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Mörderisches Schicksal

Heide-Marie Lauterer

 

Verlag spiritbooks, 2015

ISBN 9783944587998 , 324 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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4,99 EUR

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2


Abends hatte ich Gerson versprochen, für das Essen zu sorgen. Der Tisch war gedeckt und ich entkorkte eine Flasche Lambrusco, von dem wir einen unendlichen Vorrat zu haben schienen; ich hatte meinen berühmten bunten Salat gezaubert, mit allem, was unsere Speisekammer zu bieten hatte. Doch Gerson ließ sich von dem verlockenden „Plopp“ nicht stören. Die Balkontür stand offen, er beugte sich über das Geländer und starrte in den Blätterdschungel, der den Gartenzaun überwucherte. Er trug immer noch seine spitzen braunledernen Cowboystiefel und Bluejeans, die so lang waren, dass sie auf dem Boden schleiften. Das einzige, was ihn von einem echten Cowboy unterschied, war der verwaschen blaue Baumwollschal in seiner Augenfarbe; das Western-Bandanna sei für seinen Hals zu klein, behauptete er. Ich nahm an, dass er die grünen Sittiche beobachtete, die über die Buche im Nachbargarten hergefallen waren und mit ihren schrillen Pfiffen und Kreischen das abendliche Konzert der Amseln übertönten. Gerson hatte schon lange auf so eine Gelegenheit gewartet, um ein Foto für seine Zeitung zu schießen, aber der Zeitpunkt war wirklich schlecht gewählt.

„Komm endlich rein, die schrägen Vögel sind morgen auch wieder da, mein Salat wird kalt!“

Doch Gerson überhörte meinen Witz, streckte seine flache Hand übers Balkongeländer und inspizierte den grauen Himmel. „Er friert so leicht! Ich fahr noch schnell in den Stall und leg ihm die Decke auf“, sagte er zusammenhangslos.

„Gerson, ich muss dir erzählen, was heute bei uns im Büro passiert ist. Es ist wichtig!“ Doch er hauchte mir nur ein Küsschen auf die Backe und griff nach seiner Jacke: „Alles klar? Erzähl es später, ja?“

Ich goss mir ein Glas Lambrusco ein. Wir haben die Rollen getauscht, dachte ich. Früher, als Nine noch auf dem Leierhof stand, war ich es, die sich bei den unpassendsten Gelegenheiten verabschiedete, um nach meinem Pferd zu sehen. Einmal hatte Nine Kolik, das andere Mal ein geschwollenes Auge oder sie war im Koppelzaun hängengeblieben und blutete aus einer Fleischwunde. Und so etwas passierte immer dann, wenn die Steaks fertig gegrillt waren, Gerson seine berühmte Steinpilzsauce gekocht hatte oder die Gäste an der Haustür klingelten.

Aber meine Einbruchsgeschichte hätte er sich wenigstens anhören können, dachte ich schmollend, so was kommt nicht alle Tage vor! Wer weiß, wann er nach Hause käme, vielleicht lief ihm ja diese Neue über den Weg und sie hielten noch einen gemütlichen Plausch auf der Stallgasse? Bis dahin wäre ich hungers gestorben und dann wäre es zu spät zum Reden.

Ich häufte mir Salat auf den Teller und bestrich ein Stück Brot mit Butter. Doch schon nach den ersten Bissen konnte ich nicht mehr ruhig sitzen bleiben, weil ich an meine Stute Nine dachte. Sie war jetzt schon drei Jahre in Montmirail in der Schweiz, wo sie ihr Fohlen Alles Paletti zur Welt gebracht hatte und allmählich war es an der Zeit, dass sie wieder zurück auf den Leierhof kam. Gerson würde noch eine Weile wegbleiben, die ich nutzen konnte, um in aller Ruhe mit Iris, meiner Reitlehrerin in Montmirail, über Nine zu reden. Glücklicherweise gab es Skype auf meinem Laptop, das ich auch für meine Arbeit im Reisebüro benutzte.

Iris meldete sich schon nach dem ersten Klingeln.

„Grüß dich, Vera! Gerade habe ich mein Portable wieder angestellt.“ Iris lebte seit einigen Jahren in der Schweiz und sagte Portable statt Handy und Tschau bei der Begrüßung statt beim Abschied, daran hatte ich mich noch immer nicht gewöhnt!

„Gedankenübertragung – so was soll es geben! Wie geht es Nine?“

„Sie ist den ganzen Tag auf der Weide. Ihr Winterfell ist immer noch dick wie ein Bärenpelz.“

Ich seufzte. „Also keine Decke abends?“

„Vera, die Menschen brauchen Decken, nicht die Pferde!“

Das war das Stichwort, das sämtliche Schleusen bei mir öffnete. Gerson und seine Begeisterung für Fango, den wir seit Luis Verschwinden übernommen hatten. Fango und ich, meine Sehnsucht nach Nine, es sprudelte aus mir heraus, wie aus einer durchgeschüttelten Limo-Flasche. Iris hörte sich alles geduldig an, ohne mich ein einziges Mal zu unterbrechen.

„Und du? Du vermisst Nine?“, sagte sie.

„Ach Iris, ich habe solche Sehnsucht nach ihr! Und wenn ich sehe, wie liebevoll Gerson Fango umsorgt – zwischen ihm und mir stimmt die Chemie einfach nicht mehr.“

„Zwischen wem? Gerson und dir?“

Ich musste erst einmal Luft holen und mir noch einen Schluck Lambrusco eingießen. Dann sagte ich: „Wie kommst du denn auf sowas? Ich habe natürlich Fango gemeint!“

„Ach so, natürlich!“ Iris überging meine Richtigstellung kommentarlos. „Hör mal, jemand aus eurem Stall hat bei mir angefragt, ob ich einen Bodenarbeit-Kurs abhalten will – dein Gerson hat bestimmt Werbung für mich gemacht! Ich könnte beides miteinander verbinden und dir Nine nächste Woche bringen. Am besten zusammen mit Alles Paletti; die beiden vertragen sich gut und zu zweit stehen sie im Hänger ruhiger. Du solltest Alles Paletti ausbilden lassen, er ist beinah drei Jahre alt.“

Im ersten Augenblick blieb mir die Luft weg, ich hatte nicht damit gerechnet, dass Iris den Jungspund so schnell abgeben würde. „Wolltest du ihn nicht selbst anreiten?“

„Eigentlich schon. Aber der Kleine ist so rittig und gelehrig, dass du es genauso gut machen kannst, das traue ich dir zu, Vera.“

Was Iris mir da sagte, machte mich unglaublich stolz. „Meinst du wirklich, ich soll es versuchen!“ Ich freute mich unbändig und meine Sorgen mit Fango waren auf einmal wie weggeblasen.

Aber Iris ließ mich meine Freude nicht lange auskosten. „Da ist doch noch etwas?“, sagte sie.

„Wieso? Was denn?“

„Gerson, Fango und du – irgendwie habe ich das Gefühl, als ob in eurer Dreierbeziehung etwas mitschwingt, vor dem du die Augen verschließt.“

Was sollte diese Anspielung? Für einen Moment war ich wie vor den Kopf gestoßen, ich hatte nicht die leiseste Ahnung, was sie mir sagen wollte, und dabei war ich von Iris gewohnt, dass sie kein Blatt vor den Mund nahm und klar und unmissverständlich ihre Meinung sagte. Ich stocherte in meinem Salat herum und spießte ein einsames Scampi auf eine Bananenscheibe. Seit wir Fango übernommen hatten und Gerson einen Bodenarbeitskurs bei Iris gemacht hatte, hatte sich seine Beziehung zu Pferden vollkommen verändert. Wie es Iris geschafft hatte, den Pferdevirus in ihn zu versenken, wusste ich nicht. Jedenfalls war er von ihrem Pat-Parelli-Kurs hochinfiziert zurückgekommen. Ob mich Iris darauf ansprechen wollte? Keine Ahnung – aber nachfragen hätte keinen Zweck gehabt und nur zu Missverständnissen geführt, da war ich mir sicher. Schnell ging ich zu einem anderen Thema über. „Wie geht es eigentlich dieser alten Dame, der Heilerin aus Montmirail, die Nine das Leben gerettet hat?“

„Du meinst Claire, die weise Frau aus dem Bauernmuseum?“

Genau die meinte ich. „Ich habe sie damals in Montmirail kennengelernt, den Marsch mit ihr durch den verschneiten Tannenwald werde ich nie vergessen.“

„Claire hat übernatürliche Fähigkeiten“, sagte Iris. „Sie stellt ja auch Horoskope!“

„Sie guckt in die Sterne?“ Mir sträubten sich sämtliche Nackenhaare, ich hielt nichts von Wahrsagerei und Gerson noch weniger, darin waren wir uns einig. Aber Iris schien meine Skepsis nicht zu bemerken. „Die Leute im Dorf sagen, ihre Horoskope treffen immer ins Schwarze.“

Überzeugend fand ich das nicht. „Diese Sternguckerei ist doch nur ein Spiel, aber damit verdient sie sich bestimmt ein schönes Taschengeld.“

„Sie kann es brauchen“, sagte Iris kurz angebunden; sie schien keine Lust zu haben, das Thema zu vertiefen. „Entschuldige Vera, ich muss noch mal in den Stall“, sagte sie.

„Grüß Nine von mir“, konnte ich gerade noch rufen, dann hörte ich nichts mehr und drückte schnell auf das Feld mit dem roten Telefonhörer.

Es war inzwischen schon kurz nach 21 Uhr, meinen Salat musste ich wohl alleine essen. Während ich kaute, klickte ich mechanisch mein E-Mail-Programm an, um nachzuschauen, ob mir mein Chef eine Nachricht geschickt hatte. Keine Ahnung warum, aber irgendwie gelangte mein Cursor auf die Horoskope in der Startseite und blieb direkt bei meinem Sternzeichen stehen. Ich klickte darauf und musste schmunzeln. Was ich da unter „Stier“ las, gefiel mir: Sie können sich auf ein schönes Jahr freuen: Die Sterne stehen auf finanziellen Zuwachs und romantische Stunden in der Liebe.

Süßer Honig, dachte ich, nichts als süßer Honig, aber heute konnte ich sowas brauchen. Romantische Stunden in der Liebe und mehr Geld! Wenn Iris nächste Woche mit meinen beiden Pferden anrückte, wäre mein Monats-Budget bald aufgebraucht. Schon jetzt verschlang Fangos Stallmiete, die ich mit Gerson teilte, einen Großteil meines Geldes, von den Tierarztkosten und meinen regelmäßigen Ausflügen zu Reitsport-Vordermann ganz zu schweigen. Glücklicherweise arbeitete ich halbtags in Massimo Auditis „Reisebüro der anderen Art“ und verdiente nicht schlecht. Doch wer weiß, wie lange sich mein Chef noch eine zweite Kraft würde leisten können – Massimo klagte immer öfter über die mangelnde Reiselust seiner Kunden und dass sie ihr Geld lieber in dicke Autos steckten, als ein Flugticket für einen Ranchurlaub in Texas oder einen Wanderritt durch Andalusien zu buchen.

Vielleicht lag es an der Flasche Lambrusco, die schon zur Hälfte leer war und mich in eine angenehm lockere Stimmung versetzt...