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Nemesis-Spiele - Roman

James Corey

 

Verlag Heyne, 2016

ISBN 9783641164959 , 608 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

9,99 EUR


 

PROLOG   Filip

Die beiden Werften standen direkt nebeneinander auf jener Seite Callistos, die immer von Jupiter abgewandt blieb. Das verschmierte breite Band der Milchstraße strahlte erheblich heller als die Sonne, die hier nur noch der größte Stern in der unendlichen Nacht war. Auf den Kraterrändern brannten grelle Arbeitslampen und beleuchteten die Gebäude, Ladevorrichtungen und Gerüste. Aus dem Regolith aus Steinstaub und Eis ragten die Gerippe halb fertiggestellter Raumschiffe empor. Zwei Werften, eine zivile und eine militärische, eine von der Erde betrieben und eine im Besitz des Mars. Beide wurden von denselben Anti-Meteor-Railguns beschützt. Beide sollten die Schiffe bauen und reparieren, mit denen die Menschen in die neuen Welten jenseits der Ringe fliegen würden, wenn oder falls der Kampf auf Ilus seinen Abschluss fand.

Beide steckten in größeren Schwierigkeiten, als irgendjemand dort ahnte.

Filip schlitterte vorwärts, die anderen Mitglieder seines Teams folgten dichtauf. Die LED-Leuchten des Raumanzugs waren beinahe blind, die Keramikbeschichtung war stark abgeschliffen und konnte das Licht nicht mehr richtig reflektieren. Sogar das Helmdisplay war so trüb, dass man kaum noch etwas erkennen konnte. Die Stimmen, die er über Funk hörte – Mitteilungen der Raumschiffe, Sicherheitsmeldungen, das Geplauder von Zivilisten –, wurden passiv empfangen. Er lauschte, sendete aber nichts. Der Ziellaser, den er sich auf den Rücken geschnallt hatte, war abgeschaltet. Er und sein Team bewegten sich fast unsichtbar im Schatten. Der kleine Countdowntimer auf der linken Seite seines Displays zeigte knapp fünfzehn Minuten an. Mit der offenen Hand tätschelte Filip die Luft, die kaum dicker war als das Vakuum. Diese Gürtler-Geste gab seinen Begleitern zu verstehen, dass sie langsam weitergehen sollten. Die Teammitglieder rückten vor.

Hoch über ihm in der Leere, viel zu weit entfernt, um sie mit bloßem Auge zu erkennen, tauschten die marsianischen Kriegsschiffe, die die Werft bewachten, militärisch knappe Meldungen aus. Die stark beanspruchte Flotte hatte nur zwei Schiffe abgestellt. Höchstwahrscheinlich waren es nur zwei. Nicht auszuschließen, dass irgendwo in der Schwärze noch weitere Einheiten lauerten, die eigene Abwärme eindämmten und sich gegen Radarstrahlen abschirmten. Es war möglich, aber unwahrscheinlich. Und das Leben war, wie Filips Vater immer sagte, eine lebensgefährliche Angelegenheit.

Vierzehn Minuten und dreißig Sekunden. Zwei sekundäre Timer erschienen neben dem ersten. Einer zählte fünfundvierzig Sekunden ab, der andere zwei Minuten.

»Transportschiff Frank Aiken, Sie sind klar zum Anflug.«

»Bestätigt, Carson Lei«, antwortete Cyns vertraute Stimme. Filip konnte hören, dass der alte Gürtler lächelte. »Coyos sabe best ai sus bebe da unten?«

Irgendwo über ihnen tastete die Frank Aiken die marsianischen Schiffe mit unschuldigen Laserortungsstrahlen ab, die auf die gleiche Frequenz eingestellt waren wie der auf Filips Rücken. Nichts in der Antwort des marsianischen Kommunikationsoffiziers ließ vermuten, dass er auch nur die leiseste Furcht empfand.

»Ich verstehe Sie nicht, Frank Aiken. Bitte wiederholen Sie.«

»Entschuldigung, Entschuldigung«, gab Cyn lachend zurück. »Sind den freundlichen Herrschaften vielleicht irgendwelche guten Bars bekannt, in denen ein armer Gürtler einen ordentlichen Drink bekommt, sobald wir die Oberfläche erreicht haben?«

»Da kann ich Ihnen nicht helfen, Frank Aiken«, antwortete der Marsianer. »Behalten Sie den Kurs bei.«

»Sabez sa. Hart wie Stein und geradlinig wie eine Kugel, so fliegen wir.«

Filips Trupp erreichte den Rand des Kraters und blickte auf das Niemandsland der marsianischen Militärwerft hinunter. Alles sah aus, wie er es erwartet hatte. Die Hangars und Lagergebäude waren gut zu erkennen. Nun nahm er den Ziellaser ab, stellte den Sockel auf das schmutzige Eis und fuhr das Gerät hoch. Die anderen waren bereits weit genug ausgeschwärmt, um alle Wachen ständig im Auge behalten zu können, und folgten seinem Beispiel. Die Laser waren alt, und die Stative, auf denen sie montiert waren, stammten von den unterschiedlichsten Geräten. Noch ehe sich die winzige rote LED im Sockel grün färbte, war der erste Sekundärtimer abgelaufen.

Auf dem zivilen Kanal war der Dreiklang eines Sicherheitsalarms zu hören, dann meldete sich eine beunruhigte Frau zu Wort.

»Hier auf dem Feld ist ein Lademech außer Kontrolle geraten. Er ist … ah, verdammt. Er läuft direkt auf die Meteorabwehrkanonen zu.«

Filip hörte die panische Frauenstimme und die Alarmsignale, als er mit seinem Team am Kraterrand entlanglief. Dünne Staubwolken stiegen auf und sanken nicht wieder herab. Die Wolken breiteten sich aus, als sei es neblig. Der Lademech, der auf die Notabschaltung nicht reagierte, zockelte über das Niemandsland in die großen Augen der Abwehrkanonen hinein und blendete sie mehrere Minuten lang. Wie es den Vorschriften entsprach, kamen vier marsianische Marinesoldaten aus dem Bunker gerannt. Dank der motorgetriebenen Rüstungen schlitterten sie über die Oberfläche des Mondes wie Eisläufer. Jeder Einzelne von ihnen hätte Filips Team im Handumdrehen töten können und dabei nichts Schlimmeres erlebt als einen kleinen Moment des Bedauerns. Filip hasste sie alle und außerdem jeden Einzelnen von ihnen. Schon eilten die Reparaturtrupps zu dem beschädigten Abwehrgeschütz. Binnen einer Stunde wäre alles wieder in Ordnung.

Zwölf Minuten und fünfundvierzig Sekunden.

Filip hielt an und blickte zu seinem Team zurück. Zehn Freiwillige. Es waren die besten Kämpfer, die der Gürtel aufbieten konnte. Abgesehen von ihm selbst wusste niemand, warum der Überfall auf das marsianische Nachschublager so wichtig war und wohin dies letztlich führen würde. Alle waren bereit zu sterben, wenn er es ihnen befahl, weil sie wussten, wer er war. Weil sie wussten, wer sein Vater war. Filip spürte es im Bauch und in der Kehle. Nein, es war keine Furcht. Es war Stolz. Jawohl, es war Stolz.

Zwölf Minuten und fünfunddreißig Sekunden. Vierunddreißig Sekunden. Dreiunddreißig. Die Ziellaser, die sie aufgebaut hatten, erwachten zum Leben und erfassten die vier Marinesoldaten, den Bunker mit dem Reserveteam, die Grenzzäune, die Werkstätten, die Unterkünfte. Die Marsianer drehten sich um. Die Sensoren ihrer Rüstungen waren so empfindlich, dass sie sogar die winzigen Strahlen der Ziellaser registrierten. Wie ein Mann hoben sie die Waffen. Einer bemerkte Filips Team und zielte nicht mehr auf die Laser, sondern auf seine Gruppe. Auf ihn.

Er hielt den Atem an.

Vor achtzehn Tagen hatte draußen im Jupitersystem ein Schiff – Filip wusste nicht einmal, welches es war – mit zehn oder gar fünfzehn G extrem stark beschleunigt. In einer von den Computern genau vorherbestimmten Nanosekunde hatte das Schiff ein paar Dutzend Wolframstäbe ausgesetzt. Die Bündel waren mit billigen Einmalraketen im Massezentrum und einfachen Sensoren ausgerüstet gewesen. Ein Antrieb dieser Art war so primitiv, dass man ihn kaum als Maschine bezeichnen konnte. Jeden Tag bauten Sechsjährige in der Schule kompliziertere Vorrichtungen. Dieser Antrieb musste jedoch nicht sehr komplex sein, um die Metallstäbe auf hundertfünfzig Sekundenkilometer zu beschleunigen. Die Elektronik musste nur wissen, worauf sie zu zielen hatte.

In der Zeitspanne, die das Signal brauchte, um von Filips Auge über den Sehnerv ins Sehzentrum des Gehirns zu wandern, war es auch schon vorbei. Er spürte den Einschlag und sah die Staubwolken, wo gerade noch die Marinesoldaten gestanden hatten, und dann blühten am Himmel vorübergehend zwei neue Sterne auf, wo eben noch Kriegsschiffe gewesen waren. Jetzt waren die Feinde tot. Er aktivierte den Sendeteil seines Funkgeräts.

»Ichiban«, sagte er. Er war stolz darauf, dass seine Stimme so ruhig klang.

Zusammen sprangen und rutschten sie den Abhang des Kraters hinunter. Die marsianische Werft bot jetzt ein Bild wie aus einem Traum, als die Gase aus den zerstörten Werkstätten entwichen und verbrannten. Aus den Unterkünften schoss die Luft heraus und gefror. Eine Wolke aus Staub und Eis breitete sich im Krater aus. Sein Helmdisplay zeigte ihm, wo die Ziele waren.

Zehn Minuten und dreizehn Sekunden.

Filips Team teilte sich auf. Sie liefen mitten in die freie Fläche hinein und suchten sich eine Stelle, die groß genug war, um die dünnen schwarzen Carbonfaserstreben des Evakuierungsgerüsts aufzubauen. Zwei andere lösten rückstoßfreie Maschinenpistolen von den Gürteln und stellten sich auf, um jeden zu erschießen, der aus den Trümmern auftauchte. Weitere zwei rannten zur Waffenkammer, und drei begleiteten Filip zu den Vorratslagern. Kahl und abweisend erhob sich das Gebäude aus dem Staub. Der Eingang war zugesperrt. Daneben lag ein umgekippter Lademech, der Fahrer war tot oder dem Sterben nahe. Filips Techniker lief voraus und knackte mit einem motorgetriebenen Stemmeisen das Gehäuse der Türsteuerung.

Neun Minuten und sieben...