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Die Mappe meines Urgroßvaters (Ein Tagebuch aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts)

Adalbert Stifter

 

Verlag e-artnow, 2015

ISBN 9788026847144 , 156 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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1,99 EUR


 

3. Der sanftmüthige Obrist


Ich saß nemlich vor drei Tagen bei einem Weibe, das noch jung und unvermählt ist, und redete viele Stunden zu ihrem Sinne, daß sie ihn ändere. Als ich sie nicht abzubringen vermochte, lief ich in den Wald, an welcher Stelle eine Birke steht, und wollte mich daran erhängen. Ich werde es später schreiben, wie ich so übermüthig mein Heil an das Weib gebunden habe, daß ich meinte, ohne ihr nicht sein zu können, aber sie sollte es nur sehen, daß ich alles zerreiße und daß ich sie strafe, das falsche, wankelmüthige Herz: - vorher aber muß ich nur das von dem Obrist eintragen. Ich lief von ihr in mein Haus, riß ein buntes Tuch von dem Tische, lief durch den Garten, sprang über den Zaun, und schnitt dann den Weg ab, indem ich über Allerbs Hofmark und durch die Wiesen der Beringer ging. Dann traf ich auf den Fußsteig, der an den Mitterwegfeldern geht - dort eilte ich eine Weile fort. Ich hatte aus dem Tuche eine Schlinge gemacht, und trug es in dem Busen versteckt. Dann beugte ich wieder links von dem Wege ab, strebte unter den dünnen Stämmen des ausgebrannten Waldes der Dürrschnäbel hinauf, drang durch den Saum des Kirmwaldes, streifte an dem Stangenholze, an den Tannenbüschen, an den Felsblöcken vorbei und sprang auf den Platz hinaus, wo die vielen Birken stehen und der grüne Rasen dahingeht. - - Als ich nun da war, harrte ich gleichwohl noch ein wenig, und alle Bäume sahen mich fragend an. Es war auch ein breiter grauer Fels da, der nicht weit davon viele Klaftern hoch emporstand, und von dem die Sonnenstrahlen ohne Geräusch wegprallten, daß alle Steinchen funkelten und glänzten. Auch war eine wolkenleere finsterblaue Luft bis in die Baumzweige herunter. - Ich schaute nicht um, gleichsam als stünde Einer hinter mir. - - Dann dachte ich: da hat vor wenig Augenblicken eine Feldgrille gezirpt, ich wolle noch so lange warten, bis ich sie wieder höre.

Aber ich hörte sie nicht.

Das Himmelblau rückte immer tiefer in die Wipfel. Von dem Baume ging der starke Ast seitwärts, auf den ich gedacht hatte, und ließ dann das Moos wie einen grünen Bart hängen, derlei diese Bäume gerne haben, und weiter draußen gingen die dünnen Zweige nieder, die mit den vielen kleinen Blättern besetzt waren.

Die Grille zirpte nicht.

Aber der Obrist war mir nachgelaufen, als er mich hatte in den Wald herauf gehen gesehen, und griff mir jetzt, den ich gar nicht herzutreten gehört hatte, ganz leise an die Schulter. Ich erschrak sehr, sprang um den Baum herum und schaute zurück. Da sah ich den alten Mann stehen, mit den weißen Haaren auf seinem Kinne und Scheitel.

Er redete zuerst und sagte: »Warum erschreckt ihr denn so sehr?«

Ich aber antwortete: »Ich erschrecke nicht, und was wollt ihr denn von mir, Obrist?«

Er wußte Anfangs nicht, was er sagen sollte - aber dann fing er langsam an, und erwiederte: »Nun - - ich habe euch heraufgehen gesehen, und da meinte ich, daß ich euch auch nachgehen könnte, weil ihr diese Stelle ganz besonders zu lieben scheint, - und daß wir da vielleicht mit einander redeten - - ich hätte euch etwas zu sagen - - aber wenn ihr wollt, so können wir es auf ein andermal lassen.«

»Nein, nein, redet gleich, sagte ich, redet so lange ihr wollt, ich will euch geduldig anhören, und nicht zornig werden. Aber wenn ihr geendet habt, dann müßt ihr mich lassen, weil ich dahier noch ein Geschäft habe.«

»O nein, Doctor,« antwortete er, »ich will euch nicht stören, wenn ihr ein Geschäft habt - mein Ding kann warten - - ich habe nur gemeint, wenn es sich so zufällig ergäbe - - ich lasse euch schon. - Es thut nichts; weil ich einmal da bin, so kann ich gleich in den Reutbühl hinübergehen; der Knecht sagt ohnedem, daß sie mir Holz stehlen. Wenn ihr mich ein andermal anhören wollt, so werde ich schon fragen lassen, wann ihr zu Hause seid, - wollet ihr aber gar freundlich sein, so besuchet lieber ihr mich einmal, weil ich in meiner Stube leichter reden würde, als in einer fremden. Aber nicht, daß ihr das für eine Unartigkeit aufnehmet, ich kann auch gerne zu euch kommen, lasset es mir nur in diesen Tagen sagen, wie es euch besser gefällt. Thut nun euer Geschäft - thut es im Namen Gottes und denkt nur immer, daß ich euer Freund gewesen bin, der euch stets Gutes gewollt hat. - - Ich habe fast gemeint, daß ihr hier oben an dieser Stelle wieder lesen werdet, wie ihr sonst gerne thatet; aber ich sehe, daß es nicht so ist. - - Noch Eins muß ich sagen: habt ihr denn nicht auch im Heraufgehen gesehen, Doctor, wie heuer das liebe Korn gar so schön stehet; es legt sich auf diese Jahreszeit schon so hoch und dunkel, daß es ein Wunder ist. Ich will von dem Reutbühl durch die Mitterwegfelder gehen, und dort den Neubruch betrachten, wo heuer zum ersten Male Weizen steht. Dann gehe ich wieder nach Hause. - Lebt jetzt wohl, und besuchet mich bald.«

Diese oder ähnliche Worte hat er gesagt; denn ich habe sie mir nicht genau merken können. - Dann zauderte er noch ein wenig - dann that er aber höflich sein Barett ab, wie er es gewohnt ist, und ging davon. Er scheint auf keine Antwort gewartet zu haben, und ich habe auch keine geben gewollt. Ich schaute ihm nach, und sah, wie er immer weiter hinter die Baumstämme zurückkam, bis es wieder war, als wenn gar niemand da gewesen wäre.

Ich wartete noch ein wenig, dann nahm ich das Tuch aus meinem Busen, und warf es mit Ingrimm weit von mir weg in die Büsche. - -

Dann aber blieb ich noch auf der Stelle stehen, und getraute mir nicht aus dem Walde zu gehen. Ich schaute die Dinge an und bemerkte, daß es schon unterdessen sehr Nachmittag geworden war. Die Baumblätter regten sich schwach, die weißen Birkenstämme standen einer hinter dem andern, und zwischen ihnen kam die tiefe Sonne herein und umzirkelte sie, daß sie vergleichbar waren dem matten Scheine silberner Gefäße.

Ich blieb noch recht lange in dem Walde.

Es war endlich die Zeit des Abendgebetes gekommen, und manche Tannenäste wurden roth. - Siehe, da klang auf einmal hell und klar, wie ein Glöcklein, die Stimme der Grille, und klopfte mit einem silbernen Stäblein an mein Herz - gleichsam mit einem feinen, silbernen Stäblein klopfte das mißachtete Thier an mein Herz, als sagte es mir deutliche menschliche Worte. Beinahe hätte ich mich gefürchtet.

Und wie ich dann von der Stätte fortging, klang auch das Abendlied der Ammer, es klang so dünne und dicht neben mir, als flöge das Vöglein heimlich mit, und zöge ein zitternd Goldfädlein von Zweig zu Zweig. - Und wie ich weiter gegen die Felder hinaus kam, lichtete und lohete der Wald immer mehr und mehr - die Augen des Himmels sahen herein, und die dünnen Stämme waren wie feurige Stäbe. Und wie ich nun gänzlich hinauskam, lag die ruhige Saat des Kornes da, welches der Obrist angeschaut hatte - weithin lag sie dunkelgrün und kühl da, nur die Spitzen waren ganz ein wenig roth gestreift von dem Widerscheine des Himmels. Die Wiesen drüben waren schon dunkel und wie mit grauem Reife bedeckt, und hinter dem Walde draußen war die Sonne untergegangen.

Als ich zu Thal gekommen und an mein Haus getreten war, führte der Knecht meine zwei schwarzen Pferde aus der Schwemme heim, und grüßte mich; ich aber ging in die Stube, wo die Bücher sind, und aß des Abends keinen Bissen mehr.

Des andern Tages war ein Sonntag, es war der vorgestrige Tag, und ich fuhr um fünf Uhr früh zu dem Erlebauer hinaus, weil es sich am Tage zuvor mit ihm so verschlimmert hatte; aber er war besser, und ich ließ ihm wieder von dem Tranke zurück. Die Inwohnerin des alten Klum war besser, eben so die junge Mechthild mit dem Gallenfieber. Um neun Uhr war ich schon bei Allen gewesen, und ging dann in die Kirche zu dem sonntäglichen Gottesdienste. Nachmittag weinte ich sehr.

Da sendete ich noch in der Nacht zu dem Obrist, und ließ ihm melden, daß ich morgen kommen würde, wenn es ihm genehm wäre. Ich wolle zuerst die Kranken versorgen, und dann würde ich hinauf gehen, wenn er zu Hause sei, das ist gegen zehn Uhr, oder um weniges später. Er solle mir zurücksagen lassen, wenn er da nicht könne und es anders wolle. Aber der Obrist vermeldete mir durch meinen Knecht, daß er mit vieler Freude auf mich warten werde, und daß ich keinen Kranken übereilen solle. Er werde den ganzen Tag in seinem Hause oder in seinem Garten herum sein, daß ich ihn leicht finde.

Dann legte ich mich nieder, und gab vorher dem Knechte noch, in Anbetracht, daß heute Sonntag war und er den Gang gethan hatte, ein Glas Wein. - Ach Gott - der Keller war schon fertig, und ich wollte ein großes Haus darauf bauen - und ich weiß nun nicht, für wen ich es baue. Ein recht großes, schönes Haus wollte ich bauen, weil mich Gott so gesegnet hat, und weil mein Vater doch nur ein Kleinhäusler gewesen ist, mit einer Hütte und Steinen darauf, wie sie noch überall auf den Waldhöhen herum stehen. Nur der Obrist ist gekommen und hat ein Haus mit steinernen Mauern gebaut, das nun als Vorbild weit hin gegen die Fichten leuchtet. Dann las ich noch bis Mitternacht in Hochheimbs Buche.

Am andern Morgen, da ich schon lange nicht mehr schlafen konnte, stand ich sehr früh auf, und fuhr, als noch der Thau lag, durch den Wald an dem Bache hinunter, daß ich meine Kranken besuche. Das Wasser rollte kühl über seine Steine und an den Gräsern dahin. Es ging bald die Sonne auf, und brachte einen recht schönen, lieblichen Vormittag. Dieser trocknete die Nässe von den Nadeln und von allen den vielen Kräutern, die nichts anderes zu thun hatten, als recht eilends in dieser Frühlingswärme zu wachsen. Als ich wieder nach Hause gekommen, und die Pferde in den Stall gebracht waren, legte ich...