dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Mörderische Liebe

Heide-Marie Lauterer

 

Verlag spiritbooks, 2015

ISBN 9783944587912 , 370 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

4,99 EUR

Für Firmen: Nutzung über Internet und Intranet (ab 2 Exemplaren) freigegeben

Derzeit können über den Shop maximal 500 Exemplare bestellt werden. Benötigen Sie mehr Exemplare, nehmen Sie bitte Kontakt mit uns auf.


 

1


 

„Schau dir den Kleinen da an! Ein richtiger Rabauke!“ Gerson legte die „Süddeutsche“ auf die Parkbank und deutete auf einen Jungen in Daunenanorak und Pudelmütze, der hinter einem Ball hertrippelte und sich im Laufen mit dem Ärmel den Rotz von der Nase wischte. „Ist der nicht knuffig?“

Wir saßen auf unserer Lieblingsbank vor dem Wasserspielplatz und schauten den Kindern zu, die auf den Steinen herumturnten und auf der Neckarwiese Ball spielten. Es war Mitte November und die Sonne schien immer noch so kräftig wie im Spätsommer. Mit einer dicken Jacke und einem Schal konnte man die Mittagspause gut im Freien verbringen.

„Hast du so ausgesehen, als du klein warst?“ In den Jungen hätte ich mich auf der Stelle verlieben können. Jetzt blieb er stehen, riss sich die Mütze vom Kopf, warf sie auf die Erde und fuhr sich mit der Hand durch seine braunen Locken.

„Wenn wir mal ein Kind haben “, sagte ich und hielt inne. Der Satz war mir einfach so herausgerutscht und jetzt verhaspelte ich mich, weil mir auf einmal die ganze Bedeutung meiner Worte bewusst wurde. Gerson sah mich gespannt an.

„Also, unser Kind müsste so aussehen, wie der kleine Kerl dort!“

Gerson hatte zwei Becher Coffee to go vom Café Steiner mitgebracht. Wenn er gute Laune hatte und ein paar Euro zu viel im Geldbeutel, dann machte er schon mal was locker. Das Café war bekannt für seine selbstgerösteten Bohnen, und die ließ es sich teuer bezahlen. Gerson lächelte; er gab mir meinen Becher. „Fußball? Ich war gut im Ping-Pong – absolute Spitze!“ Er schwieg einen Augenblick, dann sagte er:

„Unser Kind – und wenn es ein Mädchen wird? Dann hätte sie knallrote Haare, aber sonst sähe sie aus wie du!“

„Wirklich? Meine braunen Kulleraugen und rote Haare?“

„Doch! Und sie hätte deine langen Beine und deine Figur und sie wäre dauernd in Bewegung.“

Ich tastete nach Gersons Hand neben mir, da legte er seinen Arm um meine Schultern und zog mich an sich. Es war das erste Mal, dass wir über ein gemeinsames Kind sprachen, und dieser Gedanke verband uns in neuer Weise.

„Dann käme sie in Reithosen auf die Welt“, sagte ich lachend.

Gerson löste sich sanft aus unserer Umarmung und stand auf, um den Ball, der schon wieder vor seinen Füssen lag, weg zu kicken. Dann sagte er: „Wir lassen uns Zeit, nicht? Aber für jetzt habe ich eine andere Idee: Nine soll ein Fohlen bekommen!“

Ich glaubte mich verhört zu haben und nippte an meinem Kaffeebecher. Dann nahm ich einen kleinen Schluck und dann noch einen. Ob Gerson einen Witz gemacht hatte? „Schmeckt gut, der Kaffee“, sagte ich, nur um etwas zu sagen. Ich wollte mir keine Blöße geben, weil ich wieder einmal seinen abgründigen Humor nicht verstanden hatte.

„Hörst du mir überhaupt zu?“

Ich stellte meinen Pappbecher auf die Parkbank, so dass er nicht durch die breiten Ritzen zwischen den Latten fiel und drehte mich zu Gerson hin. Irgendetwas an seinem Ton ließ mich aufhorchen. „Sag`s noch mal!“

Er seufzte geziert. „Siehst du, so geht es mir immer, wenn ich mal von deiner Stute anfange. Du hörst einfach weg. Aber gut! Ich finde, Nine sollte ...“

„Gerson! Du meinst, ich sollte Nine decken lassen? Warum sagst du es nicht gleich?“

Ich beugte mich zu ihm und gab ihm einen Kuss auf die Wange. In diesem Augenblick fiel der Kaffeebecher um, glücklicherweise konnte ich wenigstens den Deckel auffangen, doch meine neue Jeans war ab sofort nicht mehr bürotauglich. Gerson schob mir ein Papiertaschentuch hin und ich wischte an dem Fleck herum, doch eigentlich war mir der Fleck ziemlich egal. „Ist nichts passiert“, sagte ich schnell und richtete mich auf. „Ganz ehrlich, ich habe schon länger darüber nachgedacht; aber ich war mir nicht sicher, was du dazu sagen würdest, deshalb habe ich meinen Mund gehalten.“

Der kleine Junge kickte schon wieder den Fußball in unsere Richtung,

„Warum redest du eigentlich nie mit mir über Dinge, die dir wichtig sind?“, sagte er und ich spürte, wie er versuchte, einen aufsteigenden Groll im Zaum zu halten.

Was meinte er denn? Er hatte meine Pferdeleidenschaft immer als Virus bezeichnet und mir vorgeworfen, zu viel Zeit im Stall zu verbringen. Aus seiner Sicht hatte er irgendwo recht, das musste ich zugeben, deshalb wollte ich gerade jetzt keine Grundsatzdiskussion über erste und zweite Dinge anfangen. Gerson war immer noch Spitze im Ping-Pong – er hätte meine Argumente einfach umgedreht und sie mir zurückgeschossen.

„Ich habe gestern mit Iris darüber gesprochen, sie ist für ein paar Tage in Heidelberg.“

„Siehst du, genau das meine ich – du redest mit allen möglichen Leuten, nur nicht mit mir!“

„Ach Gerson, du ahnst gar nicht, wie ich mich freue, dass gerade du den Vorschlag mit Fohlen gemacht hast!“

Gerson zerknüllte seinen Kaffeebecher und verfehlte nur knapp den Papierkorb. „Was hat Iris denn gemeint?“, sagte er, und nun klang er merklich entspannter.

Meine Freundin Iris, die Pferdezüchterin, verbrachte gerade ein paar Tage in Heidelberg. Einmal im Jahr besuchte sie das Grab ihrer Zwillingsschwester Marga, die vor drei Jahren bei einem tragischen Reitunfall auf dem Leierhof ums Leben gekommen war. Wie immer, wenn Iris in Heidelberg Station machte, übernachtete sie bei Edda, ihrer alten Mentorin in Ziegelhausen. Bei ihr holte sie sich Rat in allen Fragen, die mit Pferdehaltung zu tun hatten. Und seit neuestem auch in Zuchtfragen.

„Iris will Freibergerpferde mit Trakehnern kreuzen und verspricht sich viel von dieser Mischung. Deshalb hat sie mich gefragt, ob ich ihr vielleicht Nine als Zuchtstute ausleihen will.“

Gerson stand auf, um den Ball des Jungen, der schon wieder zu uns heraufgerollt war, zurück zu kicken. Der Kleine wollte Aufmerksamkeit; offensichtlich hatte er sich einen Spielonkel gesucht und ihn auch gefunden.

„Du könntest Nine in ihre Obhut geben?“, fragte Gerson und setzte sich wieder auf die Bank.

„Über Einzelheiten haben wir noch nicht gesprochen. Ich habe mir immer schon ein Fohlen von Nine gewünscht, aber als Zuchtstute will ich sie nicht abgeben. Iris versteht das, sie will Nine trotzdem mit zu sich nach Montmirail nehmen.“

Iris war kurz nach Margas Tod mit ihren Pferden vom jurassischen Teil des Kantons Bern in das kleine Dorf Montmirail im französischsprachigen Kanton Jura gezogen, in die Franches Montagnes, die Freiberge, dem Zuchtgebiet der Freiberger Pferde. Sie sprach fließend Französisch, weil ihre Großeltern aus dem Industriestädtchen Tramelan im Jura stammten. Ihr Großvater hatte dort eine kleine Uhrenfabrik mit 20 Arbeitern besessen, lange bevor die Swatch in China produziert wurde. Heute gab es in Tramelan kaum noch Uhrenfabriken, dafür war die Nachbarstadt Saignelegier wieder zum Zentrum der Freibergerzucht geworden. Die Pferdezucht stellte dort einen beachtlichen Wirtschaftsfaktor dar.

„Sag mal –Bellelaye, wo liegt das?“ Gerson zog die Zeitung, auf der er die ganze Zeit gesessen hatte, hervor und blätterte darin, offensichtlich hielt er einen Themenwechsel für angebracht.

„Das ist das Nachbardorf von Montmirail, glaube ich, es gibt dort ein altes Kloster.“

„Das jetzt eine Psychiatrische Klinik beherbergt?“

„Kann sein.“

„Hör dir das an: Unter Vermischtes steht: Pferdemörder gefasst. Unzählige junge Stuten mussten ein blutiges Ende finden, bis der Pferdemörder endlich gefasst wurde. Der 30-jährige Wohnsitzlose, der die Tat gestand, war vor einem Jahr aus der Psychiatrischen Klinik Bellelaye als geheilt entlassen worden. Doch schon nach einem halben Jahr hatte ihn seine schwere Schizophrenie wieder im Griff. Er glaubte, von Pferden, insbesondere von Stuten verfolgt zu werden. Allein im Kanton Bern tötete er 20 Tiere auf grausame Weise.“

„Oh, mein Gott! Nur gut, dass Montmirail im Kanton Jura liegt!“, sagte ich.

„Und dass sie ihn gefangen haben! Das ist doch die Hauptsache, oder? Du, mir...