatterten, lieferten ihm ausreichend Hinweise auf die Windverhältnisse.

Er hätte zu gern abgedrückt, aber er wusste es besser. Wenn er die Waffe lud und abfeuerte, konnte er zwar ein paar von den Wichsern töten, aber die Nachricht von einem Scharfschützen in diesem Sektor würde sich schneller als das sprichwörtliche Lauffeuer verbreiten. Jeder Halbstarke mit Waffe und Handy nahm dann an der Treibjagd auf ihn teil und er konnte seine Evakuierung vergessen. Sie würden alles abblasen und dann konnte er sehen, wie er allein aus der Gefahrenzone rauskam.

Nein, ermahnte Gentry sich selbst. Die Vergeltung wäre zwar gerechtfertigt, aber der Shitstorm, den er damit heraufbeschwor, war eine Nummer zu groß für ihn.

Gentry hielt sich nicht für einen Zocker. Er war eher ein Mann fürs Grobe, ein Auftragskiller, ein skrupelloser Mörder. Natürlich stellte es für ihn kein Problem dar, ein halbes Dutzend dieser Kerle innerhalb weniger Sekunden niederzumähen, aber er wusste, dass der Einsatz für diese Art der Rache definitiv zu hoch ausfiel.

Er spuckte eine Mischung aus Sand und Speichel auf den Boden und packte die sperrige Waffe zurück in den Koffer.

Die Kameracrew von Al Jazeera war eine Woche vorher über die syrische Grenze eingeschmuggelt worden, und zwar nur zu einem einzigen Zweck. Sie sollten einen al-Qaida-Sieg im Nordirak dokumentieren. Der Kameramann, der Tontechniker und der Reporter, der gleichzeitig als Produzent fungierte, waren auf einer al-Qaida-Route hergebracht worden und hatten gemeinsam mit der al-Qaida-Zelle in sicheren Schlupfwinkeln der Organisation übernachtet. Heute hatten sie den Abschuss der Rakete ebenso eingefangen wie ihren Einschlag in die Maschine und den daraus resultierenden Feuerball am Himmel.

Jetzt nahmen sie gerade die rituell anmutende Enthauptung eines toten amerikanischen Soldaten auf. Ein Mann im mittleren Alter mit handgeschriebenem Namensschild auf der Körperpanzerung: ›Phillips – Mississippi National Guard‹. Von der Kameracrew sprach niemand Englisch, aber sie gingen davon aus, soeben der Auslöschung einer Eliteeinheit der CIA beigewohnt zu haben.

Der übliche Lobgesang auf Allah begann mit dem Tanz der Kämpfer, die ihre Waffen in die Luft abfeuerten. Die Zelle bestand lediglich aus 16 Männern, aber nun sprangen hier mehr als 30 Bewaffnete im Gleichtakt vor dem schwelenden Stahlwrack herum. Der Kameramann hielt direkt auf den Muhtar, einen lokalen Stammesfürsten, der im Zentrum der Festlichkeiten stand. Es lieferte eindringliche Bilder, wie er vor der Unglücksmaschine tanzte. Vor dem Hintergrund der schwarzen Rauchfahne leuchtete seine fließende weiße Kandora beinahe. Der Muhtar hüpfte auf einem Bein über dem enthaupteten Amerikaner, während er den blutigen Krummsäbel mit der rechten Hand über dessen Kopf kreisen ließ.

Das stellte eindeutig den Höhepunkt des Rituals dar. Das Bild, das später um die Welt ging. Der Kameramann lächelte und gab sich Mühe, nicht in den Rhythmus einzufallen, mit dem die Tänzer zunehmend enthusiastischer Allahs Größe feierten. Er und sein Team übernahmen die Aufgabe, alles fürs Fernsehen aufzuzeichnen.

Der Muhtar brüllte gemeinsam mit den anderen sein »All?hu akbar!« in den Himmel hinauf. Gott ist größer! Er sprang euphorisch mit den maskierten Ausländern im Gleichtakt und der wollige Bart teilte sich, um ein Grinsen preiszugeben, das sämtliche Zähne präsentierte. Sein Blick richtete sich auf das verkohlte, blutgetränkte Stück toten amerikanischen Fleisches, das unter dem erhobenen Bein auf der Straße lag.

Die Al-Jazeera-Crew fiel in das allgemeine Brüllen und den Freudentaumel ein. Der Kameramann filmte mit ruhiger Hand und hielt, ganz Profi, die Linse ohne jegliches Zittern weiter auf den Stammesfürsten gerichtet.

Bis zu dem Augenblick, als der Kopf des Muhtar zur Seite gerissen wurde und wie eine zerquetschte Traube platzte....