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Königskrone - Roman

Joe Abercrombie

 

Verlag Heyne, 2016

ISBN 9783641164720 , 480 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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11,99 EUR


 

Der tiefe Fall

Wir haben verloren«, sagte König Fynn und starrte trübsinnig in sein Bier.

Ein Blick in die leere Halle zeigte Skara, dass das nicht zu leugnen war. Dabei hatten noch im letzten Sommer die frisch zusammengetrommelten Krieger mit ihren blutrünstigen Prahlereien, ihren Heldenliedern und den laut beteuerten Versprechen, den Sauhaufen des Hochkönigs ein für alle Mal zu erledigen, die Dachbalken erzittern lassen, dass sie fast einzustürzen drohten.

Wie es bei Männern oft der Fall ist, hatten sie sich im Reden als tüchtiger erwiesen denn beim Kämpfen. Nachdem einige Monate mit faulem Herumsitzen verstrichen waren, ohne dass viel Ruhm und Reichtum errungen worden war, hatten sie sich einer nach dem anderen davongeschlichen. Nur ein kleines Grüppchen Glückloser war zurückgeblieben und scharte sich noch um das große Feuer, dessen Flammen ähnlich schwach glommen wie die Hoffnungen von Throvenland. Der Wald, wie König Fynns Halle dank ihrer vielen Säulen genannt wurde, war einst ein Ort gewesen, an dem sich Scharen von Kriegern gedrängt hatten; jetzt lagerten hier nur noch Schatten. Und Enttäuschungen.

Sie hatten verloren. Und das, ohne überhaupt eine Schlacht geschlagen zu haben.

Mutter Kyre sah das natürlich anders. »Wir haben eine Übereinkunft getroffen, mein König«, verbesserte sie, während sie an ihrem Fleisch knabberte und dabei so lange Zähne machte wie ein alter Gaul, der sich an einen Heuballen wagt.

»Eine Übereinkunft?« Empört stieß Skara ihr Messer in das Essen, von dem sie noch keinen Bissen angerührt hatte. »Mein Vater starb einst bei dem Versuch, Kap Bail zu halten, und jetzt hast du Großmutter Wexen den Schlüssel zur Festung in den Schoß geworfen, ohne dass es überhaupt zu einem Kampf gekommen wäre. Du hast den Kriegern des Hochkönigs freies Geleit durch unser Land versprochen! Wie übel müsste es denn wohl erst um uns bestellt sein, wenn wir deiner Ansicht nach verloren hätten?«

Mutter Kyre sah Skara mit der provozierenden Gelassenheit an, die sie so perfekt beherrschte. »Wenn dein Großvater tot unter seinem Grabhügel läge, die Frauen von Yaletoft über den Leichnamen ihrer Söhne weinten, diese Halle zu Asche heruntergebrannt wäre und du, meine Prinzessin, das Halseisen einer Sklavin trügest, das an den Thron des Hochkönigs gekettet wäre – dann würde ich davon sprechen, dass wir verloren hätten. Deswegen sage ich jetzt: Wir haben eine Übereinkunft erzielt

König Fynn, seiner Würde beraubt, war in sich zusammengesunken wie ein Segel ohne Mast. Skara hatte stets geglaubt, ihr Großvater sei so unbesiegbar wie Vater Erde. Sie ertrug es nicht, ihn so zu sehen. Vielleicht wollte sie sich auch einfach nicht eingestehen, wie kindisch ihr uneingeschränktes Vertrauen in ihn gewesen war.

Sie sah zu, wie er noch mehr Bier hinunterstürzte, rülpste und seinen vergoldeten Krug zur Seite stieß, damit er neu gefüllt wurde. »Was sagst du, Blauer Jenner?«

»In so königlicher Gesellschaft wie hier, mein König, sage ich stets so wenig wie möglich.«

Der Blaue Jenner war ein gerissener alter Bettler, mehr Plünderer als Händler, mit grob geschnitzten Zügen, verwittert und zerklüftet wie ein alter Tierkopf am Vordersteven eines Schiffes. Hätte Skara das Sagen gehabt, hätte sie diesen Kerl nicht einmal in den Hafen gelassen, und schon gar nicht hier an ihre Tafel.

Mutter Kyre sah das natürlich ebenfalls anders. »Ein Schiffsführer ist selbst wie ein König, der nicht über ein Land, sondern über ein Schiff gebietet. Deine Erfahrung kann Prinzessin Skara sehr nützlich sein.«

Welch ein unwürdiger Gedanke. »Unterweisung in Staatskunde von einem Freibeuter«, brummte Skara. »Und dann noch nicht mal von einem erfolgreichen.«

»Nuschele nicht. Wie viele Stunden habe ich dich gelehrt, wie es sich für eine Prinzessin zu reden geziemt?« Mutter Kyre hob das Kinn und ließ ihre Stimme mühelos von den Dachsparren hallen. »Wenn du zu dem Schluss gekommen bist, dass deine Worte hörenswert sind, dann trage sie stolz vor, lasse sie in jeden Winkel dieses Saales dringen, fülle den Raum mit deinen Hoffnungen und Wünschen und lasse alle an ihnen teilhaben! Wenn du dich deiner Gedanken schämst, dann schweige lieber. Ein Lächeln kostet nichts. Was sagtest du, Blauer Jenner?«

»Nun …« Der Genannte kratzte sich die wenigen grauen Haare, die sich noch an seine wetterfleckige Kopfhaut krallten und offenbar noch nie einen Kamm gesehen hatten. »Großmutter Wexen hat den Aufstand im Tiefland niedergeschlagen.«

»Dank der Unterstützung ihres Kettenhunds, Hell Yilling, der keinen anderen Gott kennt als Frau Tod.« Skaras Großvater griff nach seinem Krug, noch während ihm der Hörige nachschenkte, und Bier spritzte über den Tisch. »Es heißt, er habe die ganze Straße bis nach Skekenheim mit Gehängten flankiert.«

»Der Blick des Hochkönigs richtet sich nach Norden«, fuhr Jenner fort. »Er will Uthil und Grom-gil-Gorm unter seine Knute bringen, und Throvenland …«

»Liegt im Weg«, beendete Mutter Kyre den Satz. »Sitz nicht so gebeugt, Skara, das schickt sich nicht.«

Skara zog einen Flunsch, aber sie hob trotzdem ein wenig die Schultern, streckte den Hals und näherte sich damit der brettartig aufgerichteten, steifen und furchtbar unnatürlichen Haltung, die Throvenlands Gelehrte so schätzte. Sitze so, als würde man dir ein Messer an die Kehle halten, pflegte sie zu sagen. Eine Prinzessin soll es nicht gemütlich haben.

»Ich bin ein Leben in Freiheit gewöhnt, und ich schätze weder Mutter Wexen noch ihre ›Eine Gottheit‹, ihre Steuern oder ihre Gesetze.« Der Blaue Jenner rieb sich sinnend das schiefe Kinn. »Aber wenn Mutter Meer einen Sturm aufkommen lässt, dann tut ein guter Schiffsführer, was in seiner Macht steht, um das zu retten, was zu retten ist. Die Freiheit gilt den Toten nichts. Und Stolz ist schon den Lebenden wenig wert.«

»Weise Worte.« Mutter Kyre wackelte mit dem Zeigefinger und sah Skara dabei an. »Wer besiegt wird, kann morgen wieder gewinnen. Die Toten haben auf ewig verloren.«

»Weisheit und Feigheit sind schwer voneinander zu unterscheiden«, hielt Skara trotzig dagegen.

Die Gelehrte schob streitbar das Kinn vor. »Ich bin fest überzeugt, dass ich dir bessere Manieren beigebracht habe, als einen Gast zu beleidigen. Edle Gesinnung zeigt sich nicht an der Achtung, die man den Höchsten erweist, sondern an der Achtung, die man dem Geringsten entgegenbringt. Worte sind Waffen. Sie sollten mit größter Vorsicht eingesetzt werden.«

Jenner machte mit einem leichten Abwinken deutlich, dass er sich nicht im Geringsten beleidigt fühlte. »Zweifelsohne hat Prinzessin Skara es richtig erfasst. Ich habe viele Männer gekannt, die tapferer waren als ich.« Er lächelte bedauernd und zeigte dabei seine schiefen Zähne, die einige Lücken aufwiesen. »Und bei den meisten war ich dabei, als sie beerdigt wurden.«

»Tapferkeit und langes Leben sind selten gute Bettgenossen«, sagte der König und leerte seinen Becher erneut.

»Könige und Bier sind es ebenso wenig«, erwiderte Skara.

»Mir ist nichts mehr geblieben außer Bier, Enkeltochter. Meine Krieger haben mich im Stich gelassen. Meine Verbündeten haben sich abgewandt. Sie haben Schönwettereide getan, die fest standen wie Eichbäume, solange Mutter Sonne schien, aber verdorrten, sobald Wolken aufkamen.«

Das war kein Geheimnis. Tag um Tag war Skara zum Hafen gelaufen, weil sie hatte sehen wollen, wie viele Schiffe König Uthil von Gettland mit sich bringen und wie viele Krieger den berühmten Grom-gil-Gorm aus Vansterland begleiten würden. Tag um Tag verging, während die Blätter an den Bäumen knospten, dann Schattenflecken warfen und sich schließlich gelb färbten und fielen. Die Schiffe und die Krieger kamen nie.

»Treue findet man bei Hunden öfter als bei Menschen«, bemerkte Mutter Kyre. »Ein Plan, der auf Treue fußt, ist schlimmer als gar keiner.«

»Und worauf kann man stattdessen bauen?«, fragte Skara. »Auf einen Plan, der auf Feigheit fußt?«

Alt sah ihr Großvater aus, wie er sich mit trübem Blick und Bieratem wieder an sie wandte. Alt und besiegt. »Du warst stets sehr tapfer, Skara. Tapferer als ich. Ganz bestimmt fließt Bails Blut in deinen Adern.«

»Doch auch dein Blut, mein König! Du hast mir stets gesagt, dass der Krieg nur zur Hälfte mit Schwertern ausgefochten wird. Für die andere Hälfte braucht man das hier.« Damit drückte Skara sich den Zeigefinger so stark gegen die Schläfe, dass es wehtat.

»Du warst stets sehr klug, Skara. Klüger als ich. Bei den Göttern, du kannst mit klugen Reden die Vögel vom Himmel holen, wenn du es darauf anlegst. Dann kämpfe diese Hälfte des Krieges. Entwickele mit deiner Gerissenheit einen Plan, wie wir die Heere des Hochkönigs zurücktreiben und unser Land und unser Volk vor Hell Yillings Schwert retten können. Das könnte mich vor der Scham bewahren, mich auf Großmutter Wexens Übereinkunft einlassen zu müssen.«

Skara sah zu Boden auf das aufgeschüttete Stroh und fühlte, wie ihre Wangen brannten. »Ich wünschte, das könnte ich.« Aber sie war ein Mädchen, das gerade siebzehn Winter zählte, und da mochte Bails Blut noch so sehr durch ihre Adern fließen, in ihrem Kopf waren keine heldenhaften Pläne. »Es tut mir leid, Großvater.«

»Mir auch, mein Kind.« König Fynn lehnte sich müde zurück und verlangte nach mehr Bier. »Mir auch.«

»Skara.«

Mit einem Ruck erwachte sie aus gequälten...