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Fast perfekt ist gut genug

Kristan Higgins

 

Verlag MIRA Taschenbuch, 2016

ISBN 9783956495342 , 432 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz DRM

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4,99 EUR


 

JENNY


Und schon wird mir mal wieder klar, dass es ein Riesenfehler war, mit meinem Exmann befreundet zu bleiben.

Ich bin auf der Babyparty von Ana-Sofia, Owens Frau und meiner Nachfolgerin. Tatsächlich sitze ich sogar neben ihr, habe den Ehrenplatz im Kreis der strahlenden Gratulantinnen bekommen, und wahrscheinlich strahle ich genauso sehr wie alle anderen. Mehr noch, ich habe mein „Mensch, ist es nicht wunderbar, wie sie von innen leuchtet“-Lächeln aufgesetzt, das ich in meinem Beruf oft brauche, zumal die Bräute immer zickiger, ihre Mütter immer kritischer und ihre Brautjungfern immer neidischer werden. Aber dieses Lächeln jetzt, dieses Babyparty-Lächeln … also das ist geradezu übermenschlich, ganz ehrlich.

Dass ich heute hergekommen bin, ist unglaublich erbärmlich, das weiß ich, keine Sorge. Ich wollte einfach nicht, dass man mich für verbittert hält, weil ich nicht auftauche – was ich höchstwahrscheinlich bin, ein wenig zumindest. Schließlich wollte ich immer Kinder haben. Doch jedes Mal, wenn ich davon anfing, sagte Owen, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt sei und ihm unser Leben genau so gefiele, wie es war.

Tja. Nun. Das hat sich dann ja als nicht ganz zutreffend herausgestellt, doch wir sind Freunde geblieben. Heute hier zu sein ist jedoch … erbärmlich.

Andererseits bin ich heute Morgen halb verhungert aufgewacht, und hier wird es fantastisches Essen geben, das wusste ich. Ana-Sofia inspiriert Menschen. Ich ziehe bald weg aus New York, weshalb ich seit drei Wochen versuche, alles Essbare in meiner Wohnung entweder aufzuessen oder wegzugeben. Zudem ist mir einfach keine Entschuldigung eingefallen, die man mir auch abgenommen hätte. Besser hier rumsitzen und angestarrt werden, statt zu Hause im Selbstmitleid zu versinken und eine Schachtel Wheat Thins undefinierbaren Alters zu mampfen.

Ana-Sofia öffnet mein Geschenk, das ich, obwohl bereits April ist, in Weihnachtspapier gewickelt habe. Liza, die Gastgeberin, schaut finster; die rot-grünen Kakao schlürfenden Weihnachtsmänner stören das Ambiente, das Liza auf den Einladungen extra erwähnt hat.

Um ein schönes und harmonisches Ambiente für Ana-Sofia zu kreieren, haltet euch bei Kleidung und Geschenkverpackung bitte an das Farbschema Apricot und Salbei.

So was gibt’s nur in Manhattan, Leute. Ich trage ein lila Kleid, um Liza auf diese Weise den Stinkefinger zu zeigen, die mal meine Freundin war, jetzt aber täglich bei Facebook postet, dass sie mit ihrer ABF, ihrer allerbesten Freundin Ana-Sofia herum-LOL-t.

„Oh! Ist das hübsch! Danke, Jenny! Seht mal alle her. Wie wunderschön!“ Als Ana-Sofia mein Geschenk in die Höhe hält, schnappen die Gäste nach Luft und murmeln und rufen, dass es wirklich das hübscheste von allen wäre, allerdings fange ich mir auch ein paar böse Blicke ein. Ich sehe die Neider mit hochgezogener Augenbraue an. Was sagt ihr jetzt, Schlampen? Das Geschenk habe ich gestern Nacht noch auf den letzten Drücker genäht, weil ich vergessen hatte, eines zu kaufen, aber das brauchen sie ja nicht zu wissen.

Es ist eine weiße Babydecke aus Satin mit aufgenähten Blättern und Bäumen und Vögeln. Hey. Dafür habe ich nur zwei Stunden gebraucht. Musste nichts von Hand nähen, also kein großes Ding. Nähen ist mein Beruf. Ich entwerfe Hochzeitskleider. Die Ironie ist mir sehr wohl bewusst.

„Hättest du nicht einfach wie jeder normale Mensch ein Kuscheltier mitbringen können?“, murmelt jemand links von mir. Andreas – eigentlich Andrew –, mein Assistent und der einzige Mann hier. Schwul natürlich – oder würde ein heterosexueller Mann jemals in einem Brautmodengeschäft arbeiten? Außerdem hasst und fürchtet er Kinder, weshalb er unter den gegebenen Umständen der perfekte Begleiter für mich ist. Ich brauche einen Verbündeten.

Habe ich erwähnt, dass die Party in der Wohnung stattfindet, in der ich früher mit Owen gelebt habe? Wo wir beide, wie ich dachte, extrem glücklich waren? Ja. Liza ist zwar die Gastgeberin, doch in ihrer Wohnung ist der Strom ausgefallen, was sie den ungeschickten Handwerkern zu verdanken hat, die bei ihr neue Glasarbeitsplatten einbauen – Granit ist ja so was von letztes Jahrzehnt –, und deswegen sind wir hier. Liza ist verschwitzt und laut und zu Recht besorgt darüber, wie ihre Fähigkeiten als Gastgeberin beurteilt werden. Dies ist immerhin die Upper East Side. Wir sind alle ganz groß im Beurteilen.

Die Geschenke – meines eingeschlossen – grenzen schon ans Lächerliche. Auf der Einladung – von Crane’s geprägt – bitten die künftigen Eltern um Spenden für Ana-Sofias Stiftung – Gushing.org. Auch wenn der Name so was wie Heraussprudeln bedeutet und einen so eher an eine besonders unangenehme Menstruationsphase denken lässt, sammelt sie damit Geld für Brunnen in Afrika. Genau. Deswegen haben wir alle dicke Schecks ausgestellt und obendrein versucht, die anderen geschenkemäßig auszustechen. Ein Alexander-Calder-Mobile. Eine Ausgabe von Mutter-Gans-Geschichten aus dem Jahr 1918. Ein Steiff-Teddybär aus Mohair, der ungefähr so viel kostet wie eine Monatsmiete meines bald ehemaligen Apartments im Village.

Ich lasse den Blick durch die inzwischen äußerst geschmackvoll eingerichtete Wohnung schweifen. Als ich hier wohnte, war es gemütlicher, mit mehr Boho-Schick – große, bequeme Möbel, Dutzende Fotos von meinen drei Nichten, hier und da etwas Wandschmuck von Target, dieser Mittelklasse-Bastion der Farbe und des Frohsinns. Jetzt ist die Einrichtung unglaublich elegant mit afrikanischen Masken an den Wänden, damit wir ja nicht vergessen, was Ana-Sofia beruflich macht, und Originalgemälden aus der ganzen Welt. Die Wände sind in diesen langweilig neutralen Farben mit aufregenden Namen gestrichen – Oktobernebel, Birmingham-Creme, Eiszapfen.

Dort ihr Hochzeitsbild. Sie haben nur zu zweit geheiratet, daher musste ich zum Glück nicht dabei sein – oder, Gott behüte, auch noch das Kleid nähen, was ich natürlich getan hätte, wäre ich gefragt worden. Ich bin nämlich nach wie vor ziemlich schwach, was Owen betrifft, und weiß einfach nicht, wie ich ihn aus meinem Herzen verbannen soll. Obwohl das Foto von einem Friedensrichter in Maine aufgenommen wurde, ist es perfekt. Braut und Bräutigam lachen, leicht von der Kamera abgewandt. Anas Haar weht in der Meeresbrise. Das Foto war sogar in der sonntäglichen Hochzeitsbeilage der New York Times abgebildet.

Die beiden sind wirklich das perfekte Paar. Früher waren Owen und ich eines, und obwohl ich gar keine Perfektion erwartet habe, fand ich uns zusammen ziemlich großartig. Wir haben nie gestritten. Meine Mom war der Ansicht, dass Owen als Halbjapaner eine bessere Partie war als „diese Einfaltspinsel“, mit denen ich zuvor zusammen war – und von denen ich jeden Einzelnen irgendwann zu heiraten gehofft hatte, angefangen bei Nico Stephanopolous in der achten Klasse. „Japaner halten nichts von Scheidung“, sagte Mom, als ich ihr Owen vorstellte. „Stimmt’s, Owen?“

Er nickte, und ich kann noch immer sein ständiges süßes Lächeln sehen, sein Dr.-Perfect-Lächeln, wie ich es nenne. Das ist sein normaler Gesichtsausdruck – sicher sehr beruhigend für seine Patienten. Owen ist plastischer Chirurg, einer von denen, die Gaumenspalten in Ordnung bringen und Muttermale entfernen und das Leben ihrer Patienten verändern. Er hat Ana-Sofia, die aus Peru kommt und fünf Sprachen spricht, elf Wochen nach unserer Scheidung kennengelernt, als er seinen jährlichen Abstecher mit Ärzte ohne Grenzen in den Sudan machte, wo sie gerade Brunnen grub.

Und ich entwerfe Hochzeitskleider, wie ich wahrscheinlich schon erwähnt habe. Moment, das ist nicht so oberflächlich, wie es klingt. Ich lasse Frauen so aussehen, wie sie es sich für den glücklichsten Tag ihres Lebens immer erträumt haben. Ich sorge dafür, dass sie beim Blick in den Spiegel zu weinen beginnen. Ich gebe ihnen das Kleid, über das sie viele Jahre nachgedacht haben, das Kleid, das sie tragen werden, wenn sie ewige Treue schwören, das Kleid, das sie eines Tages ihren Töchtern weitergeben werden, das Kleid, das Ausdruck all ihrer Träume und Hoffnungen von einer glücklichen, funkelnden Zukunft ist.

Verglichen mit Owens Arbeit und der seiner zweiten Frau mag das allerdings etwas seicht wirken.

Theoretisch müsste ich die beiden hassen. Nein, er hat mich nicht mit ihr betrogen. Dazu ist er viel zu anständig.

Doch er liebt sie. Natürlich könnte ich ihn dafür hassen, dass er sie liebt und nicht mich. Und machen wir uns nichts vor – ich war am Boden zerstört. Aber ich kann Owen nicht hassen und Ana-Sofia auch nicht. Die beiden sind viel zu nett, was ich ziemlich rücksichtslos von ihnen finde.

Owens beste Freundin zu sein ist jedenfalls immer noch besser, als ihn ganz und gar zu verlieren.

Der Quilt hat die Runde gemacht, um von allen bewundert zu werden, und jetzt ist er wieder bei Ana gelandet. Sie streichelt ihn zärtlich, dann sieht sie mich mit Tränen in den Augen an. „Ich kann dir gar nicht sagen, wie viel mir das bedeutet.“

Ach, halt die Klappe, möchte ich sagen. Ich habe vergessen, dir ein Geschenk zu kaufen und das Ding hier gestern Nacht aus ein paar Satinresten zusammengenäht. Keine große Sache.

„Hey, kein Problem“, sage ich. In Ana-Sofias Gegenwart benehme ich mich oft gehemmt und blöd. Andreas reicht mir noch einen Windbeutel. Vielleicht sollte ich ihm eine Gehaltserhöhung geben.

„Ich bin so begeistert von deinem neuen...