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Entschleunigung - Abschied vom Turbokapitalismus

Fritz Reheis

 

Verlag Riemann, 2009

ISBN 9783641011253 , 321 Seiten

Format ePUB, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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4,99 EUR


 

Kapitel 7 Zeitgemäßes Wirtschaften Es gibt viele Alternativen zum Turbokapitalismus (S. 189-190)

»Der Kapitalismus hat nicht gesiegt, er ist nur übrig geblieben.« Diesen klugen Satz hat jemand gleich nach der Wende an eine Mauer der Leipziger Universität gesprayt. Klug ist dieser Satz, weil mit dem 1989/1990 eingeläuteten Ende jenes Systems, das sich »realer Sozialismus« nannte, über die Qualität des »realen Kapitalismus« überhaupt noch nichts ausgesagt werden kann. Wer in das beliebte Triumphgeschrei nicht einstimmen will, für den stellt sich die Lage nach 1989/1990 meist etwas anders dar: Der Mensch wirtschaftet bereits seit ein bis drei Millionen Jahren, seit zehntausend Jahren ist er sesshaft und erst seit zwei- bis dreihundert Jahren arbeitet er sich am Kapitalismus ab.

Der Kapitalismus hat zwar seitdem die menschlichen Produktivkräfte in einem beispiellosen Ausmaß beflügelt und bisher auch alle Widerstandsbewegungen erfolgreich hinweggefegt. Ob er dazu aber auch in Zukunft in der Lage ist, muss angesichts der Symptome der Beschleunigungskrankheit (Kapitel 1) und der Prognosen über ihren weiteren Verlauf (Kapitel 2) stärkstens bezweifelt werden. Mit ein wenig Fantasie bei der Gestaltung der Spielregeln, nach denen der Mensch wirtschaftet, und mit einigen wenigen Kenntnissen über die Wege, die er bisher zur Befriedigung seiner Bedürfnisse beschritten hat, wird der Blick frei für eine Vielfalt von Alternativen zum real existierenden Turbokapitalismus: nämlich erstens die Dualwirtschaft, zweitens die wirklich reformierte Marktwirtschaft, also gerade nicht die alte Marktwirtschaft mit neoliberalem Neuanstrich, und drittens die öf fentlich geplante und kontrollierteWirtschaft, also gerade nicht die Wirtschaft, die unter dem Kommando eines Politbüros steht.

Das folgende Kapitel beginnt mit bereits existierenden Alternativen und führt schrittweise hin zu Visionen und Utopien – Orten also, die es noch nicht gibt. Ende der Geschichte? Der Kapitalismus ist halt übrig geblieben, nicht mehr und nicht weniger. Was wir heute wissen, ist nur, dass das sozialistischkommunistische Experiment von 1917 von Anfang an auf sehr unsicheren Beinen stand und auch in ethischer Hinsicht wenig überzeugend war. Bekannt ist auch, dass sich diejenigen, die dieses Experiment durchführten, zwar ständig auf Marx und Engels beriefen, diesen aber dabei Unrecht taten.1 Und unzweifelhaft ist schließlich, dass der Westen, vor allem in den 80er- Jahren unter dem amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan, die Kapitulation dieser anderen Ordnung mit einer beispiellosen Energie vorangetrieben hatte.

Wer dies auf die eigene Leistung des Westens zurückführt, der begeht einen schlichten Denkfehler: Er schließt von der Tatsache der Auflösung des Ostblocks auf eine mögliche Ursache dieser Tatsache, nämlich dessen antikapitalistische Grundorientierung. Damit lässt er alle anderen möglichen Ursachen, wie zum Beispiel die Unausgereiftheit der »realsozialistischen« Alternative selbst, unberücksichtigt. Und wer darüber hinaus, wie der amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama, mit dem Ende des Ostens gleichzeitig das »Ende der Geschichte «2 verkündet, der behauptet im Klartext:

Mit der Entdeckung der kapitalistischen Ordnung und mit deren weltweiter Durchsetzung ist der Stein der Weisen gefunden, von nun an braucht man sich über die grundlegende Ordnung des Wirtschaftens keine Gedanken mehr zu machen. Dass wirtschaftliche Fantasie und Kenntnisse über nichtkapitalistische Formen des Wirtschaftens so rar gesät sind, belegt im Übrigen nur, wie totalitär die marktwirtschaftliche Ideologie mittlerweile geworden ist. In Schulen und Universitäten der angeblich so hoch entwickelten und aufgeklärten nördlichen Hemisphäre der Welt, die sich zum Grundsatz der weltanschaulichen Pluralität bekennt, wird beim Thema Wirtschaft einfach so getan, als gebe es nur eine wahre Lehre.