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Australia - Traumgesang

Mirja Hein

 

Verlag LYX, 2016

ISBN 9783736301696 , 544 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR

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1


Julia saß in ihrer prachtvollen Garderobe des State Theatres und blickte seit geraumer Zeit kritisch in den Spiegel. Dabei hatte sie allen Grund zur Freude, denn der Beifall war frenetisch gewesen. Sie hatte sich so oft verbeugen müssen, dass der Inspizient, der Meister des Applauses, dem die Aufgabe zufiel, die Mitwirkenden je nach Verlangen des Publikums immer wieder an die Rampe zu schicken, regelrecht aus der Puste gekommen war. Keine Frage, sie war der Star des Abends und sie spielte die Rolle der Arline aus »The Bohemian Girl« schon seit Jahren mit wahrer Begeisterung. In diesem Augenblick allerdings, während ihr skeptischer Blick über ihr Gesicht ging und an jeder Falte hängen blieb, fragte sie sich ernsthaft, ob sie wirklich noch länger das junge Mädchen spielen sollte. Dabei war es ihr völlig gleichgültig, dass es in der Oper auf die Stimmen ankam, und es keine Ausnahme war, wenn die Sängerin, die die Rolle der Mutter auf der Bühne inne hatte, in Wahrheit sogar jünger als sie war. Nein, diese Diskrepanz störte sie selbst, und allein das war Julia Bradshaws Maßstab.

Sie hatte unter ihrem Mädchennamen Karriere gemacht, und als sie Randolph zuliebe auch als Sängerin seinen Namen hatte annehmen wollen, hatte er nur herzlich gelacht: »Dann weiß doch keiner, wer das ist. Julia Ellington? Ich bitte dich, Liebling!« Ein Gefühl von warmer Zuneigung für ihren Mann, der stets das Richtige sagte und tat, durchflutete sie. Und in dem Augenblick wusste sie, dass sie keine Entscheidungen treffen würde, ohne ihn vorher um Rat zu fragen. Sie konnte sich förmlich vorstellen, was er dazu sagen würde, wenn sie die Frage in den Raum stellte, ob sie nicht aufhören sollte, bevor ihr Stern ins Sinken geriet. »Aufhören? Du? Du steckst die jungen Dinger auch in zehn Jahren noch alle in die Tasche!« Dann würde sie ihm ihr Leid klagen, dass sie tatsächlich irgendwann die Mütter der schönen Töchter würde spielen müssen, spätestens dann, wenn alle Schminke der Welt nicht würde übertünchen können, dass sie bereits Großmutter sein könnte.

Ach, Randolph, dachte sie versonnen, was habe ich nur für ein Glück mit dir. Sie vermisste ihn in diesem Augenblick ganz schrecklich und war ihm fast ein wenig gram, dass er sich, statt sie zu begleiten, zu dieser Truppenbelustigung in Darwin hatte überreden lassen. Und während ihr Blick sich an ein paar dünne Fältchen unter ihren Augen heftete, die sie heute zum ersten Mal entdeckte, schweiften ihre Gedanken zu ihrem Kennenlernen ab. Er war ihr Professor in Sydney am Konservatorium gewesen, und sie hatte sofort gespürt, dass er in ihr mehr als die begnadete Schülerin gesehen hatte. Auch in ihr hatten seine hochgewachsene Gestalt, sein kantiges Gesicht und seine liebevolle Art mehr ausgelöst als die Bewunderung seines unendlich scheinenden Wissens. Natürlich hatte sie diese Emotionen zunächst vor ihm verborgen, denn schließlich war er eine Respektsperson gewesen. Doch dann, am Abend ihres großen Auftritts vor den Mitstudenten und den Professoren, hatte er ihr bei der Premierenfeier unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass er mehr für sie empfand, und ihr quasi im selben Atemzug mitgeteilt, dass er an das Konservatorium in Perth wechseln würde.

Julia rieb sich die Schläfen. Allein bei dem Gedanken an den entsetzlichen Abend damals bekam sie leichtes Kopfweh. Erst die Enttäuschung, dass der Mann, in den sie sich verliebt hatte, an das andere Ende des Kontinents gehen würde, und dann der tödliche Treppensturz ihrer geliebten Tante Ava in jener Nacht, nachdem Julia ein hässliches Gespräch zwischen ihrem Mann und ihr belauscht hatte. Nie würde sie den gehässigen Ton in Tante Avas Stimme vergessen, als sie ihrem Mann Daniel auf den Kopf zugesagt hatte, dass er nicht Julias Onkel, sondern in Wirklichkeit ihr Vater wäre. Und wie sie in jener grausamen Nacht und den folgenden Monaten tatsächlich geglaubt hatte, er hätte seine Frau daraufhin die Treppe hinuntergestoßen. Sie hatte damals aus lauter Kummer tagelang nicht mehr das Bett verlassen, bis Randolph ihr Blumen und eine Nachricht geschickt hatte, dass er sie vor seiner Abreise noch einmal sehen wollte. Um dem heimischen Chaos und auch ihrer Mutter Scarlet zu entfliehen, die sie schließlich in dem Glauben gelassen hatte, sie wäre die Tochter von Daniels Zwillingsbruder Benjamin, dem ungeliebten Ehemann ihrer Mutter, war sie mit Randolph nach Perth gegangen. Eine spontane Entscheidung, die sie allerdings niemals bereut hatte.

Heute konnte sie mit einer gewissen Zärtlichkeit an ihre Eltern denken, denen das Schicksal nach Tante Avas und dem Tod von Daniels Bruder Benjamin doch noch die Chance geboten hatte, zu heiraten und ihre große Liebe zu leben. Heute waren Scarlet und Daniel liebende Großeltern für Julias beiden Töchter. Wenn es nach ihr gegangen wäre, würden Klara und Murriel im Haus der Großeltern leben, solange Randolph und sie abwesend waren, aber Randolph hielt es für besser, dass sie bei Miranda wohnten, zu der Julia ein zwiespältiges Verhältnis hatte. Schließlich hatte sich ihre Mutter das junge Mischlingsmädchen damals in ihr Haus nach Melbourne geholt und dort wie eine eigene Tochter aufgezogen, nachdem Julia es unter dem Dach ihrer Mutter nicht mehr ausgehalten hatte und zu ihrer Tante Ava nach Sydney gezogen war. Wenn Julia damals geahnt hätte, dass sich ihre Mutter mit einer »Ersatztochter« trösten würde, vielleicht wäre sie dann nicht Hals über Kopf aus dem Haus ihrer Mutter geflüchtet.

Bei dem Gedanken an diese alte Verletzung ballte Julia die Fäuste. Es war ihr in all den Jahren nicht gelungen, ihren inneren Frieden mit der Tatsache zu machen, dass sie auf diese Weise unfreiwillig zu einer Schwester gekommen war. Dabei hatte Julia damals triftige Gründe gehabt, das Haus ihrer Mutter zu verlassen. Der Anlass war ein Artikel in der Zeitung gewesen, in dem ein Journalist öffentlich gemacht hatte, wer die geheimnisvolle Geliebte des großen Pianisten Daniel Bradshaw war: ihre eigene Mutter! Dieser Skandal hatte die feine Gesellschaft Melbournes einst schwer erschüttert, und Julia hatte ihre Mutter dafür regelrecht verabscheut. Damals hatte Julia noch nicht geahnt, dass Daniel ihr Vater war, und war ausgerechnet unter sein Dach nach Sydney gezogen, aber nicht seinetwegen, sondern weil ihre Tante Ava sich rührend um sie gekümmert und ihr musikalisches Talent gefördert hatte. Sie hatte es ihr ermöglicht, das Konservatorium in Sydney zu besuchen, während ihre Mutter sich nur für ihre exotischen Pflanzen und Tiere interessiert und dann von einer dieser Expeditionen in das Innere des roten Kontinents Miranda mitgebracht hatte.

Julia rieb sich die Schläfen, während ihr diese Gedanken an ihre Vergangenheit durch den Kopf gingen. Sie bekam sofort Kopfschmerzen, sobald sie sich mit der alten Geschichte herumquälte. Es war aber alles schon so lange her, dass keiner in der Familie verstanden hätte, dass sie Miranda niemals echte schwesterliche Gefühle entgegenbringen konnte, sondern sie in ihren Augen immer die ungeliebte Konkurrentin um die Gunst ihrer Mutter bleiben würde. Dabei wusste Julia, dass ihre Animositäten nicht gerechtfertigt waren, denn Miranda konnte am allerwenigstens für diese vertrackte Situation. Sie war damals nur überglücklich gewesen, dass Scarlet sie vor dem Schicksal bewahrt hatte, in einer abgelegenen Mission im Outback Nonne zu werden. Und trotz dieses Wissens und obwohl Miranda ihr mit offenem Herzen begegnet war, hatte sich der Stachel der Eifersucht so tief in Julias Herzen gebohrt, dass sie ihn beim besten Willen nicht loswurde. Sie war vernünftig genug, diese Emotionen vor ihren Töchtern zu verbergen, aber es kostete sie einige Überwindung, Freundlichkeit zu bewahren, wenn ihre Töchter von Tante Miranda schwärmten. Und das taten sie zur Genüge. Und nicht nur von ihr, sondern auch von Onkel Jacob, Julias Halbbruder, in dem sie auch niemals mit ganzem Herzen einen Bruder sehen würde. Und schon gar nicht einen Schwager, weil sie Miranda eben niemals aufrichtig als ihre Schwester betrachtete. Zu groß war der Schock damals nach Tante Avas Tod gewesen, plötzlich einen anderen Vater als geglaubt zu haben und dazu noch einen Bruder. Und nun lebten ihre Töchter ausgerechnet bei den beiden Menschen, die sie eigentlich von Herzen lieben sollte, aber nicht konnte.

Julia stieß einen tiefen Seufzer bei dem Gedanken an ihre Kinder aus und daran, dass sie jetzt genauso eine ferne Mutter war, wie es ihre Mutter Scarlet stets gewesen war, der ihre Stelle an der Universität und die spannenden Forschungsreisen mindestens so viel bedeutet hatten wie ihr heute die Musikkarriere.

Und zum ersten Mal in all den Jahren fragte Julia sich ernsthaft, ob es nicht an der Zeit wäre, der Bühne Adieu zu sagen und sich ganz den Mädchen und ihrem Mann zu widmen. Selbst auf die Gefahr hin, dass es zu spät war, um den beiden eine normale Kindheit zu ersetzen, denn schließlich waren ihre Töchter mittlerweile sechzehn und achtzehn Jahre alt. Aber vielleicht konnte sie auf diese Weise besser auf Klara einwirken, damit sie in ihre Fußstapfen trat, denn das Talent hatte sie eindeutig von ihr geerbt. Nur fehlte ihrer Älteren die rechte Leidenschaft für die Bühne. Wenn ich wirklich abtrete, werde ich alles tun, um Klara vor Augen zu führen, dass sie ihre Berufung leben muss, dachte Julia entschieden.

Vorsichtig presste sie das Schwämmchen auf ihre Wangen und schminkte sich die kräftige Farbe der jungen Arline ab. Befriedigt stellte sie fest, dass sie ohne die Paste wesentlich jünger aussah, und schöpfte Hoffnung, ihren Bühnenabschied noch ein paar Jahre hinausschieben zu können, was sie nicht davon abhalten würde, Klara dahingehend zu beeinflussen, nach dem...