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Sie - Roman

Sie - Roman

Stephen King

 

Verlag Heyne, 2011

ISBN 9783641053857 , 528 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

7 (S. 308-309)

Sie wollte ihn nicht wieder an die Arbeit gehen lassen - anfangs nicht. In ihren unruhigen Augen konnte er sehen, wie verängstigt sie gewesen war und immer noch war. Wie nah dran er gewesen war. Sie sorgte aufopfernd für ihn, wechselte den Verband an seinem Stumpf alle acht Stunden (am Anfang, darüber hatte sie ihn mit dem Gebaren von jemandem informiert, der wusste, dass er für das, was er getan hatte, eigentlich einen Orden verdiente, aber nie einen bekommen würde, hatte sie ihn sogar alle vier Stunden gewechselt), wusch ihn und behandelte ihn mit wärmenden Alkohol-Einreibungen - als wollte sie damit verleugnen, was sie getan hatte. Arbeiten, sagte sie, würde ihm schaden.

Es würde Sie zurückwerfen, Paul. Ich würde es nicht sagen, wenn es nicht so wäre - glauben Sie mir. Wenigstens wissen Sie schon, was passieren wird - ich würde sterben, um zu erfahren, was als Nächstes geschehen wird. Wie sich herausstellte, hatte sie alles gelesen, was er geschrieben hatte - alles von vor dem Eingriff, konnte man sagen -, während er dem Tod nahe war … mehr als dreihundert Manuskriptseiten. Auf den letzten vierzig Seiten hatte er die N noch nicht nachgetragen; das hatte Annie erledigt.

Sie zeigte sie ihm mit einer Art unbehaglichem, trotzigem Stolz. Ihre N waren so sorgfältig wie aus dem Lehrbuch, ganz im Gegensatz zu seinen, die mit der Zeit zu buckligen Krakeln verkommen waren. Auch wenn sie es nie sagte, glaubte er doch, dass Annie die N entweder als ein weiteres Zeichen ihrer Besorgnis nachgetragen hatte - Wie können Sie sagen, dass ich grausam zu Ihnen war, Paul, Sie sehen doch, wie schön ich alle N nachgetragen habe! - oder als einen Akt der Sühne oder vielleicht als gleichsam abergläubisches Ritual: häufig genug den Verband gewechselt, genügend Waschungen, genügend nachgetragen, und Paul würde überleben. Bourka-Bienenfrauen machen mächtigen Mojo-Zauber, Bwana, tragen alle diese viiiiiielen nach, und alles wird wieder gut.

So hatte sie angefangen … aber dann kam das Muss wieder. Paul kannte alle Symptome. Als sie sagte, sie würde sterben, um herauszufinden, was als Nächstes geschehen wird, da hatte sie nicht gelogen. Weil du weitergelebt hast, nur um herauszufinden, wie es weitergeht, das möchtest du doch damit sagen, nicht wahr?

So verrückt es war - in seiner Absurdität sogar beschämend -, er glaubte, dass es zutraf. Das Muss. Es war etwas, was er zu seinem Verdruss in den Misery-Büchern nach Belieben erzeugen konnte, aber in seinen anderen Romanen nur per Zufall oder gar nicht. Man wusste nicht genau, wo man das Muss herbekam, aber man erkannte es immer, wenn man es gefunden hatte. Es brachte die Nadel eines internen Geigerzählers dazu, bis ans Ende der Skala auszuschlagen.

Sogar wenn man leicht verkatert vor der Schreibmaschine saß, tassenweise schwarzen Kaffee trank und alle paar Stunden ein oder zwei Rolaids zerkaute (und wusste, man sollte die verfluchten Zigaretten aufgeben, zumindest am Morgen, es aber doch nicht fertigbrachte), Monate von der Fertigstellung und Lichtjahre von der Veröffentlichung entfernt, spürte man das Muss, wenn man es fand. Wenn er es hatte, schämte er sich immer ein wenig und fühlte sich als Manipulator. Aber er fühlte sich dann auch in seiner Arbeit bestätigt. Himmel, Tage vergingen und das Loch im Papier war klein, das Licht düster, die Dialoge geistlos.